W&F 1984/5

Den Frieden lehren

Seminar „Experimentelle Kernphysik“ an der Ruhr-Universität Bochum

von Bernhard Gonsior

Angeregt durch die Ereignisse der letzten Zeit haben wir das vorliegende Seminarthema gewählt. Will man „Den Frieden lehren“, so muß man auch auf die engen Verbindungen zwischen wissenschaftlichem Fortschritt und dem „Fortschritt“ in Waffensystemen hinweisen. Die Themen, die wir gewählt haben, sind naheliegend, aber sie sind gleichzeitig auch eine Darstellung von Beispielen für durchgehende Verbindungen zwischen reiner und angewandter Wissenschaft einerseits und militärischer Bedürfnisse andererseits.

Viel zu wenig wird die schwerwiegende Problematik herausgestellt, der sich die Menschen zu Zeit gegenüber sehen und die direkt mit dem Fortschritt in der Wissenschaft zu tun hat. Den engen Verbindungen zwischen Wissenschaft und dem fortgesetzten Wettrüsten schenken wir fast keine Aufmerksamkeit, jedenfalls nicht in unserem Ausbildungsprogramm.

Der Charakter des gegenwärtigen Wettrüstens hat sich von einer Überdimensionierung von Megatonnen hin verschoben zu sensitiver Technik ständig zunehmender Präszision und Flexibilität. Schon vor einigen Jahren wurde darauf hingewiesen, daß die Technologie Stück für Stück die Charakteristika der Waffensysteme so verändert, daß gewisse stabilisierende Eigenschaften unterminiert werden. 1

Indem wir aus dem Gesagten Folgerungen ziehen, wollen wir uns dem Problem zuwenden, wie wir es anstellen sollen, um in unserer Ausbildung entsprechend zu reagieren, d. h. wie sollen wir unser Seminar gestalten?

Der Lehrende in Physik ist im allgemeinen der Ansicht, daß Wissenschaft und Technologie separate Bereiche menschlicher Tätigkeit sind, daß man den Wissenschaftler nicht verantwortlich machen sollte für den Gebrauch, der mit neuen Erkenntnissen gemacht wird. Es handelt sich hierbei um das Dogma der Wertfreiheit von Wissenschaft, und ich vermute, daß es der Entlastung dienen soll. Auf jeden Fall halte ich es für richtig, daß den Studenten eine Diskussion in dieser Richtung - aufbauend auf den physikalischen Grundlagen, die wir beherrschen - geboten werden muß. Wenn wir dieses ausführlich tun, so werden wir auf die technologische Anwendung der wissenschaftlichen Erkenntnisse mehr Augenmerk haben.

Welche Probleme gibt es bei der Vorbereitung eines solchen Seminars

Beispiele für Seminare gibt es inzwischen an vielen Universitäten. Auch haben wir Erfahrungen von amerikanischen Universitäten zu Rate gezogen. Dabei spielt zunächst eine wichtige Rolle, wo man Material in der Literatur finden kann. Man macht dabei die Erfahrung, daß bei weitem nicht soviel geheimgehalten ist, wie man glauben möchte, jedenfalls nicht bezüglich der relevanten physikalischen Grundlagen. Trotzdem findet man das Material nicht da, wo man es zunächst vermuten möchte. In den Lehrbüchern findet man nur wenig einschlägiges Material, was für den Einstieg zu gebrauchen ist. Im allgemeinen fühlen sich wohl die Autoren und auch die Lehrenden für dieses Thema nicht kenntnisreich genug, d. h. hinsichtlich der Anwendung unserer Wissenschaft auf die militärische Technologie. Diese Vermutung bestätigte sich auch im großen ganzen im Kollegenkreis.

Warum wollen wir uns mit der wissenschaftlich-technischen Natur der Kernwaffen beschäftigen? Hinsichtlich der demokratischen Entscheidungfindungen scheint immer klarer zu werden, daß die gegenwärtige Generation von Entscheidungsträgern in den meisten Ländern keine persönlichen Kenntisse über Kernwaffen und ihre Auswirkungen hat. Wir müssen uns daher bemühen, möglichst weitgehend die technischen Fakten über die Art und über die zerstörerischen Wirkungen der Kernwaffen klarzulegen.

Aus all diesen Gründen ist es erforderlich dem Studenten und der Öffentlichkeit eine möglichst tiefgehende Diskussion anzubieten. Der Student wird später wenig Möglichkeit haben, etwas zu erfahren über den Drang nach wissenschaftlicher und technologischer Überlegenheit und dessen Wechselwirkungen mit dem Wettrüsten.

Die Breite der Physikausbildung und der Zusammenhang mit der Forschungsentwicklung für militärische Zwecke sind bedeutsam. Moderne Waffensysteme enthalten so viele verschiedene wissenschaftlichtechnische Details, erfordern so viel unterschiedliche Entwicklungsarbeit, daß man Schwierigkeiten hat, sich einen Forschungsbereich vorzustellen, der nicht mit militärischen Bedürfnissen in Zusammenhang gebracht werden kann. SIPRI, das Stockholm International Peace Research Institute, hat abgeschätzt, daß von den Forschern in Physik und in den Ingenieurwissenschaften mehr als 50 % voll für militärische Forschung arbeiten.

Man muß sich klar darüber werden, daß die physikalische Forschungsentwicklung stillschweigend ein Partner in der Entwicklung und Beschleunigung des Wettrüstens geworden ist. Wir sollten einen Beitrag dazu leisten, um diesen Trend umzukehren. Auch und besonders in der Ausbildung in den Naturwissenschaften muß erkannt werden, daß eine Erziehung vonnöten ist, die die Menschen später befähigt, den korrektiven demokratischen Druck so aufzubauen, daß das Wettrüsten zum Stehen gebracht werden kann.

Die Themen des Seminars im WS 1983/84

1. Einführung in das Thema

2. Physikalische Grundlagen der Kernspaltung

3. Physikalische Grundlagen der Kernverschmelzung

4. Energieabschätzung für nukleare Sprengstoffe. Aufbau und Wirkung von Spaltungsbomben

6. Aufbau und Wirkung von Fusionsbomben

7. Zur Geschichte der Göttinger Erklärung 1957

8. Aufbau und Wirkung der Neutronenbombe

9. Welche Radioaktivität wird bei einer Kernexplosion freigesetzt?

10. Anwendung des Lasers bei der Isotopentrennung

11. Marschflugkörper; der K-Faktor

12. Pershing II und SS 20

13. Nuklearwaffentests und ihre Überwachung für einen allgemeinen Teststop

14. Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen

Anmerkungen

1 Science, Bd. 201, S. 1102, 1197; Bd. 202, S. 289 Zurück

Prof. Dr. Bernhard Gonsior, Ruhr-Universität Bochum, Fachbereich Physik.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1984/5 1984-5, Seite