»David« würgen, »Goliath« hätscheln
von Günter Knebel
„Mit der in der Bergpredigt Jesu überlieferten Seligpreisung der Friedensstifter, der » pacifici« (Mt 5,9), verbindet sich für alle Christen der Auftrag, nach Kräften den Frieden zu fördern und auszubreiten, gleichviel welche Rolle sie innehaben und an welchem Ort sie sich in Staat und Gesellschaft engagieren. Das christliche Ethos ist grundlegend von der Bereitschaft zum Gewaltverzicht (Mt. 5,38) und vorrangig von der Option für die Gewaltfreiheit bestimmt.“ (RN 60, S.42) Dies sind Kernaussagen aus der im Herbst 2007 der Öffentlichkeit vorgestellten Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)»Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen«. Wie ist es jedoch aktuell um die »vorrangige Option« für die Gewaltfreiheit in der kirchlichen Praxis bestellt? Was drückt sich hiervon in der »Finanzplanung« der EKD aus? Pointiert beantwortet werden diese Fragen in einem Vergleich der kirchlichen Seelsorge für Kriegsdienstverweigerer in Zivil- und Freiwilligendiensten einerseits und der Seelsorge für Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr anderseits.
Etwa 70.000 anerkannte Kriegsdienstverweigerer leisten im Jahresdurchschnitt Zivildienst oder einen freiwilligen Alternativdienst in sozialen Einrichtungen. Die Bandbreite der Beschäftigungsstellen reicht dabei vom Altenheim über die Behindertenwerkstatt, den Pflegedienst im Krankenhaus bis zur Mitarbeit im Natur- und Umweltschutz. Voraussetzung für die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer ist die persönliche Absage an den Waffendienst. Für die Erfüllung der Dienstpflicht genügt allein die Dienstableistung – je williger und billiger desto lieber aus Sicht des Staates und der Beschäftigungsstellen. Rd. 37% der Zivildienstleistenden (Zivis) ‚outen’ sich freiwillig gegenüber den staatlichen Erfassungsbehörden als »evangelisch«. Einen Rechtsanspruch auf kirchliche Begleitung haben Zivis in ihren jeweiligen Diensten zwar nicht, wohl aber die Möglichkeit, auf freiwilliger Basis kirchliche Begleitangebote für sogenannte Rüstzeiten oder Werkwochen anzunehmen. In diesen themenbezogenen Seminaren und Workshops besteht Gelegenheit, Zivis aus anderen Einrichtungen zu treffen, mit ihnen über die eigene Befindlichkeit und über mit dem Dienst verbundene (Sinn- )Fragen gemeinsam nachzudenken. Die Information und Motivierung über gewaltfreie Wege zum Frieden gehören in der Regel dazu. Ansprechpartner für solche Begleitangebote sind landeskirchliche Beauftragte für Kriegsdienstverweigerer. Deren Zahl ist seit einiger Zeit nicht mehr mit der Zahl der Gliedkirchen in der EKD identisch, weil kirchliche Zuwendung für diese Zielgruppe in einigen Landeskirchenämtern als nicht mehr erforderlich angesehen wird. Nur noch vier evangelische Kirchen stellen dafür hauptamtliche Arbeitskraft zu Verfügung, während inzwischen 15 der 22 EKD-Gliedkirchen Arbeitskräfte nur noch nebenamtlich oder auf Honorarbasis hierfür beauftragt haben. Kirchliche Informationsarbeit, die im Sinne des eingangs zitierten »Vorrangs der Gewaltfreiheit« offensiv auf zivile Alternativen zum Militärdienst aufmerksam macht und die Gewissensentscheidung der in einem Alternativdienst befindlichen »Verweigerer« positiv verstärkt und aufgreift, findet explizit nur dort statt, wo persönlich engagierte »Beauftragte« Wert darauf legen und versuchen, aus ihrem (Teilzeit-) Auftrag diesbezüglich das Beste zu machen.
12 Euro pro Zivi im Jahr – 150 Euro für Soldaten.
Die Finanzmittel der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer (EAK), in der die landeskirchlichen Beauftragten zusammengeschlossen sind, sind im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung des EKD-Haushalts, der 2009 bei 180 Millionen Euro liegt, von rd. 600.000 Euro im Jahr 2005 auf 300.000 Euro im Jahr 2009 abgesenkt worden. Diese Arbeit ist der EKD künftig nur noch 0,16% ihres Haushalts wert. Konkreter ausgedrückt: Für jeden evangelischen Zivi wendete die EKD 2009 nur noch 12 Euro pro Jahr auf. Begründung lt. EKD-Haushaltsplan: „Angesichts des deutlich erleichterten Zugangs zum Zivildienst und seiner allgemeinen gesellschaftlichen Anerkennung hat sich der Beratungs- und Seelsorgebedarf für die von der EAK betreute Zielgruppe deutlich verändert.“ Verändert ja, aber viele Fragen der jungen Erwachsenen bleiben, deren Beantwortung Kirchen Chancen bieten!
Folge dieser Kürzung: Für die o.a. Zivi-Angebote, die im Jahr 2008 über 1.200 Teilnehmer hatten und wofür über 180.000 Euro verwendet werden konnten, schrumpften die Zuschussmittel ab 2009 auf rd. 100.000 Euro zusammen. Unvergleichlich dramatischer noch ist die Situation für die von der EAK herausgegebene Zeitschrift »zivil – für Frieden und Gewaltfreiheit«: Infolge der seit eh und je sehr bescheidenen Personalsituation in der landeskirchlichen Seelsorge für Kriegsdienstverweigerer und Zivildienstleistende, die zu keiner Zeit personell imstande war, die Zivis in ihren weit verstreuten Einrichtungen aufzusuchen, ist zum Ausgleich dieses Defizits eine »schriftliche Begleitung« etabliert worden: Mit stets positiver Resonanz bei den Betroffenen selbst, insbesondere in kleinen Einsatzstellen, und weit darüber hinaus bei allen, denen daran lag, Impulse für »Frieden und Gewaltfreiheit« in Kirche und Öffentlichkeit zu vermitteln.
Mit der kirchenpolitischen Entscheidung, den EAK-Haushalt um mehr als die Hälfte zu kürzen, war die EAK in jüngster Zeit vor die Situation gestellt worden, entweder über die Einstellung ihrer bundeszentralen Arbeit oder über den Verzicht auf die Herausgabe der Zeitschrift zu entscheiden: Herstellung und Versand der im Jahr 2008 rd. 125.000 Hefte kosten inklusive aller Personalkosten rd. 250.000 Euro pro Jahr – mit rd. 2 Euro pro Heft von 44 – 60 Seiten ein kaum unterbietbarer Gesamtpreis im Spektrum evangelischer Publizistik. Diese Form der Begleitung soll seit dem 5. Juni 2009 – nach dem Willen der Mehrheit des Rates der EKD – bald zu einem Ende geführt werden: Ein »Print-Medium« für Zivis und Freiwillige wird auf Dauer als zu kostenaufwendig angesehen; die Zukunft soll einer Internet-Präsenz gehören, die als moderner und billiger gilt. Obwohl die medienwissenschaftliche Erkenntnis gesichert ist, dass der Weg zur Internet-Präsenz vom Print-Medium aus geht. »Zivil« wird also endgültig als Periodikum eingestellt.
»David« und »Goliath«
Wenn das immer noch junge Engagement für Gewaltfreiheit als eine Art »David« zur Kapitulation gezwungen wird, mag es angebracht sein, einen Blick auf die Strukturen und die finanziellen Zuwendungen des sehr viel älteren »friedensethischen Komplements« zur kirchlichen Seelsorge für Kriegsdienstverweigerer zu werfen. Als eine Art »Goliath« überdauert die Militärseelsorge den Zeitenwandel unbeschadet.
Die Evangelische Seelsorge in der Bundeswehr geht in ihrer mittelfristigen Finanzplanung von derzeit rd. 52.000 – 54.000 ev. Soldatinnen und Soldaten aus, die als Zeit- und Berufssoldaten zu betreuen sind und deren Kirchensteuern sie erhält. Das Aufkommen an Soldatenkirchensteuer liegt derzeit bei 11,6 Mio. Euro, auch für die Zeit nach 2010 werden noch zweistellige Millionenbeträge ausgewiesen. Die Ausgaben für Zwecke der Bundeswehrseelsorge liegen derzeit bei 8,0 Mio. Euro, für die nächsten Jahre mit 7,7 Mio. Euro knapp unter diesem Betrag. Die Differenz zwischen »Aufkommen« und »Nutzung« der Soldatenkirchensteuer für die Evangelische Soldatenseelsorge in Höhe von mehreren Millionen Euro fließt zurück an die Landeskirchen. Kurz: Die Militärseelsorge »bringt« nach dieser Rechnung Geld, andere Seelsorge »kostet«. Wobei hier unstrittig ist, dass die Seelsorge zur Erfüllung ihrer Aufgaben die nötigen Mittel erhält, hier geht es lediglich um das Aufzeigen unterschiedlicher Ressourcen.
Zu den direkten Kirchensteuer-Einnahmen der Evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr kommen staatliche Zuschüsse. Lt. Bundeshaushaltsplan (Einzelplan 14, Kapitel 06) waren es 2008 28.213.000 Euro, der Betrag wird – soweit bekannt – zwischen der Evangelischen und der Katholischen Seelsorge in der Bundeswehr hälftig geteilt. 24.335.000 Euro sind hiervon Personalausgaben, d.h. wohl für die Finanzierung der Seelsorgerinnen und Seelsorger in der Bundeswehr, nebst Pfarrhelfern, Fuhrpark u.a.m. Die beiden Kirchenämter für die Bundeswehr sind nachgeordnete Behörden des Bundesministeriums der Verteidigung, deren Stellenpläne tauchen daher in den kirchlichen Haushaltsplänen überhaupt nicht auf. Im Evangelischen Kirchenamt für die Bundeswehr sind – soweit bekannt – rd. 30 Mitarbeiter/innen beschäftigt. Zusätzlich weist die im Haushaltsplan der EKD ausgewiesene Amtsstelle des Militärbischofs und des Haushalts der evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr (HESB) – 18 Stellen für Mitarbeiter/innen aus, deren Personalkosten werden mit 1,4 Mio. Euro beziffert.
Vorrangige Option Seelsorge an Soldatinnen und Soldaten
Die Zahl der Stellen der Militärgeistlichen, die von den Landeskirchen entsandt werden, liegt derzeit noch über 100, wird sich aber auf 100 verringern (Planung 2011). Auffällig ist ein Blick auf die Liste der entsendenden Gliedkirchen, belegt er doch, dass die Bereitstellung von Seelsorger/ innen für Soldatinnen und Soldaten geradezu umgekehrt proportional zur Bereitstellung von Seelsorger/innen für Kriegsdienstverweigerer und Zivildienstleistende ist. Für die Rüstzeitenarbeit mit Soldatinnen und Soldaten stehen seit Jahren hinreichend und dauerhaft Mittel in Höhe von rd. 2,5 Millionen Euro zur Verfügung, mit denen rd. 20.000 TeilnehmerInnen/Jahr erreicht werden.
Allein für die Öffentlichkeitsarbeit der Evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr stehen pro Jahr rd. 800.000 Euro zur Verfügung, davon im Jahr 2008 für das Magazin JS für junge Soldaten 578.000,— Euro und 155.000 Euro für »Verteilbücher und -schriften«.
Von einer Diskussion, das monatlich erscheinende Magazin JS, das im Jahr 2008 mit einer Auflage von 240.000 Exemplaren kostenlos verteilt werden konnte, künftig nicht mehr als Print-Medium erscheinen zu lassen, sondern zugunsten einer Internet-Präsenz einzustellen, ist bisher nichts bekannt.
Kurz: Für die Seelsorge an ev. Soldatinnen und Soldaten werden pro Jahr und Kopf rd. 150 Euro aufgewendet. Zur Erinnerung: Für die Zivildienstseelsorge sind es 12,-Euro. Die Mittel für Rüstzeiten- und Öffentlichkeitsarbeit der Soldatenseelsorge werden – im Unterschied zur KDV-/ZDL-Seelsorge – nicht bestritten, sondern bereitgestellt.
Schon diese (wenigen) Angaben belegen, dass das gewählte, theologisch (zugegeben) fragwürdige Bild vom »kleinen David« und dem »großen Goliath« seine Berechtigung hat. Dass der (fast) unbewaffnete David mit Gottes Hilfe den hochgerüsteten Goliath überwindet, lehrt die Bibel. Das macht Mut und lässt hoffen; das Verhalten der EKD demgegenüber nicht. Eine Tendenz zum »Vorrang« der gewaltfreien Option ist beim Vergleich der Seelsorgen für Kriegsdienstverweigerer und Soldaten nicht erkennbar, die Entwicklung ist sogar gegenläufig. Damit wird dem Anspruch der EKD-Friedensdenkschrift(en) entgegengehandelt, was Glaubwürdigkeit beschädigt und Hoffnung zerstört. Wie lässt sich »Überwindung von Gewalt« organisieren, wenn der persönliche Gewaltverzicht der Kriegsdienstverweigerer als Zeichen der Friedensbereitschaft von der Kirche nicht positiv aufgenommen, sondern de facto ignoriert, ja seelsorgerlich »abgestraft« wird? In einer Zeit, in der die Gewöhnung an Gewalt, an die vermeintliche Normalität von Rüstung(sexport) und Militär als Infotainment banalisiert werden, wo vermehrt für »Karriere bei der Bundeswehr« geworben und die Informationsarbeit der Bundeswehr an Schulen mit kultusministeriellen Abkommen besiegelt wird, ein wahrlich verheerendes Signal der Evangelischen Kirche in Deutschland. Kommt es »nur« einer friedensethischen Bankrotterklärung gleich? Oder steckt eine andere Vorstellung von Friedensethik dahinter, die den eigentlichen Vorrang weniger in der Gewaltfreiheit, sondern vielmehr in weltweiter Durchsetzung »rechtserhaltender Gewalt« sieht? Quo vadis EKD?
Günter Knebel ist Geschäftsführer der EAK und seit Januar 2009 einer der beiden Geschäftsführer der neu gebildeten Konferenz für Friedensarbeit im Raum der EKD.