W&F 1995/2

Der »Franck Report«

Ein Bericht an den Kriegsminister, Juni 1945

von J. Franck • E. Rabinowitch • D. Hughes • G. Seaborg • L. Szilard • J.J. Nickson • J. Stearns

Nicht alle Wissenschaftler, die von der Bombe wußten oder daran arbeiteten, befürworteten ihren Einsatz. Eine Gruppe von damals sehr anerkannten Wissenschaftlern an der Universität Chicago unter der Leitung von James Franck und unter Mitarbeit von Leo Szilard, die sich große Sorgen bezüglich eines Atomkrieges machten, verfaßten im Juni 1945 einen Bericht, der an den Kriegsminister der USA gerichtet war. In Ihrem engagierten Bericht fordern Sie ein internationales Abkommen zur Verhütung von Atomkriegen, welches die internationale Kontrolle der Atomwaffen einschloß, u.a. um ein atomares Wettrüsten, welches Sie bereits damals voraussahen, zu verhindern. Sie rieten von einem Einsatz in Japan ab und schlugen als Alternative als Abschreckungsmaßnahme für alle Völker der Welt eine Demonstration irgendwo über unbewohntem Gebiet vor, dem Vertreter aller Staaten beiwohnen sollten. Der Bericht, der im folgenden abgedruckt wird, blieb wirkungslos.

I. Einleitung

Der einzige Grund, weshalb die Kernenergie anders zu behandeln ist als die übrigen Sachgebiete der Physik, liegt in der Möglichkeit, daß sie im Frieden politischem Druck und im Kriege plötzlicher Zerstörung dienen kann. Alle gegenwärtigen Pläne zur Organisation der Forschung, der wissenschaftlichen und industriellen Entwicklung und der Publizierung auf dem Gebiet der Kernphysik sind bedingt durch das politische und militärische Klima, in dem diese Pläne verwirklicht werden sollen. Wenn man also Vorschläge für die nach dem Kriege zu schaffende Organisation der Kernphysik macht, so läßt sich eine Diskussion der politischen Probleme nicht vermeiden. Die auf diese Organisation hinarbeitenden Wissenschaftler geben nicht vor, in der nationalen und internationalen Politik sachverständig zu sein. Wir, eine kleine Gruppe von Staatsbürgern, haben jedoch in den letzten fünf Jahren unter dem Zwang der Ereignisse eine ernste Gefahr für die Sicherheit unseres Landes und für die Zukunft aller anderen Nationen erkannt, eine Gefahr, von der die übrige Menschheit noch nichts ahnt. Wir halten es daher für unsere Pflicht, darauf zu drängen, daß die politischen Probleme, die sich aus der Beherrschung der Kernenergie ergeben, in all ihrer Schwere begriffen und daß geeignete Schritte zu ihrer Untersuchung und zur Vorbereitung der nötigen Entschlüsse unternommen werden. Wir hoffen, daß das durch den Kriegsminister gegründete Komitee, welches die verschiedenen, aus der Kernphysik erwachsenden Fragen zu behandeln hat, ein Beweis dafür ist, daß diese einschneidenden Folgen von der Regierung erkannt worden sind. Wir glauben, daß unser Vertrautsein mit den wissenschaftlichen Voraussetzungen dieser Situation, der stetigen Weiterentwicklung und den daraus entstehenden weltumspannenden politischen Verwicklungen uns die Pflicht auferlegt, diesem Komitee etliche Vorschläge zu einer eventuellen Lösung dieser schwerwiegenden Frage zu unterbreiten.

Wiederholt hat man den Wissenschaftlern den Vorwurf gemacht, die Nationen mit neuen Waffen zu ihrer wechselseitigen Vernichtung versorgt zu haben, anstatt zu ihrem Wohlergehen beizutragen. Es stimmt zweifellos, daß zum Beispiel die Erfindung des Fliegens der Menschheit mehr Unglück als Freude und Gewinn gebracht hat. In der Vergangenheit jedoch konnten die Wissenschaftler jede unmittelbare Verantwortung für den Gebrauch, den die Menschheit von ihren uneigennützigen Entdeckungen machte, ablehnen. Jetzt aber sind wir gezwungen, einen aktiven Standpunkt einzunehmen, weil die Erfolge, die wir auf dem Gebiet der Kernenergie errungen haben, mit unendlich viel größeren Gefahren verbunden sind als bei den Erfindungen der Vergangenheit. Wir alle, die wir den augenblicklichen Stand der Kernphysik kennen, leben ständig mit der Vision einer jähen Zerstörung vor Augen, einer Zerstörung unseres eigenen Landes, einer Pearl-Harbor-Katastrophe, die sich in tausendfacher Vergrößerung in jeder Großstadt unseres Landes wiederholen könnte.

Überdies vermochte die Wissenschaft in der Vergangenheit häufig neue Methoden zum Schutze gegen die neuen Angriffswaffen zu entwickeln – Waffen, deren Vorhandensein sie erst ermöglicht hatte; doch gegen die zerstörende Kraft der Kernenergie kann sie keinen wirksamen Schutz versprechen. Dieser Schutz wird ausschließlich von einer weltumfassenden politischen Organisation geboten werden können. Unter allen Argumenten, die für eine leistungsfähige internationale Friedensorganisation sprechen, ist die Existenz der Kernwaffen die zwingendste. Da es bisher keine internationale Behörde gibt, die bei internationalen Konflikten jede Anwendung von Gewaltmitteln unmöglich zu machen hätte, könnten die Nationen doch noch immer von einem Weg abgebracht werden, der lediglich in die restlose gegenseitige Vernichtung führt – vorausgesetzt, es würde ein besonderes internationales Abkommen getroffen, das ein Kernwaffen-Wettrüsten verhinderte.

II. Aussichten eines Kernwaffenwettrüstens

Man könnte folgenden Vorschlag unterbreiten: Die Gefahr einer Zerstörung durch Kernwaffen – wenigstens soweit sie unser Land betrifft – ließe sich dadurch vermeiden, daß wir entweder unsere Entdeckungen für immer geheimhalten oder unsere Kernwaffen-Aufrüstung so weit vorantreiben, daß keine andere Nation auch nur daran dächte, uns anzugreifen – aus Furcht vor einer katastrophalen Vergeltung.

Die Antwort auf diesen Vorschlag lautet: Wenn wir auch im Augenblick in dieser Beziehung der Welt sicherlich voraus sein dürften, so sind doch die Grundlagen der Kernenergie allgemein bekannt. Die britischen Forscher wissen ebenso viel wie wir über die grundlegenden, im Krieg gemachten Fortschritte in der Kernphysik – womöglich sind sie sogar über bestimmte Ergebnisse unterrichtet, die im Verlauf unserer technischen Fortschritte erzielt wurden; und die Rolle, die französische Kernphysiker während der Vorkriegsentwicklung auf diesem Gebiet gespielt haben – ganz abgesehen von ihrer teilweisen Kenntnis unserer Arbeiten – wird es ihnen erlauben, schnellstens aufzuholen, wenigstens soweit es die grundlegenden wissenschaftlichen Entdeckungen betrifft. Die deutschen Wissenschaftler, auf deren Forschungsergebnisse die ganze Entwicklung der Kernphysik zurückgeht, bauten sie offenbar während des Krieges nicht in demselben Maße aus, wie dies in Amerika der Fall war; aber wir lebten doch bis zum letzten Tage des europäischen Krieges in ständiger Furcht, den Deutschen könnte die Herstellung einer Kernwaffe gelungen sein. Die Gewißheit, daß die deutschen Forscher an dieser Waffe arbeiteten und daß ihre Regierung höchstwahrscheinlich keine Skrupel kennen würde, sie bei Vorhandensein auch anzuwenden, war der vornehmliche Grund zu der von den amerikanischen Wissenschaftlern ergriffenen Initiative, die Kernenergie weiterzuentwickeln und sie zu militärischen Zwecken großen Umfangs für unser Land auszuwerten. Auch in Rußland waren bereits 1940 die grundlegenden Fakten und die Bedeutung der Kernenergie durchaus bekannt, und die Erfahrung der russischen Wissenschaftler in der Kernforschung ist immerhin so groß, daß sie uns in wenigen Jahren einholen könnten, selbst wenn wir alle Anstrengungen machten, unsere Versuche geheimzuhalten. Denn selbst wenn wir die Führung innerhalb der Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Kernphysik für einige Zeit nicht aus der Hand gäben, indem wir alle erworbenen Erkenntnisse und die damit verbundenen Projekte geheimhielten, wäre es töricht, zu glauben, dadurch für mehr als ein paar Jahre geschützt zu sein.

Es wäre zu überlegen, ob wir nicht die Entwicklung einer in anderen Ländern vom Militär ausgenutzten Kernphysik durch ein Monopol auf den Rohstoff der Kernenergie verhüten könnten. Die Antwort heißt: Obwohl die größten bis jetzt bekannten Uranerzlager von Staaten kontrolliert werden, die zu den Westmächten gehören (Kanada, Belgien und Britisch Indien), liegen doch die alten Lager der Tschechoslowakei außerhalb dieses Einflußbereiches. Es ist bekannt, daß Rußland in seinem eigenen Land Uran schürft; und wenn wir auch nichts von dem Umfang der bis heute in der UdSSR entdeckten Lager wissen, so ist doch die Wahrscheinlichkeit gering, daß in einem Land, welches ein Fünftel der Erde einnimmt (und dessen Einflußsphäre sich auch noch über zusätzliche Gebiete erstreckt), keine großen Uranvorräte gefunden werden sollten; ein Sicherheitsfaktor jedenfalls darf dies nicht sein. So können wir nicht hoffen, ein Kernwaffen-Wettrüsten zu verhindern, indem wir entweder die grundlegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse auf dem Feld der Kernenergie vor den konkurrierenden Nationen geheimhalten oder die für ein derartiges Wettrüsten nötigen Rohstoffe aufkaufen.

Untersuchen wir nun den zweiten Vorschlag, der zu Beginn dieses Absatzes gemacht wurde, und fragen wir uns, ob wir uns bei einem Kernwaffen-Wettrüsten nicht sicher fühlen können, weil wir über ein größeres Industriepotential, einschließlich einer größeren Verbreitung von wissenschaftlichen und technischen Kenntnissen, über größere Aufgebote an Fachkräften und eine erfahrenere Betriebsführung verfügen – lauter Faktoren also, deren Bedeutung einleuchtend demonstriert wurde, als sich unser Land während des Krieges in ein Arsenal der Alliierten verwandelte. Die Antwort lautet: Alles, was uns diese Vorteile verschaffen können, ist die Ansammlung einer größeren Zahl von gewaltigeren und besseren Atombomben.

Solch ein quantitativer Vorsprung an gestapelten Zerstörungswaffen sichert uns jedoch nicht vor einem plötzlichen Angriff. Gerade weil ein möglicher Feind befürchten könnte, an Zahl und Waffen ausgestochen zu werden, dürfte die Versuchung, einen unerwarteten und keinesfalls herausgeforderten Angriff zu wagen, besonders groß sein – vor allem dann, wenn er uns verdächtigte, aggressive Pläne gegen seine Sicherheit oder seine Einflußsphäre zu hegen. Bei keiner anderen Art der Kriegführung liegt der Vorteil so eindeutig beim Angreifer. Er kann seine »Höllenmaschine« als erster auf alle unsere Großstädte einsetzen und sie gleichzeitig explodieren lassen, womit er die Schwerpunkte unserer Industrie und außerdem einen großen Teil unserer Bevölkerung vernichten würde, die in den dichtbesiedelten Gebieten unserer Städte zusammengedrängt lebt. Unsere Vergeltungsmöglichkeiten – Vergeltung als adäquater Ausgleich für den Verlust von Millionen Menschenleben und für die Zerstörung unserer größten Städte verstanden – wären sehr gering, weil wir vom Lufttransport der Bomben abhängig wären, und weil wir es überdies mit einem Feind zu tun haben könnten, dessen Industrie und Bevölkerung über große Territorien zerstreut sind.

Wenn man das Kernwaffen-Wettrüsten zuläßt, dann gibt es nur einen Weg, unser Land vor der Vernichtung durch einen plötzlichen Angriff zu retten: Wir müssen unsere Kriegsindustrie sowie die Bevölkerung unserer größten Städte über weite Gebiete verteilen. Solange Kernwaffen rar sind (das heißt, solange Uran der einzige Rohstoff zu ihrer Herstellung bleibt), solange wird eine erfolgreiche Zerstreuung unserer Industrie und der Bevölkerung unserer größten Städte die Versuchung, uns mit Kernwaffen anzugreifen, zumindest sehr herabsetzen.

Gegenwärtig kommt die Wirkung einer Atombombe der Detonation von zwanzigtausend Tonnen TNT gleich. Also könnte eine solche Bombe etwa drei Quadratmeilen einer Stadt zerstören. Man darf erwarten, daß bis in etwa zehn Jahren Atombomben zur Verfügung stehen, die eine wesentlich höhere Radioaktivität besitzen und doch immer noch leichter als eine Tonne sein werden und die somit über zehn Quadratmeilen einer Stadt zerstören könnten. Eine Nation also, die es sich leisten kann, zehn Tonnen Atomsprengstoff zu einem heimtückischen Angriff auf unser Land aufzubringen, darf mit der Möglichkeit rechnen, die ganze Industrie und den größten Teil der Bevölkerung in einem Gebiet von fünfhundert Ouadratmeilen und mehr zu vernichten. Wenn nun aber fünfhundert Quadratmeilen amerikanischen Bodens kein rechtes Angriffsziel böten, weil auf dieser Fläche weniger Industrie und nur verhältnismäßig wenig Menschen angesiedelt wären und daher kein vernichtender Schlag gegen das Kriegspotential und die nationale Verteidigungskraft geführt werden könnte, dann würde sich der Angriff kaum lohnen und vielleicht gar nicht unternommen werden. Augenblicklich jedoch könnte man in unserem Land mühelos hundert Gebiete von je fünf Quadratmeilen finden, deren gleichzeitige Vernichtung sich für unsere Nation niederschmetternd auswirken würde. Da aber die Vereinigten Staaten ein Gebiet von drei Millionen Quadratmeilen umfassen, sollte es möglich sein, ihre Industrie und ihre Bevölkerung so zu verteilen, daß keine fünfhundert Quadratmeilen übrigbleiben, die einem Angriff mit Kernwaffen ein lohnendes Ziel bieten könnten.

Wir sind uns durchaus bewußt, daß eine solch radikale soziale und wirtschaftliche Veränderung in der Struktur unserer Nation außerordentliche Schwierigkeiten mit sich brächte. Wir sind jedoch der Ansicht, daß auf dieses Dilemma hingewiesen werden muß, weil nur so klar wird, für welche Art des Selbstschutzes man sich zu entscheiden hat – wiederum vorausgesetzt, daß keine erfolgreiche internationale Verständigung zu erreichen ist. Es muß dabei hervorgehoben werden, daß wir gegenüber den anderen Nationen im Nachteil sind; denn die anderen Länder sind entweder dünner besiedelt und ihre Industrien mehr verstreut, oder ihre Regierungen verfügen über eine uneingeschränkte Macht, wodurch es ihnen möglich ist, die Bevölkerung über das ganze Land zu verteilen und den Aufbau von Industrien zu überwachen.

Sollte kein wirkungsvolles internationales Abkommen erzielt werden, so wird bereits am Morgen nach unserer ersten Demonstration, daß wir Kernwaffen besitzen, das allgemeine Wettrüsten losgehen. Die anderen Nationen werden dann vielleicht drei oder vier Jahre brauchen, um uns einzuholen, und acht oder zehn Jahre, bis sie womöglich mit uns Schritt halten können – selbst wenn wir fortfahren, angestrengt auf diesem Gebiet zu arbeiten. Diese Spanne würde jedoch genügen, unsere Bevölkerung und Industrie zu verlagern. Jedenfalls sollte keine Zeit verloren werden, dieses Problem von Experten prüfen zu lassen.

III. Aussichten einer Verständigung

Die Folgen eines Atomkrieges und die Maßnahmen, die zum Schutze eines Landes vor seiner totalen Zerstörung durch Kernwaffen notwendig sind, dürften wohl auch den anderen Nationen genauso erschreckend erscheinen wie den Vereinigten Staaten. England, Frankreich und die kleineren dichtbesiedelten Staaten Europas mit ihren konzentriert gelagerten Industrien wären angesichts solcher Bedrohung in einer furchtbaren Lage. Rußland und China sind die einzigen großen Nationen, die im Augenblick einen Angriff mit Kernwaffen überstehen würden. Aber wenn auch diese Nationen das Leben eines Menschen nicht so hoch einschätzen mögen wie die Völker Westeuropas und Amerikas und wenn auch Rußland ein riesiger Raum zur Verfügung steht, über den es seine wichtigen Industrien verteilen kann, und außerdem eine Regierung hat, die eine solche Verlagerung an dem Tag zu befehlen vermag, da sie von der Notwendigkeit dieser Maßnahme überzeugt ist – so gibt es doch trotz alledem keinen Zweifel, daß auch Rußland vor der Möglichkeit einer plötzlichen Zerstörung Moskaus und Leningrads, die im gegenwärtigen Krieg wunderbarerweise fast erhalten geblieben sind, und seiner neuen Industriestädte im Ural und in Sibirien erschaudert. So kann es also nur der Mangel an gegenseitigem Vertrauensein, nicht aber der mangelnde Wunsch nach Verständigung, der einem wirkungsvollen Abkommen über die Verhütung eines Atomkrieges im Wege steht. Das Zustandekommen eines solchen Abkommens hängt daher im wesentlichen von der Rechtschaffenheit der Absichten und von der Bereitschaft aller Partner ab, ihre Souveränität zu einem gewissen Teil zu opfern.

Eine Möglichkeit, die Welt mit der Kernwaffe bekannt zu machen – einleuchtend vor allem für jene, die Atombomben vorwiegend als eine Geheimwaffe betrachten, die lediglich dazu entwickelt wurde, den gegenwärtigen Krieg zu gewinnen –, besteht darin, sie ohne Ankündigung gegen geeignete Ziele in Japan einzusetzen.

Wenn auch durch den unerwarteten Einsatz von Kernwaffen zweifellos wichtige taktische Ergebnisse errungen werden könnten, so glauben wir dennoch, daß die Anwendung der ersten verfügbaren Atombomben im japanischen Krieg sorgfältig erwogen werden sollte – nicht nur von militärischen Sachverständigen, sondern auch von den höchsten politischen Vertretern unseres Landes.

Rußland, aber auch die zu den Alliierten gehörenden Länder, die unseren Wegen und Plänen weniger mißtrauen, und schließlich die neutralen Länder, sie alle werden von diesem Schritt wahrscheinlich schwer erschüttert sein. Es dürfte sehr schwierig sein, die Welt davon zu überzeugen, daß man einer Nation, die eine neue Waffe insgeheim vorzubereiten und plötzlich anzuwenden in der Lage war – eine Waffe, die so diskriminierend ist wie die Raketenbombe, nur daß ihre vernichtende Wirkung tausendmal größer ist –, in ihrem Wunsch vertrauen soll, derartige Waffen auf Grund eines internationalen Abkommens abzuschaffen. Wir verfügen über große Mengen Giftgas, aber wir wenden es nicht an; vor kurzem erhobene Befragungen haben ergeben, daß die öffentliche Meinung in unserem Land dies mißbilligen würde, selbst wenn damit der siegreiche Ausgang des Krieges im Fernen Osten beschleunigt werden könnte. Es stimmt zwar, daß ein irrationales Element in der Massenpsychologie Gasvergiftungen schrecklicher erscheinen läßt als eine Vernichtung durch Sprengstoff, obwohl ein Gaskrieg in keiner Weise »unmenschlicher« wäre als ein Krieg mit Bomben und Kugeln. Dennoch ist es keinesfalls sicher, ob die amerikanische Öffentlichkeit, würde man ihr die Wirkung von Atombomben erklären, damit einverstanden wäre, daß unser Land als erstes eine solch verwerfliche Methode der restlosen Zerstörung jeglicher Zivilisation einführte.

Vom »optimistischen« Standpunkt aus (das heißt, wenn man dabei an ein internationales Abkommen zur Verhütung von Atomkriegen denkt) könnten also die militärischen Vorteile und die Ersparnis amerikanischer Menschenleben – Vorteile, die durch eine plötzliche Anwendung von Atombomben im Krieg gegen Japan errungen würden – aufgehoben werden durch den darauffolgenden Vertrauensverlust und eine Welle des Schreckens und Widerwillens, die sich über die übrige Welt ergösse und die vielleicht sogar die öffentliche Meinung in der Heimat spaltete.

Im Hinblick darauf wäre zu empfehlen, die neue Waffe in der Wüste oder auf einer unbewohnten Insel vor den Augen der Abgeordneten aller Vereinten Nationen vorzuführen. Die günstigste Atmosphäre für das Zustandekommen eines internationalen Abkommens ließe sich dadurch schaffen, daß Amerika der Welt erklären könnte: „Ihr seht, was für eine Waffe wir besaßen, aber wir haben sie nicht angewandt. Wir sind bereit, sie auch in Zukunft nicht anzuwenden, wenn sich die anderen Nationen uns darin anschließen und in die Gründung einer wirkungsvollen internationalen Kontrolle einwilligen.“

Nach dieser Vorführung könnte die Waffe eventuell gegen Japan angewandt werden – sofern dies von den Vereinten Nationen (und der öffentlichen Meinung in der Heimat) gebilligt würde; vielleicht erst nach einem Ultimatum an Japan, sich zu ergeben oder, als Alternative zu einer völligen Zerstörung, wenigstens gewisse Gebiete zu räumen. Dies mag phantastisch klingen, aber mit den Kernwaffen haben wir tatsächlich eine ganz neuartige gewaltige Zerstörungskraft gewonnen, und wenn wir ihren Besitz voll einsetzen wollen, dann müssen wir auch neue und neuartige Methoden ersinnen.

Es muß betont werden, daß vom pessimistischen Standpunkt aus und bei nur geringer Möglichkeit, eine wirkungsvolle internationale Kontrolle über die Kernwaffen zu schaffen, der baldige Einsatz von Atombomben gegen Japan bloß noch fragwürdiger wird – ganz abgesehen von irgendwelchen humanen Erwägungen. Wenn nicht gleich nach der ersten Demonstration ein internationales Abkommen zustande kommt, bedeutet dies einen fliegenden Start zu einem hemmungslosen Aufrüstungswettlauf. Wenn aber dieses Rennen nun einmal unvermeidlich ist, dann haben wir allen Grund, seinen Start so lange wie möglich hinauszuschieben, um unsere Vorrangstellung noch weiter voranzutreiben.

Der Vorteil für unsere Nation und die zukünftige Schonung amerikanischer Menschenleben, die wir uns dadurch erringen könnten, daß wir auf eine baldige Anwendung der Atombombe verzichten und die anderen Nationen nur zögernd ins Rennen kommen lassen – allein auf der Basis von Vermutungen und ohne sicheres Wissen, daß »das Ding funktioniert« –, dürfte die Vorteile, die durch eine sofortige Anwendung der ersten und verhältnismäßig schwachen Bomben im Krieg gegen Japan gewonnen würden, bei weitem aufwiegen. Andererseits mag entgegengehalten werden, daß es ohne eine solche baldige Demonstration schwierig sein dürfte, die nötige Unterstützung für die weitere Entwicklung der Kernphysik in unserem Lande zu erhalten; und wiederum könnte dadurch die Zeit bis zu dem verzögerten Start eines allgemeinen Aufrüstungswettlaufs nicht voll genutzt werden. Weiterhin darf man annehmen, daß die anderen Nationen jetzt oder zumindest sehr bald unsere augenblicklichen Errungenschaften nicht ganz übersehen können und daß somit die Verzögerung einer Vorführung nicht gerade nützlich wäre, sofern dabei an einen Aufrüstungswettlauf gedacht wird, ja daß unsere Verzögerungstaktik nur zusätzliches Mißtrauen schüfe und sich somit die Chancen, zu einer schließlichen Übereinstimmung in der internationalen Kontrolle von Kernsprengstoffen zu gelangen, eher verschlechterten.

Wenn man also die Aussichten für ein Abkommen in allernächster Zukunft für gering erachtet, dann müssen Pro und Contra einer baldigen, für die ganze Welt bestimmten Enthüllung unseres Kernwaffenbesitzes – nicht nur durch ihre tatsächliche Anwendung gegen Japan, sondern auch durch eine vorher eingeleitete Demonstration – von den höchsten politischen und militärischen Vertretern des Landes sorgfältig erwogen werden; jedenfalls sollte der Entschluß nicht allein vom taktischen Gesichtspunkt aus gefällt werden.

Man könnte erwidern, daß die Wissenschaftler ja selbst die Entwicklung dieser »Geheimwaffe« angeregt haben und daß es daher merkwürdig erscheint, wenn sie zögern, sie am Feind auszuprobieren, sobald sie zur Verfügung steht. Die Antwort auf diesen Einwand wurde bereits gegeben: Der zwingende Grund, diese Waffe mit solcher Eile zu schaffen, war unsere Furcht, Deutschland könne die nötigen technischen Kenntnisse zur Entwicklung einer solchen Waffe haben und die deutsche Regierung keine moralischen Bedenken hegen, sie einzusetzen.

Ein weiteres Argument, das zugunsten einer Anwendung der Atombombe, sobald sie erst einmal verfügbar ist, sprechen könnte, wäre folgendes: In diese Projekte haben die Steuerzahler so viel Geld hineingesteckt, daß der Kongreß und das amerikanische Volk nun endlich sehen wollen, wo ihr Geld geblieben ist. Die bereits erwähnte Haltung der amerikanischen öffentlichen Meinung hinsichtlich eines Gaskrieges gegen Japan beweist jedoch, daß man von den Amerikanern Verständnis dafür erwarten kann, wie wichtig es manchmal ist, eine Waffe nur für den äußersten Notfall bereitzuhalten; und sobald die Bedeutung der Kernwaffen dem amerikanischen Volk offenbart wird, darf man sicher sein, daß es alle Versuche unterstützt, die Anwendung solcher Waffen unmöglich zu machen.

Wenn dies erst einmal erreicht ist, dann sollen die großen Anlagen und Ansammlungen von Explosivstoffen, die augenblicklich zum eventuellen militärischen Einsatz bereitgehalten werden, ausschließlich für bedeutende Entwicklungen im Frieden zur Verfügung stehen – samt der Energiegewinnung, den großen Maschinenbauten und der Massenproduktion radioaktiven Materials. Auf diese Weise könnte das zu Kriegszwecken für die Entwicklung der Kernphysik ausgegebene Geld eine Spende für die Entwicklung der nationalen Wirtschaft im Frieden sein.

IV. Arbeitsweisen einer internationalen Kontrolle

Betrachten wir nun die Frage, wie eine wirkungsvolle internationale Kontrolle über die Aufrüstung mit Kernwaffen erreicht werden kann. Ein schwieriges Problem, aber wir halten es für lösbar. Es verlangt von den Staatsmännern und internationalen Rechtsgelehrten eine sorgsame Untersuchung, und wir können für diese lediglich einige einleitende Ratschläge bieten.

Vorausgesetzt, daß auf allen Seiten gegenseitiges Vertrauen und guter Wille vorhanden sind, einen gewissen Teil der Souveränität aufzugeben, d. h. eine internationale Kontrolle über bestimmte Zweige der Volkswirtschaft anzuerkennen, könnte die Kontrolle – alternativ oder simultan – auf zwei verschiedenen Ebenen durchgeführt werden.

Der erste und wohl einfachste Weg ist die Rationierung der Rohstoffe – vor allem des Uranerzes. Die Produktion von nuklearem Sprengstoff beginnt mit der Gewinnung großer Uranmengen in gewaltigen Isotopentrennungsgeräten oder riesigen Atommeilern. Die Erzmengen, die an den verschiedenen Orten gewonnen werden, ließen sich leicht von den dort ansässigen Mitgliedern des internationalen Kontrollausschusses überwachen; außerdem dürfte jede Nation nur eine begrenzte Menge erhalten, so daß eine im großen Stil durchgeführte Trennung von spaltbaren Isotopen von vornherein unmöglich wäre.

Solch eine Begrenzung hätte den Nachteil, daß dadurch die Gewinnung von Kernenergie auch für friedliche Zwecke unmöglich gemacht würde. Diese Begrenzung brauchte jedoch eine ausreichende Produktion von radioaktiven Spurenelementen nicht zu verhindern; durch diese Produktion ließen sich Industrie, Wissenschaft und Technik revolutionieren, und somit müßte nicht auf die Hauptvorteile, welche die Kernphysik der Menschheit bringen könnte, verzichtet werden.

Ein Abkommen auf höherer Ebene, das noch größeres gegenseitiges Vertrauen und Verständnis erforderte, würde eine unbeschränkte Produktion erlauben, vorausgesetzt, daß über die Verwendung jedes Pfundes geschürften Urans genau Buch geführt wird. Wenn auf diese Weise auch der Verwandlung von Uran- oder Thorium-Erz in reines radioaktives Material Einhalt geboten ist, so erhebt sich doch die Frage, wie man die Anhäufung von großen Mengen solchen Materials in Händen einer oder mehrerer Nationen verhüten soll. Denn wenn sich eine Nation der internationalen Kontrolle plötzlich entzöge, könnten derartige Anhäufungen sehr schnell zur Herstellung von Atombomben verwendet werden. Es ist vorgeschlagen worden, sich auf eine obligatorische Denaturierung reiner radioaktiver Isotope zu einigen; nach ihrer Gewinnung müßten sie lediglich mit den passenden Isotopen geschwächt und damit für militärische Zwecke wertlos gemacht werden; für den Antrieb von Maschinen dagegen blieben sie nach wie vor verwendbar.

Eines ist klar: Jedes internationale Abkommen zur Verhütung einer Kernwaffenaufrüstung muß durch wirksame und erfolgversprechende Kontrollen unterstützt werden. Ein lediglich auf dem Papier bestehendes Abkommen hat wenig Sinn, denn weder unsere noch eine andere Nation kann ihre Existenz auf dem Vertrauen zur Unterschrift einer anderen Nation aufbauen. Jeder Versuch, die internationalen Kontrollstellen zu behindern, müßte als ein Verrat an diesem Abkommen geahndet werden. Es braucht wohl kaum betont zu werden, daß wir als Wissenschaftler der Meinung sind, jedes ins Auge gefaßte Kontrollsystem zur friedlichen Entwicklung der Kernphysik müßte noch so viel Freiheit lassen, wie mit der Sicherheit der Welt zu vereinbaren ist.

V. Zusammenfassung

Die Entwicklung der Kernenergie bedeutet nicht nur eine Steigerung der technologischen und militärischen Kraft Amerikas, sondern schafft auch ernste politische und wirtschaftliche Probleme für die Zukunft unseres Landes.

Nukleare Bomben können keinesfalls länger als einige Jahre eine »Geheimwaffe« zum ausschließlichen Nutzen unseres Landes bleiben. Die wissenschaftlichen Voraussetzungen, auf denen ihre Konstruktion basiert, sind den Forschern anderer Länder wohlbekannt. Wenn nicht eine wirkungsvolle internationale Kontrolle über die nuklearen Sprengstoffe geschaffen wird, ist es gewiß, daß unmittelbar auf die für die ganze Welt erstmalige Enthüllung unseres Besitzes von Kernwaffen ein allgemeines Aufrüsten einsetzen wird. Bis in zehn Jahren können dann andere Länder ebenfalls Kernwaffen besitzen, von denen jede ein Stadtgebiet von mehr als zehn Quadratmeilen zerstören kann und dabei nicht einmal eine Tonne zu wiegen braucht. In dem Krieg, zu dem solch ein Wettrüsten wohl führen würde, wären die Vereinigten Staaten durch ihre Bevölkerungsansammlungen und Industrieanhäufungen in verhältnismäßig wenig Städten im Nachteil verglichen mit Nationen, deren Bevölkerung und Industrie über große Gebiete verteilt sind.

Wir glauben, daß diese Überlegungen nicht dafür sprechen, nukleare Bomben in einem baldigen, unvorhergesehenen Angriff gegen Japan einzusetzen. Wenn die Vereinigten Staaten das erste Land wären, welches diese neuen Mittel zur rücksichtslosen Zerstörung der Menschheit anwendete, würden sie auf die Unterstützung aller Welt verzichten, den Aufrüstungswettlauf beschleunigen und die Chancen für ein künftiges internationales Abkommen zur Kontrolle derartiger Waffen zunichte machen.

Wenn man jedoch diese Chancen für das Zustandekommen einer wirkungsvollen internationalen Kernwaffenkontrolle gegenwärtig als gering betrachtet, dann dürfte nicht nur die Anwendung solcher Waffen gegen Japan, sondern auch ihre baldige Anwendung den Interessen unseres Landes entgegenstehen. In solch einem Fall hätte eine Verzögerung den Vorteil, daß der Start zu einem Kernwaffen-Wettrüsten so weit wie möglich hinausgeschoben werden kann.

Sollte sich die Regierung zu einer baldigen Vorführung der Kernwaffen entscheiden, hätte sie die Möglichkeit, die öffentliche Meinung unseres Landes und anderer Nationen kennenzulernen und sie in Betracht zu ziehen, bevor sie sich entschlösse, diese Waffen gegen Japan einzusetzen. Auf diese Weise könnten die anderen Nationen einen Teil der Verantwortung für solch einen schicksalhaften Entschluß auf sich nehmen.

Verfaßt und unterschrieben von: J. Franck • E. Rabinowitch • D. Hughes G. Seaborg • L. Szilard • J.J. Nickson • J. Stearns

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1995/2 Hiroschima und Nagasaki, Seite