Ulrike Eifler (Hrsg.) (2024): Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg. Zur Rolle der Gewerkschaften in der Friedensbewegung. Münster: Westfälisches Dampfboot. ISBN 987-3-8969-1095-0, 183 S., 20 €.
In dem Moment, in dem ich (Mitte Juni d.J.) diese Rezension zu schreiben beginne, finde ich in meinem Postfach eine E-Mail der Initiative »Gewerkschaften gegen Aufrüstung«, die über den neuesten Stand ihrer Unterschriftensammlung berichtet, die unter dem Slogan „Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg! Friedensfähigkeit statt Kriegstüchtigkeit!“ firmiert.
Und ich bin erschrocken-erstaunt, dass nach monatelangem Sammeln gerade einmal 6.500 Unterschriften gesammelt werden konnten. Eine zentrale Erklärung für dieses magere Ergebnis lese ich dann in den ersten Zeilen des Rundbriefes (vom 17.6.24): „Gewerkschaftsvorstände lehnen Gespräch mit den InitiatorInnen unisono ab. Mittlerweile haben insgesamt über 6.500 Kolleginnen und Kollegen den Aufruf unterschrieben. Wir haben den DGB sowie ver.di und IG Metall angeschrieben mit der Bitte um ein Gespräch über die friedenspolitischen „Aktivitäten“ seit den letzten Bundeskongressen im Herbst 2023. Wir wollten noch einmal auf die Dringlichkeit der Umsetzung der damaligen Beschlüsse (gegen das 2 %-Ziel und das 100 Milliarden-Sondervermögen, gegen die Lieferung von Taurus-Mittelstreckenraketen etc.) hinweisen. In fast gleichlautenden Schreiben lehnten nun die Bundesvorstände ein solches Treffen ab. Begründung: Es gebe hinreichende Diskussionen in den gewerkschaftlichen Gremien dazu.“
Und ich erinnere mich der Kämpfe der Friedensbewegung in den Zeiten des Kalten Krieges um die Anerkennung des 1. September auf der einen Seite, erinnere mich auf der anderen Seite an den überwältigenden Erfolg des »Krefelder Appells« aus den 1980er Jahren mit 5 Millionen Unterschreibenden – auch bei Letzterem waren viele Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aktiv.
In der Zwischenzeit, so meine Erinnerung als Friedensaktiver, dann auch als Friedensforscher, standen einige der west-, später gesamtdeutschen Gewerkschaften mit großen Teilen an der Seite der Friedensbewegung. Und jetzt, im Jahre drei des Ukrainekrieges, dieser enorme Einbruch! Kein Gedanke mehr an die Botschaften von Egon Bahr und Willy Brandt. Von Petra Kelly, dem General Bastian und Luise Rinser, aus dem gewerkschaftlichen Bereich exemplarisch Detlef Hensche, schreibe ich gar nicht.
Das nun vorliegende Buch, herausgegeben von Ulrike Eifler, die selbst eine Geschichte tiefer Verankerung in Gewerkschaften wie sozialen Bewegungen hat, will diesem Schwenk etwas entgegensetzen. Ihre Programmatik ist deutlich: „Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg.“ Dass es enorm wichtig ist, in diesen Zeiten der ungehemmten Aufrüstung, des wachsenden Risikos eines Atomkrieges, dabei der Vernachlässigung der Infrastruktur, der Bildung und Erziehung und vielem anderem mehr in unserem Land, ein solches Buch zu produzieren, muss hier nicht gesondert thematisiert werden. Der Herausgeberin ist mit ihrem Zuschnitt von Theorie und viel gewerkschaftlicher Praxis für den Frieden ein guter Wurf gelungen.
Es schreiben Kolleginnen und Kollegen, die allesamt eine spezifische Botschaft haben – ihre Themen sind alle wichtig. Heinz Bierbaum, derzeit der Vorsitzende der Rosa Luxemburg-Stiftung, schreibt ein programmatisches Vorwort, mit dem Resümee, „dass die Friedensfrage für Gewerkschaften von existenzieller Bedeutung ist. Eine Politik im Interesse der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen und einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung ist nur im Frieden möglich. Die Frage von Krieg und Frieden ist deshalb eine Klassenfrage – wie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht bereits vor über einhundert Jahren herausstellten.“ (S. 11)
Im Einzelnen finden sich 14 Beiträge im Buch. Andreas Zumach thematisiert gleich zu Beginn höchst aktuell »Ursachen und Auswirkungen des Krieges in der Ukraine«; Ingar Solty erweitert das Bild durch »Die Sechs-Dimensionen-Krise des globalen Kapitalismus und der Ukraine-Krieg«. Kai Eicker-Wolf, hauptamtlicher Gewerkschafts-Sekretär, richtet den Blick auf »Verteilungsfragen in der ‚Zeitenwende‘«; der Friedensaktivist Hannes Dräger analysiert den »Rechtsruck aus der Mitte«. Der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler, Erstunterzeichner des Aufrufs »Mehr Diplomatie wagen«, thematisiert »Ukraine-Krieg und Gewerkschaften«.
Jürgen Peters, langjähriger IG Metall-Chef und Friedens-Aktivist, äußert eine Wunschvorstellung, wenn er seinen Beitrag überschreibt mit »Gewerkschaften in einer mächtigen, unüberhörbaren Friedensbewegung«. Anne Rieger, auch sie lange Jahre führend in der IG Metall tätig, schreibt zum aktuell wohl drängendsten Thema »Die Sorge vor dem Atomkrieg – die Aufgaben der Friedensbewegung«. Ulrike Eifler selbst geht ins konkrete Detail gewerkschaftlicher Friedensarbeit, wenn sie mit Thomas Händel, auch er langjähriger Metaller und dann Mitglied des Europaparlaments, und dem Metaller Robert Weissenbrunner fordert: »In den Gewerkschaften die Debatte zu Krieg und Frieden führen«.
Dies unterstreicht sie in einem Interview mit dem für Tarifpolitik zuständigen Gewerkschaftssekretär für die Eisenbahn- und Verkehrsgesellschaft (EVG) Andreas Müller mit dem Titel »Der Abschluss bei der Deutschen Bahn – Tarifpolitik in Zeiten von Krise und Krieg«. LINKE-Parteichefin Janine Wissler fordert »Der Logik des Militärischen die internationale Solidarität entgegensetzen. Für eine breite und starke Friedensbewegung«. Özlem Alev Demirel, auch sie MdEP und ehemalige ver.di-Funktionärin, konstatiert »Um Kriege zu beenden, braucht es gesellschaftliche Gegenmacht«; ebenso wie die italienische Metall-Gewerkschaftssekretärin Valentina Orazzini feststellt: »Die Gewerkschaften spielen eine Schlüsselrolle«.
Besonders hervorheben möchte ich den Beitrag des ehemaligen Labour-Chefs Jeremy Corbyn. Dieser ist in einer Zeit der multiplen Krisen, in der viele Menschen ihr (vermeintliches) Heil in rechtsradikalen Bewegungen suchen, ein Aufruf zur Umkehr: »Gegen Krieg und Sozialabbau – Für eine Bewegung, die den Menschen Hoffnung gibt«. Corbyn beschreibt die »Zeitenwende« plastisch am Beispiel Großbritannien: Sozialabbau, Privatisierungen, Aufrüstung. Und er schreibt: „Zum Frieden in der Ukraine gibt es keine Alternative. Die Menschen brauchen diesen Frieden – in der Ukraine ebenso wie in Russland, aber auch im ganzen Rest von Europa. Die russische Invasion muss aufs Schärfste verurteilt werden. Nichts rechtfertigt diesen Krieg, und die Menschen, die in ihm sterben, haben etwas besseres verdient.“
Die Herausgeberin selbst beschreibt ihr Grundanliegen auf dem Cover des Buches, das im Übrigen von der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert wurde, „die Rolle der Gewerkschaften als Friedensorganisation (zu) stärken“. Bei einem Blick in die aktuelle deutsche Parteienlandschaft kann kein Zweifel an der Notwendigkeit dieses Anliegens aufkommen. Die dafür notwendigen Diskussionsimpulse liegen der aufmerksamen Leser*in zwischen den Buchdeckeln nun in instruktiver Form bereit.
Johannes M. Becker