Der Aufstieg der Drohnen
von Dave Webb
Am 18. September 2010 fand in London eine Tagung zu »Drone Wars« (Drohnenkriegen) statt. Sie wurde organisiert vom Internationalen Versöhnungsbund (Fellowship of Reconciliation) und brachte zum ersten Mal in Großbritannien Wissenschaftler, Forscher und Friedensaktivisten zusammen, um Fragen zu diskutieren, die sich aus dem zunehmenden Einsatz unbemannter Flugkörper – so genannter unmanned aerial vehicles (UAVs), im Deutschen auch »Drohnen« – durch Sicherheitskräfte und Militärs zu diskutieren. In etwa 45 Ländern werden knapp 300 unterschiedliche Drohnentypen für die unterschiedlichsten Einsatzzwecke vorgehalten oder entwickelt. Israel nutzt sie zur Aufklärung vor bewaffneten Angriffen auf den Libanon und Gaza. Die USA stationieren Tausende in allen Größen und Bauarten für eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten in Afghanistan und Pakistan und sind führend in der Entwicklung dieser Militärtechnologie.1 Drohnen machen immer häufiger Schlagzeilen, da sie in der Region Afghanistan-Pakistan erheblich zu zivilen Todesfällen beitragen.
Die Konferenz wurde von Chris Cole (Versöhnungsbund) eröffnet und geleitet. Der Versöhnungsbund führt seit einiger Zeit eine breitere Kampagne zur Aufklärung über die Nutzung von Drohnen durch Großbritannien. Seine neue Broschüre »Convenient Killing: Armed Drones and the ‚Playstation’ Mentality» (Bequemes Töten: Bewaffnete Drohnen und die ‚Playstation’-Mentalität) wurde auf der Konferenz vorgestellt. Vor kurzem deckte der Versöhnungsbund mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes auf, dass in den USA stationierte Piloten der britischen Luftwaffe mehr als 400 Drohneneinsätze in Afghanistan durchführten und in den ersten 17 Monaten seit der Stationierung der Reaper-Drohne im Jahr 2008 bereits 84 Raketen abschossen.
Noel Sharkey (Professor für Künstliche Intelligenz und Robotik an der Universität Sheffield) hielt einen erhellenden und zugleich beunruhigenden Vortrag über »Robotic Weapons: Where Next?« (Kampfroboter: Wohin als nächstes?). Es gab Workshops zum Einsatz von Drohnen durch Israel, zur Rechtmäßigkeit von Drohneneinsätzen und zur Drohnenforschung und –entwicklung durch die Firma BAE Systems. Eine Gruppe aus Wales berichtete über ihre Erfahrungen mit einer Kampagne, die sich gegen die Ausweitung von Drohnen-Testflügen in der Region wendet.
Schwerpunktthemen der Tagung waren u.a. die hohe Zahl getöteter Zivilisten durch Drohnenangriffe, der unrechtmäßige Einsatz von Drohnen für gezielte Tötungsaktionen der USA, die Möglichkeit, dass die Kriegsführung aufgrund der großen Distanz zwischen den Piloten vom tatsächlichen Gefechtsfeld immer mehr zum Computerspiel mutiert sowie die Besorgnis erregende Entwicklung künftiger Kampfrobotersysteme.
Die Problematik lässt sich an zwei Beispielen erläutern: Beim Einmarsch Israels in den Gaza im Winter 2008/2009 wurden mindestens 87 Zivilisten, viele davon Kinder, durch israelische Drohnen getötet. Der Bericht »Genau falsch: Zivilisten in Gaza durch israelische Drohnenraketen getötet«, von Human Rights Watch (Juni 2009), betont, dass Drohnenangriffe häufig gar keine entscheidende Rolle im Kampf- oder Verteidigungsgeschehen spielen, und kommt zum Schluss, dass es die israelischen Drohnenpiloten „versäumten, die nötige Vorsicht walten zu lassen“ und nicht ausreichend sicherstellten, dass es sich bei ihren Zielen nicht etwa um Zivilisten handelte.
In Pakistan wurden seit 2004 über 1.500 Menschen bei mehr als 165 Drohnenangriffen getötet, von denen 155 seit Januar 2008 ausgeführt wurden. Die meisten Opfer wurden zu Militanten erklärt, es gibt aber keine offiziellen Zahlen über getötete Zivilisten und Medienberichte sind weder zuverlässig, noch erzählen sie in der Regel die ganze Geschichte. So wurden im Juli vergangenen Jahres in Südwaziristan (Pakistan) mindestens 60 Menschen, die einer Beerdigung beiwohnten, Opfer eines Predator-Angriffs. Solche Angriffe heizen antiamerikanische Gefühle an und werden allgemein als Ausdruck für amerikanische Feigheit und eine ehrlose Kampfmentalität interpretiert. Die Folge: Sie taugen prima zur Rekrutierung neuer Terroristen.
Drohnen werden aber nicht nur vom Militär eingesetzt sondern auch vom US-Geheimdienst CIA, der schon 2004 heimlich die Firma Blackwater (heute Xe) damit beauftragte, hochrangige Al Kaida-Kommandanten in ihren geheimen Lagern in Pakistan und Afghanistan aufzuspüren und sie umzubringen. Das geschah zwar unter George W. Bush jun., setzte sich aber unter US-Präsident Obama fort. Im Oktober vergangenen Jahres warnte der UN-Sonderbeauftragte für Menschenrechte, Philip Alston, die USA, dass »gezielte Tötungen« wahrscheinlich unrechtmäßig seien. Er mahnte, die CIA müsse das Völkerrecht einhalten, das willkürliche Hinrichtungen verbietet.
Auch aktuelle und künftige Forschungsvorhaben und Pläne für Kampfroboter wurden auf der Tagung vorgestellt. Maschinen müssen in Zukunft verzögerungsfrei Entscheidungen über Aktionen, Zielpunkte und Feuerbefehle treffen und daher immer autonomer agieren können. 2003 hielt es das US Joint Forces Command in seiner Studie »Unmanned Effects: Taking the Human Out of the Loop« (Unbemannte Wirkungen: Den Menschen aus der Entscheidungsfindung raushalten) für denkbar, dass im Jahr 2025 vernetzte, autonome Kampfroboter im Gefechtsfeld die Norm seien.
Ein Ziel der Tagung war es, Campaignern und Forschern den Informations- und Ideenaustausch zu ermöglichen, z.B. zu der oben bereits erwähnten Kampagne in Wales (siehe www.bepj.org.uk). Unter anderem drehte sich die Diskussion um die Frage, wie die Medien zur Berichterstattung animiert werden können und wie sich die Behauptung, dass solche Technologien vor Ort neue Jobs schaffen, kontern lässt.
Es wurde vereinbart, die Zusammenarbeit zum Thema Drohnen fortzusetzen (Informationen unter www.for.org.uk).
Der Dringlichkeit des Themas ist wohl geschuldet, dass sich im September bzw. Oktober dieses Jahres in Europa zwei weitere Tagungen mit den Folgen von Forschung und Entwicklung für die Roboterkriegsführung befassen.
Ein Seminar, das am 11. Oktober in London stattfindet, wird vom Science Policy Centre der Royal Society durchgeführt und geht u.a. folgender Frage nach: »Controlling drone wars: time for restrictions on armed robots?« (Rüstungskontrolle bei Drohnen: Zeit für Beschränkungen bei bewaffneten Robotern?). Dabei geht es um ethische, juristische und politische Fragestellungen im Zusammenhang mit der Weiterverbreitung von Kampfrobotern. Auch der mögliche Trend zu autonom agierenden Systemen wird dort diskutiert.
Einige Tage früher organisiert das International Committee for Robot Arms Control (ICRAC) einen Workshop in Berlin. Das ICRAC fordert ein Rüstungskontrollregime ein, das die Stationierung autonomer Roboter im Krieg regelt und die Entscheidung über tödliche Gewaltanwendung nicht allein Maschinen überlässt (mehr Informationen unter www.icrac.co.cc).2
Der Einsatz von Robotern revolutioniert die Kriegsführung. Er ist eine Herausforderung für honoriges, ethisches und rechtmäßiges Verhalten in den Forschungslabors und auf dem Gefechtsfeld. Daher müssen wir uns dringend mit den permanenten technologischen Weiterentwicklungen befassen. Die Tagung in London und die anderen kurz danach geben hoffentlich den entsprechenden Anstoß.
Anmerkungen
1) Siehe Loring Wirbel, Kriegsführung mit Drohnen. In: W&F 3-2010, August 2010.
2) Anmerkung der Redaktion: Für W&F 1-2011, das sich schwerpunktmäßig mit moderner Kriegsführung befasst, schreibt Jürgen Altmann im Kontext dieser Tagung einen Artikel zur Rüstungskontrolle bei Robotern.
Dave Webb, Übersetzt von Regina Hagen