W&F 1995/1

Das Tauziehen um den Nichtverbreitungsvertrag

Festschreibung des Kernwaffenstatus oder Erfüllung der Abrüstungsverpflichtungen?

von Jürgen Scheffran • Martin Kalinowski

Der Nichtverbreitungsvertrag (NVV) ist seit 1970 in Kraft (siehe Infokasten). Gemäß Artikel X des NVV soll nach einer Laufzeit von 25 Jahren darüber entschieden werden, ob der Vertrag „auf unbegrenzte Zeit in Kraft bleibt oder um eine oder mehrere bestimmte Frist oder Fristen verlängert wird“. Zu dem Zweck wurde eine Überprüfungs- und Verlängerungskonferenz (Review and Extension Conference) einberufen, die vom 17. April bis zum 12. Mai 1995 in New York stattfinden wird.

Es gab bereits vier Überprüfungskonferenzen, die alle fünf Jahre stattfanden. Die Aufgabe der Überprüfung bestand darin, die Umsetzung des Vertrages und die Erreichung seiner Ziele zu bewerten. Die Diskussion, ob die Kernwaffenmitgliedsstaaten des NVV ihre Abrüstungsverpflichtungen aus Artikel VI hinreichend erfüllt haben, wurde als Hauptstreitpunkt immer sehr kontrovers geführt. Die prinzipielle Uneinigkeit darüber brachte die Überprüfungskonferenz von 1990 zum Scheitern, auf der u.a. wegen des Widerstands Mexikos keine gemeinsame Abschlußerklärung zustande kam. Angesichts dieser Erfahrung wird es nicht als sicher angesehen, ob bei der dieses Jahr anstehenden NVV-Konferenz eine Einigung erzielt werden kann.

Um die Verlängerung nicht vom erfolgreichen Abschluß der Überprüfung abhängig zu machen, haben einige Staaten auf der dritten Vorbereitungskonferenz im September 1994 vorgeschlagen, die Verlängerungsentscheidung vor der Überprüfung vorzunehmen. Diese Position vermochte sich wegen ihrer fehlenden Logik nicht durchzusetzen. Erst muß die Realisierung des Vertrages überprüft und bewertet werden, bevor sich die Staaten eine Position zur Form der Verlängerung endgültig bilden können.

Bei den Vorbereitungen der NVV-Konferenz ging es nicht um eine Verbesserung des Vertrages, sondern lediglich um die Art der Verlängerung. Es wird keine realistische Chance gesehen, den NVV zu verändern, da dann viele miteinander nicht vereinbare Änderungswünsche vorgebracht würden, die eine Einigung in der vorgegebenen Frist unwahrscheinlich machen. Es genügt nicht nur die einfache Mehrheit der Mitgliedsstaaten, sondern es müssen auch alle Kernwaffenstaaten zustimmen, die Mitglied des NVV sind, d.h. USA, Rußland, Großbritannien, Frankreich und China.

Alle weiteren Schritte, insbesondere verbindliche Abrüstungsmaßnahmen wie ein Kernwaffen-Teststopp oder die Beseitigung von Kernwaffen und deren Nuklearmaterialien, müssen also außerhalb des NVV als zusätzliche Bestandteile des gesamten Nichtverbreitungsregimes vereinbart werden. Einige Staaten schlagen vor, eine engere Verbindung derartiger Zusatzverträge mit dem NVV zu erreichen, indem die Art der Fortführung des Vertrages abhängig gemacht wird von Fortschritten bei der Abrüstung. Doch auch einer solchen bedingten Verlängerung werden wenig Chancen gegeben, weil die Mehrheit aller Vertragsstaaten dem nicht zustimmen würde.

Zur Disposition stehen demnach die in Artikel X festgelegten drei Alternativen:

1. die unbefristete Verlängerung;

2. die auf einen Zeitraum befristete Verlängerung;

3. eine zyklische Verlängerung (rolling extension) mit erneuter Entscheidung über die Fortführung nach jeweils einer bestimmten Periode (die Vorschläge reichen von 5 bis 25 Jahren).1

Während die fünf Kernwaffenstaaten und ihre Verbündeten (darunter alle europäischen Staaten) für die unbefristete Verlängerung sind, treten die meisten der blockfreien Staaten für die dritte Variante ein, der Rest ist noch unentschieden. Das Gesamtmeinungsbild ist noch nicht klar.

Für die Vorbereitung der NVV-Konferenz 1995 in New York waren vier Sitzungen eines Vorbereitungskomitees (Preparatory Committee, PrepCom) angesetzt, dem alle Mitgliedstaaten angehören. Die ersten beiden dieser Treffen fanden in New York statt (Mai 1993, Januar 1994) und befaßten sich nur mit formalen Aspekten. Zur dritten »PrepCom« im September 1994 in Genf durften erstmals auch Nichtregierungsorganisationen (NROs) erscheinen, die u.a. in Form vorbereiteter Statements während einer Anhörung am Rande an der inhaltlichen Diskussion teilnehmen konnten. Die vierte »PrepCom« fand im Januar 1995 wieder in New York statt und ließ einige Fragen offen, die auf einer Sondersitzung kurz vor der Konferenz im April geklärt werden müssen.2

Während an den ersten beiden »PrepComs« 128 bzw. 117 Staaten teilnahmen, verringerte sich bei der dritten Vorbereitungskonfrenz die Zahl auf 89 Staaten, weil in Genf nicht so viele Delegationen eine permanente Mission unterhalten wie in New York. An der vierten und letzten »PrepCom« in New York nahmen 142 Mitgliedsstaaten teil, weitere 7 Staaten als Beobachter sowie 72 NROs. Zum Vergleich: nach den Beitritten Algeriens, Argentiniens, Bosniens, Moldaviens, Turkmenistans und der Ukraine war die Zahl der NPT-Mitgliedsstaaten bis zum Februar 1995 auf 172 angestiegen.

Position der blockfreien Staaten

Im Verlauf dieser Sitzungen setzten sich die blockfreien Länder energisch dafür ein, daß nicht nur über Verfahrensfragen für die NVV-Konferenz verhandelt wird, sondern auch eine inhaltliche Diskussion stattfindet. Sie trugen erneut ihre Forderungen vor, daß die Kernwaffenstaaten wesentliche Abrüstungsschritte gemeinsam einleiten und präsentieren müßten, damit die NVV-Konferenz zum Erfolg führen kann. In einem von Kolumbien, Ägypten, Indonesien, Iran, Mexiko, Myanmar und Nigeria vorgelegten Papier heißt es:

„Der Erfolg der 1995 stattfindenden Konferenz kann nicht an der Frage der automatischen Verlängerung gemessen werden, sondern eher an der Ernsthaftigkeit, mit der die NVV-Mitgliedsstaaten die gegenwärtigen Herausforderungen im Bereich nuklearer Nichtverbreitung und Abrüstung bewerten und lösen.“

Gefordert wurden in diesem Papier fünf Maßnahmen:

  1. ein umfassender Teststopp-Vertrag;
  2. ein Verbot der Produktion spaltbarer Materialien für Kernwaffenzwecke, das die Vorräte und deren Auslaufenlassen beinhaltet;
  3. volle Sicherheitsgarantien für die Nicht-Kernwaffenstaaten;
  4. Sicherstellung des Zugangs zu Nukleartechnologien für friedliche Zwecke für alle Mitgliedsstaaten des NVV;
  5. Sicherstellung der Universalität des NVV.

Vor allem sollten die Kernwaffenstaaten ihre Verpflichtung zur vollständigen Abschaffung der Kernwaffen erneut bekräftigen, die sie mit der Unterzeichnung des NVV eingegangen sind. Das Problem liegt darin, daß der NVV keinerlei Vorgaben macht, wann dieses Ziel erreicht werden soll und wie die Einhaltung dieser Verpflichtung überprüft werden kann. Viele Staaten sind der Ansicht, daß die Erfüllung dieses Ziels nicht befriedigend gegeben ist und daß nur durch zukünftige Überprüfungskonferenzen und erneute Verlängerungsentscheidungen ein – wenn auch als unzureichend empfundener – Druck auf die Kernwaffenstaaten ausgeübt werden kann.

Unbefristete Verlängerung?

Wie groß die Basis für die Abschaffung der Kernwaffen ist, zeigte sich bei den Abstimmungen über mehrere Resolutionen der UNO-Generalversammlung im November 1994, in denen die westlichen Kernwaffenstaaten weitgehend isoliert waren.3

Obwohl die Zahl und Qualität der Kernwaffen heute höher ist als 1970, verweisen die Kernwaffenstaaten darauf, daß sie zumindest in den letzten Jahren mit START I und II, mit einseitigen Abzügen taktischer Kernwaffen sowie mit den begonnenen Teststoppverhandlungen endlich erste Abrüstungsschritte erreicht haben, und argumentieren, daß dies hinreichend sei. Allerdings räumte der Botschafter der USA, Thomas Graham, ein, daß der NVV nicht den permanenten Besitz von Kernwaffen legitimiert. Viele Nicht-Kernwaffenstaaten und Nicht-Regierungsorganisationen befürchten dennoch, daß mit einer unbefristeten Verlängerung des NVV faktisch die Möglichkeit für den permanenten Erhalt des Kernwaffenstatus für fünf Länder manifestiert wird. Sie treten dafür ein, den NVV nicht unbegrenzt zu verlängern, solange nicht ein Fahrplan für umfassende Abrüstungschritte vereinbart wurde.

Auf der dritten »PrepCom«, die u.a. die Hintergrundpapiere, die Tagesordnung und die Verfahrensregeln für die NVV-Konferenz 1995 verabschieden sollte, prallten die unterschiedlichen Positionen erstmals offen aufeinander. Mithilfe von Entscheidungen über Prozeduren und Ablauf der Konferenz wurde versucht, bestimmte Positionen zu stärken. Konflikte ergaben sich nicht nur in der Frage, ob die Verlängerungsentscheidung vor oder nach der Überprüfung des NVV stattfinden sollte, sondern auch über die Abstimmungsmodalitäten.

Bei den Vereinten Nationen ist es üblich, daß Abstimmungen vermieden werden und ein Konsens gefunden wird. Einige blockfreie Staaten haben betont, daß eine knappe Entscheidung für eine unbegrenzte Verlängerung gegen eine substantielle Minderheit bei vielen Staaten die Motivation, den Vertrag mit allen Kräften zu unterstützen, senken kann.

Westliche Befürworter einer unbegrenzten Verlängerung schoben die Verantwortung an der wenig kooperativen dritten »PrepCom« besonders auf den mexikanischen Botschafter Miguel Marin Bosch, der – von den mangelnden Fortschritten bei den Teststopp-Verhandlungen in Genf enttäuscht – die Erfüllung der Abrüstungsverpflichtung in Artikel VI einklagte, sowie den iranischen Botschafter M. Sirous Nasseri, der geschickt die Interessen blockfreier Staaten an der zivilen Kernenergienutzung ausnutzte. So forderte der Iran bei der Diskussion eines Hintergrundpapiers der IAEO zur Kernenergie, daß die Implementierung von Artikel IV des NVV (friedliche Nutzung der Kernenergie) separat und nicht nur in Kombination mit anderen Artikeln überprüft wird. Dahinter steht der politische Konflikt, daß sich der Iran von den USA und anderen Ländern mit Exportbeschränkungen bei Nukleartechnologien in der Fortführung seines zivilen Kernenergieprogramms behindert fühlt und diese Exportkontrollpolitik als Verletzung des Artikels IV brandmarken möchte. Es wird vermutet, daß der Iran trotz seiner Mitgliedschaft im NVV ein geheimes militärisches Programm verfolgt.

Nicht geklärt werden konnten auf der dritten »PrepCom« u.a. die Prozedur für die Verlängerungsentscheidung, die Tagesordnung für die NVV-Konferenz, die Vorlage von Hintergrundpapieren sowie der Vorsitz für die NVV-Konferenz und die verschiedenen Komitees.

Im Unterschied zur dritten »PrepCom« wurde die unter Vorsitz des finnischen Botschafters Pasi Patokallio vom 23.-27. Januar 1995 in New York stattfindende vierte »PrepCom« allgemein als kooperativ charakterisiert, obwohl auch hier nicht alle wichtigen Fragen geklärt werden konnten. In einigen bedeutenden Problembereichen konnte eine Einigung erzielt werden, so bei der Festlegung der Vorsitzenden für die Konferenz und die Komitees, der Aufteilung der Kosten sowie über die Tagesordnung für die NVV-Konferenz. Deutlicher noch als in Genf agierten die Delegierten in drei Gruppen. Die Bewegung der Blockfreien Staaten wurde von Indonesien koordiniert, die Westgruppe (NATO, EU, Kanada, Japan, Australien, Neuseeland) von Großbritannien, die osteuropäische Gruppe von Lettland. Während die beiden ersten Gruppen bemüht waren, ihre Strategie untereinander abzustimmen und koordiniert zu handeln, war die dritte Gruppe relativ schlecht organisiert und folgte weitgehend den Ansichten der Westgruppe.

Eine ambivalente Rolle spielte China, das als Kernwaffenstaat und Führungsmacht der »Dritten Welt« widersprüchliche Interessen vertritt. Zum einen setzt sich China offiziell für eine kernwaffenfreie Welt ein und fordert eine No-First-Use-Erklärung der Kernwaffenstaaten, zum anderen verzögert China rasche Fortschritte bei den Teststopp-Verhandlungen, u.a. mit dem Beharren auf »friedlichen« Kernexplosionen. Die Haltung zur unbegrenzten Verlängerung ist nicht eindeutig. In Erklärungen wird von einer »glatten Verlängerung« (smooth extension) gesprochen.

Streitpunkte der Verlängerungskonferenz

Gemäß der vereinbarten Tagesordnung wird die NVV-Konferenz wie folgt verlaufen. Nachdem in der ersten Woche unter Vorsitz von Botschafter Jayantha Dhanapala aus Sri Lanka hochrangige Regierungsvertreter ihre Stellungsnahmen abgeben werden, wird in den folgenden beiden Wochen der NVV in drei Hauptkomitees überprüft. Dabei handelt es sich um die Komitees für

  • Abrüstung, internationalen Frieden und Sicherheit (Vorsitzender Isaac Ayewah aus Nigeria),
  • Safeguards und kernwaffenfreie Zonen (Andre Erdos aus Ungarn) und
  • friedliche Nutzung der Kernenergie (Jaap Ramaker aus den Niederlanden).

In zwei weiteren Komitees (Drafting Committee unter Tadeusz Strulak aus Polen; Credentials Committee, vermutlich unter Leitung von Julio Londono aus Kolumbien) werden die Verlängerungsentscheidung und das Abschlußdokument vorbereitet. Erst in der letzten Woche soll die Frage der Verlängerung verstärkt diskutiert und dann entschieden werden.

Deutlich sichtbar waren weiterhin die ungelösten Problemfelder, allen voran die schleppenden Fortschritte bei den Verhandlungen der Genfer Abrüstungskonferenz zum Teststopp, zum Produktionsstopp für Spaltstoffe und zur Frage der Sicherheitsgarantien für Nicht-Kernwaffenstaaten. Auch die regionalen Probleme der Kernwaffenproliferation wurden erneut offensichtlich durch die Forderung Ägyptens, den NVV nur zu verlängern, wenn Israel dem Vertrag beitrete. Angesichts dieser und anderer Kritikpunkte war eine Mehrheit für die unbegrenzte Verlängerung des NVV nicht erkennbar. Lediglich 60 bis 70 Staaten unterstützten bislang diese Option. Die dadurch ausgelöste Verunsicherung im westlichen Lager führte zu einer wachsenden Kritik aus Rüstungskontrollkreisen der USA an der ungenügenden Verhandlungsdiplomatie der Clinton-Regierung und zur Forderung nach weiteren Zugeständnissen in der Abrüstung.4 Erstmals zog US-Botschafter Graham eine weitere Option in Erwägung, wonach eine automatische Verlängerung des NVV alle 25 Jahre vorgesehen sei, sofern nicht eine Mehrheit der Staaten dagegen stimme.5 Die Aufgabe der Mehrheitsbeschaffung würde damit umgekehrt. In Abschwächung dieser »Gedankenspielerei« zeigte sich Graham jedoch zuversichtlich, eine knappe Mehrheit für die unbegrenzte Verlängerung erreichen zu können.6 Unklar ist, ob die US-Regierung den dadurch für den NVV möglicherweise entstehenden Schaden riskieren will.

Auch wenn es im Einzelfall schwer nachweisbar sein dürfte, kann davon ausgegangen werden, daß die USA und andere Industriestaaten die Zeit bis zur NVV-Konferenz nutzen, um mit Lock- und Druckmitteln einzelne Staaten von der »erwünschten« Entscheidung zu überzeugen. Umgekehrt mögen manche Staaten die anstehende NVV-Entscheidung als Mittel benutzen, um westliche Unterstützung zu erhalten. In der Presse wurde spekuliert, der Milliardenkredit der USA an Mexiko könne gekoppelt sein an mexikanisches Wohlverhalten bei der NVV-Konferenz. Solche Vermutungen erhielten neue Nahrung durch die Ankündigung, der mexikanische Botschafter Bosch werde sein Amt niederlegen, allerdings erst nach der NVV-Konferenz.

Angesichts der unklaren Situation war das Abstimmungsverfahren der Hauptstreitpunkt bei der vierten »PrepCom«. Keine Einigung konnte erzielt werden bei der Regel 28, in der die Abstimmungsprozedur für die Verlängerungsentscheidung und die Abschlußdokumente festgelegt werden soll. Nach einem von Indonesien eingereichten Vorschlag sollen alle Verlängerungsvorschläge geichzeitig auf einem Wahlzettel zur Abstimmung stehen und der schwächste jeweils ausscheiden, bis bei einer wiederholten Wahlprozedur ein Vorschlag die Mehrheit erhält. Demgegenüber bevorzugt die Westgruppe sukzessive Abstimmungen über jeden einzelnen Vorschlag, in der Hoffnung, die unbegrenzte Verlängerung könne bereits in der ersten Runde die einfache Mehrheit erhalten. Die Entscheidung über das Abstimmungsverfahren nach Regel 28 wurde auf den 14./15. April vertagt.

Ungeklärt ist auch, was geschieht, wenn kein Vorschlag die erforderliche Mehrheit erhält. Da der NVV hier keine eindeutige Antwort gibt, kursieren verschiedene Interpretationsvorschläge. Während einzelne Beobachter hierin das Ende des NVV sehen, ist die gängige Ansicht, daß der NVV in Kraft bleibe, solange keine Entscheidung gefällt wurde. Indonesien schlug vor, daß ohne eine Einigung bis zum 12. Mai die NVV-Konferenz um maximal ein Jahr vertagt werden solle, Ägypten schlug sogar zwei Jahre vor. Dies gäbe zugleich die Gelegenheit, weitere Fortschritte bei den Teststopp-Verhandlungen abzuwarten. Nach einem Gegenvorschlag Rußlands solle die NVV-Konferenz nicht ohne eine Entscheidung beendet werden.

Rolle der Nichtregierungsorganisationen

Eine positive Rolle bei den beiden letzten »PrepComs« spielten die NROs, die in Genf und New York aktiv versuchten, auf den Verhandlungsprozeß Einfluß zu nehmen. Zugleich erwiesen sich die »PrepComs« als ein wichtiges Forum, um NROs aus aller Welt zusammenzubringen und über gemeinsame Strategien beraten zu lassen. Trotz unterschiedlicher Ansichten in der Verlängerungsfrage verständigten sich einige NROs in New York darauf, daß mehr getan werden müsse, damit die Atomwaffenstaaten die Abrüstungsverpflichtung nach Artikel VI erfüllen. Gemeinsam mit den Blockfreien Staaten teilten viele NROs die Sorge, daß der NVV jetzt in Erwartung von weiteren Abrüstungsfortschritten (insbesondere Teststopp) unbegrenzt verlängert werden könne, ohne daß es jedoch eine Garantie für solche Abrüstungsschritte gebe. Die Frage der Verlängerung dürfe daher nicht losgelöst vom Inhalt diskutiert werden. Eine Reihe von NROs setzte sich für die baldige Abschaffung aller Kernwaffen ein. Neben einer Anhörung, bei der fast alle NROs ihre Positionen darlegten,7 gab es weitere Veranstaltungen, die sich auch an die Delegierten richten sollten. So gab es kurz vor der 4. »PrepCom« in New York ein internationales Symposium des Institute for Energy and Environmental Research über die Kontrolle von Kernwaffenmaterialien, auf dem eine Erklärung zum Plutoniumproblem vorgestellt wurde.8 Am 27.1. führten neun Organisationen ein »Briefing« zur Kernwaffenmodernisierung und zu Initiativen für eine kernwaffenfreie Welt durch. Sehr positiv war, daß einige NROs die Gelegenheit nutzten, ihre Abrüstungskampagnen international zu vernetzen und sich auf die NVV-Konferenz zu konzentrieren.

So finden in der ersten Woche der NVV-Konferenz eine Reihe von Veranstaltungen der »International Citizen's Assembly To Stop the Spread of Weapons« statt, in der sich viele US-Friedens-Organisationen zusammengefunden haben. Die »International Coalition for Nuclear Nonproliferation and Disarmament«, die von vier internationalen Organisationen 1993 gegründet wurde (International Lawyers Against Nuclear Arms IALANA, International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility INES, International Physicians for the Prevention of Nuclear War IPPNW, International Peace Bureau IPB), will den NVV-Verhandlungsprozeß und das öffentliche Interesse nutzen, um das Ziel einer kernwaffenfreien Welt voranzubringen. Dazu wird am 25. und 26. April eine zweitägige gemeinsame Veranstaltung in New York durchgeführt. Während am ersten Tag das zu INES gehörige International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP) eine Studie »Beyond the NPT – A Nuclear Weapon Free World« vorstellt, die derzeit von einer Gruppe von etwa als 50 Experten aus 17 Ländern erarbeitet wird, werden am zweiten Tag eine Reihe von Organisationen Strategien und Schritte zur Abschaffung von Kernwaffen diskutieren. Unterstützt wird die Veranstaltung von weiteren Organisationen, darunter Nuclear Age Peace Foundation, Peace Action und Fourth Freedom Forum in den USA.

Gemeinsam ist all diesen Aktivitäten die Hoffnung, daß die NVV-Konferenz nicht den bestehenden unbefriedigenden Zustand festschreibt, sondern der Anfang eines Verhandlungsprozesses wird, der in eine kernwaffenfreie Welt einmündet. Das von Befürwortern einer unbegrenzten Verlängerung vorgebrachte Argument, die Kopplung der NVV-Verlängerung an den Abrüstungsprozeß gefährde den Vertrag, wirkt wenig überzeugend angesichts der Tatsache, daß kein Mitgliedsstaat den Vertrag aufgeben möchte. Alle Kritik richtet sich nur darauf, daß der NVV nicht genügend und in allen Teilen eingehalten wird, besonders nicht von den Kernwaffenstaaten. Wenn der NPT gefährdet ist, dann nur durch deren einseitiges Festhalten an ihrem Nuklearstatus, das erst den Nuklearclub erzeugt, in den auch andere Staaten eintreten wollen. Das Beharren auf Kernwaffen als legitimes Element der Sicherheitspolitik verhindert ihre Ächtung und die Abschaffung durch eine Nuklearwaffenkonvention, die langfristig den NVV ersetzen könnte.

Inhalte des Nichtverbreitungsvertrages

1. Verpflichtungen der Kernwaffenstaaten

  • Keine Weitergabe von Kernwaffen an andere oder Hilfe bei der Beschaffung; Übergabe der Verfügungsgewalt ist verboten (Artikel I)<>
  • Mögliche Vorteile aus »friedlichen Kernsprengungen« werden den Vertragsparteien zugänglich gemacht (Artikel V).
  • Verhandlungen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung (explizit genannt werden Kernwaffenteststopp, Einstellungen der Kernwaffenproduktion) sollen geführt werden (Artikel VI und Präambel).

2. Verpflichtungen der Nicht-Kernwaffenstaaten

  • Keine Annahme von Kernwaffen oder Verfügungsgewalt darüber; keine Herstellung oder Produktion, keine Unterstützung anderer oder Annahme von fremder Unterstützung (Artikel II).
  • Annahme von Sicherheitsmaßnahmen (»Safeguards« der Internationalen Atomenergieorganisation IAEO), die auf alles Ausgangsmaterial und besondere spaltbare Materialien sowie alle Nuklearaktivitäten angewandt werden (Artikel III).

3. Gemeinschaftliche Verpflichtungen

  • Weitergabe von besonderem spaltbarem Material und entsprechenden Ausrüstungen, nur wenn sie Sicherungsmaßnahmen unterliegen (Artikel III).
  • Erleichterung und Förderung der zivilen

Kernenergienutzung, wissenschaftlich-technologischer Austausch (Artikel IV und Präambel).

Statement for the International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP) at the NGO briefing at the 4th NPT PrepCom, New York, 25 January 1995

The 1995 NPT Review and Extension Conference comes at a crucial juncture in the nuclear age. On the one hand, there have been recent ominous indications of propensity and capacity to breach the treaty. On the other, there is a clear end-of-the-Cold-War opportunity to greatly scale back or even eliminate nuclear arsenals altogether. 50 years after nuclear proliferation started in the desert of New Mexico and killed hundreds of thousands in Hiroshima and Nagasaki, it is a critical issue whether the political pressure is strong enough to transform the traditional non-proliferation regime into a global nuclear disarmament regime.

Although one surely can appreciate the NPT as the cornerstone of the current non-proliferation regime, its shortcomings should not be ignored:

1. The NPT is discriminatory in effectively dividing the world into nuclear weapon »haves« and »have-nots«;

2. it does not define a clear path and provides no procedures for nuclear disarmament;

3. it largely ignores the civil-military ambivalence and dual-use potential of nuclear research and technology;

4. it permits »peaceful« nuclear explosions;

5. the IAEA, as the main agent of the NPT, has a contradictory double role as promoter as well as controller of nuclear energy and technology.

To focus only on the length of extension of the NPT, without dealing with its content and implementation is too narrow and inadequate to the complex problems we are facing today. In calling for an indefinite, unconditional extension, the NPT nuclear weapon states divert attention from the NPT's ultimate goal, set out in the preamble „the elimination from national arsenals of nuclear weapons and the means of their delivery“. This goal is obviously contradictory to indefinite extension of the status of the nuclear weapon powers. A growing number of countries, who now have the power to vote on the NPT extension, is concerned that after an indefinite extension they might never be asked to vote again on this issue, as long as no further procedures towards nuclear disarmament are agreed upon.

It is imperative that the 1995 NPT Conference go on record with a strong endorsement of the Article VI obligations of the nuclear weapon states to pursue negotiations in good faith „on effective measures relating to cessation of the nuclear arms race at an early date and to nuclear disarmament“. The ultimate aim of these negotiations should be a Nuclear Weapons Convention (NWC) to prohibit and eliminate nuclear weapons, which would be an essential step towards „a treaty on general and complete disarmament under strict and effective international control“ (Article VI).

To work out such a treaty in detail many difficult issues need to be dealt with and years of negotiation may be required. As the model of experience with the Chemical Weapons Convention has shown, success depends on political will and mutual confidence. The negotiation process would offer many opportunities to focus public attention on this issue. The historic opportunity of 1995 should not be missed.

It is important that we don't block our thinking by what is acceptable for the nuclear weapon states. Both non-governmental organizations and those governments willing to actively promote disarmament should develop their own ideas on a Nuclear Weapons Convention as part of a concerted effort. The International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP), in particular, has convened a Study Group of more than 40 experts from 17 countries to clarify the technical and legal issues, to specify the ultimate goal of a nuclear weapons free world and a step-by-step transition towards it, and to help in facilitating negotiations beyond the NPT.

As its first activity the Study Group is preparing a scientific document which will be presented in April 1995, at the time of the NPT Conference in New York. One part of this work will be to outline a Draft Nuclear Weapon Convention and to examine strategies to implement it. An essential part would be steps towards that goal including a Comprehensive Test Ban Treaty, a comprehensive cutoff in the production of weapons-usable nuclear materials, further disarmament of nuclear arsenals and related delivery systems. Regional approaches, modeled after the successful Nuclear Weapon Free Zone negotiations in Latin America and the South Pacific, would serve as a cornerstone of implementing a NWC.

To have an effect, the activities towards a nuclear weapons free world, to be enshrined in a Nuclear Weapon Convention, need a concerted effort. Therefore, we invite all who are willing to contribute to join these efforts.

Jürgen Scheffran and Barry M. Casper

Anmerkungen

1) Venezuela hat vorgeschlagen, den NVV in seiner jetzigen Form zu verlängern, was einen Zeitraum von wieder 25 Jahren impliziert. Zurück

2) Zur dritten und vierten »PrepCom« siehe die ausführlichen ACRONYM-Reports Nr. 3 vom September 1994 und Nr. 4 vom Februar 1995 von Rebecca Johnson. Das International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP) berichtete täglich über Internet aus Genf. Siehe die Zusammenfassung in: M. Kalinowski, Report from Geneva, INESAP Information Bulletin, Nr.3, Oktober 1994. Zurück

3) Nuclear Powers Suffer Set Back in G.A. Votes, Disarmament Times, 20.12.1994. Zurück

4) Atoms Arms Pact Runs Into a Snag, New York Times, 26.1.1995. Zurück

5) U.S. Weighs Extension on UN Nuclear Treaty, Associated Press in January 25, 1995, Boston Globe. Zurück

6) So bei einer großen internationalen Konferenz der Carnegie Endowment for International Peace unmittelbar nach der 4. »PrepCom« in Washington. Hier gab auch US-Sicherheitsberater Anthony Lake bekannt, daß die US-Regierung von ihrer Bedingung abgerückt sei, von einen Teststopp-Vertrag nach 10 Jahren zurücktreten können. Zurück

7) Zur Stellungnahme von INESAP siehe Kasten. Zurück

8) Siehe Blaue Seiten in w&f 1/95 Zurück

Martin Kalinowski und Jürgen Scheffran arbeiten als Physiker bei der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) der TH Darmstadt. Weiterhin sind sie engagiert bei der Arbeit des International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP).

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1995/1 Atomwaffen abschaffen, Seite