W&F 2008/1

Das Beispiel der Nanotechnik

Neue Militärtechnik und internationale Sicherheit

von Jürgen Altmann

Neue Militärtechnik hat schon immer die internationale Entwicklung beeinflusst. So brachte die Atombombe eine grundlegende Umwälzung. Heute wird von der Revolution in militärischen Angelegenheiten gesprochen, v.a. durch Computer und Vernetzung. Viele sehen die nächste technologische Revolution in der Nanotechnik. Welche Auswirkungen wird sie auf die internationale Lage, vor allem die Frage von Krieg oder Frieden haben?1

Militärtechnik- folgenabschätzung

Für die Abschätzung der Folgen militärischer Technik gilt ein anderer Bezugsrahmen als bei der »normalen«, zivilen Technik. Im Innern von Staaten gibt es Regeln für gefährliche Techniken: Missbrauch wird verhindert oder minimiert durch Gesetze und andere Regelungen. Das Monopol legitimer Gewalt liegt beim Staat. Der Staat hat die Macht und die Mittel, die Einhaltung der Regeln zu erzwingen. Regelbrecher werden verfolgt, vor Gericht gestellt, ins Gefängnis gebracht usw. Der Staat hat weitreichende Inspektionsrechte - beim Arbeits- und Umweltschutz, bei der Buchführung, beim Export usw. darf er in Betriebe hineingehen - für Routineüberprüfungen, für Stichproben, bei dringendem Verdacht auf Gesetzesbruch. Diese Rechte werden breit akzeptiert. Wenn neue Technik aufkommt, werden zur Eindämmung von deren Gefahren oft neue Regeln aufgestellt.

Ganz anders ist es bei der militärischen Nutzung neuer Technik: Hier ist das Ziel, das Potential für selektive oder massive Zerstörung möglichst schnell nutzbar zu machen. Forschung erkundet neue Möglichkeiten; wenn sich solche abzeichnen, werden neue militärische Systeme entwickelt. Diese Arbeiten werden vom Staat geschützt, durch seine Ressourcen finanziert und mit hohem Personalaufwand durchgeführt. Das wird durch die höchsten nationalen Interessen gerechtfertigt. Die Aufgabe von Streitkräften ist es, in einem bewaffneten Konflikt durch gezielte oder massive Zerstörung zu siegen, und ein Hauptmittel für den Sieg ist neue Technik. Diese Aufgabe der Streitkräfte bedingt eine Tendenz, zivile Grenzen zu überschreiten und wichtige Informationen geheim zu halten. Bei der Abschätzung der Folgen militärischer Technik liegen daher besondere Bedingungen vor, und alles ist mit dem Problem der internationalen Sicherheit verknüpft.

Sicherheitsdilemma, Rüstungskontrolle und Überprüfung

Im Grunde ist das internationale System weiterhin durch Anarchie gekennzeichnet - es gibt keine übergeordnete Autorität, die die Sicherheit der Staaten gewährleistet. Jeder Staat versucht, Sicherheit vor einem Angriff durch die Drohung mit seinen Streitkräften zu erlangen.2 Dabei erhöht er aber die Bedrohung für andere, und das Gesamtergebnis ist, dass sich die Sicherheit aller verschlechtert. Ein Ausweg aus diesem sogenannten Sicherheitsdilemma ist die freiwillige gegenseitige Beschränkung der Streitkräfte (Rüstungskontrolle).3 Aber bei der Begrenzung der eigenen militärischen Fähigkeiten ergibt sich ein Widerspruch zu dem Ziel des Sieges für den Fall, dass dennoch Krieg ausbricht. Die Kampfkraft der Streitkräfte darf nicht zu sehr eingeschränkt werden, und wichtige militärische Informationen müssen geheim bleiben.

Wenn potentielle Gegner ihre Militärmacht durch Vereinbarungen beschränken, könnte ein Partner die Regeln heimlich verletzen und einen anderen, vertragstreuen Akteur mit höherer Aussicht auf Erfolg angreifen. Sich nicht durch so etwas überraschen zu lassen, erzeugt auch bei ehrlichen Staaten ein Motiv zur heimlichen Umgehung. Die Lösung dieses Problems ist verlässliche Überprüfung, ob die Vereinbarungen eingehalten werden. Wenn man die Vertragsverletzung eines Partners rechtzeitig entdecken kann, können die anderen versuchen, ihn zu beeinflussen. Wenn das nicht hilft, können sie sich auf die Situation einstellen und Gegenmaßnahmen ergreifen, bis hin zur Kündigung des Vertrags und dem Aufbau militärischer Fähigkeiten, die den Vorteil des Vertragsbrechers kompensieren können. Diese Möglichkeit wirkt schon im Vorfeld abschreckend. Damit Rüstungskontrolle funktionieren kann, ist also normalerweise verlässliche Überprüfung nötig.

Hier gibt es aber nun ein Verifikationsdilemma: Für verlässliche Überprüfung ist Transparenz nötig, militärische Wirksamkeit im Krieg braucht aber in vieler Hinsicht Geheimhaltung (Stärken und Schwächen von Waffensystemen, strategische Planungen, Orte, Moral usw.). Der Ausweg ist eine ausgewogene Mischung aus Transparenz und Geheimhaltung. Im Kalten Krieg geschah das durch die sogenannten nationalen technischen Mittel der Verifikation (vor allem Satelliten), ab 1987 wurden zunehmend Vor-Ort-Inspektionen benutzt, mit genauen Regeln, was die Inspektor(inn)en sehen und welche Hilfsmittel sie benutzen dürfen.

Nanotechnik - die nächste technologische Revolution

In der Nanotechnik geht es um die Analyse und vor allem Gestaltung von Systemen mit Strukturen, die zwischen 0,1 und 100 nm groß sind. Das ist die Ebene von Atomen und Molekülen; hier verschwimmen die Grenzen zwischen Physik, Chemie und Biologie. Das grundsätzliche Ziel der Nanotechnik ist es, Atome und Moleküle frei zusammenbauen zu können und damit kleinste Strukturen zu erzeugen, die gewünschte Aufgaben erledigen: als Sensoren oder elektronische Elemente fungieren, Stoffe synthetisieren, mechanische Wirkung ausüben und vieles andere mehr. Versprochen werden rasante Steigerung der Computerleistung, hochfeste, dabei extrem leichte Materialien und individuelle Therapie auf der Zell- und Molekülebene. Gemäß der visionären Ausprägung (sog. »molekulare Nanotechnik«) soll die menschliche Intelligenz von der künstlichen übertroffen werden und mit letzterer verschmelzen; Nanoroboter erzeugen die Güter autonom, ohne menschliche Arbeit, Krankheit und Altern werden abgeschafft.4 Aber auch ohne diese - von vielen Wissenschaftlern nicht ernst genommenen - Visionen verspricht Nanotechnik revolutionäre Veränderungen nicht nur darin, wie wir leben und arbeiten, sondern sogar darin, was wir sind.5

Militärische Forschung und Entwicklung in Nanotechnik

Während die zivile Nanotechnik-Forschung und -Entwicklung (FuE) zwischen USA, Europa und Japan etwa gleich verteilt ist (die staatlichen Ausgaben liegen jeweils bei etwa 1 Mrd. $/Euro pro Jahr; der Rest der Welt zusammen gibt etwa denselben Betrag aus), gibt es bei militärischer Nanotechnik-FuE ein erhebliches Übergewicht der USA. Ein Viertel bis ein Drittel der Gelder für die National Nanotechnology Initiative gehen an das Verteidigungsministerium. Im Jahr 2006 waren das 424 Mio. $ von 1,35 Mrd. $. Militärische Projekte werden in Universitäten, den Laboratorien der Teilstreitkräfte und den nationalen Waffenlabors bearbeitet (siehe Tabelle 1). Vieles davon ist noch im Stadium von Grundlagenforschung.

Tabelle 1: Einige FuE-Projekte des US-Militärs in der Nanotechnik (2007)6
Defense Advanced Research Projects Agency, Thrusts Biology/Biological Warfare Defense
Human-Assisted Neural Devices
Restorative Injury Repair
Revolutionizing Prosthetics
Exoskeletons forHuman Performance Augmentation
Peak Soldier Performance
Preventing Sleep Deprivation
Biological Sensory Structure Emulation
Stealthy Sensors
Protein Design Processes
Control of Protein Conformations
Self Decontaminating Surfaces
Naval Research Laboratory, Institute for Nanoscience
Gold Nanocluster Electronics and Sensors
Carbon Nanotube Electronics from Flat Displays to Radar, Communications and Satellites
Carbon Nanotube Networks:A New Nanomaterial for DoD Applications
The Nanomaterials Pathway to Better Batteries
Army Research Laboratory
Materials Design: nano-electrical contacts,embedded nano-sized constituents for materialand performance health monitoring,
large-scale, large-quantity processingof nano-materials
Physical Behavior of Materials:nano-structuring of materials
Synthesis and Processing of Materials:predict and control materials structures fromatomic dimensions to macroscopic levels

Andere Länder sind ebenfalls aktiv in militärischer Nanotechnik-FuE, darunter Großbritannien, Frankreich, Niederlande, Schweden und Israel - hier betragen die Etats aber nur einige Millionen $ oder Euro pro Jahr. In Deutschland gibt es (noch?) kein besonderes Nanotechnik-Programm des Verteidigungsministeriums. Über Russland und China ist nicht viel bekannt; offensichtlich ist, dass auch sie sich um militärische Nutzung der Nanotechnik kümmern, aber auch, dass sie erheblich weniger Mittel aufwenden als die USA. Beide Länder sind aber kompetente Nanotechnik-Akteure und könnten militärische Neuerungen der USA sicher in wenigen Jahren nachvollziehen.

Vorsichtig geschätzt geben die USA 80-90% der Weltaufwendungen für militärische Nanotechnik-FuE aus, vier bis zehn Mal so viel wie der gesamte Rest der Welt. Das ist deutlich über dem Verhältnis in militärischer FuE überhaupt, wo der US-Anteil bei 65% liegt, und wird sich wahrscheinlich in dem Maße ändern, wie andere Länder ihre militärische Nanotechnik-FuE hochfahren werden (siehe Tabelle 1).

Aus dem Bereich Gehirn-Maschine-Schnittstelle sind zwei Projekte zu nennen: Bei dem einen wurden einem Affen Multielektroden auf die motorische Hirnrinde implantiert und die Signale analysiert, wenn der Affe seinen Arm bewegt. Damit wurde dann ein Roboterarm gesteuert, den der Affe schließlich mit Willenskraft bewegen konnte. Beim zweiten Experiment wurden einer Ratte drei Reizelektroden ins Hirn implantiert: zwei dort, wo die Nerven von den rechten bzw. linken Schnurrbarthaaren einlaufen, die dritte in einem Zentrum, das intensives Wohlgefühl erzeugt. So konnte die Ratte schnell darauf trainiert werden, der vom Experimentator gewünschten Richtung zu folgen - sie wurde quasi ferngesteuert.

Damit Nanotechnik schneller zu militärischen Anwendungen führt, finanziert die US Army seit 2002 das Institute for Soldier Nanotechnologies des Massachusetts Institute of Technology. Dort arbeiten fünf multidisziplinäre Forschungsgruppen an Komponenten für das Leitbild eines multifunktionalen Kampfanzugs, der neben Computer und Kommunikationsgeräten auch Sensoren für die Körperfunktionen enthält, heizt oder kühlt, bei Bedarf Heilmittel appliziert, eine Kompresse oder Schiene bildet und Schutz gegen Geschosse oder biologische Kampfmittel bietet.

Mögliche militärische Anwendungen der Nanotechnik

Weil Nanotechnik ein extrem breites Feld ist, könnte sie im Militär in fast allen Bereichen genutzt werden.7 Elektronik, Computer und Kommunikationsgeräte werden viel kleiner und dabei viel schneller werden. Software wird erheblich leistungsfähiger werden und mehr autonome Entscheidungen durch Maschinen ermöglichen. Leichtere, dabei festere Materialien, effizientere Antriebe und energiereiche Sprengstoffe werden entwickelt werden. Kleinste Analysesysteme für chemische oder biologische Stoffe werden ebenso möglich werden wie variable Tarnung. Kleinste Sensorsysteme können so billig werden, dass sie zu Tausenden verstreut werden könnten. Bei Kugelwesten sowie leichter Panzerung wird Nanotechnik Verbesserungen erlauben.

Fahr- und Flugzeuge werden leichter, schneller und beweglicher werden. Munition und Flugkörper werden bei geschrumpfter Größe genauer treffen. Kleinsatelliten könnten mit Kleinraketen gestartet und zur Überwachung oder als Antisatellitenwaffe eingesetzt werden. Große und kleine Roboter, mit und ohne Waffen, werden möglich werden, einschließlich biologisch-technischer Hybride (gesteuerte Insekten oder Ratten). Soldatensysteme können den Körperzustand überwachen, der Körper könnte manipuliert werden, eine Schnittstelle kann Kommunikation zwischen Gehirn und Maschine erlauben.

Bei Kernwaffen sind auf absehbare Zeit keine qualitativen Veränderungen zu erwarten, aber Nanotechnik würde für die Sicherheits- und Zündsysteme eingesetzt. Bei chemischen oder biologischen Waffen muss man dagegen mit drastisch neuen Möglichkeiten rechnen, v.a. auf Grundlage der Nanotechnik-Entwicklungen in Pharmazie und Medizin. Dort werden Kapseln für den sicheren Einschluss und die verzögerte Abgabe von Agenzien entwickelt. Die Kleinheit und besondere Mechanismen sorgen dafür, dass sie leichter in den Körper oder in Zellen eindringen und z.B. die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Mittels aktiver Gruppen in den Oberflächen sollen sie sich an bestimmte Zielorgane oder -zellen binden. Die selektive Reaktion mit spezifischen Gen- oder Proteinmustern soll nur die kranken Zellen zerstören. Auch soll das Immunsystem gezielt beeinflusst werden. Alle solchen medizinischen und pharmazeutischen Fortschritte könnten auch für neue biochemische Waffen eingesetzt werden, die durch ausgefeilte Mechanismen nur in bestimmten Zielgruppen auf besondere Organe oder Hirnzentren wirken würden - im Extremfall würde trotz breiten Ausbringens nur eine spezielle Person verwirrt oder getötet. Nanotechnik wird aber auch empfindlichere Sensoren für chemische und biologische Agenzien erlauben sowie wirksamere Materialien für Filter und Dekontamination. Viele dieser Anwendungen sind zehn, manche zwanzig und mehr Jahre entfernt.

Beurteilung unter Kriterien der präventiven Rüstungskontrolle

Bei der Beurteilung möglicher neuer Militärtechnik sollten die Staaten über die eigene Kampfkraft hinaus schauen und die absehbaren Wechselwirkungen im internationalen System einbeziehen. Das Sicherheitsdilemma kann sich nämlich verschärfen. Ein Weg, dies zu verhindern, ist vorbeugende (präventive) Rüstungsbegrenzung. In der idealisierten Zeitfolge einer neuen militärischen Technik, von Forschung über Entwicklung und Erprobung zu Beschaffung, Nutzung und schließlich Ausmusterung, wirkt sie vor der Beschaffung. Bisherige Rüstungskontrolle hat meist Techniken oder militärische Systeme in der Zahl begrenzt - oder abgeschafft -, die schon eingeführt waren. Es gibt aber auch Präzedenzfälle für vorbeugende Begrenzungen: Die Atomteststoppverträge (partiell 1963, vollständig 1996) schlossen bestimmte Experimente mit Kernexplosionen aus. Der Raketenabwehr-(ABM-) Vertrag (1972-2002) verbot u.a. luft- und weltraumgestützte Abwehrsysteme, die es bei der Vertragsaushandlung nur als Konzepte gab. Im Bereich des Kriegsvölkerrechts ist das Verbot von Laserblendwaffen (1995) zu erwähnen, die es damals auch noch nicht gab.

Präventive Rüstungskontrolle geht in vier Schritten vor:

Vorausschauende naturwissenschaftlich-technische Analyse der jeweiligen Technik - welche Eigenschaften hätte die neue Waffe, wie würde sich die Wirkung ausbreiten, was wäre der Effekt im Ziel?

Vorausschauende Analyse der militärischen und Einsatz-Aspekte: Was wäre die wahrscheinliche Nutzung und gegen welche Ziele wäre sie gerichtet? Was wären ungewöhnliche Einsatzformen? Welche Kollateralwirkungen sind möglich?

Bewertung beider Ergebnisse unter den Kriterien der präventiven Rüstungskontrolle. Wenn die Bewertung zum Ergebnis führt, dass etwas geschehen sollte, müssen

mögliche Beschränkungen überlegt sowie Verfahren für die Überprüfung der Einhaltung analysiert werden.

Im Idealfall würden nach einer solchen Analyse die Staaten über die Vorschläge verhandeln und einen Vertrag abschließen.

Die Kriterien lassen sich in drei Gruppen zusammenstellen:8 Bei der ersten geht es um die Erhaltung bestehender Rüstungskontrolle und des Kriegsvölkerrechts sowie die Vermeidung von Massenvernichtungswaffen. Die zweite betrifft die militärische Stabilität zwischen potentiellen Gegnern; Rüstungswettläufe und Proliferation sollen vermieden werden. Die dritte Gruppe betrachtet Gefahren für Menschen, Umwelt und Gesellschaft, die sich schon zu Friedenszeiten ergeben können.

Wenn man die möglichen militärischen Nanotechnik-Anwendungen unter diesen Kriterien untersucht, findet man, dass v.a. die allgemeineren - wie Computer, Software, Materialien - wenige Probleme aufwerfen, auch sind sie zivilen Nutzungen so nahe, dass Beschränkungen beim Militär illusorisch wären. Ganz wenige Anwendungen können positive Auswirkungen haben, v.a. chemische oder biologische Sensoren, die zur Warnung vor Anschlägen oder für die Überprüfung von Abkommen dienen können. Eine Reihe von Anwendungen würde aber große Gefahren mit sich bringen (siehe Tabelle 2).

Tabelle 2: Besonders gefährliche militärische Nanotechik-Anwendungen mit den betroffenen Kriteriengruppen
Bereich


Mögliche Anwendung
Rüstungskontrolle /Kriegsvölkerrecht /Massenvernichtungs-waffen Militärische Stabilität /Wettrüsten/ Proliferation Mensch / Umwelt /Gesellschaft /Infrastruktur
Verteilte kleine Sensoren   X X
Metall-freieSchusswaffen   X X
Kleine Flugkörper XX
Implantate und andere Körpermanipulation XX
Autonome Kampf-systemeXX 
KleinroboterXXX
Kleine Satelliten und RaketenXX 
Neue chemische / biologische WaffenXXX

Entsprechend kommt man zu Empfehlungen für vorbeugende Begrenzungen bei diesen acht Anwendungen. Sie sollten sich in die vorhandenen oder geplanten Abkommen einordnen (z.B. Kleinsatelliten in ein allgemeines Verbot von Weltraumwaffen). Damit nicht bei der Überprüfung tief im Innern militärischer Systeme nachgeschaut werden muss und weil sonst sehr schwierige Definitionsfragen entstünden, sollten die Begrenzungen nicht an der Verwendung von Nanotechnik festgemacht werden, sondern an bestimmten militärischen Systemen oder Missionen, die bei Inspektionen möglichst weitgehend von außen erkannt werden können. Die gegenwärtig dringendsten Forderungen sind: Einhaltung des Chemiewaffen-Übereinkommens, Stärkung des Biologische-Waffen-Übereinkommens durch ein Einhaltungs- und Überprüfungsprotokoll und ein Verbot bewaffneter unbemannter Kampfsysteme (die in Form von pilotenlosen Kampfflugzeugen, noch weitgehend ohne Nanotechnik, gerade entwickelt und erprobt werden).9

Überlegungen zum internationalen System

Mit Nanotechnik und den anderen kommenden Technologien stellen sich grundsätzliche Fragen, wie die internationale Gemeinschaft mit revolutionärer Technik umgehen soll. Das Herangehen der USA, gekennzeichnet durch Aussagen wie „... die Wahrscheinlichkeit von Krieg durch überwältigende technologische US-Überlegenheit verringern ... es ist grundlegend wichtig, möglichen Gegnern technologisch so weit wie möglich voraus zu sein“10, übersieht die internationalen Wechselwirkungen und zukünftige Gefahren für sich selbst durch terroristischen Einsatz von Nanotechnik-basierten Waffen. Für Frieden und internationale Sicherheit wäre es besser, vorbeugende Verbote gefährlicher Nanotechnik-Anwendungen zu vereinbaren; dazu sollte die militärische Nutzung in den internationalen Dialog über verantwortliche Entwicklung und Anwendung von Nanotechnik einbezogen werden.

Auf längere Sicht stellt sich die Frage, ob das gegenwärtige internationale System in der Lage ist, die Gefahren durch Nanotechnik zu beherrschen. Bei politischem Willen könnten die jetzt vorgeschlagenen vorbeugenden Begrenzungen noch weitgehend durch herkömmliche Inspektionen überprüft werden. Da zukünftig aber nanotechnische Systeme immer kleiner werden, während sie immer breiter verfügbar sein werden und mit relativ billiger Technik erzeugt und modifiziert werden können, kann sich in zehn oder zwanzig Jahren ein Problem ergeben. Begrenzung und Kontrolle von Missbrauch können so intensive Überprüfung erfordern, wie sie im Innern von Staaten üblich und auch allgemein akzeptiert ist, mit weitgehenden Inspektionsrechten von Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden. Wären die erforderlichen Inspektionsrechte - jederzeit, an jedem Ort, mit Gerät, das bis hinunter auf die Molekülebene analysiert - noch verträglich mit der Geheimhaltung, wie sie Streitkräfte für den wirksamen Kampf brauchen? Wenn das nicht so wäre, gäbe es zwei Alternativen:

Entweder den ungebremsten Rüstungswettlauf, mit vielen Arten von Instabilität: Mikroroboter, die heimlich in gegnerische Systeme eindringen und dort jederzeit zuschlagen und die Systeme lahm legen könnten; Kleinsatelliten, die wichtige zivile und militärische Satelliten der Gegenseite innerhalb kurzer Zeit zerstören können; Attentate auf Politiker/innen mit kleinen, zielsuchenden Flugkörpern, die aus Handtaschen hervorgezogen werden; »molekulare Hacker«, die selbst erzeugte ansteckende Erreger in der realen Welt verbreiten, nicht nur Computerviren in elektronischen Netzen.

Oder die Menschheit lernt, die globale Sicherheit auf andere Weise als durch Drohung mit einzelstaatlichen Streitkräften zu organisieren. Dazu bräuchte es, ähnlich wie im Innern von Staaten, ein Gewaltmonopol bei den (demokratisierten) Vereinten Nationen und ein internationales Strafrecht mit dem Recht, auch im Innern von Staaten tätig zu werden. Die (meisten) Staaten müssten freiwillig auf Teile ihrer Souveränität verzichten. Dorthin ist es ein sehr langer und beschwerlicher Weg. Aber alle Schritte in diese Richtung sollten unterstützt werden.

Anmerkungen

1) Dieser Artikel ist eine gekürzte und leicht modifizierte Version eines Kapitels in R.J. Busch (Hg.), Ethische Perspektiven zur Nanobiotechnologie, München 2008. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers. Weiterführend: J. Altmann, Nanotechnology and Preventive Arms Control, Forschung DSF No. 3, Osnabrück: Deutsche Stiftung Friedensforschung, 2005 (http://www.bundesstiftung-friedensforschung.de/pdf-docs/berichtaltmann.pdf); J. Altmann, Military Nanotechnology: Potential Applications and Preventive Arms Control, Abingdon/New York: Routledge, 2006. Diese Forschung wurde 2001-2003 durch die Deutsche Stiftung Friedensforschung gefördert.

2) Auf dieser allgemeinen Ebene wird von anderen Motive für eigene Streitkräfte abgesehen.

3) Andere Auswege sind die defensive Umstrukturierung der Streitkräfte und die Lösung der zu Grunde liegenden politischen Probleme.

4) K.E. Drexler, Engines of Creation, New York NY: Anchor/Doubleday, 1986/1990.

5) Übersichtsdarstellungen zu technischen und gesellschaftlichen Aspekten sind z.B. N. Boeing, Alles Nano?! Die Technik des 21. Jahrhunderts, Reinbek: Rowohlt, 2006; A. Nordmann, J. Schummer, A. Schwarz (Hg.), Nanotechnologien im Kontext - philosophische, ethische und gesellschaftliche Perspektiven, Berlin: Akademische Verlagsgesellschaft, 2006.

6) http://www.darpa.mil/dso/thrusts/bio/index.htm (23. Juli 2007, http://www.nrl.navy.mil/nanoscience/nanoelectronics.html (11. Jan. 2008), http://www.arl.army.mil/www/default.cfm?Action=29&Page=201 (11. Jan. 2008).

7) Siehe auch: M. Grüne u.a., Grundlagen und militärische Anwendungen der Nanotechnologie, Frankfurt (M.): Report, 2006.

8) G. Neuneck und C. Mölling, Methoden, Kriterien und Konzepte für Präventive Rüstungskontrolle, Wissenschaft und Frieden, Dossier Nr. 38, 2001; J. Altmann, Military Nanotechnology: Potential Applications and Preventive Arms Control, Abingdon/New York: Routledge, 2006: Kapitel. 5.

9) Die USA haben schon das unbemannte Aufklärungsflugzeug Predator mit einer Hellfire-Rakete ausgerüstet und damit ferngesteuert Ziele im Jemen, in Afghanistan und Pakistan angegriffen, dabei auch unbeteiligte Zivilpersonen getötet, siehe z.B. http://de.wikipedia.org/wiki/Predator_(Drohne) (9. Jan. 2008).

10) National Security Goals for NBIC, Section E, in: M.C. Roco and W.S. Bainbridge (eds.), Converging Technologies for Improving Human Performance - Nanotechnology, Biotechnology, Information Technology and Cognitive Science, Boston etc.: Kluwer, 2003.

Dr. habil. Jürgen Altmann, Experimentelle Physik III, Universität Dortmund, arbeitet seit 1985 an naturwissenschaftlichen Fragen der Abrüstung. Stellvertretender Sprecher des Arbeitskreises Physik und Abrüstung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, Mitglied im Vorstand von FONAS.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2008/1 Rüstungsdynamik und Renuklearisierung, Seite