W&F 2008/4

Der Fünf-Tage-Krieg

von Jürgen Nieth

Am 7. August startete das georgische Militär eine Blitzoffensive zur Eroberung Südossetiens. Dabei wurden nach Information des georgischen Außenministers 9.000 Soldaten eingesetzt, der »Spiegel« (Nr.35/2008, S.129) spricht von 12.000. Die Zivilbevölkerung der südossetischen Stadt Zchinwali und die dort stationierten russischen Friedenstruppen wurden bombardiert. Dutzende Zivilisten und 18 russische Blauhelme starben. Am frühen Morgen des 8. August drangen nach westlichen Schätzungen 5.500 bis 10.000 russische Soldaten nach Südossetien vor, später auch bis vor die georgische Hauptstadt Tiflis. Ein Faktor, der zu einer einhelligen Verurteilung Russlands in der westlichen Presse führte.

Die Schuldzuweisung

„Im Westen hielt man sich mit der Frage, wer für den Kaukasuskonflikt verantwortlich ist, nicht lange auf“ schreibt S. Halimi in »Le Monde diplomatique« (Sept. 2008). „Die Melodie hatte der neokonservative US-Politikberater Robert Kagan vorgesungen: Es sei »relativ unwichtig« wer angefangen hat… »Wäre Michail Saakaschwili nicht dieses mal in Putins Falle getappt, hätte irgend etwas anderes den Konflikt ausgelöst«.“

Eine Position, die in der »Neuen Zürcher Zeitung« (NZZ) noch sechs Wochen später vertreten wird (20.09.08): „Man beschäftigt sich damit, wer den ersten Schuss abgefeuert hat, so als ob das feststellbar und überhaupt die zentrale Frage wäre.“ In der »Süddeutschen Zeitung« dagegen die späte Einsicht (08.09.08): „Die kurz nach dem Ausbruch des Krieges geläufige Formel vom imperialen Russland, dass das arme Georgien überfallen hat, trägt nicht mehr. Wir wissen inzwischen, dass der georgische Generalstab gegen das militärische Abenteuer eines Einmarsches in Südossetien war.“

Unbeleuchteter Hintergrund

Der Hintergrund des Konflikts blieb zu Beginn des Krieges bei uns weitgehend unbeleuchtet. Erst am 16.09. weist Noam Chomsky in der FR darauf hin, dass es Stalin war, „der Südossetien und Abchasien… seiner Heimat Georgien zuteilte… Die Provinzen waren bis zum Ende der UdSSR relativ unabhängig. 1990 jedoch verbot Georgiens ultranationalistischer Präsident Swiad Gamasachurdin die Autonomie einzelner Gebiete und marschierte in Südossetien ein. Der daraus folgende Krieg forderte 1.000 Todesopfer und machte Zehntausende zu Flüchtlingen.“ Die FAZ informiert ihre LeserInnen am 27.08., dass Russland „1992 in Südossetien und 1994 in Abchasien Waffenstillstandsverträge (vermittelte und seitdem) den Großteil der Friedenstruppen in beiden Provinzen (stellte), die diese Waffenruhe überwachen sollten.“

Die Rolle der USA

Unterbelichtet blieben in den ersten Wochen auch die US-Interessen in dieser Region. 2002 schickten die USA ihre ersten Militärberater nach Georgien. 160 sind laut »Spiegel« (Nr.35/2008, S.126) noch Mitte August in Tiflis. Am Manöver »Direkte Antwort 2008« der 4. georgischen Infanteriebrigade nahmen „an die 1.000 US-Amerikaner“ teil (S.128). »Le Monde diplomatique« (Sept. 2008) zitiert Zbigniew Brzezinski, der am 12. August einen weiteren Aspekt der US-Strategie benannte: „Georgien garantiert uns den Zugang zum Erdöl und demnächst auch zum Erdgas in Aserbaidschan, im Kaspischen Meer und in Zentralasien. Es ist deshalb für uns von enormer strategischer Bedeutung.“ Unterstrichen wird dieses US-Interesse durch das Drängen der USA auf NATO-Mitgliedschaft Georgiens.

J. Radvanyi (Le Monde diplomatique, Sept. 2008) schlussfolgert: „Was immer das Pentagon behauptet: Die USA-Regierung war mit Sicherheit über die Einmarschpläne Saakaschwilis unterrichtet, hat diese aber nicht gebremst.“ Für diese These spricht auch die zügige Verlegung von 2.000 georgischen Soldaten aus dem Irak zurück nach Georgien.

Russlands Interessen

Glaubt man D. McShane in »Die Welt« (08.09.08), hat der Westen nie versucht Russland einzukreisen, denn „kann man einen Kontinent einkreisen?“. Die NZZ liegt auf derselben Linie (20.09.08): Für sie ist „die plakative Anprangerung der »Expansion der NATO bis an die Grenzen Russlands« ein russisches Schlagwort.“ Anders Florian Hassel in der FR (11.09.08): „Russland empfand schon die … Osterweiterung der NATO um die baltischen Länder, Rumänien, Bulgarien, Slowenien und Slowakei als Betrug des Westens. Nicht ohne Grund.“ Er weist darauf hin, dass US-Außenminister Baker 1990 Gorbatschow zugestimmt habe, dass „jede Erweiterung der Zone der NATO… unakzeptabel“ ist.

Für den Friedensforscher Johan Galtung (Freitag, 05. 09.08) ist der Kaukasus „zur Hauptbühne eines sich aufbauenden »Zweiten Kalten Krieges« geworden. Das Kesseltreiben zielt auf eine langfristige Einkreisung Russlands, Indiens und Chinas… Dazu expandiert die NATO nach Osten, während das amerikanisch-japanische Sicherheitssystem AMPO, zu dem auch Südkorea und Taiwan gehören, westwärts aufgerollt wird.“

Doppel-Standards beim Völkerrecht

Die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens als selbstständige Staaten „rüttelt“, schreibt Reinhard Müller in der FAZ (27.08.08) „an den Fundamenten der internationalen Ordnung“. Übereinstimmung in der Presse: Die Anerkennung ist mit dem Völkerrecht nicht vereinbar. Gleichzeitig vielfach Doppel-Standards im Vergleich mit der Kosovo-Anerkennung durch westliche Staaten. Karl Grobes Position (FR 27.08.08) – Wer über die Anerkennung „überrascht ist, kann in den letzten Monaten nicht zugehört haben. Seit Kosovo nicht. Die Aufwertung dieser einst serbischen Region zum Staat hat den Herren an der Moskwa ein Argument geliefert.“ – wird nicht überall geteilt.

Wie weiter

Jetzt beginnt das Ringen um die Konfliktlösung. In der »Welt« (01.09.08) setzt T. Matsulevitis auf Konfrontation: „Die Antwort des Westens an Russland sollte in rascher Anbindung Georgiens an transatlantische und europäische Strukturen… bestehen. Das Gebot der Stunde lautet: vergesst Russland, denkt an Georgien.“ Eine Gegenposition formuliert Martin Winter in der SZ (16.09.08): „Wenn die Europäer berücksichtigen, dass es nicht nur um Georgien geht, sondern vor allem um die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Russland, …dann gibt es eine Chance für erfolgreiche politische Verhandlungen. Die eines Tages sogar in einer Stabilitätskonferenz für den gesamten Kaukasus enden können.“

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2008/4 Friedenswissenschaft – Friedensbewegung – Friedenspolitik, Seite