Triebkräfte der Privatisierung:
Der deregulierte Krieg
von Herbert Wulf
Immer häufiger werden Kriege und gewaltsame Konflikte von nicht-staatlichen Akteuren ausgetragen. Warlords, organisiertes Verbrechen, Milizen, Rebellen, Jugendgangs und Kindersoldaten – auch wenn diese eher als Opfer einzustufen sind – sorgen für Unsicherheit und Staatszerfall. Viele Regierungen sind mit ihren Polizei- und Militärstreitkräften nicht mehr in der Lage, Ruhe und Ordnung zu sichern und Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten. Neben dieser Form der Privatisierung von Gewalt, die meist der Bereicherung der Akteure dient, gibt es eine zweite, von staatlicher Seite gezielt geplante Privatisierung von Polizei und Militär: Das »Outsourcen« polizeilicher und militärischer Funktionen an private Firmen.
Rebellen in Angola verschleppten den 14-jährigen Frederico aus seinem Elternhaus und zwangen ihn, zu töten und zu foltern. Neun Jahre lang kämpfte er in der Miliz in einem der blutigsten Kriege in Afrika. Matt Mann bewarb sich mit früheren Kameraden aus der Spezialeinheit Delta Forces der US-Armee, als 2003 ein Auftrag im Irak ausgeschrieben wurde. Es galt, den Leiter der damaligen Koalitions-Übergangsverwaltung, Paul Bremer, zu schützen. Die ehemaligen Soldaten gründeten aus dem Nichts die Firma Triple Canopy, die innerhalb von zwei Jahren ihr Auftragsvolumen für Militär- und Sicherheitsdienste im Irak auf 250 Millionen US-Dollar steigern konnte. Die erste der beiden Geschichten ist nachzulesen auf der Website von UNICEF, die zweite in der New York Times vom 14. August 2005. Beide beschreiben einen immer stärker werdenden Trend zur Privatisierung des Krieges und der Sicherheit. Die erste Form – die Rekrutierung von Kindersoldaten, das Morden der Milizen, der Kampf der Warlords um Zugriff auf Rohstoffe, der Waffen-, Drogen- und Menschenhandel des organisierten Verbrechens – lässt sich als Privatisierung der Gewalt von unten beschreiben. Die Beauftragung privater Militärfirmen, das Outsourcen, wie es zurzeit vor allem in den USA und Großbritannien, aber auch in anderen Ländern, praktiziert wird, ist eine geplante Privatisierung von oben.
Privatisierung der Gewalt von unten
An der Privatisierung der Gewalt von unten beteiligen sich zahlreiche nicht-staatliche Akteure, weil sie sich gegen Übergriffe wehren, eine Regierung stürzen oder sich schlicht bereichern wollen. Diese Gruppen, deren Prototyp die Warlords sind, sorgen für Unsicherheit und Staatszerfall. Der schwache oder in vielen Ländern kaum noch existierende Staat kann das staatliche Gewaltmonopol nicht mehr durchsetzen. Staatszerfall, ineffiziente und korrupte staatliche Institutionen – vor allem Militär, Polizei und Justiz – sorgen für Unsicherheit, ungehemmte Kriminalität und Instabilität. Die Aufrechterhaltung von Gesetz und öffentlicher Ordnung wird immer schwieriger oder ist in kritischen Fällen gar nicht mehr möglich.1 Die internationale Gemeinschaft reagiert in den letzten Jahren verstärkt auch mit militärischen Mitteln auf diese Entwicklung.
Eine bereits länger anhaltende Entwicklung ist zweitens die immer stärkere Belastung der Zivilbevölkerung in Kriegen. Während im »klassischen« Krieg der Vergangenheit Soldaten gegen Soldaten kämpften, ist heute vor allen Dingen die Zivilbevölkerung Ziel militärischer Angriffe oder hauptsächlich davon betroffen. Die Mehrzahl der Toten und Verletzten in den Kriegen sind Zivilisten. Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nennt die Zahl von 9,2 Millionen grenzüberschreitenden und 5,6 Millionen innergesellschaftlichen Flüchtlingen im Jahr 2005.2 Ein großer Teil dieser Flüchtlinge verließ die Heimat aufgrund kriegerischer oder gewalttätiger Auseinandersetzungen.
Die neuen Entwicklungen hängen eng mit dem generellen Trend der Globalisierung fast sämtlicher Gesellschaftsbereiche zusammen. In vielen Ländern führte die Integration in den Weltmarkt zu bedeutsamen Verwerfungen, die oft in gewaltsam ausgetragene innergesellschaftliche Konflikte münden, auf die mit zivilen und militärischen Mitteln reagiert wird.
Konflikte als Folge der Globalisierung
Die Marktliberalisierung mit freiem Handel und wirtschaftlicher Globalisierung ersetzte die staatlich geförderte Entwicklung als dominantes Entwicklungsmodell. Mit dieser in erheblichem Ausmaß global durchgesetzten Politik wuchsen nicht nur die ökonomischen Chancen, sondern auch die Möglichkeiten der systematischen Selbstfinanzierung von Kriegsparteien. Mehr noch: Die Durchführung von Kriegen und die Beteiligung an bewaffneten Konflikten wurde für manche der Kriegsteilnehmer zu einem attraktiven und profitablen Geschäft, trotz der gesamtgesellschaftlichen Zerstörung.3
Wenn in der Vergangenheit wirtschaftliche Faktoren als Ursache von innerstaatlichen Kriegen und Konflikten genannt wurden, galt dies vor allem der wirtschaftlichen Ungleichheit, Unterentwicklung und fehlenden Entwicklungsressourcen.4 In neueren Analysen liegt der Schwerpunkt nicht mehr auf dem Argument der Ressourcenknappheit, sondern auf Konflikt verschärfenden wirtschaftlichen Faktoren und ökonomischen Interessen an der Fortsetzung des Konflikts. Dieser Paradigmenwechsel ist im angelsächsischen Begriffspaar »greed or grievance« (Gier oder Groll – wegen sozialer und wirtschaftlicher Benachteiligung) auf den Punkt gebracht worden.5 Krieg wird wegen wirtschaftlicher Vorteile geführt. Es handelt sich um Kriegsökonomien, um Raub und Plünderung, um Ressourcenkriege, Gewaltmärkte, Schattenökonomien und Netzwerkkriege,6 um die Konsequenzen der Globalisierung und das Unvermögen von Staaten, ihr Gewaltmonopol auszuüben.
Die Erosion des Nationalstaates
Der Schlüssel zum modernen Nationalstaat »westfälischer« Prägung ist das Monopol legitimierter, organisierter Gewalt. Eine der zentralen Funktionen des modernen Staates ist die Garantie der Sicherheit für seine Bürger durch Rechtsstaatlichkeit. Das Weber’sche Konzept des Nationalstaates beinhaltet auch die Abschaffung privater Armeen, die innergesellschaftliche Befriedung und die Schaffung eines staatlichen Systems organisierter, legitimierter Gewalt im eigenen Territorium. Diese drei Prinzipien sind in unterschiedlichem Maße in den konfliktträchtigen Regionen der Welt in Frage gestellt.
Erstens haben die Störungen des sorgfältig ausbalancierten Systems nationalstaatlicher Organisationen zu »neuen Kriegen« unter Beteiligung neuer Akteure geführt. Da in vielen Ländern der Staat nicht länger in der Lage ist, sein Gewaltmonopol durchzusetzen, agieren in diesen Konflikten – zumeist gegen den ausdrücklichen Willen der Regierung – private Akteure. Regierungen, große Firmen und internationale Organisationen versuchen sich gegen diese Gefahren bewaffneter Gewalt zu schützen und heuern hierzu private Militärfirmen oder private Sicherheitsfirmen an. Diese privaten Sicherheitsdienstleister führen Aufgaben aus, für die im Konzept des staatlichen Gewaltmonopols Polizei und Streitkräfte vorgesehen sind.
Zweitens können staatliche Institutionen die innergesellschaftliche Befriedung und die Durchsetzung von Recht und Ordnung nicht mehr garantieren, da organisierte, mafiose Kriminalität, alltägliche Überfälle und ähnliche Übergriffe eine Situation extremer Unsicherheit schaffen. Diejenigen, die es sich leisten können, versuchen den eigenen Schutz zu organisieren, ohne sich auf schlecht ausgestattete, inkompetente oder korrupte staatliche Behörden zu verlassen. Andere wiederum müssen mit dieser Unsicherheit leben oder greifen möglicherweise selbst zu Gewalt, um das eigene Überleben zu sichern. Es entstehen Zonen ungleicher Sicherheit bzw. Zonen der Unsicherheit und Zonen relativer Sicherheit, in denen Personen und Vermögen von privaten Firmen geschützt werden.
Drittens ist die nationale territoriale Einheit durch die Globalisierung und durch regionale politische und wirtschaftliche Zusammenschlüsse in vielen Teilen der Welt aufgehoben; wirtschaftliche, politische und kulturelle Bereiche werden denationalisiert. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist die Konzentration vieler Kriege auf die lokale oder nationale Ebene, deren Auswirkungen jedoch über den Nationalstaat hinausgehen. Konflikte werden außerhalb der Grenzen geschürt und von Kriegsparteien aus kriegsfernen Regionen unterstützt. Die Liberalisierung des Marktes, die Deregulierungskonzepte und neokonservative wirtschaftliche Programme haben zum freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen geführt, aber auch zur global organisierten Finanzierung von Kriegen. Nicht nur Nichtregierungsorganisationen, sondern auch Warlords handeln lokal und denken global.
Auf diese Konflikte reagierte die internationale Gemeinschaft mit Interventionen unterschiedlicher Art. Sie reichen von Katastrophenhilfe, über Entwicklungszusammenarbeit bis zu zunehmend robuster durchgeführten »Friedenseinsätzen« der Vereinten Nationen und zu militärischen Interventionen ohne UN-Mandat, wie zuletzt im Irak. Mehr als je zuvor werden Streitkräfte eingesetzt, um präventiv oder reaktiv tätig zu werden und Konflikte zu verhindern oder zu befrieden, Kampfparteien in innergesellschaftlichen Kriegen auseinander zu halten und zu entwaffnen, statt das eigene Heimatland zu verteidigen. Oftmals verbirgt sich hinter diesen als humanitär deklarierten Einsätzen eine verdeckte Agenda, wie der Sturz unliebsamer Regime, oder wirtschaftliche Interessen, wie die sichere Ölversorgung.
Interessanterweise hat die internationale Politik hinsichtlich der Einschätzung des Staates fast einen Purzelbaum geschlagen. Für Jahrzehnte konzentrierte sich die Entwicklungszusammenarbeit auf die Unterstützung der Regierungen in Entwicklungsländern; später hatte dann die Liberalisierungspolitik nur den »ineffizienten« und »korrupten« Staat im Blick und suchte das Heil in der Privatisierung. In den letzten Jahren – dies zeigen die internationalen Hilfsprogramme von Haiti bis Osttimor, von Afghanistan bis zum Kongo, von Bosnien bis Kambodscha – steht die Förderung leistungsfähiger staatlicher, möglichst demokratisch legitimierter Institutionen wieder im Mittelpunkt.
Privatisierung von oben: Der deregulierte Krieg
Für die US-Streitkräfte, seit Ende des Kalten Krieges von 2,3 Millionen Soldaten auf unter 1,5 Million geschrumpft, wird es immer schwieriger, für ihre Kriegs- und Postkonflikteinsätze – ob auf dem Balkan, in Afghanistan oder im Irak – Nachschub bereit zu halten. In zunehmendem Maße verlassen sie sich bei der Ausbildung der Soldaten, der Reparatur von Waffen, beim Sammeln von kriegsrelevanten Informationen, beim Verhör von Kriegsgefangenen oder bei der Versorgung der Soldaten in den Kampfgebieten mit Essen und sauberer Wäsche auf die Dienste privater Firmen. Wie Pilze sind hunderte private Militär- und Sicherheits-Unternehmen aus dem Boden geschossen – nicht nur in den USA. Es herrscht eine regelrechte Goldgräberstimmung. Doch schreckten Todesfälle und Entführungen ausländischen Kontraktpersonals im Irak die Öffentlichkeit auf. Allein für das Jahr 2003 wurden im Irak 94 Tote und 1.164 verletzte amerikanische Angestellte der Firmen gezählt.7
Das Geschäft der Firmen ist der Krieg und die Nachkriegsphase; sie rekrutieren kampferprobte ehemalige Soldaten weltweit. Waffen und anderes Gerät werden von ihnen gekauft oder geliehen – zumeist mit ordentlicher Lizenz der Regierung. Immer mehr übernehmen private Militärfirmen die Aufgaben von Soldaten. Rund 25.000 Mitarbeiter privater Militär- und Sicherheitsfirmen sollen zurzeit im Irak eingesetzt sein. Es ist das zweitgrößte bewaffnete Kontingent nach den US-Streitkräften und größer als die Zahl der Soldaten aller übrigen Kriegskoalitionstruppen zusammen. Auf jeden fünften oder sechsten Armeeangehörigen kommt ein Firmenmitarbeiter.
Der Irak ist kein Einzelfall. Ob in der Drogenbekämpfung in Kolumbien, im Bürgerkrieg im westafrikanischen Sierra Leone, im Kriegsgebiet an den Großen Seen in Zentralafrika oder auf dem Balkan – immer sind die »Spezialisten« dabei. Die Produktpalette der beteiligten Firmen reicht von Sicherheitsdiensten für Privatpersonen und Gebäude bis zur Militärhilfe für ausländische Streitkräfte, von der Logistik bis zur Verwaltung militärischer Liegenschaften, von Transportdiensten für UNO-Organisationen bis zu Kampfeinsätzen, von technisch komplexen bis zu eher schmutzigen Aufgaben wie der Verteidigung der Privilegien korrupter Eliten.
Für diesen Geschäftserfolg war nicht nur maßgebend, dass sich manche Streitkräfte aufgrund zusätzlicher internationaler Aufgaben überfordert fühlten. Mindestens acht Gründe – militärische, wirtschaftliche, gesellschaftspolitische und ideologisch-konzeptionelle – spielen für den Prozess der Kommerzialisierung oder Privatisierung eine zentrale Rolle:
- Die Möglichkeit der Rekrutierung qualifizierter Militärfachleute: Auf der Angebotsseite sind vor allem die nach dem Ende des Kalten Krieges freigesetzten Kapazitäten bei den Streitkräften zu nennen. Die Abrüstung in den 1990er Jahren hat nicht nur zu einer Schwemme gebrauchter Waffen geführt, die aus Europa in zahlreiche Länder der Welt verkauft oder verschenkt wurden, sondern ebenso einen Überschuss qualifizierten militärischen Personals hervorgebracht, das jetzt in den privaten Militärfirmen neue Betätigungsfelder sucht und findet.
- Reduktionen im Militärbereich: Die Kehrseite der oben genannten Entwicklung ist, dass sich manche Streitkräfte durch die zunehmende Zahl militärischer Interventionen überfordert fühlen und auf den Personalabbau mit Outsourcen bis dato militärischer Funktionen reagieren. Wirtschaftliche und personelle Engpässe im Militärbereich und Abrüstung beschleunigten die Privatisierung. Die reduzierte Stückzahl dislozierter Waffensysteme in den Streitkräften eröffnete den zivilen Militärdiensteanbietern neue Geschäftsfelder. So kaufen beispielsweise viele Streitkräfte weniger Trainingsflugzeuge und lassen ihre Piloten von privaten Firmen ausbilden, die ihr eigenes Gerät zur Verfügung stellen.
- Die veränderte Art der Kriegsführung: Die Streitkräfte setzen immer mehr auf modernes Gerät. Die Streitkräfte selbst sind jedoch nicht mehr in der Lage, das moderne Gerät zu bedienen und zu warten; sie kommen ohne den logistischen Service der Firmen nicht mehr aus. Diese Entwicklung ist zwar nicht völlig neu; sie hat sich jedoch deutlich verstärkt. Ein »Heer« von Ingenieuren und Technikern, IT-Fachleuten und Logistikern, Piloten und Ausbildern privater Firmen sorgt für die Funktionsfähigkeit der komplexen Waffensysteme.
- Die Nachfrage schwacher oder in Bedrängnis geratener Regierungen: In verschiedenen Fällen, so in Papua Neu Guinea, Sierra Leone und Zaire, haben die Regierungen unter dem Druck des Ansturms von Rebellen und der Gefahr, gestürzt zu werden, auf private Milizen und Firmen zurückgegriffen, die bereit waren, den bewaffneten Kampf gegen Aufständische und Rebellen zu führen. Statt die staatlich legitimierten Streitkräfte mit dem Abwehrkampf oder der Sicherung des Regierungssitzes zu beauftragen, haben vor allem afrikanische Regierungen Kontrakte mit privaten Spezialfirmen abgeschlossen, weil das Militär die Aufgaben nicht erfüllen kann oder sich auf die Kernkompetenzen konzentrieren soll.8
- Die verstärkte Nachfrage nach dem Einsatz der Streitkräfte bei humanitären Interventionen: Die oben bereits erwähnte anschwellende Zahl von Kriegsflüchtlingen, ethnische Säuberungen und Genozide und der daraus resultierende Wunsch zur Prävention bewaffneter Konflikte hat den UN-Sicherheitsrat seit Anfang der 1990er Jahre zum verstärkten Eingreifen auch mit militärischen Mitteln veranlasst. Die Vereinten Nationen sehen dies als eine moralische Verpflichtung an. Die Nachfrage nach militärisch gestützten UN-Friedensmissionen war immer größer als das Angebot an Truppen und anderen Ressourcen. Diese Situation beförderte die Nachfrage nach privaten Akteuren. Der Einsatz privater Militär- oder Sicherheitsfirmen soll dabei die Streitkräfte unterstützen und entlasten oder deren Aufgabe vollends übernehmen. Inzwischen arbeiten sie auch im Auftrag von Hilfsorganisationen. Sie bauen im Auftrag von Regierungen Lager für Kriegsflüchtlinge auf oder sorgen für die Logistik von UN-Blauhelmen.
- Die verstärkte Nachfrage nach dem Einsatz der Streitkräfte im »Krieg gegen den Terror«: Die sicherheitspolitische Situation hat sich mit den Anschlägen vom 11. September 2001 dramatisch verändert, was sich unter anderem in zusätzlichen Anforderungen an die Streitkräfte niedergeschlagen hat. Die USA stationieren rund 400.000 Truppenangehörige in rund 120 Ländern und permanenten Militärstützpunkten außerhalb der USA. In Afghanistan sind rund 25.000 und im Irak 150.000 Soldaten im Einsatz. Zunehmend fühlt sich die Armee durch die vielfältigen Einsätze im Kampf gegen den Terrorismus überfordert. Im Golfkrieg 1991 hatte das US-Heer noch 711.000 aktive Soldaten zur Verfügung. Während der Zeit des Irakkrieges im Jahr 2003 war es mit 487.000 ein Drittel weniger. Diese Lücke sollen die privaten Firmen füllen.9
- Die öffentliche Meinung zum Einsatz der Streitkräfte: Wenn Regierungen militärische Macht durchsetzen wollen, sei es, um sich in einer Region eine Vormachtstellung zu sichern, oder begründet mit der Notwendigkeit zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe, greifen sie gelegentlich lieber auf Privatfirmen zurück als auf die eigenen Truppen. Die Erfahrungen der Vergangenheit, beispielsweise der USA in Vietnam, und die wachsende Kritik in der amerikanischen und britischen Öffentlichkeit an der steigenden Zahl gefallener und verwundeter Soldaten im Irak, spielt bei Entscheidungen für Auslandseinsätze noch immer eine wichtige Rolle.
- Die normativ positiv besetzte Politik der Privatisierung: Das ökonomische, neoliberale Konzept, den Staat zu verschlanken und seine Aufgaben zu beschneiden und zu privatisieren, macht nicht vor den Kasernentoren Halt. In den USA passt die Privatisierung in das Konzept, die Streitkräfte auf Kampfeinsätze auszurichten, ohne sie dabei zu vergrößern. Verteidigungsminister Rumsfeld schrieb: „Jede Funktion, die vom privaten Sektor übernommen werden kann, ist keine Kernfunktion der Regierung.“
Um kosteneffektivere Marktlösungen zu finden, werden, wie in diversen zivilen Bereichen staatlicher Leistungen, letzthin auch militärische Funktionen privatisiert. Das neo-liberale Konzept vom schlanken Staat hat sich fast kritiklos durchgesetzt. Privatisierung wird landauf, landab als Allheilmittel propagiert. Nicht nur Telekommunikations- und Stromversorgungsunternehmen, Bahn und Post werden privatisiert, sondern auch sensible Bereiche des Militärs. Der Einsatz privater Militärfirmen wird als effektive und marktkonforme Methode angesehen, um den Bedarf an militärischen Dienstleistungen bestimmter Regierungen oder internationaler Organisationen zu decken. »Outsourcen« und »public-private-partnership« sind im Militärbereich heute keine Fremdwörter mehr.
Rent-a-Soldier
Doch die groß angekündigte Entlastung der Streitkräfte durch die Effizienz des privaten Sektors lässt auf sich warten und dies aus verschiedenen Gründen: Es gibt erstens keine wirkliche Konkurrenz; die Firmen erhalten oft vage formulierte Pauschalaufträge und nutzen jede Möglichkeit, ihre Kosten plus Gewinnaufschlag auf den Staat abzuwälzen. Zweitens fehlt der Regierung die Kompetenz zur Überwachung der Firmen, wie zahlreiche Berichte des amerikanischen Rechnungshofs belegen.10 Diese Kontrollfunktion ist deshalb wiederum an private Firmen übertragen worden. So beauftragte das amerikanische Verteidigungsministerium beispielsweise MPRI, eine der größten US-Militärfirmen, die Richtlinien zur Vergabe von Aufträgen zu erarbeiten. Damit wird der sensible Bereich der Sicherheit zum Selbstbedienungsladen privater Akteure.
»Rent-a-Soldier« ist also keine Utopie mehr. Viele der Tätigkeiten dieser Firmen sind durchaus legal. Manche aber operieren in einer Grauzone. Der rasch wachsende »Sicherheits-Markt« konnte sich als Teil einer umfassenderen Privatisierung entwickeln. Diese Privatisierung von Militäreinsätzen birgt eine große Gefahr. Eine wichtige Funktion des Staates – die alleinig autorisierte Institution zu sein, Gewalt anzuwenden um Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten – wird unterhöhlt, in manchen Ländern ganz aufhoben.
Müssen sich die privaten Militär- und Sicherheitsfirmen für ihre Handlungen überhaupt verantworten? Während eine Regierung gegenüber dem Parlament rechenschaftspflichtig ist, sind private Firmen dies nur gegenüber ihren Aktionären und Auftraggebern. Deshalb müssen die Bürger in den westlichen Demokratien dafür sorgen, dass durch die Privatisierung militärischer Aufgaben die parlamentarische Kontrolle nicht ausgehebelt wird. Schließlich besteht ein qualitativer Unterschied zwischen der Privatisierung von Post oder Bahn und Militär oder Polizei – und der ist im staatlichen Gewaltmonopol begründet.
Da die Privatisierung der Sicherheit voraussichtlich kein vorübergehender Modetrend ist und mit Sicherheit auch nicht einfach rückgängig zu machen ist, sind Regeln für den Einsatz dieser Firmen dringend geboten.11 Diese sollten eine Registrierung der Firmen beinhalten, um Transparenz über das Gewirr der Anbieter mit sehr unterschiedlichem Ruf zu schaffen und die »schwarzen Schafe« der Branche zu brandmarken. Vor allem aber müssen bestimmte Bereiche für die Privaten zum Tabu erklärt werden, das betrifft insbesondere den Einsatz in Kampfhandlungen.
Prof. Dr. Herbert Wulf leitete das Internationale Konversionszentrum Bonn und ist derzeit Berater in Abrüstungsfragen Nordkoreas bei UNDP Pjöngjang. Der Beitrag beruht auf einer Buchveröffentlichung: Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Nomos Verlag, Baden-Baden 2005.