W&F 2014/1

Der friedenspädagogische Blick

Jahrestagung des AK Friedenspädagogik der AFK, 23.-24. September 2013, Tübingen

von Renate Grasse, Bettina Gruber und Dieter Lünse

Vor einem Jahr hatte sich die Jahrestagung des Arbeitskreises Friedenspädagogik der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.V. (AFK) mit Gewaltprävention und Friedenspädagogik in Deutschland, Österreich und der Schweiz befasst. Damals wurde deutlich, dass zur Gewaltprävention noch zu häufig isolierte Einzelprojekte durchgeführt werden, zu selten auf Vernetzung, Partizipation, das pädagogische Interesse und die Einbindung der Friedenspädagogik in die Ausbildung der PädagogInnen geachtet wird.

An diese Feststellung knüpfte nun die Jahrestagung 2013 an, die gemeinschaftlich von der Arbeitsgemeinschaft Friedenspädagogik e.V., der Berghof Foundation – peaceeducation, dem Institut für konstruktive Konfliktaustragung und Mediation sowie dem Zentrum für Friedensforschung und Friedenspädagogik an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt durchgeführt wurde. Im Zentrum des Treffens standen Beispiele aus der konkreten Arbeit von Mitgliedern des Arbeitskreises.

Lernen ohne Angst

Dieter Lünse stellte das friedenspädagogische Projekt »Lernen ohne Angst« vor, das Schülerinnen und Schüler anleitet, ihre eigene Schule zu erforschen. Die Fragestellungen beziehen sich auf das Konfliktverhalten, das Lernklima und ob soziale Projekte (Klassenrat, Streitschlichtung u.a.) Wirkung erzielen.

Das Projekt ist als zweijähriger Beteiligungsprozess angelegt, d.h. die Schülerinnen und Schüler setzen die Erkenntnisse aus ihrem Forschungsprojekt auch um. Bei der Tagung wurde hinterfragt, welche Kriterien das Projekt für eine effektive Friedenspädagogik erfüllt.

»Lernen ohne Angst« hat die Vermittlung von Friedenskompetenzen im Fokus und zielt darauf, Zusammenhänge im System einer Schule und seinem Umfeld zu erkennen. Da der Prozess partizipativ ausgelegt ist, geht die Vermittlung über Sachkompetenzen hinaus und ermöglicht Selbstwirksamkeit durch eigenes Handeln. »Lernen ohne Angst« lässt Raum für die Gestaltung eigener Anliegen im politischen Bereich, da die Vorschläge der Schülerinnen und Schüler in einem so genannten »Aushandlungsdialog« umgesetzt werden.»Lernen ohne Angst« wird durch externe Fachkräfte begleitet und leistet eine nachhaltige Umsetzung der im Konzept festgelegten Ziele an der betreffenden Schule.

Lerneffekte der Friedenserziehung

Bettina Gruber von der Universität Klagenfurt (Zentrum für Friedensforschung und Friedenspädagogik) stellte Auszüge des laufenden Forschungsprojekts »Lerneffekte in der schulischen sowie außerschulischen Friedens- und Demokratieerziehung. Erkenntnisse aus der Untersuchung der Friedenswochen des ÖSFK sowie begleitender ExpertInnenbefragungen und daraus folgende Perspektiven« vor.

Ausgangspunkt der Studie ist u.a., dass die Selbstevaluierung, eine entsprechende kontinuierliche Feedback-Praxis sowie Fremd-Evaluierungen in der Friedenspädagogik wie in der Demokratieerziehung ein noch zu wenig genutztes Instrument zur Qualitätssteigerung von Maßnahmen und Programmen sowie ein zu wenig erforschtes Gebiet sind. Zudem wird problematisiert, dass keine einheitlichen Definitionen und Vorstellungen von friedenspädagogischen Evaluierungen vorliegen.

In dem Projekt werden die 2007-2012 jährlich abgehaltenen Friedenswochen des Österreichischen Studienzentrums für Friedens- und Konfliktlösung beforscht. In einer quantitativen Untersuchung und im Kontext qualitativer Sozialforschung werden einerseits die Lerneffekte der Lernprogramme auf SchülerInnen und LehrerInnen untersucht, andererseits wird detailliert nachgefragt, welche Unterstützung die Lehrkräfte bezüglich der Aus- und Fortbildung bzw. der Unterrichtsmaterialien brauchen. Die Aussagen der Lehrkräfte wurden einerseits mit den Erfahrungen von Lehrkräften aus anderen einschlägigen Projekten der Friedenspädagogik und der Demokratieerziehung, andererseits mit den Erfahrung aus der Evaluierung von friedens- und demokratiepädagogischen Projekten und Projekten der Politischen Bildung reflektiert und gespiegelt.

Im bisherigen Forschungsverlauf zeichnen sich u.a. folgende Erkenntnisse ab:

  • Neben Modellschulen und sehr qualitätsvollen einzelnen Projekten, die schon viele Jahre laufen, wird die vorliegende Disziplin eher stiefmütterlich in den Schulbetrieb einbezogen.
  • Es gibt erhebliche Defizite bei der Aus- und Fortbildung von LehrerInnen, die Evaluierung von Programmen und Projekten ist unzureichend, und es fehlt die Überleitung zwischen Theorierahmen und Lernpraxis.
  • SchülerInnen betonen, dass es an ihrer Schule zu wenig Sensibilität für Gewalt und Konflikte gibt, sie glauben aber, was erstaunlich ist, dass Frieden und Abkehr von Gewalt lernbar sind.
  • Bildung ist einer der wesentlichsten Faktoren für Demokratieentwicklung und Gewaltminderung. Gewaltfreie Konfliktaustragung und Teilhabe an Gesellschaft können und sollen in der Schule erlernt werden. Eine zeitgemäße Schule ist Übungs- und Lernfeld und sie sollte Demokratie als Lebensform, Frieden verstanden als Prozess sowie Partizipation als ausgewiesene Werte in ihrem Leitbild festschreiben.
  • Wenn wir Bildung als lebenslangen Prozess verstehen und alle Bereiche beleuchten, die junge Menschen außerhalb von Schule durchlaufen, kommt außerschulischen Institutionen wie Jugendzentren, Parteiorganisationen, Gewerkschaften und kirchlichen Organisationen als Orte der Vermittlung von Friedens- und Demokratiebildung eine hohe Relevanz zu.

Integration durch Prävention

Ein Projekt zur gewaltpräventiven Arbeit mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund stellte Günther Gugel von der Berghof Foundation – peaceeducation vor.

Durch Migration, Vertreibung und Flucht kommt es sowohl bei den MigrantInnen als auch in der aufnehmenden Gesellschaft zu oft schwierigen Neuorientierungen und Verunsicherungen. Eine verstärkte Suche nach Zugehörigkeit und Sicherheit kann die Folge sein. Dabei spielen auch sog. Übergangsobjekte (symbolisch aufgeladene Gegenstände, zu denen auch Waffen gehören können) eine wichtige Rolle für das Erleben der eigenen Identität.

Für Jugendliche spielen Waffen im Hinblick auf die eigene Gewaltbereitschaft eine besondere Rolle. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Anwendung von Gewalt signifikant steigt, wenn Waffen mitgeführt werden. Englische Untersuchungen sprechen davon, dass 21% der Schüler Waffen (vor allem Messer) mit sich führen. Deutsche Studien des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (Forschungsbericht 114, S.126ff.) sprechen von 15% Schülern, die in der Schule Waffen dabei haben, während es im Freizeitbereich sogar bis zu 33% sind.

Die Praxis der Gewaltprävention hat in den letzten Jahren wichtige Ansätze und Vorgehensweisen entwickelt und etabliert. Erstaunlicherweise wurde jedoch ein Themenbereich bislang vollständig ignoriert: das Phänomen Waffen und deren Faszination auf viele Jugendliche. So bemängelt z.B. das Deutsche Jugendinstitut, dass bislang in den Ansätzen der Jungendarbeit das Thema Waffen als Element männlicher Überlegenheitsinszenierung kaum aufgegriffen wird. Es bedürfe neuer Ansätze zur offenen Auseinandersetzung auch mit diesem Aspekt männlicher Sozialisation, wobei das Themenfeld nicht ausschließlich männliche Jugendliche betrifft.

Mit diesem Projekt sollen zwei Zielgruppen erreicht werden: zum einen Jugendliche, die primär aus Ländern und Regionen kommen, in denen Erfahrungen mit Gewalt und Waffen wahrscheinlich sind. Diese Gruppe umfasst vor allem Jugendliche aus dem Westbalkan, aus Osteuropa sowie aus einigen afrikanischen Ländern, aber auch aus dem Irak und Afghanistan. Die zweite Zielgruppe umfasst Multiplikatoren (Lehrkräfte, Sozialarbeiter usw.), die direkt mit diesen Jugendlichen Kontakt haben bzw. mit ihnen arbeiten. Diese Multiplikatoren sollen in die Ausgestaltung und Erprobung der pädagogischen Ansätze einbezogen werden.

Das Projekt wird seit April 2013 von der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg mit folgenden Partnern und Unterstützern durchgeführt: Berghof Foundation – peaceeducation (Tübingen), Anne Frank Zentrum (Berlin), Kubus e.V. (Fellbach), Tetthely (Pecs, Ungarn), Akademie für Sozialwissenschaftliche Innovation e.V. (Waiblingen), 174 Trust (Belfast) und Metropolitan Police (London). Es wird aus Mitteln des Europäischen Integrationsfonds kofinanziert und im Rahmen des Programms »Vielfalt gefällt! 60 Orte der Integration« der Baden-Württemberg Stiftung in Kooperation mit dem Ministerium für Integration Baden-Württemberg gefördert.

Qualitäten und Chancen demokratischer Bildung

Renate Grasse von der Münchner Arbeitsgemeinschaft Friedenspädagogik e.V. stellte den ersten Entwurf einer Beschreibung von »Qualitäten und Chancen demokratischer Bildung in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit« vor. Dieses Papier soll Teil der Rahmenkonzeption der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in München werden. Es wurde erarbeitet von KollegInnen verschiedener Einrichtungen der Bildungsarbeit in München, z.B. dem Medienzentrum, einem Verein zur ökologischen Bildung, dem Kinder- und Jugendforum und dem Kreisjugendring München-Stadt. Derzeit wird es von KollegInnen von Jugendzentren und weiteren Vereinen der Jugendkultur diskutiert und überarbeitet. Weitere Impulse zur Veränderung aus Gesprächsrunden mit Jugendlichen über ihre Erwartungen, Wünsche und Zugänge zur demokratischen Bildung, die Mitte 2014 durchgeführt werden, werden ebenfalls Eingang in das Papier finden.

Der Entwurf des Papiers arbeitet heraus, dass demokratische Bildung und Partizipation von Jugendlichen zusammengehören, sozusagen zwei Seiten einer Medaille sind. Dafür bieten offene Jugendkulturprojekte und Jugendzentren mit ihren spezifischen Rahmenbedingungen gute Voraussetzungen. Ferner betonen die VerfasserInnen die wichtige Rolle der PädagogInnen, die die Interessen von Jugendlichen aufgreifen und beispielsweise die Umsetzung in der Einrichtung und im Stadtteil begleiten können. Demokratische Bildung wird hier als Persönlichkeitsbildung und als Vermittlung von konkretem Handlungswissen verstanden. Es geht beispielsweise um Kommunikations- und Konfliktfähigkeit, aber auch um das Wissen, wer Entscheidungen trifft, die sich auf die Anliegen der Kinder und Jugendlichen beziehen, wo diese Entscheidungen fallen und wie die Entscheidungsträger ansprechbar sind.

Das Besondere an der demokratischen Bildung in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit ist der partizipative Prozess ihrer Entstehung.

Kritische Hinterfragung

Auf der Jahrestagung wurden diese ganz unterschiedlichen Bereiche der Friedenspädagogik reflektiert und unter folgenden Aspekten kritisch hinterfragt: Welche konzeptionellen Fragen stehen im Vordergrund? Warum gerade diese? Was zeichnet friedenspädagogische Praxis aus? Man diskutierte die Zugangsweisen und Methoden und auch, was das Spezifische der Friedenspädagogik in den konkreten Projekten und Feldern ausmacht.

Mehrheitlich wurde betont, es sei besonders relevant, Kriterien und Standards im Rahmen der Friedenspädagogik zu erarbeiten. Dies sei vor allem wichtig, um den Bereich Friedenspädagogik in Zukunft zu stärken, und auch, um sich diese Kriterien nicht von außen diktieren zu lassen. Eine entsprechende Evaluationskultur und Begleitforschung würde diesen Anspruch entsprechend unterstützen, so die Meinung der ExpertInnen.

Renate Grasse, Bettina Gruber, Dieter Lünse

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2014/1 Konfliktdynamik im »Globalen Norden«, Seite 42–43