Das neue Zivilschutzgesetz: Unser Beitrag zur Friedenssicherung?
von Heinz Bauer
Wie man hört, rüstet Frankreich seine Atomraketen mit einer Reichweite von 120 km, die im nächsten Krieg Baden- Württemberg zerstören würden, auf Raketen um, die künftig bis Hessen und Bayern reichen werden; die USA tauschen täglich 5 veraltete Sprengköpfe gegen 8 moderne aus, bauen neue Interkontinental-Raketen vom Typ MX und produzieren neue chemische Waffen; die Sowjets ihrerseits haben zusätzlich zu ihren mehr als 400 SS 20 Raketen in den letzten beiden Jahren weitere Atomraketen mit europäischer Reichweite in der DDR und der CSSR stationiert und bauen ebenfalls neue Interkontinental-Raketen; die Belgier lassen seit einigen Wochen Cruise Missiles in ihrem Land stationieren, und in Holland will ein verzweifelter Bauer die Neutralität wahren, indem er auf seinem Grundstück eine SS 20 stationieren lassen will. Und was machen wir, d.h. was macht unsere Bundesregierung angesichts von mehr als 50.000 Atomsprengköpfen in Ost und West, in einer Atmosphäre des Krenzzugsdenkens, wo vom Reich des Bösen die Rede ist, das es zu vernichten gilt?
Nun, in dieser Situation überlegt die Bundesregierung eine Beteiligung am unvorstellbar kostenaufwendigen Weltraumrüstungsprogramm SDI der USA, vor allem aber plant sie den Schutz der Zivilbevölkerung,- für einen Krieg denke ich, mit dem sie wohl rechnet. Sie stellt sich dabei auf die Randzone ein, den kleinen Bereich, der von einem Atomkrieg so weit verschont bleiben soll, daß vielleicht 5 % der Bevölkerung überleben. Um deren Überleben zu sichern, werden seit nunmehr 5 Jahren Pläne erwogen, das ganze Land in ein Zivilschutz-Eldorado zu verwandeln, nämlich durch generalstabsmäßige Organisation des gesamten Gesundheitswesens.
Im Sommer 1980 wurde der Entwurf eines Gesundheitssicherstellungsgesetzes bekannt, der den Anlaß für eine inzwischen bundesweite Bewegung innerhalb der Medizinerschaft gab, die sich zum Ziel setzte, vor der Hoffnung zu warnen, daß durch gesundheitspolitische Maßnahmen das Überleben in einem nächsten Krieg garantiert werden könne. In jenem Entwurf sollte das gesamte Gesundheitswesen bis zu den Krankenschwestern und den verwaisten Praxisräumen des Arztes im Ruhestand für den „besonderen Verteidigungsfall“ erfaßt und generalstabsmäßig organisiert werden. Das angestrebte Gesetz sah unter anderem vor, alle Ärzte zu sogenannten katastrophenmedizinischen Übungen zu verpflichten, Übungen, deren eigentliches Ziel von Ärzten bald aufgedeckt wurde, Vorkehrungen nämlich, den Militärs in einem künftigen Atomkrieg eine optimale medizinische Versorgung und Schutz zu garantieren, ohne daß man solche Möglichkeiten für die Zivilbevölkerung sah. Was unter dem „besonderen Verteidigungsfall“ zu verstehen ist, konnte man den Kommentaren zum Gesetzentwurf entnehmen: der Atomkrieg! Offensichtlich ging der Gesetzgeber, ebenso wie viele Politiker, Strategen und Militärs, davon aus, daß ein nächster Krieg, nämlich ein Krieg zwischen den Supermächten auf europäischem Boden, ein Atomkrieg sein würde, zumal damalige US-amerikanische Strategien von einem auf Europa begrenzbaren Atomkrieg sprachen, und die NATO wegen einer angeblichen konventionellen Überlegenheit des Ostblocks im Konfliktfall den Ersteinsatz von Atomwaffen vorsah – und immer noch vorsieht!
Katastrophenmedizinische Übungen sahen unter anderem das Erlernen einer Triage unter Kriegsbedingungen vor, d.h. die Aussonderung und Nichtbehandlung von Patienten, denen unter Kriegsbedingungen nicht mehr zu helfen wäre, Patienten also, denen man in Friedenszeiten die schnellste und gründlichste Versorgung angedeihen ließe. Diese Katastrophenmedizin wurde folgerichtig als Kriegsmedizin entlarvt und Tausende von Ärzten haben deshalb bislang erklärt, daß sie sich derartigen Übungen verweigern werden.
Obwohl dieser erste Gesetzentwurf von der ärztlichen Standesorganisation befürwortet und von ärztlicher Seite verschiedentlich gefordert wurde, den „Verweigerern“ die ärztliche Approbation zu entziehen, wurde er noch 1982 von der SPD/ FDP-Regierung zurückgezogen. Die Begründung des damals zuständigen Staatssekretärs: In einem Atomkrieg gibt es keine medizinische Versorgung.“
Wohl unter dem Druck der öffentlichen Kritik ließ auch die jetzige Regierung einen neuen Entwurf zu einem sogenannten „Gesundheitsschutzgesetz“ mit ähnlichem Inhalt wie das Sicherstellungsgesetz in der Schublade, versucht nun aber neuerdings mit dem Entwurf zu einem Zivilschutzgesetz, unter Verwendung weniger verdächtiger Formulierungen, dasselbe Ziel zu erreichen. Die Tarnkappe ist aber allzu durchsichtig, da mit anderen Worten dasselbe gefordert wird wie zuvor.
Wohl gibt es Unterschiede zu früher, z. B. der, daß im Gesetzentwurf von 1982 „dem Grundsatz der freiwilligen und ehrenamtlichen Tätigkeit vorrangig Rechnung zu tragen“ war, wohingegen nach dem jetzigen Entwurf alle Männer über 18 Jahren herangezogen werden können (§ 30), und zwar nach denselben Modalitäten, die im Wehrpflichtgesetz § 44 für die Vorführung und Zuführung von Soldaten vorgesehen sind.
Sehr viel kürzer formuliert als in früheren Entwürfen regelte Abschnitt 4 mit den § § 20-25 im Prinzip die Erfassung des gesamten Gesundheitswesens, wie dies in vorangehenden Entwürfen der Fall war. Demnach werden Ärztekammern verpflichtet, die Durchführung des Gesetzes zu unterstützen (§ 23, Abs. 3), sind Pläne zur Bewältigung eines Massenanfalls von Verletzten im Verteidigungsfall aufzustellen (§ 25 ), Hilfskrankenhäuser sollen eingerichtet werden (§ 21), und schließlich ist die „Einsatzbereitschaft“ herzustellen (§ 25, Abs. 1). Hinter letzterem Kürzel verbirgt sich all das, was in den vorangehenden Entwürfen mit Katastrophenmedizin bezeichnet und als Kriegsmedizin kritisiert worden war, eine harmlose Formulierung für ein Unternehmen, welches das gesamte Gesundheitswesen militarisieren und letztlich dem kriegführenden Militär unterstellen will. Denn „Zivilisten haben im nächsten Krieg keine Chance“, wie ein Militärausbilder in Kriegs-(Katastrophen)-Medizin erklärte. Nach allem, was über moderne Kriegsstrategie und -folgen bekannt ist, können solche Maßnahmen, wenn überhaupt, nur der kämpfenden Truppe nützen.
Der zivile Bundesbürger aber, der ja nach § 1, Abs. 5 über dieses Gesetz aufgeklärt werden soll, wird zunächst den Eindruck haben, es gehe um ihn, wenn er hören wird, was alles für den Bau und den Betrieb von Schutzräumen vorgesehen ist (Abschnitt 3). Nicht nur sollen Tiefgaragen und U-Bahnen als Schutzräume hergerichtet und Schutzbauwerke aus dem letzten Weltkrieg wieder hergestellt werden (im Jahre 1984 wurden dafür nahezu 80 Mio. DM aufgewendet), sondern dem Bürger werden steuerliche Vergünstigungen zugesagt, falls er sich selbst einen Hausschutzraum zulegt. Diesen Anreiz hält man aber offenbar für wenig werbewirksam und hat deshalb bereits vorgesehen, den Schutzraumbau für Neubauten zwingend vorzuschreiben. Wie ernst man es mit diesen Schutzräumen meint, geht aus § 42 hervor, nachdem mit einer Strafe bis zu 100.000 DM bedroht wird, wer z.B. einen Schutzraum beseitigt oder verändert. – Noch bedrohlicher erscheint mir allerdings die Absicht (§ 4), das Gemeindegebiet in Wohnbereiche einzuteilen und „Beratungsstellen“ einzurichten, die u. a. die Anordnungen zu selbstschutzmäßigem Verhalten überwachen sollen. Das erinnert an den Blockwart oder den Ortsgruppenleiter aus dem Reich, das 1000 Jahre währen sollte. Dem nützte solches bekanntlich wenig, genauso wenig wie der aus Kindern und Großvätern bestehende Volkssturm jener Zeit, der einem einfällt, wenn man in § 133 c liest, daß auch Ruhestandsbeamte reaktiviert werden können, wenn es erforderlich erscheint. Die abzusehende Effektivität solcher Pläne erinnert mich an den Panzergraben im Westwall, den wir als Kinder mit Müttern und Großeltern viele Meter tief ausgehoben haben. Er hat bekanntlich keinen einzigen Panzer aufgehalten.
Welche Spiegelfechterei und Augenwischerei hier betrieben wird, läßt der Gesetzentwurf selbst deutlich werden: Nach § 24 ermittelt die zuständige Behörde den zusätzlichen Bedarf an Personal, den sie dem Arbeitsamt meldet (!) und auch den Bedarf an Ausstattung sowie Sanitätsmaterial, für dessen Deckung sie planerische Vorsorge trifft! In der Begründung zum 2. Gesetzentwurf wird es noch deutlicher:
„Durch das Gesetz entstehen unmittelbar keine zusätzlichen Kosten (Abschn. 4)“, und weiter: „Das Konzept der Ausbildung von 600.000 Helfern im Zivilschutz konnte man als Finanzierungsmasse nicht einmal ansatzweise umsetzen. Wesentliche Fortschritte beim Ausbau können wohl auch in den nächsten Jahren nicht erwartet werden.“
Ein solches Gesetz ist demnach nicht viel mehr als eine Attrappe. Es ist nicht nur aus finanziellen und technischen Gründen nichts wert, es ist vor allem aus psychologischen Gründen unsinnig, absurd und der Sache des Friedens abträglich. Entweder wird es nämlich von der Bevölkerung auch im Ansatz nicht umgesetzt, da die Menschen nicht permanent mit dem Bewußtsein der „Zivilgeschützten“ herumlaufen wollen, oder aber es wird von der Bevölkerung akzeptiert mit der Folge, daß die psychologischen Voraussetzungen für Abrüstung und internationale Verständigung immer schlechter werden, da eine solche zivilschutzmäßige Mobilmachung nur mit der Pflege eines Feindbildes aufrechterhalten werden kann. Von Entspannung wird dann niemand mehr reden. Wie aber ist ein solches Gesetz aus medizinischer Sicht einzustufen, was gibt es her, wenn man es auf seinen theoretischen Nutzen für den „besonderen Verteidigungsfall“ abklopft, den Atomkrieg, auf den wir uns nach Meinung von US-Admiral a. D. Eugen Carroll vorbereiten, und der nach US-Admiral Gene la Rocque fast unvermeidlich ist.
Um den Wert eines solchen Gesetzes zu beurteilen, kann man sich zunächst einmal die Folgen von Atombombenexplosionen vor Augen halten, worauf hier im Detail verzichtet werden soll, da diese oft genug beschrieben und allseits bekannt geworden sind.
Eine mögliche Hilfe für die zahllosen Verletzten, Verbrannten und Verstrahlten müßte vor Ort erfolgen, da wegen der Zerstörung der Zufahrtswege und der drahtlosen Kommunikation an einen Abtransport in Krankenhäuser nicht zu denken wäre. Abgesehen davon, daß in der Bundesrepublik in Friedenszeiten pro 100 Einwohner ein Krankenbett zur Verfügung steht, wären zudem die meisten Krankenhäuser zerstört oder nur teilweise funktionsfähig. Schließlich muß man in Rechnung stellen, daß die Zahl der Ärzte, Krankenpfleger und anderer Personen im Gesundheitswesen genauso dezimal wäre, wie die übrige Bevölkerung. Das bedeutet, daß die meisten Verletzten, die in Friedenszeiten z. B. bei einer zivilen Unfallkatastrophe bei gleichen Verletzungen eine gute Überlebenschance hätten, hier hoffnungslos verloren sind.
Dieses Dilemma würde überdies ins Unermeßliche dadurch gesteigert, daß ein großer Teil der Verletzten Schäden erlitten hätte, die selbst in Friedenszeiten in diesem Ausmaß nicht annähernd bewältigt werden könnten, was vor allem für die Patienten mit Verbrennungen und die radioaktiv Bestrahlten gilt. Bei der ungeheuren Hitzeentwicklung wären großflächige Verbrennungen dritten Grades keine Seltenheit. Solche Verbrennungen kann man nur in Spezialbetten und -räumen behandeln, von denen es nach dem Stand vom Dezember 1984 in Hessen 5 in der Bundesrepublik 116 und in Westeuropa ca. 1500 gibt. Welche Möglichkeiten der Versorgung solcher Patienten bestehen, haben wir in den letzten Monaten nach dem Einsatz von Senfgas und dem Nervengas Tabun im iran/ irakischen Krieg erlebt. Zur Versorgung der Verletzten mußte man Krankenhäuser aus mehreren europäischen Ländern und aus Japan in Anspruch nehmen.
Wie steht es mit einer möglichen Behandlung der Strahlenverseuchten? Nun, auch Prof. Messerschmidt, Wehrmediziner und Befürworter von Zivilschutzgesetzen, konstatiert im 1982 vom Bundesinnenminister herausgegebenen Leitfaden für die ärztliche Versorgung im Katastrophenfall, daß unter den Bedingungen des Atomkriegs eine optimale Versorgung von Strahlenverletzten nicht mehr möglich ist. – Zu den Möglichkeiten in Friedenszeiten sei nur angemerkt, daß das Gießener Universitätsklinikum über 4 entsprechende Betten verfügt.
Trotz dieser desolaten Folgen würden wahrscheinlich Menschen überleben, auch bei einem Atomwaffeneinsatz noch größeren Ausmaßes, wie er von vielen Experten im Falle eines Atomkrieges für unvermeidbar gehalten wird. Was sind nun die Überlebensbedingungen für die möglichen 5 %, die sich dann nach George Bush als Sieger bezeichnen können?
Was wird sie erwarten, wenn sie ihren Atombunker verlassen, zu dessen Bau die Firma NAU mit folgendem Slogan wirbt: „Und der Vorteil, daß dieser Schutzraum auch ein sicherer Tresorraum ist, sollte nicht verkannt werden. Egal, was Sie lieben und schützen wollen. Ihr Urlaub wird noch schöner, wenn Sie wissen, wie sicher ihr Eigentum verwahrt ist. Lassen Sie den Schutzraum lebendig werden als Spiel- und Bastelraum, als Weinkeller und Lagerraum. Und als Partykeller ist er sowieso der Knüller. Nicht erst auf den Erstfall warten. Im Frieden schon nützen. Ganz abgesehen von den Abschreibungsmöglichkeiten“ (die dann auf der letzten Seite ausführlich dargelegt werden).
Beim Verlassen des Friedens- Partykellers nach allgemeinem Rat nicht früher als 14 Tage nach der Atombombenexplosion (die also für ein einmaliges Ereignis gehalten wird) – werden die Überlebenden vor wahrscheinlich unlösbaren Problemen stehen. Die inzwischen in Verwesung übergegangenen Leichen von Menschen und Tieren im Freien werden Nährboden für Krankheitserreger darstellen, die auf Grund der zerstörten hygienischen Anlagen bald von Tieren, vor allem von Insekten, auf den Menschen direkt übertragen oder aber in Nahrungsmittel und das Wasser gelangen. Krankheiten wie Cholera, Ruhr, Typhus und Paratyphus sowie Hepatitis A werden sich in einem Maße ausbreiten, wie wir das bisher nicht kennen. Einen Schutz gegen diese Erkrankungen wird es genauso wenig geben, wie eine ausreichende Therapie, da die erforderlichen Medikamente in der Regel nicht zur Verfügung stehen werden. Auf die psychischen Auswirkungen einer solchen desolaten Situation sei nur kurz verwiesen.
Zu dem möglichen Wert von durch das Gesetz vorgeschriebenen Schutzräumen, die vor solchen Gefährdungen schützen sollen, sei lediglich aus dem Manifest des Bundes Deutscher Architekten zitiert: „Diese (die Architekten) sind dagegen, durch den Bau von Atomschutzbunkern an der Illusion mitzuwirken, daß im Falle eines Atomschlages menschliches Leben überhaupt geschützt werden kann.“ Sie stellen fest, daß ein solcher Bunker in der Nahzone einer A-Bomben-Explosion dem Druck nicht gewachsen ist, daß in der nächsten Zone die Insassen durch den Feuersturm ersticken oder verschmoren, und daß in einer weit größeren Zone ein Bunkerschutz gegen direkte Einwirkungen überflüssig ist und von den weiteren Folgen – wie oben geschildert – auch nicht schützt. Auch in einer UNO-Studie zu Kernwaffen wird festgestellt: „Zur Zeit kann kein Zivilschutzsystem einen prinzipiell zuverlässigen Schutz für die Bevölkerung bereitstellen.“ Angesichts dieser kompetenten Urteile scheint dann auch die Existenz und Tätigkeit einer Organisation wie des Bundesverbandes (nach dem neuen Gesetz: Bundesanstalt) für Selbstschutz absurd, der durch Aufklärung der Bevölkerung zur Realisierung der besprochenen Gesetze beitragen soll, u. a., indem er die Zivilisten lehrt, wie sie sich selbst schützen können, z. B. durch Verfügbarkeit von Axt und Pickel im Keller, von Lebensmittelvorräten für 14 Tagen, Handapotheke und Dokumente sowie einen größeren Vorrat an Streichhölzern für den zu erwartenden Stromausfall.
Daß Schutz und medizinische Versorgung in einem künftigen Krieg nicht möglich sind, ist nicht nur die Meinung von „linken Propagandisten, ideologisch ambivalenten Profilneurotikern und gewissenhaften Sektierern“, wie Herr Deneke, der Geschäftsführer der Bundesärztekammer, die Ärzte einmal genannt hat, die vor Atomkrieg warnen, sondern dies ist auch die Meinung der Bundesärztekammer selbst, die verlauten ließ: „Ein ABC-Krieg übersteigt aber das Maß jeglicher Katastrophe, alleine schon deshalb, weil es angesichts der unermeßlichen Schäden niemals eine organisierte Hilfe geben kann“; und es ist schließlich die Meinung der Welt-Gesundheits-Organisation (WHO), deren internationale Kommission unter dem Vorsitz von Prof. Sune Bergström festgestellt hat, daß es auf der Erde kein Gesundheitsversorgungssystem gibt, das ausgerüstet oder in der Lage wäre, die Verletzten oder Sterbenden während eines Atomkrieges zu versorgen.
Kein Arzt wird sich der ethischen Verpflichtung zur Hilfe in jedem Fall entziehen, insbesondere nicht der Einsicht in die Notwendigkeit der speziellen .Ausbildung für die individualmedizinische Behandlung bei zivilen Katastrophenfällen. Diese war bei den bisherigen größeren Katastrophen in der Bundesrepublik immer gegeben. Die katastrophenmedizinischen Unternehmungen, zu denen das Gesundheitswesen gesetzlich verpflichtet werden soll, sind aber so eindeutig auf den Kriegsfall ausgerichtet, daß sie solange als unethisch abzulehnen sind, wie nicht die größten Anstrengungen zur Verhinderung eines Krieges geleistet werden, in dem es sowieso keine medizinische Versorgung mehr geben würde.
Eine internationale Gruppe des Aspen- Instituts, der so illustre Politiker wie J. Callaghan, B. Kreisky, G. Kennan, Helmut Schmidt, E. Heath, R. Trudeau, R. S. McNamara sowie C. R. Vance angehören, hat denn auch Ende vergangenen Jahres festgestellt: „Die erste Pflicht der Staatsmänner ist die Verhinderung eines Krieges“, und „die Abschreckung muß und kann wahrscheinlich nicht bis in alle Ewigkeit funktionieren“, d. h. daß nicht die Vorbereitungen auf den Eventualfall eines Krieges das Gebot der Stunde sind, sondern die Verbesserung des Zustandes der internationalen politischen Beziehungen. Der angesehene General a. D. Graf von Baudissin wird noch konkreter: „In dieser politischen Landschaft kann der plötzliche Ausbau von Schutzräumen ausgerechnet in der Bundesrepublik nur als Vorausinvestition für einen Angriffskrieg angesehen, jedenfalls ausgelegt werden“ (…) „Er widerlegte die Ernsthaftigkeit der Kriegsverhütungspolitik.“
Es bleibt die Frage nach Sinn und Zweck solcher Gesetzgebung. Wenn man davon ausgeht, daß der Bundesregierung bekannt ist, was hier ausgeführt ist, muß man dann annehmen, daß die Regierung und die gesetzgebende Institution bereits an die Unvermeidbarkeit eines Atomkriegs glauben, und daß das angestrebte Gesetz Teil einer Vogel- Strauß- Politik darstellt, oder gar reine Alibifunktion hat, um die durch einen drohenden Krieg irritierte und geängstigte Bevölkerung zu beruhigen und in Sicherheit zu wiegen? Für den gesunden Menschenverstand, den der zweifache Nobelpreisträger Linus Pauling so oft zur Friedenssicherung beschwört, ist es schwer, eine andere Erklärung zu finden. Solange aber die Verteidigungsfähigkeit unseres Staatswesens auf Waffen beruht, deren Einsatz unseren kollektiven Selbstmord bedeuten würde, ist es unredlich, von den Möglichkeiten eines Zivilschutzes zu reden.
Dr. Heinz Bauer ist Professor am FB Humanmedizin der Universität Gießen.