W&F 2007/2

Nanotechnologieforschung in Lateinamerika:

Der Einfluss des US-Militärs

von Guillermo Foladori

Die Nanotechnologie stellt die weitreichendste technologische Revolution unserer Zeit dar. Die Firma Lux Research, die 2006 die Kommerzialisierung in der Nanotechnologie untersucht hat, schätzt, dass im Jahr 2005 9,6 Mrd. US$ in Forschung und Entwicklung der Nanotechnologie investiert wurden. Auch wenn ein gewisser Grad an Polemik über den potentiellen Nutzen und die Nutznießer der Nanotechnologie vorherrscht, so lässt sich bei genauerer Betrachtung der potenziellen Nanotechnologieprodukte, isoliert von ihren spezifischen sozialen Kontexten, feststellen, dass sie zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Mehrheit der Weltbevölkerung beitragen können. In diesem Zusammenhang genügt der Hinweis auf die revolutionären Verfahren zur Entsalzung, Klärung und Gewinnung von Trinkwasser; zur Energiegewinnung durch Solarzellen; zur sicheren medizinischen Diagnose, dem Einsatz von Medikamenten, die gezielt nur betroffene Zellen und Organe ansteuern sowie die Verwendung von neuartigen Implantaten und Prothesen. Ihrer revolutionären Technologie entsprechend kommt der Nanotechnologie aber auch im Rüstungsbereich eine immer größere Bedeutung zu.

Wie jedes andere Produkt auch, so muss der Einsatz von Nanotechnologieprodukten seine Marktfähigkeit beweisen, indem er seine Überlegenheit gegenüber konventionellen Produkten durch einen höheren Nutzen und/oder überlegenen Preis demonstriert. Rüstungsprodukte werden ebenfalls durch ihre Konsumenten bewertet, aber im Unterschied zu zivilen Produkten vollzieht sich ihre Verwendung in kriegerischen Auseinandersetzungen. Der Nutzen dieser Produkte wird gemessen an ihrer Effizienz im Gefechtsfall, an ihrer Effizienz zur Überwindung feindlicher Verteidigungsanlagen, ihrer Spionagetauglichkeit etc. Auch wenn dies z.B. nicht der Fall bei Überwachungs- oder Verteidigungssystemen ist, so sind die Grenzen auf diesem Gebiet äußerst schwammig und die »Feuerprobe« neuartiger Technologien findet immer noch in Kriegssituationen statt. So ist es wenig verwunderlich, dass die Flotte der Vereinigten Staaten es als eine der Hauptaufgaben der Nanoelektronik ansieht, „die Überlebensfähigkeit durch effizientere Frühwarnsysteme zu erhöhen“, die „Kostenreduzierung während der Operation zu erreichen“, die „Durchschlagskraft (zuerst sichten, zuerst schießen, sicher treffen) sowie Verwendbarkeit der C4ISR1 zu erhöhen“, und „die logistischen Spuren des Einsatzes zu verringern“ (Lau, 2004).

Seit Gründung ihres Programms für die Förderung der Nanotechnologie haben die USA 1/4 bis 1/3 der Gelder für rein militärische Zwecke zur Verfügung gestellt (EOPUS, 2005). Dies ist schon für sich ein alarmierendes Anzeichen, denn wie Altmann (2006) bemerkte, führt dies zu einem Rüstungswettlauf verschiedener Länder innerhalb der Nanotechnologie.

Wissenschaftliche Neutralität in der Diskussion

Es ist wahrscheinlich, dass die Mehrzahl der lateinamerikanischen Wissenschaftler, die an Forschungsprojekten oder an wissenschaftlichen Kongressen finanziert durch US-amerikanische Militärinstitutionen teilnehmen, ihre eigenen Forschungsarbeiten als reine Wissenschaft betrachten.2 Sprich: Nach ihrer Auffassung betreiben sie Nanowissenschaft und nicht Nanotechnologie, Grundlagenforschung und keine Anwendung! Seit den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki gegen Ende des Zweiten Weltkriegs besteht diese ewige Diskussion. Es lohnt sich jedoch zweifellos, zwei Aspekte hervorzuheben, die, wenn schon nicht neu, so heutzutage jedoch offensichtlicher erscheinen. Der erste bezieht sich auf die jedes Mal geringere zeitliche Distanz zwischen der sogenannten theoretischen Grundlagenwissenschaft und ihrer darauffolgenden praktischen Anwendung. Burrus (1993) zeigte bereits, wie sich der Erfindungszeitpunkt und der daraus resultierende Produktionszeitpunkt einander immer weiter annähern.

Die Nanotechnologie ist gegenwärtig ein geeignetes Beispiel für die sich immer weiter verkürzende Dauer zwischen Entwicklung und Anwendung. Heutzutage ist es schwer zu behaupten, dass man nicht wisse, inwiefern Forschungsergebnisse verwendet würden, angesichts der Tatsache, dass Entwicklung und Anwendung fast zeitgleich geschehen. Gemäß eines Berichts des Verteidigungsministeriums der Vereinigten Staaten steht an erster Stelle von fünf Basisempfehlungen bezüglich Forschung und Entwicklung im Materialbereich, dass der Zeitraum zwischen Entwicklung und Anwendung mit verschiedenen Mitteln verkürzt werden solle.

Auch wenn für die durch den militärisch-industriellen Komplex der USA finanzierten lateinamerikanischen Wissenschaftler ein Unterschied zwischen reiner Wissenschaft und ihrer Anwendung besteht, so ist für das US-amerikanische Verteidigungsministerium jegliche Forschung auch gleichzeitig Anwendung. Gemäß dem Mansfield-Antrag aus dem Jahr 1973, der ausdrücklich die Geldzuwendungen an das Verteidigungsministerium auf rein militärische Forschungsprojekte begrenzt, wird allein schon dadurch rechtlich die Möglichkeit ausgeschlossen, dass das US-Verteidigungsministerium oder seine Unterorganisationen reine Wissenschaft ohne militärische Anwendungsmöglichkeiten finanzieren.

Der zweite Aspekt, bei dem sich die Grenzen zwischen Wissenschaft und Anwendung oder Nanowissenschaft und Nanotechnologie verwischen, ist die Tatsache, dass in Forschung und Entwicklung vermehrt Physiker, Chemiker oder Biologen mit Ingenieuren, Informatikern und anderen Technikern zusammenarbeiten. Die Nanotechnologieinitiative der Vereinigten Staaten spricht von den sogenannten Converging Technologies, wenn Nanotechnologie, Biotechnologie, Informationstechnologie und Kognitionswissenschaften zusammentreffen. Ein von der UNESCO veröffentlichtes Dokument über die »Ethik und Politik in der Nanotechnologie« argumentiert, dass ein großer Bestandteil der Grundlagenwissenschaft auf diesem Gebiet solche Instrumente, Praktiken, Werkstoffe und Techniken nutzt, die rein technologischer Natur sind, wie Computer, Software, komplexe Mikroskope und Instrumente für physikalische und chemische Veränderungen und Messungen (UNESCO, 2006).

Aus der Sicht der beteiligten Wissenschaftler gibt es sicherlich einen Unterschied. Da die Nanotechnologie als eine ihrer hervorstechendsten Eigenschaften ihre geringe Größe und die besonderen Eigenschaften ihrer Werkstoffe hat, kann diese Technologie praktisch in jedem Produktions- und Dienstleistungssektor eingesetzt werden. Die Erfindungen im Rüstungssektor können für den zivilen Sektor umkonstruiert werden und umgekehrt. Als ob diese Vielseitigkeit nicht schon ausreichend wäre, so ist die Rüstungsindustrie in der Lage, praktisch jede zivile Erfindung zur militärischen Anwendbarkeit zu bringen. 1999 beauftragte das US-Verteidigungsministerium eine Kommission mit der Durchführung von Forschungsarbeiten zur Identifizierung von neuartigen Werkstoffen, die die Verteidigungsfähigkeit der USA revolutionieren sollen. Diese Kommission, genannt National Materials Advisory Board, veröffentlichte im Jahr 2003 einen Bericht (NMAB 2003), in dem sie fünf Schlüsselgebiete identifizierte:

  • Strukturell neuartige und multifunktionale Werkstoffe,
  • Hochleistungswerkstoffe,
  • elektronische und photonische Verbundstoffe,
  • organische und hybride Werkstoffe sowie
  • biotechnologische Werkstoffe.

Wie die Kommission mitteilte, war die Vielfalt so groß, dass man gezwungen war, einzelne Gruppen zu bilden, um alle Teilgebiete zu erfassen. Das Ergebnis dieser Politik ist, dass das US-Militär so präsent in der Wirtschaft der USA sowie der Welt ist, dass es unwahrscheinlich erscheint, dass es nicht am zivilen, wissenschaftlichen Fortschritt partizipiert. Was also wäre der Unterschied zwischen einer Forschung, die direkt durch das Militär finanziert wird oder durch eine zivile Institution? Die Antwort darauf kann nur eine ethische sein: Entweder für den Frieden oder für eine Wissenschaft und Technologie, die sich zunehmend militarisiert.

Es ist auch möglich, dass viele lateinamerikanische Wissenschaftler, die durch das US-Militär finanziert werden, nicht die wahren Absichten der USA bezüglich ihrer Forschungsergebnisse verstehen. Letztendlich interagieren sie ja mit amerikanischen und anderen Wissenschaftlern aus allen Teilen der Erde, viele von diesen ebenfalls mit Lehraufträgen an US-amerikanischen Universitäten. Sie sprechen die gleiche Sprache und teilen Sitten und Gebräuche. Es geht z.B. um Sensoren und multifunktionale Werkstoffe und um Nanoröhren, etwas, das sie schwerlich in Verbindung mit militärischer Nutzung bringen. Zweifellos ist die Verbindung für das amerikanische Verteidigungsministerium offensichtlich, für dieses gibt es wenig, was sich nicht mit seinen militärischen Interessen in Verbindung bringen lässt, wie das NMAB am Anfang seines kürzlich veröffentlichten Berichts von 2003 klarstellt.

Direkte Präsenz des US-Militärs in der Forschung

Auch wenn bereits in den neunziger Jahren in einigen Forschungszentren Lateinamerikas zur Nanotechnologie geforscht wurde, so kam der größte Impuls mit Beginn des neuen Jahrtausends. Die ersten offiziellen Aktivitäten in Brasilien begannen 2001, auch wenn erst ab 2004 mit einem Regierungsprogramm zur Förderung der Nanowissenschaften und –technologie begonnen wurde. 2005 wurde die argentinische Forschungskommission zur Nanotechnologie gegründet. In Mexiko gibt es noch kein offizielles Regierungsprogramm, es wird aber von ungefähr 500 Wissenschaftlern ausgegangen, die in zwölf Forschungszentren arbeiten. Diese Länder bilden gleichzeitig die Speerspitze lateinamerikanischer Forschungsarbeit (Foladori, 2006).

Das Interesse des US-Militärs an lateinamerikanischer Forschungsarbeit in diesem Bereich ist explizit; auch wenn viele Informationen über Finanzierung und den Personaleinsatz innerhalb lateinamerikanischer Forschungsprojekte zur Nanotechnologie im Internet erhältlich sind, so sind es doch die direkten Kontakte, die die zukünftige Zusammenarbeit fördern sollen. Darum organisierten die US-Luftwaffe und -Marine im April 2004 eine Diskussionsplattform, genannt Latin America Science & Technology Forum, mit der expliziten Zielsetzung, die „Vorherrschaft der USA in Wissenschaft und Technik für ganz Amerika auszubauen“ (ONRG, 2004a). Hohe Repräsentanten ziviler Forschungseinrichtungen aus Argentinien (der Vizedirektor der CONICET), aus Chile (Direktor der FONDEF-CONACYT) und aus Mexiko (Direktor der wissenschaftlichen Forschungsarbeit der CONACYT) präsentierten zu diesem Anlass die Wissenschafts- und Technologiefortschritte ihrer Länder; so als ob es Aufgabe dieser zivilen Institutionen wäre, das US-Militär über lateinamerikanische Forschungsfortschritte zu informieren. Diese Kontakte werden ergänzt durch offizielle Besuche hochrangiger US-Repräsentanten in Lateinamerika. Ende März 2002 besuchte der Vizedirektor des internationalen Büros der US-Marine die Universidad de Concepción in Chile, mit dem Ziel, potentielle Forschungsbereiche herauszufiltern, die für eine eventuelle Kooperation geeignet sind (Concepción, 2002).

Die Streitkräfte der Vereinigten Staaten verfügen mit der Armee, der Marine und der Luftwaffe über drei verschiedene Segmente, die wissenschaftliche Forschung (unter anderem Nanotechnologie) an privaten und öffentlichen Universitäten und Forschungszentren in unterschiedlichen Ländern finanziell unterstützen. Die drei Teilstreitkräfte arbeiten auch in den sogenannten internationalen Technologiezentren zusammen. Insgesamt gibt es drei durch das US-Militär finanzierte Technologiezentren. Das ITC-Atlantic, mit Sitz in London und zuständig für Europa, Afrika und Teile Asiens, darunter auch das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Das ITC-Pacific, mit Sitz in Tokio und zuständig für den Rest Asiens und den Süden Afrikas, und schließlich wurde im Jahr 2004 das ITC-America in Santiago de Chile gegründet, zuständig für ganz Amerika und die Karibik, darunter Kanada (U.S. Army ITC-Atlantic; IDUSARDEC, 2004). Die Zielsetzung des ITC-America ist die gleiche wie für die anderen internationalen Forschungszentren.

Aus der Webseite der US-Marine geht hervor, dass sie bereits seit 2004 zusammen mit dem argentinischen Forschungszentrum »Centro Atómico Bariloche de la Argentina«, der Universität von Michigan, der Brown Universität und dem Marine-Forschungszentrum ein Projekt betreibt, sowie ein weiteres aus dem gleichen Jahr zusammen mit der Universität von San Pablo in Brasilien (ONRG, 2004b). Um aber eine sinnvolle Finanzierung zu bekommen, musste das US-Militär zuerst die Wissenschaftler identifizieren, die für seine Belange von Interesse sind. Aus diesem Grund organisierten die US-Marine und die Luftwaffe drei internationale Workshops zu einem der Hauptinteressensgebiete des US-Verteidigungsministeriums in Lateinamerika. Dieses Hauptinteressensgebiet sind multifunktionale Werkstoffe (NMAB, 2003), also Materialien, die strukturelle Eigenschaften wie Festigkeit, Langlebigkeit und Robustheit besitzen und darüber hinaus über elektrische, magnetische, optische, thermische und biologische Eigenschaften verfügen. Basis dieser neuartigen Materialien sind die Mikro- und Nanotechnologie, eines der Hauptforschungsgebiete in Wissenschaft und Technik Lateinamerikas sowie der US-amerikanischen Marine und Luftwaffe (AFOSR, 2005).

Die Workshops wurden durch Lateinamerikaner, die an US-amerikanischen Universitäten arbeiten, sowie durch US-Amerikaner organisiert, um so die Kontaktherstellung zu lateinamerikanischen Wissenschaftlern zu vereinfachen. Auch wenn es sich bei der Mehrzahl der Wissenschaftler um US-Amerikaner handelte, so wuchs die Zahl lateinamerikanischer Wissenschaftler mit dem Verlauf der Workshops von einem Viertel auf ein Drittel der Teilnehmer.

Die Präsenz des US-Militärs in lateinamerikanischer Forschungsarbeit zur Nanotechnologie reduziert sich also nicht nur auf militärische Forschungsanstalten. Sogar auf Regierungsebene wird nach Möglichkeiten zur zukünftigen Zusammenarbeit gesucht, so wie im Fall der mexikanischen Regierung, die 2005 zusammen mit Kanada und den USA den Vertrag »Security and Prosperity Partnership of North America« (SPPNA) schloss. Dieser Vertrag beinhaltet die wissenschaftliche Zusammenarbeit bei Forschung und Entwicklung von Bio- und Nanotechnologien, unter direkter Beeinflussung des US-Militärsektors (SPPNA, 2005). Die Zusammenarbeit beschränkt sich allerdings nicht auf den zivilen und militärischen Sektor der USA, auch das lateinamerikanische Militär selbst ist am Forschungsfortschritt interessiert. Das wurde im Juni 2006 in Buenos Aires offensichtlich, als Militärexperten aus Argentinien, Bolivien, Brasilien, Kanada, Chile, Kolumbien, Ecuador, El Salvador, Mexiko, Guatemala, Nicaragua, Paraguay, Peru, Uruguay, der Dominikanischen Republik und Venezuela an einer Konferenz mit dem Thema »The Contribution of Science and Technology to support Peace Keeping Operations and Disaster Relief Operation in Catastrophes« teilnahmen.

Die Zielsetzungen gingen dabei weit über das hinaus, was der Titel der Konferenz glauben machen wollte, wie man an den Themen der zukünftig abzuhaltenden Konferenzen ablesen kann. Dabei wird es um folgende Sachverhalte gehen: Anwendung von nicht-letalen Technologien zur Kontrolle von Massenveranstaltungen, Trinkwassergewinnung und -verteilung, Erzeugung von Elektrizität und Haltbarmachung von Lebensmitteln (USARSO, 2006).

Nicht alle sind einverstanden

In Argentinien entwickelte sich eine polemische Debatte über die Einbeziehung des US-Militärs in die Nanotechnologieforschung in Lateinamerika und darüber, welche Konsequenzen sich aus den neuen Technologien innerhalb Lateinamerikas ergeben.

Im Oktober 2004 kündigte das argentinische Wirtschaftsministerium einen Regierungsplan an, um die Nanotechnologieforschung im Land zu intensivieren. Es kündigte in diesem Zusammenhang eine verstärkte Zusammenarbeit mit der amerikanischen Firma Lucent Bell Technologies an. Diese Zusammenarbeit sieht unter anderem vor, dass argentinische Wissenschaftler die Laboratorien der Firma in New Jersey nutzen können (Sametband, 2005). Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Die Zeitung Página 12 veröffentlichte mehrere Artikel, die besagten, dass ein Großteil argentinischer Forschung vom US-Verteidigungsministerium finanziert wurde (Ferrari, 2005a, 2005b, 2005c). Daraufhin veröffentlichte der nationale argentinische Ausschuss für Ethik in Wissenschaft und Technik ein Kommuniqué, in dem es zu einer Regulierung ausländischer Forschungsunterstützung aufrief und forderte, Finanzierung durch ausländische Streitkräfte stark zu begrenzen (Ferrari, 2005b). Zur gleichen Zeit forderte der Ausschuss für Wissenschaft und Technik im argentinischen Abgeordnetenhaus einen offiziellen Bericht darüber an, welche Art von argentinischen Forschungsaktivitäten durch das US-Verteidigungsministerium unterstützt werden (Puig de Stubrin et al, 2005).

In diese Debatte fiel 2005 die Planung für das Seminar über multifunktionale Werkstoffe, das im März 2006, finanziert durch Marine und Luftwaffe der Vereinigten Staaten, abgehalten werden sollte. Die argentinische Presse schaltete sich sofort ein (Ferrari, 2006a, 2006b). Der verantwortliche Leiter des Forschungszentrums »Centro Atómico Bariloche«,der mitverantwortlich für die Organisation des Seminars war, hinterfragte öffentlich die Legitimität des Seminars (Ferrari, 2006b).3 Die Arbeitergewerkschaft des betreffenden argentinischen Bundesstaates veröffentlichte ebenfalls ein kritisches Kommuniquée (ATE, 2006). Schließlich verlangte der argentinische Kongress 2006 einen offiziellen Bericht zum Thema (CNDA, 2006). Die Unstimmigkeiten vertieften sich, und schließlich trat der Leiter des Forschungszentrums »Centro Atómico Bariloche» zurück (Rio Negro, 2006a, 2006b).

Schlussfolgerungen

Technischer Fortschritt gilt gemeinhin als vorteilhaft für die menschliche Zivilisation. Auch wenn dies nicht immer zutrifft, da von technologischen Neuerungen stets einige mehr profitieren als andere, so hat sich doch die Auffassung durchgesetzt, dass langfristig gesehen alle innerhalb der Gesellschaft am Fortschritt partizipieren. Diese Illusion von zukünftigen Vorteilen wurde schon durch die Umweltbewegungen kritisiert, die anhand der Industrialisierung aufzeigten, dass kurzfristig erreichte Vorteile sich langfristig gesehen in Nachteile verwandeln können.

Wir befinden uns augenblicklich erneut vor einer technologischen Revolution; nach einigen Analysen geht sie weitreichender und schneller vonstatten als jemals zuvor. Dies ist die Nanotechnologierevolution. Auch wenn es zu früh erscheint, jetzt schon den potenziellen Nutzen der Nanotechnologierevolution zu bewerten, so ergeben sich bereits einige bemerkenswerte Unterschiede, wenn man diese aktuelle Revolution mit den vorherigen vergleicht. Die Agrarrevolution revolutionierte die Produktivität bezüglich der Produktion von Lebensmitteln; die industrielle Revolution garantierte essenzielle Fortschritte in der Bekleidungsindustrie und praktisch bei allen Produkten des täglichen Gebrauchs. Die Revolution im Transportwesen gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte klare Produktivitätssprünge beim Warenaustausch zur Folge. Die Besonderheit bei der Nanotechnologie ist ihre enge Verbindung zum militärischen Sektor. Die von den USA anlässlich ihrer National Nanotechnology Iniative zur Verfügung gestellten Mittel fließen zu einem Drittel direkt in die militärische Forschung. Dies könnte zur Folge haben, dass andere Staaten mit ihrer Mittelaufteilung ebenso verfahren und dadurch zwar erfolgversprechende Hochtechnologie entwickelt, diese aber in großem Stil nur im Militärsektor angewendet wird.

Die Entwicklung der Militärtechnik ist das Resultat des Kampfes um wirtschaftliche und politische Hegemonie mit den Mitteln der direkten Konfrontation. Dies ist kein technologiespezifisches Problem, sondern hat mit dem imperialistischen Charakter zu tun, der der Forschung in Wissenschaft und Technik aufgezwungen wird. Die Wissenschaftler bewegen sich innerhalb einer großen Unsicherheit, oft nicht wissend, welche ihrer Forschungsprojekte direkt oder indirekt durch das Militär finanziert werden.

Es ist außerordentlich wichtig, dass sich in der Welt und in Lateinamerika eine Debatte über die zukünftige Richtung von Wissenschaft und Technik entfaltet. Es müssen Ethikkommissionen geschaffen werden, die sich mit Technologieprojekten und ihrer Finanzierung kritisch auseinandersetzen, so wie es beispielhaft schon in de Biotechnologie der Fall ist. Angesichts der Tatsache, dass die Mehrheit der Forschungsprojekte innerhalb Lateinamerikas staatlich finanziert werden, ist es unabdingbar, dass die Forschungsergebnisse der Mehrheit der Bevölkerung zu Gute kommen und nicht partikulären Militärinteressen.

Literatur

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Anmerkungen

1) C4ISR steht für Kommando, Kontrolle, Kommunikation, Computer, Nachrichten, Überwachung und Aufklärung

2) Ein argentinischer Wissenschaftler, der Gelder vom Office of Naval Research der USA erhält, antwortete einem Journalisten mit den folgenden Worten: „Ich möchte an keiner Forschung teilhaben, die eine potenzielle militärische Anwendung vorsieht“ (zitiert nach Ferrari, 2006a).

3) Die Leitung des Forschungszentrums betrachtete die Einbeziehung des US-Militärs in die Finanzierung des Seminars äußerst kritisch. Sie verwies vor allem darauf, dass es hauptsächliche Zielsetzung des Sponsors sein würde, eine verbesserte Anwendbarkeit seiner Waffentechnologie zu erreichen, auch im Hinblick auf das bestehende Nukleararsenal. Erklärung der Leitung des CAB, José Granada, in einer veröffentlichten Mail. Entnommen aus Gorosito, (Gorosito, 2006).

Guillermo Foladori ist Professor im Fachbereich Development Studies der Universität von Zacatecas, Mexiko. fola@estudiosdeldesarrollo.net. Der Autor dankt Christopher Coenen und Jürgen Altmann für ihre Kommentare und ihre Unterstützung bei der Übersetzung.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2007/2 Menschenrechte kontra Völkerrecht?, Seite