W&F 2013/4

Der Drache im »Hinterhof«

Umbrüche und Konflikte im Südpazifik

von Roland Seib

Die Volksrepublik China hat im vergangenen Jahrzehnt international massiv an Gewicht gewonnen. Ihr global beständig wachsendes wirtschaftliches, außen- und entwicklungspolitisches Engagement wird mit dem Aufstieg einer neuen Weltmacht verbunden, die schon heute die verbliebene Großmacht USA hinsichtlich ihrer Führungsrolle herausfordert. Auch in der Region des Südpazifiks baut die VR ihren Einfluss kontinuierlich aus, obwohl diplomatische Beziehungen nur zu acht der 14 unabhängigen Inselstaaten bestehen. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit den Auswirkungen dieser Entwicklung.

Während die regionale Stabilität und Sicherheit im Südpazifik seit Ende des Zweiten Weltkriegs von den USA und ihren Alliierten Australien, Neuseeland und Frankreich gewährleistet wurde, wird heute vor den langfristigen strategischen Absichten der VR in der Region gewarnt, die von Beijing bereits als eigener »Hinterhof« auserkoren sei. Manche Beobachter sehen die USA bereits jetzt als unipolaren Hegemon herausgefordert und einen neuen Kalten Krieg heraufziehen. Die USA unter Obama haben auf diese Herausforderung reagiert und 2011 den Schwerpunkt ihrer Sicherheitspolitik vom Atlantik in den asiatisch-pazifischen Großraum verlagert („pivot to the Pacific“). Dies beinhaltet neue verteidigungspolitische Kooperationen und einen Ausbau militärischer Strukturen vor Ort (Guam, Amerikanisch-Samoa, Australien).

China spielt in den Inselstaaten wirtschaftlich eine immer größere Rolle. Die von Asien ausgehende Wirtschaftsdynamik in den bis Ende des letzten Jahrtausends eher beschaulichen, zumeist von Stagnation und Armut gekennzeichneten Staaten bleibt aber nicht auf China begrenzt. Große Rohstoffressourcen und Infrastrukturprojekte haben vor allem im Flächenland Papua-Neuguinea zu Konkurrenz geführt: Hier agieren nicht nur westliche und chinesische Unternehmen, sondern auch Konzerne aus Indien, Indonesien, Thailand, Israel und anderen Staaten. Die VR hat zudem seit 2006 eine diplomatische Charmeoffensive gestartet. Beijing behandelt die Staaten mit Respekt und Generosität. Auch entwicklungspolitisch ist China in der Region zu einem wichtigen Geberland aufgestiegen.

Der Konflikt Australiens mit dem seit 2006 amtierenden Militärregime in Fidschi hat ebenfalls zu deutlichen Brüchen im politisch-institutionellen Regionalgefüge geführt. Neue sub-regionale Organisationen der Entwicklungsländer sollen nicht nur für eine Abgrenzung zum Westen sorgen. Konzepte für alternative Kriseninterventionsmechanismen und Freihandelsregime zielen auf mehr Eigenständigkeit von Australien, Neuseeland und der Europäischen Union (EU). Hinzu kommen neue politische Akteure wie Indien, Russland, Israel, die arabischen Staaten, Kuba, Iran und selbst Nordkorea (die letzteren vier jeweils bezüglich Fidschi), die sich Vorteile aus einer Annäherung an einzelne Inselstaaten versprechen und damit neue Handlungsoptionen eröffnen. Im Folgenden werden die mit dem Aufstieg Chinas verbundenen Machtverschiebungen und Konfliktpotentiale thematisiert. Dabei stehen die Wirtschaft und Entwicklungskooperation im Vordergrund. Anschließend wird die die Sicherheitskonstellation beleuchtet.

Der Südpazifik: Komplizierte Gemengelage

Der Südpazifik umfasst die zwischen Asien und dem amerikanischen Doppelkontinent auf einer Meeresfläche von 70 Mio. km2 gelegenen 14 unabhängigen Inselstaaten, von denen zwölf den Vereinten Nationen (UN) angehören. Sie unterscheiden sich von anderen Regionen der Erde sowohl durch ihre geographische Isolation als auch ihre kulturelle Vielfalt. Zudem variieren sie in Größe, Bevölkerungszahl, Ressourcenausstattung und Entwicklungsstand. Das größte Land ist Papua-Neuguinea, auf das allein knapp 88% der gesamten südpazifischen Landfläche und mit über sieben Mio. Einwohnern drei Viertel der pazifischen Gesamtbevölkerung von 9,2 Mio. entfallen. Am anderen Ende des Spektrums befinden sich die Klein- und Kleinststaaten wie etwa Tuvalu, dessen Festlandterritorium lediglich 9.500 Bürger auf 26 km2 aufweist. Sind Landmasse und Bevölkerung zumeist verschwindend klein, sind die exklusiven maritimen Wirtschaftszonen hingegen enorm. So verfügt Kiribati mit seinen 93.000 Einwohnern auf 811 km2 über ein Meeresgebiet von 3,6 Mio. km2, ein Drittel mehr als Indien.

Alle 14 Staaten des Südpazifiks zählen zu den Entwicklungsländern. Das Pro-Kopf-Einkommen in der Region reicht von 1.194 US-Dollar in den Salomonen bis zu 35.320 US$ im zu Frankreich gehörenden Neukaledonien. Während die größeren Länder über Rohstoffe verfügen, sind die Kleinstaaten von Tourismus, Fischereieinkünften, Heimatüberweisungen und Entwicklungshilfe abhängig. Die Inselstaaten weisen eine hohe Verletztlichkeit gegenüber natürlichen Katastrophen und den gravierenden Auswirkungen des Klimawandels auf, der die Existenz ganzer Inselstaaten bedroht. Die unterschiedlichen Kulturgebiete des Südpazifiks werden als Melanesien, Polynesien und Mikronesien bezeichnet; diese Aufteilung spiegelt die in der Kolonialzeit gewachsenen Einflusssphären und die bis heute begrenzte Auflösung kolonialer Herrschaft wider.

Die Südpazifikstaaten gehören zur letzten Gruppe Kolonien, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Unabhängigkeit entlassen wurden. Bis heute üben die USA und Japan starken Einfluss auf Mikronesien aus. Washington hat weitreichende Zugriffsrechte in den Staaten Marshall-Inseln, Palau und Föderierte Staaten von Mikronesien sowie die volle Kontrolle über die US-Territorien Guam und Nördliche Marianen. Während Australien sich auf seine benachbarten melanesischen Staaten und Nauru konzentriert, hält Neuseeland, das selbst zu den pazifischen Inselstaaten zählt, enge Bindungen zu den polynesischen Ländern Cook-Inseln, Samoa, Niue, Tuvalu und Tokelau. Frankreichs Einfluss besteht über Neukaledonien, Französisch-Polynesien sowie Wallis und Futuna. Die 14 Pazifikstaaten sind mit Ausnahme des Königreichs Tonga und des Militäregimes in Fidschi parlamentarische Demokratien. Sie formen gemeinsam mit Australien und Neuseeland die wichtigste Regionalorganisation Pacific Islands Forum mit Sitz in Fidschi.

Wirtschaftliche Inwertsetzung der Region

Die Region Asien-Pazifik stellt heute mit einem Anteil von 36% des weltweit produzierten Bruttoinlandprodukts die dynamischste Wirtschaftsregion der Welt dar. Der Hunger der aufstrebenden Schwellenländer nach Rohstoffen wie Öl, Gas, Erzen und Edelmetallen hat dazu geführt, dass der Südpazifik innerhalb eines Jahrzehnts massiv an Attraktivität für ausländische Staaten und Unternehmen gewonnen hat. China ist als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt in nur wenigen Jahren zu einem wichtigen Akteur aufgestiegen, auch wenn Beijings ökonomisches Engagement in der Region im Vergleich zum afrikanischen Kontinent (Handel 2011: 160 Mrd. US$) moderat ausfällt. So stieg der Warenhandel Chinas mit den Staaten des Südpazifiks von 133 Mio. US$ (1997) auf 2,1 Mrd. US$ (2012). 80% des chinesisch-pazifischen Handels entfallen allein auf Papua-Neuguinea, das nach Australien (Handel 2012: 114 Mrd. US$) der wichtigste Wirtschaftspartner der VR in der Region ist. Chinas größte Einzelinvestition stellt die 1,5 Mrd. US$ teure Ramu-Nickel-Mine in Papua-Neuguinea dar. Dass China im Bergbau aber nur ein Konkurrent unter vielen ist, zeigt ein Flüssiggasprojekt des US-amerikanischen Ölmultis ExxonMobil, das derzeit für 19 Mrd. US$ in Papua-Neuguinea gebaut wird.

Hohe Erwartungen hegen die Inselstaaten an den Tiefsee-Bergbau, von dem sie sich mehr wirtschaftliche Selbständigkeit versprechen. Die EU erweist sich diesbezüglich als Türöffner für multinationale Konzerne. Brüssel realisiert im Zeitraum 2011-2014 gemeinsam mit dem in Fidschi ansässigen Sekretariat der Pacific Community das 4,4 Mio. Euro teure Projekt »Deep Sea Minerals in the Pacific«, das den Kleinstaaten den rechtlichen und fiskalischen Rahmen des Offshore-Bergbaus nahe bringen soll. Das weltweit erste Tiefsee-Bergbauprojekt wird derzeit in Papua-Neuguinea realisiert. Zuvor hatte die EU die gesamten Rohstoffressourcen Papua-Neuguineas kartographiert. Über die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Verwerfungen durch derartige Großprojekte ist dagegen aus Brüssel oder anderen Metropolen nichts zu vernehmen. Dabei ist der Rohstoffboom in Papua-Neuguinea mit Entwicklungsdisparitäten, sozio-ökonomischen Spannungen und gravierender Umweltzerstörung verbunden. Staatliches Missmanagement und Korruption herrschen vor.

Eine harte Konkurrenz besteht auch bei den Fischbeständen, um die sich Handelsflotten von China über Japan und den USA bis zur EU streiten. Der Thunfischfang, für viele Kleinstaaten die wichtigste Einnahmequelle, wird auf jährlich fünf Mrd. US$ geschätzt, die Hälfte des weltweiten Ertrags. 40% des industriellen Fischfangs gelten als illegal gefischt.

Es sind aber nicht nur Konzerne, die sich in wachsendem Umfang im Südpazifik engagieren, sondern vor allem Festlandchinesen und chinesisch-stämmige Migranten, die mittlerweile den Groß- und Einzelhandel der meisten Inselökonomien monopolisieren. Die massiven Migrationsströme verändern die lokalen Wirtschaftsstrukturen in den bevölkerungsschwachen Inselstaaten. Nicht nur werden einheimische Unternehmer verdrängt, die mit der konfuzianischen Arbeitsethik und den internationalen Netzwerken chinesischer Unternehmer nicht konkurrieren können. Sie dringen auch in Wirtschaftsbereiche vor, die seit Abzug der Kolonialmächte gesetzlich einheimischen Bürgern vorbehalten waren.

Das wirtschaftliche Engagement von Asiaten hat in den Inselbevölkerungen zu erheblichen Ressentiments und Abwehrreaktionen geführt. Dies zeigen die Zerstörungen chinesischer Geschäftsviertel im Jahr 2006 in Tonga und den Salomonen sowie die gewalttätigen Unruhen, Plünderungen und Morde an chinesischen Geschäftsleuten in Papua-Neuguinea in den Jahren 2009 und 2010. Die schnelle wirtschaftliche Asianisierung der gering entwickelten Inselökonomien, die fehlende Schaffung von lokalen Arbeitsplätzen, die Konzentration der Investitionen auf die Rohstoffgewinnung und die Überschwemmung der Länder mit Handelswaren legen eine einseitige Interessenrealisierung Chinas nahe, die wenig mit der von Beijing gebetsmühlenartig apostrophierten »win-win«-Situation zu tun hat. Insofern entbehrt das Süd-Süd-Modell (Beijing Consensus) als Alternative zu westlichen Entwicklungskonzeptionen zumindest im Südpazifik der empirischen Grundlage. Eigeninteressen stehen für China im Vordergrund – durchaus vergleichbar mit anderen wirtschaftlichen Akteuren und in einem ambivalenten Spannungsverhältnis zu der oben erwähnten Generosität Beijings.

Entwicklungszusammenarbeit

Die VR ist mit ihrer bilateralen Entwicklungszusammenarbeit seit deren Unabhängigkeit in zahlreichen Pazifikstaaten präsent. Seit den 1990er Jahren bestimmte allerdings die destruktive Konkurrenz um diplomatische Anerkennung zwischen der VR und der Republik China (Taiwan) die Region (Stichwort »Scheckbuch-Diplomatie«), bis diese mit der Wahl des taiwanesischen Präsidenten Ma Ying-jeou 2008 zu Gunsten eines einvernehmlichen »Waffenstillstandes« beendet wurde. Von den 23 Ländern, die weltweit Taipeh anerkennen, liegen sechs im Südpazifik (Kiribati, Marshall-Inseln, Nauru, Palau, Salomonen und Tuvalu). Entgegen der von Beijing behaupteten Gültigkeit des Grundsatzes der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheit anderer Staaten (»Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz«), war zuvor jahrelang massiv und verdeckt in die Innenpolitik zahlreicher Länder interveniert worden. Die Einflussnahme beider Staaten destabilisierte die nur schwach institutionalisierten Entwicklungsländer und speiste die endemische Korruption.

Chinas wachsendes Engagement im Südpazifik hat seit 2006 zu einem schnellen Anstieg der Zusagen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit geführt. Offizielle Angaben dazu gibt es nicht, da diese als Staatsgeheimnis gelten. Im April 2013 wurde erstmals eine Zahl bekannt: 6,4 Mrd. US$ für mehr als 100 Empfängerländer. Davon gingen im Zeitraum 2006-2011 geschätzte 850 Mio. US$ an die acht Beijing anerkennenden Pazifikstaaten. Im Vergleich dazu bleibt der Beitrag für offizielle Zusammenarbeit der westlichen Gebergemeinschaft weiterhin überwältigend. Australien steht hier in einer mit weitem Abstand dominierenden Position: Über den genannten Fünfjahreszeitraum gingen 4,8 Mrd. US$ an die Inselstaaten. Es folgen die USA (1,27 Mrd.), Neuseeland (899,3 Mio.) und Japan (868,8 Mio.). Hinzu kommen Frankreich (718 Mio.) und die EU (595,8 Mio.) als größter multilateraler Geber. Nach den letzten OECD-Angaben für 2011 entsprach Canberras Beitrag 62% der bilateralen und 55% der Gesamthilfe für die Region.

Obwohl die Region seit 1970 die mit Abstand weltweit höchsten Entwicklungstransfers pro Kopf aufweist, hat sich diese Kooperation bisher kaum in nennenswerten Entwicklungserfolgen und einer verbesserten sozialen Lage der Menschen niedergeschlagen. In der Kritik der Nehmerländer steht vor allem Canberra und dessen »boomerang aid«, die australische Unternehmen und Berater begünstige und so zu einem Rückfluss der Mittel führe. Aber auch die Entwicklungszusammenarbeit Chinas steht massiv in der Kritik. Angestammte bi- und multilaterale Geber monieren nicht nur die Intransparenz der Vergabe, die lokale Unangepasstheit der Maßnahmen und die Verschuldungsintensität der gewährten Hilfe, sondern fordern auch seit Jahren eine regionale Kooperation und Koordination ein, die Beijing bis heute ablehnt.

Höchst willkommen ist Beijings Hilfe dagegen in den Pazifikstaaten, da diese jenseits der »Ein-China-Politik« vermeintlich ohne jegliche Konditionalitäten und ohne die sonst übliche Korruption gewährt wird. Etwa 40% der Hilfe geht in prestigeträchtige, die urbanen Eliten unterstützende Bauprojekte wie Regierungsgebäude, Stadien oder den Wiederaufbau von Tongas Hauptstadt Nuku’alofa nach den Plünderungen und Bränden von 2006. Die Vorhaben werden von kommerziell orientierten chinesischen Unternehmen und Arbeitskräften ausgeführt. Die kostspielige Instandhaltung der Großprojekte obliegt mit der Schlüsselübergabe dann den Empfängerländern. Als die Chatham-Analystin Cleo Paskal auf der Klimakonferenz in Kopenhagen die tonganische Delegation nach ihrem Abstimmungsverhalten fragte, bekam sie zur Antwort: „Was immer China sagt, wir schulden ihnen Hunderte von Millionen.“

Bedeutsam ist der Handel der Inselstaaten mit so genannten Souveränitätsrechten. Der Verkauf von 1.400 Aufenthaltsvisa an reiche Chinesen brachte Vanuatu Staatseinnahmen von 4,3 Mio. US$. Erfolgreich war auch die finanzielle Unterstützung durch die Arabische Liga: Zahlreiche Pafifikstaaten sprachen sich dafür aus, dass die Zentrale der International Renewable Energy Agency statt in Deutschland in Abu Dhabi angesiedelt wurde. Russland engagierte sich finanziell, um die völkerrechtliche Anerkennung Abchasiens und Südossetiens zu befördern. Kiribati erkannte den Kosovo an. Israel dagegen zeigte sich im November 2012 enttäuscht, als der UN-Botschafter der Salomonen (entgegen der Anweisung seiner Regierung) für den UN-Beobachterstatus der Palästinensergebiete stimmte.

Wandel der regionalen Sicherheitsstruktur?

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten die USA Großbritannien als globale Hegemonialmacht abgelöst. Kernelement der regionalen Sicherheitsordnung ist bis heute der 1952 in Kraft getretene »Security Treaty between Australia, New Zealand and the United States of America« (ANZUS), der vergleichbar dem Nordatlantikpakt eine gegenseitige Beistandsverpflichtung enthält. Im Kalten Krieg bestand dessen Aufgabe darin, die Sowjetunion auf Distanz zu halten. Mit der Implosion der UdSSR verlor der Westen das Interesse an der Region. Der 11. September 2001 stellt dann mit dem »war on terror« eine Zäsur in der internationalen Sicherheitspolitik dar, der in Australien eine »nationale Sicherheitsdekade« folgte. Canberra übernahm als selbst ernannte Mittelmacht die Führungsrolle als »Hilfssheriff« der USA, der Stabilität im Südpazifik und in Timor-Leste (Südostasien) gewährleisten sollte.

Anlässe zur Konfliktbearbeitung gab es genug. Der Bürgerkrieg auf der zu Papua-Neuguinea gehörenden Kupferinsel Bougainville (1989-1998) mit mindestens 15.000 Toten, bisher vier Coups d’État in Fidschi, die ethnische Gewalt zwischen Milizen und Regionen in den Salomonen ab 1999, der Zusammenbruch von Recht und Ordnung im Hochland von Papua-Neuguinea, dem über die Jahrzehnte weit mehr Opfer zuzurechnen sind als auf Bougainville, zahlreiche Meutereien der Streitkräfte sowie teilweise gescheiterte Parlamentswahlen in Papua-Neuguinea, der Staatsbankrott Naurus (ab 2004) und Unruhen in Tonga (2006) haben zu Interventionen unter australischer Leitung geführt, um Recht und Ordnung wiederherzustellen. Derzeit werden wieder australische Polizisten nach Papua-Neuguinea entsandt. Die innere Fragilität, die Staats- und Nationbildung sowie die Demokratisierung dieser Länder bleiben zentrale Herausforderungen.

Spätestens seit Mitte des letzten Jahrzehnts ist der Aufstieg Chinas zur Kampfansage an das bisherige Mächteensemble geworden. Canberra versucht den prekären Interessenausgleich aus der sicherheitspolitischen Anbindung an den Alliierten USA und der wirtschaftlichen Verflechtung mit China, das zum wichtigsten Handelspartner und bedeutenden Rohstoffinvestor und damit zum Garanten langjähriger Prosperität avanciert ist. Hinzu kommt der virulente politische Konflikt mit der Militärjunta in Fidschi, das wegen nicht abgehaltener Wahlen 2009 vom Pacific Islands Forum suspendiert und mit Sanktionen belegt wurde. Canberra verhinderte die Kreditvergabe internationaler Organisationen an Fidschi, worauf Beijing einsprang. Auch der Versuch, Fidschis 1.250 Soldaten von UN-Blauhelmeinsätzen auszuschließen, scheiterte. 531 fidschianischen Soldaten wurden im Juli als Ersatz für die abgezogenen Österreicher auf die syrischen Golanhöhen entsandt. Reguläre Armeen besitzen nur Papua-Neuguinea, Tonga und Fidschi; alle beteiligen sich auch an UN-Einsätzen.

Hinzu kommt der Trend der Inselstaaten hin zu separaten sub-regionalen Gruppierungen (die Melanesian Spearhead Group, der Council of Micronesian Chief Executives sowie die neu geformte Polynesian Leaders Group und das von Fidschi als Alternative zum Pacific Islands Forum forcierte Pacific Islands Development Forum), wodurch Canberra und Wellington an Einfluss auf die kollektive Entscheidungsfindung verlieren. Als die Beziehungen belastend gilt auch die UN-Dekolonisierungsagenda, gegen die sich die westlichen Staaten vehement wehren. Auf der Liste der zu dekolonisierenden Territorien stehen momentan die Pazifikstaaten Neukaledonien und Französisch-Polynesien (Frankreich), Pitcairn (GB), Tokelau (Neuseeland) sowie Guam und Amerikanisch-Samoa (USA), also sechs von insgesamt 17 Ländern. Hinzu kommt der außerhalb der UN angesiedelte Konflikt um die beiden indonesischen Provinzen in West-Papua. Schwere Menschenrechtsverletzungen und wirtschaftliche Ausbeutung werden dort mit Unterstützung einiger Pazifikstaaten den Guerillakampf um Unabhängigkeit weiter anfeuern.

Perspektiven

Die oben beschriebene Konstellation erlaubt mehrere Schlussfolgerungen. Danach kann als sicher gelten, dass der Südpazifik als alleinige Einflusssphäre des Westens der Vergangenheit angehört. Der Westen verliert damit weiter an globaler Gestaltungs-, Steuerungs- und Ordnungsfähigkeit. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die VR im Südpazifik derzeit weder eine politische noch eine militärstrategische Führungsrolle beansprucht oder anstrebt. Trotz des gewaltigen Wachstums im Reich der Mitte wird hier eine Machtverschiebung nur langsam vor sich gehen. Daher wird die »Pax Americana« wohl noch für Jahrzehnte Geltungshoheit beanspruchen können. Zudem besteht in Beijing weiterhin kein Interesse an einer multilateral orientierten Entwicklungszusammenarbeit mit den tradierten Geberländern. Auch an einer Bereitstellung öffentlicher Güter (z.B. Sicherung von Handelswegen, Einsatz bei Krisen oder Katastrophen etc.) zeigt China kein Interesse, was darauf hindeutet, dass die eigenen innenpolitischen Prioritäten hinsichtlich Frieden, Stabilität und Prosperität (Präsident Xi Jinping) fortgesetzt Vorrang genießen.

Der schnelle sozio-ökonomische und außenpolitische Wandel der Region wird in den kommenden Jahren zu mehr Konkurrenz, Instabilität und Krisenlastigkeit führen, die durch den Aufstieg Chinas mittel- bis langfristig noch verschärft werden. Infolgedessen werden Australien und Neuseeland weiterhin eine ordnungspolitische Rolle spielen (müssen), auch wenn Canberras Auftreten in den Inselstaaten sowie im Pacific Islands Forum zunehmend diskreditiert erscheint. Obwohl Australien in punkto Investitionen, Handel und Entwicklungskooperation mit großem Abstand das dominierende Land bleibt, erodiert seine selbst gewählte Führungsposition. Separate regionale Unterorganisationen erhalten mehr Gewicht. Papua-Neuguinea sieht sich erstmals nach 38 Jahren Unabhängigkeit als kommende regionale Wirtschaftsmacht mit internationalem Gewicht, deren Gemeinsamkeiten mit Fidschis Militärjunta trotz aller melanesischen Solidarität schon heute begrenzt sind. Generell ist davon auszugehen, dass die sino-amerikanischen Beziehungen im Großraum Asien-Pazifik nicht nur dort den Schlüssel zu fortgesetztem Frieden darstellen. Die Bewältigung der von Beijing zunehmend ruppiger ausgetragenen Territorialkonflikte in Ost- und Südostasien wird sich auf die globale strategische Stabilität der kommenden Dekaden auswirken.

Literatur

Jenny Hayward-Jones (2013): Big enough for all of us: Geo-strategic competition in the Pacific islands. Sydney: Lowy Institute for International Policy.

Richard Herr und Anthony Bergin (2011): Our near abroad. Australia and Pacific islands regionalism. Canberra: Australian Strategic Policy Institute..

Roland Seib (2009): China in the South Pacific: No New Hegemon on the Horizon. Frankfurt/M.: Peace Research Institute Frankfurt.

David Shambaugh (2013): China Goes Global. The Partial Power. Oxford: Oxford University Press.

Dr. Roland Seib ist unabhängiger Politik- und Verwaltungswissenschaftler mit dem regionalen Schwerpunkt Südpazifik, insbesondere Papua-Neuguinea.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2013/4 Der pazifische Raum, Seite 21–24