W&F 2010/2

Der Endzeitwahn Ahmadinedschads

Der iranische Präsident, die A-Bombe und die Apokalypse

von Victor und Victoria Trimondi

Seit seiner ersten Wahl im Sommer 2005 provoziert und erschreckt der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinedschad die Weltöffentlichkeit mit seiner apokalyptisch-messianischen Rhetorik. Ihm war es innerhalb kürzester Zeit gelungen, Osama bin Laden den ersten Platz auf der Bühne möglicher Bedrohungsszenarien streitig zu machen. Ahmadinedschad leugnet den Holocaust, ruft zur totalen Vernichtung Israels auf, stachelte den Libanon-Krieg an, sperrt Oppositionelle ins Gefängnis, lässt sich nicht in sein Nuklearprogramm schauen, fordert eine islamische Weltrevolution und beschwört das Erscheinen eines militanten Messias. Es besteht die begründete Vermutung, dass er ein Programm zur Konstruktion einer iranischen Atombombe durchsetzen will.

Mahmoud Ahmadinedschad hatte sich schon bald nach der Machtübernahme als ein weltweit gefürchteter, politischer Apokalyptiker geoutet. Seither wird in der westlichen Presse über die endzeitlichen Inhalte des von ihm vertretenen Schia-Glaubens diskutiert. Die Schiiten glauben, dass Abul-Qassam Mohammed, der 12. Imam, in direkter Blutslinie von dem Propheten Mohammed abstammt. Im Jahre 941 n. Chr. ging diese mystische Gestalt in die »Große Verborgenheit«. Unsterblich, nahm und nimmt er aus der Verdeckung heraus Einfluss auf die Geschicke der Welt. Er ist der »Rechtgeleitete«, andere Beinamen sind »Fürst der Zeit« oder »Der Aufständische«. Eines Tages, so berichten es die Prophezeiungen, wird er zurückkehren, wie die Sonne, die sich hinter schwarzen Wolken verbirgt. Nach einer Periode gesellschaftlicher Dekadenz und schrecklicher Kriege erscheint er dann als der Erlöser von Ungerechtigkeit, Not und Unterdrückung.

Sayyed Ruhollah Khomeini (1900-1989), der Gründer der islamischen Republik, hatte den schiitischen Erlösungsglauben mit der machtpolitischen Herrschaft der Ayatollahs verknüpft. Er überwand dadurch den vorher weit verbreiteten Quietismus vieler Schiiten, demzufolge das Erscheinen des Imam-Mahdi nicht durch Menschenwerk (d. h. durch die Politik) beschleunigt werden könne. „Die Behauptung, dass sich die Propheten und Imame nur mit moralischen und spirituellen Angelegenheiten beschäftigt hätten und dass die Regierungstätigkeit, die sich mit säkularen und temporären Fragen beschäftigt, von ihnen zurückgewiesen worden seien, ist ein verhängnisvoller Irrtum“ – mahnte der Gründer des theokratischen Irans noch in seinem Testament.1 Aus einem Hadith Mohammeds ergab sich zudem, dass der 12. Imam nicht mit einem Olivenzweig sondern mit dem Schwert in der Hand erscheint: „Ich bin der Prophet, und Ali ist mein Erbe, und von uns wird abstammen der Mahdi, das Siegel (das heißt der letzte) der Imame, und er wird alle Religionen erobern und Rache nehmen an den Übeltätern. Er wird die Festungen einnehmen und sie zerstören, alle Stämme der Götzendiener vernichten, und er wird Vergeltung üben für den Tod jedes Märtyrer Gottes.“ 2 Immer wieder betonte der Ayatollah die Pflicht zum aktiven politischen Handeln: „Brüder, sitzt nicht zuhause herum, so dass der Feind angreifen kann. Geht zur Offensive über, und seid gewiss, dass der Feind sich zurückziehen wird. […] Gebt euch nicht zufrieden damit, das Volk die Regeln des Gebets und des Fastens zu lehren. […] Warum zitiert ihr nicht die Sure über den Qital [bewaffneten Kampf]? Warum tragt ihr immer nur die Suren über die Barmherzigkeit vor? Vergesst nicht, dass Töten auch eine Form der Gnade ist.“ 3 Sogar nach dem Erscheinen des erwarteten Erlösers, gehe der Kampf weiter, versicherte Khomeini: „Und wenn der Große Erneuerer [der Imam-Mahdi] erscheint, glaubt nicht daran, dass ein Wunder geschieht und dass die ganze Welt in einem einzigen Tag in Ordnung gebracht wird. Nein, es erfordert [auch dann] harte Arbeit und Opfer, bevor die Unterdrücker verjagt sind.“ 4 Seither ist der militante Messianismus im Iran ein Politikum.

Der Glaube an den 12. Imam ist Teil der iranischen Verfassung

Selbst in der theokratischen Verfassung des Landes wird die Rückkehr des Imam-Mahdis erwähnt. Artikel 2 Abs. 5 fordert: „Das ununterbrochene Imamat, seine Führerschaft und seine fundamentale Rolle in der islamischen Revolution.“ Aus Artikel 5 lässt sich entnehmen, dass die Herrschaft des Klerus nur bis zur Ankunft des Imam-Mahdis andauert und dann außer Kraft gesetzt wird.5 Der Wächterrat von 12 Mitgliedern, das höchste politische Gremium des Landes, der Oberste Religiöse Führer und der Präsident handeln deswegen nicht nur »in spirito«, sondern auch »de jure« im Auftrag des Verborgenen Imam. Das gilt als herrschende Meinung des Klerus: „Aber es war nach über einem Jahrtausend Verborgenheit Imam Khomeini, der 1979 erstmalig einen Staat gründete, welcher besagten 12. Imam zum verfassungsmäßigen Staatsoberhaupt hat. Imam Khomeini selbst war ‚nur’ dessen Stellvertreter“ – schreibt Yavuz Özoguz, Vorsitzender der Organisation »Islamischer Weg« und Wortführer des Khomeinismus in Deutschland am 18. Juni 2009 im »Muslim-Forum für deutschsprachige Gottesfürchtige«.6

In der Präambel der Verfassung ist zudem die Idee einer islamischen Weltrevolution angedeutet, mit dem Ziel „eine einzige Welt-Ordnung (Ommat)“ zu schaffen und einen „andauernden Kampf“ zu führen, „um die entrechteten und die unterdrückten Nationen der Welt zu befreien.“ Die Vision von einer Welteroberung durch den »Heiligen Krieg« war ein alter Traum Khomeinis, den dieser schon 1942 aufs Papier brachte: „Diejenigen, die den Djihad studieren, werden verstehen, weshalb der Islam die gesamte Welt erobern will. Alle durch den Islam eroberten Länder oder Länder, die von ihm in Zukunft erobert werden, werden das Zeichen immerwährender Rettung tragen.“ schrieb er damals.7 Seine Vision von einem islamischen »Imperium Mundi« hat er nie aufgekündet.

Erfüllungsgehilfe des 12. Imam

Auch Mahmoud Ahmadinedschad sieht sich wie Khomeini als der Erfüllungsgehilfe des 12. Imams, obgleich er keinen klerikalen Status hat. Bei seinen öffentlichen Reden erwähnt er ständig Sätze, wie den folgenden: „Die Hauptmission unserer Revolution besteht darin, den Weg für das Erscheinen des 12. Imams, des Mahdi, zu pflastern. Wir sollten unsere Wirtschaft, unsere Kultur und unsere Politik nach der Politik von der Rückkehr des Imam Mahdi ausrichten.“ 8 Als er noch Bürgermeister von Teheran war, ließ er einen Boulevard renovieren, weil der Imam-Mahdi dereinst darüber in die Hauptstadt einmarschieren werde. Mit der fortschreitenden »Profanisierung« des Politischen in der Ära Rafsanjani und Khatami hat Ahmadinedschad Schluss gemacht. Er revitalisierte das messianisch-apokalyptische Weltbild Khomeinis. Das machte er der ganzen Welt klar, als er am 17. September 2005 eine Rede vor dem Plenum der Vereinten Nationen in New York hielt. Religionspolitisch war diese »Predigt« eine Sensation, denn der iranische Präsident proklamierte schlichtweg das Ende des agnostischen, säkularen Zeitalters und stellte das Primat der Aufklärung in Frage. Heute kultiviere die gesamte Menschheit wieder den Glauben an einen einzigen Schöpfergott, sagte er. Der Monotheismus sei das Band, das alle Völker zusammenschließe.

Den eigentlichen Höhepunkt der Rede bildeten die Schlusssätze, in denen Ahmadinedschad die Epiphanie des muslimischen Welterlösers beschwört: „Wenn dieser Tag [des Friedens] kommt, wird das letzte Versprechen aller Religionen erfüllt werden durch die Erscheinung eines perfekten menschlichen Wesens, das der Erbe aller Propheten und frommen Männer ist.“ 9 Von New York in den Iran zurückgekehrt erklärte er, während seiner Ansprache habe sich ein heiliges Licht auf ihn hinabgesenkt.10 2009 erhielt der Präsident erneut die Möglichkeit vor der UNO-Vollversammlung zu sprechen und auch dieses Mal kulminierte die Ansprache am Ende in einer pathetischen Anrufung des 12. Imam: „Dies alles [die Utopie des Friedens] wird dank der Herrschaft des vollkommenen Menschen Wahrheit werden: der Herrschaft dessen, den Gott als letztes in der Reserve hält: einem Nachkommen aus der Generation des ehrwürdigen Propheten des Islam, nämlich Hazrate Mahdi, gegrüßt sei er. Er wird kommen! Und der geehrte Jesus, Sohn der Maria, und andere rechtschaffene Menschen werden bei dieser großen internationalen Mission an seiner Seite stehen.“ 11 Was er jedoch in New York nicht erwähnte, ist die schiitische Doktrin, dass sich die von ihm prognostizierte Utopie nur dann verwirklichen lasse, nachdem die gesamte Menschheit (freiwillig oder durch Gewalt) zum Islam konvertiert ist: „Zweifelt nicht daran, alle Menschen sehnen sich nach einem islamischen Weltstaat, und dieser Staat wird bald kommen.“ 12

Typisch für das apokalyptisch-messianisches Denken ist, dass in Perioden gesellschaftlichen Pragmatismus das Interesse am Pleroma des Endzeitwahns sinkt. Das war auch im Iran der letzten drei Jahre feststellbar, nachdem sich die aufregenden Zeiten normalisiert hatten, die dem Irak-Krieg gefolgt waren. Aber die inneren Konflikte seit den turbulenten Wahlen 2009 haben das apokalyptische Phantasma des Präsidenten wieder neu entfacht. Seinen angezweifelten Wahlsieg erklärte er zum Geschenk des schiitischen Messias: „Wir sehen deutlich den Segen Gottes, die Unterstützung vom 12. Imam Mahdi, und die Wachsamkeit der großen iranischen Nation.“ 13 Auch wurde die Zeremonie zu seiner Amtseinführung auf den Geburtstag des 12. Imam verlegt. Ayatollah Khamenei sprach seine Gratulation aus: „An der Schwelle zu dem gesegneten Jahrestag der Geburt des Retters der Menschheit, des großartigen Gottesfreundes und des Imams der Rechtschaffenen, Hasrate Hodschat-ul Ibn-ul Hassan – mein Leben sei ihm geopfert und Gott möge ihn schneller erscheinen lassen – möchte ich dieses große Fest würdigen und Herrn Dr. Mahmoud Ahmadinedschad zu seiner Wahl bei den 10. Präsidentschaftswahlen gratulieren.“ 14 Zunehmend wird in den innenpolitischen Wirren der apokalyptische Wahn wieder mit realpolitischen Szenarien verknüpft, und das ist nicht ungefährlich. So sagte Ahmadinedschad am 4. Dezember 2009 in Isfahan: „Wir verfügen über Dokumente, die belegen, dass Amerika die Rückkehr des zwölften Imam verhindern will.“ 15

Ausgehend von der Prämisse, dass der Präsident der Erfüllungsgehilfe des 12. Imams ist, müssen seine Opponenten als Rebellen und Häretiker gegen den göttlichen Willen des schiitischen Messias gebrandmarkt werden. So glaubt Yavuz Özoguz von Oppositionsführer Mohammad Mousawi, dieser unterminiere die aus der Verborgenheit betriebene Politik des 12. Imam: „Ein Mensch, der von seiner Entwicklung und seinen Anlagen das Zeug dazu hätte, die höchsten Stufen islamischer Erkenntnis zu erlangen, stürzt unfreiwillig in die Jauche westlicher Dienerschaft, weil er seine eigene Einschätzung der Lage für höher einstuft als diejenige des Vertreters des 12. Imams.“ 16

Ayatollah Mesbahe-Yazdi – Die graue Eminenz

Der spirituelle Meister Ahmandinedschads ist Ayatollah Mesbahe -Yazdi (Jahrgang 1934) aus der Stadt Yazd. Er ist der Gründer der ultra-islamischen Haghani-Schule und firmiert immer noch als der (verborgene) Chefideologe der Islamischen Republik. In der »heiligen Stadt« Ghom leitet er das »Imam-Khomeini-Institut für Lehre und Forschung«. Der Ayatollah ist Befürworter eines rein muslimischen Gottesstaates, ein Verfechter selbstmörderischer Märtyreroperationen und ein fanatischer Gegner des Westens. Eine seiner vordringlichen Aufgaben sieht er darin, die islamische Republik von allen Reformströmungen zu reinigen und wieder in ein apokalyptisch-messianisches Fahrwasser zu treiben, aus dem sie einmal entstanden ist. Mesbahe-Yazdi gilt als der große Hintergrundspieler der aktuellen iranischen Politik. Er war der erste religiöse Führer, den Ahmadinedschad nach seiner ersten Wahl (in Ghom) aufsuchte und von dem er sich absegnen ließ. Selbstbewusst präsentierte sich Mesbahe als Königsmacher und ebenfalls als ein Erfüllungsgehilfe des »Imam-Mahdi«: „Wir haben für unseren Bruder [Ahmadinedschad] gebetet, und der verborgene Imam hat unsere Gebete erhört und ihm zum Sieg verholfen.“ sagte er nach dem Sieg seines Schützlings.17

Der radikale Ayatollah aber steht mit seinen Ideen keineswegs isoliert da. In der Regierungszeit Ahmadinedschads ist bei einem beachtlichen Teil der klerikalen Intelligenzija des Landes die Beschäftigung mit dem »Madaviyat« („der Glaube an den Mahdi und die Anstrengung, sich auf sein Erscheinen vorzubereiten“) en vogue gekommen. Die »Reformer«, die unter Khatami für einen »Dialog der Kulturen« eingetreten waren, galten von nun an als out, und die so genannten »Prinzipientreuen«, die Khomeinis Vision einer islamischen Weltrevolution folgten, waren in. So erklärte Hassan Abbasi, einer der prominenten Theoretiker des Landes, dass die Idee von einer »messianischen Gesellschaft« seit dem Beginn der iranischen Revolution noch nie so aktuell und attraktiv gewesen sei wie heute.18 Ayatollah Nouri Hamedani sieht insbesondere durch die politischen Turbulenzen der Gegenwart bestätigt, dass die Endzeit angebrochen sei. Einer seiner Sprüche lautete: „Bekämpft die Juden, um das Kommen des Verborgenen Imam zu beschleunigen.“ 19 Selbst der höchste spirituelle Führer des Landes, Ali Khamenei, beschwor 2005 in einer Rede vor Hadsch-Pilgern: „Heute ist die Zeit gekommen, die günstigen Bedingungen für eine Regierung des Imam-Mahdis zu schaffen, möge Allah bald sein nobles Erscheinen bewirken.“ 20

Der 12. Imam in Deutschland

Auch in der Diaspora sind die Propagandisten des 12. Imam rührig, zum Beispiel in Deutschland. Wir haben schon den vom Verfassungsschutz beobachteten Vorsitzenden der Organisation »Islamischer Weg«, Yavuz Özoguz, erwähnt. Von der deutschen Website der staatlich iranischen Rundfunkgesellschaft I.R.I.B. mit einem Sitz im Bundespressehaus (http://www.germanradio.ir) lassen sich mehrere Reden des iranischen Präsidenten, in denen er den 12. Imam beschwört, herunterladen. Außerdem ist die Seite voll mit messianisch-apokalyptischen Spekulationen wie zum Beispiel über die profanisierende Rolle der Renaissance: „Der Glaube an die Endzeit und den Weltretter schrumpfte nach der Renaissance und der wachsenden materialistischen Lebenseinstellung. […] Deshalb haben die Menschen in Europa und den USA erneut begonnen, sich der Spiritualität zuzuwenden und auf einen Retter zu hoffen.“ 21

Auf einem Kongress des so genannten »Bright Future Instituts«, einer Art ständiger Konferenz zur Verbreitung des Mahdismus mit Sitz in Teheran, wurde auch ein deutsches Referat mit dem Titel »Der Imam Mahdi, der der Welt Gerechtigkeit bringen wird« von Doris Tarabolsi gehalten und dann auf einer von und für Muslimas betriebenen, deutschen Website (»Meryems Welt«) publiziert. Die Autorin proklamiert das baldige Erscheinen des schiitischen Messias und stellt – angeblich aus traditionellen Quellen – einen ziemlich modern wirkenden Katalog von »Zeichen« zusammen, die dem Arrival des »Imam Mahdi« vorausgehen sollen:

Ausbreitung der Unterdrückung und Tyrannei;

Korrupte Dominanz. Erscheinen der korrupten Überzeugungen, moralischer Verfall der Zivilisationen;

Großer wissenschaftlicher Fortschritt;

Vernichtende Uneinigkeit und Kriege. Schwinden der Sicherheit und des Friedens;

Das Erscheinen von Lügnern und Schwindlern, die behaupten, Reformatoren zu sein;

Preissteigerungen und ökonomischer Verfall;

Reformatorische Bewegungen und Führerschaften werden sich den Weg zu al-Mahdi bahnen. Menschen werden nach Hilfe rufen, um sich von Staaten der Unkenntnis zu befreien, die von Mächten des Materialismus und der Aggressionen unterstützt werden.22

Anschließend beschreibt Tarabosi kurz das kommende Paradiesreich des 12. Imam, erwähnt aber, dass „die unterdrückerischen Systeme, wo sie auch überall auf der Welt regieren, nicht kampflos aufgeben werden.“ Darauf gelte es sich vorzubereiten. In der sich schon anbahnenden Sammlung aller gerechten Menschen und Völker stehe der iranische Staat an der Spitze: „Es gibt ein Volk auf der Welt, das erkannt hat, dass es schon jetzt möglich ist, nach den Prinzipien des Imam Mahdi, […] zu leben, und das sich eine entsprechende Verfassung gegeben hat, das ist die Islamische Republik Iran. Dort ist festgelegt, dass das Staatsoberhaupt Statthalter des verborgenen Imams, […] ist und in Verantwortung vor Allah und diesem regiert.“ 23 Die Version ihres Referats, das sie vor dem »Bright Future Institut« gehalten hat, ist etwas schärfer formuliert als die Fassung auf der Muslima-Website. Dort kommt sie direkt auf die Apokalypse und einen Endzeitkrieg zu sprechen: „Es ist meiner Meinung nach ein Teil der Wahrheit, dass die Erde und die Menschheit vor einer Apokalypse stehen, aber nur in einem Teil der Menschheit, die das Üble und Teuflische verkörpert. Der andere Teil, der das Gute und Göttliche verkörpert, wird sich in dem Maße verstärken, wie auch der üble Teil zunimmt. Im Ausmaße dessen, wie die Menschen an Wissen, Erkenntnis, Vervollkommnung wachsen, werden sie das Üble, Falsche, Schlechte wahrhaftig erkennen. Das Üble wird kämpfen, um den unvermeidlichen Niedergang seiner Macht auf Erden aufzuhalten, und das Gute wird sich erheben für die Gerechtigkeit und am Ende den Sieg davon tragen mit Gottes Hilfe.“ 24

Apokalypse und A-Bombe

Die endzeitlich-messianischen Polit-Visionen des iranischen Präsidenten dürfen nicht als ein Kuriosum abgetan werden. Sie sind Bestandteil des Khomeinismus und fest im Denken und Kulturbetrieb der iranischen Theokratie verankert. Ein Zusammenhang zwischen Apokalypse und A-Bombe besteht nicht nur deswegen, weil hier einem religiösen Fanatiker eine ultimative Waffe in die Hand gegeben würde, sondern weil Atombomben bei Fundamentalisten aller Glaubensrichtungen in ihren apokalyptischen Phantasien eine zentrale Rolle spielen. Seit den Mega-Explosionen von Los Alamos, Hiroshima und Nagasaki werden Zerstörungs-Passagen aus den traditionellen Endzeit-Texten der Religionen als Beschreibungen eines atomaren Holocausts gedeutet.

Wahied Wahdat-Hagh, Kolumnist in der Tageszeitung »Die Welt«, bringt das iranische Atomprogramm direkt mit dem Endzeitwahn des Präsidenten und mit dessen spirituellem Hintermann in Verbindung: „Die Urananreicherung und das Atomprogramm dienen nach dem Verständnis von Präsident Ahmadinedschad und seinem Mentor Ayatollah Mesbahe-Yazdi der Beschleunigung der Rückkehr des in der Mitte des 10. Jahrhunderts verschwundenen zwölften Imam der schiitischen Muslime. […] In der khomeinistischen Interpretation des Islam muss der Klerus solange herrschen, bis der Messias erschienen ist. Und in der Interpretation von Ayatollah Mesbahe-Yazdi, un-geistiger Mentor des Präsidenten Ahmadinedschad, kann dieser Prozess beschleunigt werden. In einer Schlacht gegen die ungläubige Welt soll dann die Islamisierung der Welt erfolgen. […] Ayatollah Mesbahe-Yazdi und Präsident Ahmadinedschad gehen vom festen Glauben aus, dass die Welt sich in dieser messianischen Phase befindet. Dies ist die schiitische Variante eines apokalyptischen Denkens, das die paramilitärischen Unterdrückungsorgane der Bassiji und der Revolutionsgardisten nicht als Instrumente einer totalitären Herrschaft, sondern als ‚heilige Institutionen’ versteht. Daher ist die ‚mahdistische Gesellschaft’, von der Präsident Ahmadinejad spricht, die totalitäre ‚Utopie’ aller schiitischen Islamisten.“ 25

Der Märtyrerwahn

Was könnte geschehen, wenn die USA einen kurzfristigen Militärschlag gegen das Land durchführen? Die Antwort regimetreuer Iraner lautet: eine weltweite Entfesselung schiitischer Selbstmordattentate. Schon 2005 hatte Mohammadresa Jafari, Chef einer Militäreinheit mit dem Namen »Kommando der freiwilligen Märtyrer«, gedroht, 50.000 Kämpfer stünden bereit, um sich nicht nur im Nahen und Mittleren Osten, sondern auch in den USA und anderen NATO-Staaten in die Luft zu sprengen und die Welt mit Terror zu überziehen. „Der Feind hat Angst, dass die Kultur des Martyriums zu einer Weltkultur aller Freiheitsliebenden wird“, erklärt Jafari und fährt fort: „Märtyreraktionen stellen den Gipfel in der Größe eines Volkes dar und sind die höchsten Form seines Kampfes.“ 26 Diese Drohung ist mittlerweile mehrmals von Sprechern des iranischen Mullah-Regimes wiederholt worden.

Wie ernst ist ein solches Szenario zu nehmen? Die Zahlen mögen übertrieben sein, dass aber der Märtyrer-Kult ein zentrales Ereignis in der schiitischen Kultur darstellt, darüber besteht kein Zweifel. Das Martyrium (»Shahadat«) wird hier keineswegs nur als Waffe angesehen, um dem Gegner Schaden zuzufügen, sondern es wird mystisch verklärt und erhält einen theologischen Eigenwert. Weit verbreitet ist der Glaube, das vergossene Blut der Märtyrer selber, unabhängig von jeglichem militärischen Effekt, bringe die islamische Weltrevolution voran und beschleunige das Erscheinen des schiitischen Erlösers, des Imam-Mahdi. „Gibt es eine Kunst, die schöner, göttlicher und andauernder ist als die Kunst des Martyriums? Eine Nation, die das Martyrium pflegt, kennt keine Versklavung. Diejenigen, die dieses Prinzip aushöhlen wollen, höhlen die Grundlagen unserer Unabhängigkeit und unserer nationalen Sicherheit aus. Sie unterminieren die Grundlage unserer Ewigkeit…“ schwärmt Mahmoud Ahmadinedschad.27

Kommt es zu Märtyreraktionen, dann muss auch mit dem massiven Einsatz von Kinder-Märtyrern gerechnet werden. Während des Irak-Iran Krieges wurden diese, selbst gegen den Willen ihrer Eltern, an die Front geschickt. Man benutzte die Jugendlichen im Alter von 10 bis 17 Jahren als Kanonenfutter. Unter anderem hatten sie die Minenfelder freizumachen, damit die regulären Truppen nachsetzen konnten. Dabei sollen Zehntausende getötet worden sein. „Der Baum des Islam kann nur wachsen, wenn er ständig mit dem Blut der Märtyrer getränkt wird“ hatte Ayatollah Khomeini während des Krieges verkündet.28

Was also ist zu tun, wenn ein Krieg gegen den Iran die Situation noch verschärfen würde? Der Westen muss alles Mögliche daran setzen, die derzeitige Opposition zu unterstützen und die Sanktionen gegen das Regime zu verschärfen. Die oppositionelle Bewegung ist seit den letzten Wahlen stark, selbstbewusst und zeigt Durchhaltekraft. Sie hat eine Verankerung nicht nur in der Bevölkerung oder bei den Intellektuellen, sondern ebenfalls im Klerus. Auch unter den Ayatollahs ist der von Ahmadinedschad kultivierte Endzeitwahn nicht unwidersprochen. Der kürzlich verstorbene Groß-Geistliche Hossein Ali Montazari zum Beispiel kritisierte die Regierung, sie missbrauche den Mahdi Kult für ihre politischen Interessen.

Anmerkungen

1) Ruhullah al-Musavi al-Khomeini: »In the Name of God the Compassionate, the Merciful« URL: www.wandea.org.pl/khomeini-pdf/ruhullah-musavi-khomeini.pdf

2) Thomas Patrick Hughes (1995): Lexikon des Islam. Wiesbaden, S.455, 456.

3) Bruno Schirra (2006): Iran – Sprengstoff für Europa. Berlin, S.146.

4) Ruhullah al-Musavi al-Khomeini: »In the Name of God the Compassionate, the Merciful«. URL: www.wandea.org.pl/khomeini-pdf/ruhullah-musavi-khomeini.pdf

5) Verfassung des Iran. URL: www.iranonline.com/iran/iran-info/Government/constitution-1.html.

6) Yavuz Özoguz: »Die Islamische Revolution beginnt in der Selbsterziehung«. URL: www.muslim-markt.de/forum/messages/795.htm.

7) Ayatollah Ruhollah Khomeini (1924): »Islam is not a Religion of Pacifists«. URL: www.scepticism.info/quotes/archives/islamic_extremism_index.shtml

8) Patrick Poole: »Ahmadinejad’s Apocalyptic Faith«. URL: www.frontpage.com/Articles/Printable.asp?ID=23916.

9) Text der Rede Ahmadinedschads vor der UN-Generalversammlung. URL: www.globalsecurity.org/wmd/library/news/iran/2005/iran-050918-irna02.htm.

10) »Ahmadinedschad – Der Hetzer aus Teheran«. URL: www.focus.de/politik/ausland/ahmadinedschad_nid_25028.html.

11) I.R.B.I – Rede des iranischen Staatspräsidenten vor der 64. UNO-Vollversammlung in New York am 23.9.2009. URL: http://german.irib.ir/index.php?option=com_contentview=articleid=27694:die-ansprache-des-iranischen-staatspraesidenten

12) Iran-Report der Heinrich Boell-Stiftung. URL: www.boell.de/downloads/presse2005/iran-report0705.pdf.

13) »Die glorreiche Präsenz der Iraner an den Wahlen«. URL: http://pressemitteilung.ws/node/159927.

14) International Quran News Agency: »Der republikanische und der islamische Charakter sind zwei untrennbare Momente«. URL: www.iqna.ir/de/news_detail.php?ProdID=443283.

15) Wahied Wahdat-Hagh: »Mahdismus und das iranische Atomprogramm«. URL: www.welt.de/debatte/kolumnen/Iran-aktuell/article6061745/Mahdismus-und-das-iranische-Atomprogramm.html.

16) Vgl. Fußnote 6.

17) Vgl. Fußnote 10.

18) »Eine zweite Stunde Null im Iran – Hoffen auf eine messianische Gesellschaft«. Interview mit Hassan Abbasi. URL: www.prayradio.fm/5045739662125e506/53882196c1105830d.php.

19) Memri (Middle East Media Research Institute): »Ayatollah Nouri-Hamedani: Fight the Jews and Vanquish Them so as to Hasten the Coming of the Hidden Imam«. URL: www.memri.org/report/en/0/0/0/0/0/0/1362.htm.

20) Jüngste Äußerungen Khameneis im iranischen Fernsehen. URL: www.timesonline.co.uk/article/0,,2092-2281184_1,00.html.

21) I.R.B.I: »Glaube an Retter im Okzident«. URL: http://german.irib.ir/index.php?option=com_contentview=articleid=26303:glaube-an-retter-im-okzidentcatid=95:beitraegeItemid=43

22) Meryems Welt: »Was sind die Zeichen der Wiederkehr Imam Mahdis, f.?«, Teil 2. URL: http://meryemdeutschemuslima.wordpress.com/2009/06/19/imam-mahdi-moge-er-bald-erscheinen-teil-2/

23) Meryems Welt: »Was sind die Zeichen der Wiederkehr Imam Mahdis, f.?«, Teil 3. URL: http://meryemdeutschemuslima.wordpress.com/2009/06/21/uber-imam-mahdif-teil-3-die-art-seines-aufstandes-und-aktueller-bezug/.

24) Bright Future Institute/Doris Tarabolsi: »Vortrag zum Imam Mahdi«. URL: www.mahdaviat-conference.com/vdcebv8eijh8f.k1j.html.

25) Vgl. Fußnote 15.

26) Bruno Schirra: »How Dangerous Is Iran?«. URL: http://regimechangeiran.blogspot.com/2005/11/how-dangerous-is-iran-full-text-of.html.

27) MEMRI (2005): Special Dispatch Series No. 945 (29.07.2005).

28) Kevin Toolis: »A million martyrs await the call«. URL: www.timesonline.co.uk/article/0,,1072-1878612,00.html.

Victor und Victoria Trimondi sind Publizisten, Kultur- und Religionsforscher. Sie arbeiten zu Themen wie Apokalyptik, Fundamentalismus, politische Theologie sowie zur Rolle der Geschlechter und des Eros in Religion, Mythos und Kunst (vgl. www.trimondi.de). Zuletzt erschien im Münchner Fink-Verlag der Band »Krieg der Religionen – Politik, Glaube und Terror im Zeichen der Apokalypse«.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2010/2 Frieden und Krieg im Islam, Seite 26–30