W&F 2007/4

Der Patriarchen eiserner Griff

Der Grundstein der Generalsherrschaft liegt im antikolonialen Kampf

von Rainer Werning

Seid freundlich zu Tieren, indem ihr sie nicht esst“. Diese Inschrift zierte jahrelang ein nach jedem Monsun bleicher werdendes Hinweisschild nahe dem Bahnhofsgebäude von Mandalay, der zweitgrößten Stadt Birmas, einst die prunkvolle Residenz der Könige des Landes. Dass der Buddhismus das Töten von Kreaturen aus dem Tierreich untersagt, war den Birmanen, die mehrheitlich buddhistisch sind, seit je bekannt. Heute müssen die über 50 Millionen EinwohnerInnen des Landes erneut feststellen, dass die seit 45 Jahren ununterbrochen herrschenden Militärs keinen Deut geneigt sind, es auch mit der Menschenliebe genau zu nehmen.

Knapp 20 Jahre nach der ersten machtvollen Bewegung für Freiheit und Demokratie in dem einst wirtschaftlich florierenden südostasiatischen Land deutet vieles darauf hin, dass die amtierende Militärjunta unter General Than Shwe (74) auch diesmal unerbittlich alles niederkartätscht, was ihre Despotie in Frage stellt. Bedeutsame innen- wie außenpolitische Entwicklungen und Konstellationen – darunter der Militarismus und die geostrategische Lage des Landes – können die Militärmachthaber nutzen, um sich missliebiger Widersacher zu entledigen und gesellschaftspolitische Alternativen zu vereiteln. Immerhin gibt es in Staat, Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur keinen Bereich, in dem nicht die Tentakeln des dominanten Militärs spürbar sind.

Pro-japanisches Paktieren

Nach drei anglo-birmanischen Kriegen im 19. Jahrhundert wurde Birma von Großbritannien annektiert und 1862 dem Vizekönig von Indien als Provinz Indiens unterstellt. Rasch entwickelte sich das Land zu einem der wichtigsten Reisexporteure Asiens und erlangte auch aufgrund seiner Holz-, Kautschuk- und Erdölressourcen eine kolonialwirtschaftliche Bedeutung. Gegen die britische Vormacht formierten sich insbesondere in den 1930er Jahren Kräfte, die politische Unabhängigkeit und eine sozialistische Wirtschaftsordnung forderten. Wichtige Vertreter der Dobama Asiayone (»Wir-Birmamen-Vereinigung«) waren die in der Hauptstadt Rangun ausgebildeten Studenten U Nu und Aung San, der Vater der Friedensnobelpreisträgerin und Ikone der heutigen Demokratiebewegung, Aung San Suu Kyi. Mit dem Eigennamen »Thakin« (»Herr« oder »Meister«) drückten sie die angestrebte Gleichstellung mit den Europäern aus, die mit »Thakin« angeredet wurden.

Bereits vor der japanischen Invasion in Südostasien hatten sich »Thakin«-Führer, darunter auch Aung San, bereit erklärt, eine bewaffnete Armee unter der Ägide des japanischen Kaiserreiches aufzustellen – gemäß der Devise: Der Feind meines Feindes (in diesem Fall Großbritannien) ist mein Freund. Das militaristische Japan drapierte seine eigenen Vorherrschaftspläne in Asien und im Pazifik mit dem Konzept der »Größeren Ostasiatischen Gemeinsamen Wohlstandssphäre«. Es sah sich als »Licht, Lenker und Beschützer Asiens« im Kampf gegen westlichen Kolonialismus und Imperialismus.

Die Gruppe der anfänglich 30 »Thakin«-Führer bezeichnete sich auch als »30 Kameraden« und bildete – eine Zeitlang geschult auf der japanisch okkupierten chinesischen Insel Hainan – unter Aufsicht japanischer Verbindungsoffiziere den Kern der »Burma Independence Army« (BIA). Als Tokio im August 1943 ein Vasallenregime in Birma installierte, war Aung San im Rang eines japanischen Generalmajors Kommandeur der »Burma Defence Army«, der BIA-Nachfolgeorganisation, und er übernahm das Verteidigungsressort und wurde Oberbefehlshaber dieser pro-japanischen Regierung.

Wie Sukarno, der spätere Gründungsvater Indonesiens, zählte Aung San anfänglich zu den glühendsten Bewunderern Japans in Südostasien. Im Einklang mit Japan, das die Region nach seinem Ebenbilde umgestalten und deren Bevölkerungen in gefügige Untertanen verwandeln wollte, strebten Aung San und Sukarno einen rigiden Zentralstaat an. Eine verhängnisvolle Weichenstellung, zumal in Vielvölkerstaaten wie Birma und Indonesien, wo jeweils die Birmanisierung beziehungsweise Javanisierung als raison d’etre postkolonialen Nationalismus begriffen und militärisch exekutiert wurde.

Erst als der menschenverachtende Kurs des japanischen Militarismus im Laufe des Krieges immer offensichtlicher wurde, beteiligte sich Aung San am Aufbau der »Antifaschistischen Volksfreiheitsliga«, die mit den Anfang 1945 vorrückenden britischen Truppen sympathisierte. Schließlich konnte Aung San im Januar 1947 in London mit Premierminister Clement Attlee ein Abkommen über die formelle Unabhängigkeit Birmas am 4. Januar 1948 unterzeichnen. Der zum Premierminister auserkorene Aung San wurde im Juli 1947 im Auftrag eines politischen Widersachers ermordet, weshalb die Position schließlich seinem Mitstreiter U Nu zufiel.

Militarismus als Staatstugend

Landesweite Revolten, das Erstarken der Kommunistischen Partei Birmas und Aufstände seitens ethnischer Minderheiten wie der Shan, Kachin, Mon und Karen veranlassten einen der »30 Kameraden« zum Militärputsch. Generalleutnant Shu Maung, der sich den nom de guerre Bo Ne Win (»Befehlshaber Strahlende Sonne«) zugelegt hatte, schuf ein eisernes Militärregime, dem er unangefochten von März 1962 bis zum Sommer 1988 als Chef der Streitkräfte, Vorsitzender des Revolutionsrates, Premierminister der Revolutionsregierung und später als Präsident der Sozialistischen Republik der Union von Burma vorstand. Gleichzeitig gründete er als neue Staatspartei die »Burma Sozialistische Programmpartei« (BSPP), die er ebenfalls 26 Jahre lang führte. Doch diese Partei und der Kurs Ne Wins waren faschistoid und xenophobisch.

Die ersten Opfer dieser drakonischen Politik waren die StudentInnen. In der Hauptstadt Rangun ließen Gefolgsleute des neuen Machthabers im Sommer 1962 sogar das Gebäude der historischen »Rangoon University Student Union« (RUSU) sprengen. Landesweit blieben Hochschulen geschlossen, so dass sich Tausende Studierende im Hinterland Guerillaeinheiten anschlossen oder im Ausland, vorzugsweise im benachbarten Thailand, Asyl suchten.

Gegen verschiedene Guerillaeinheiten ging das Militär mit äußerster Brutalität vor; BewohnerInnen ganzer Dörfer, selbst Kinder, wurden zwangsweise als Helfer in die Kriegführung eingebunden. Wie in keinem anderen südostasiatischen Land entstand ein allgegenwärtiges, höchst effizientes Blockwartsystem, in das selbst buddhistische Bonzen integriert wurden. Informanten und Spitzel hätschelte das System ebenso wie bereitwillige Investoren, wenn diese sich nur verpflichteten, Mitglieder der Junta ausreichend zu schmieren. Während diese in Saus und Braus lebten, sich regelmäßig in Singapur medizinischen Checks unterzogen und ihrer engsten Klientel lukrative Geschäfte zuschanzten, lebte das Gros der Bevölkerung an oder unterhalb der Schwelle des Existenzminimums.

1988 schien sich das Blatt zu wenden. Lautstark waren die Proteste und Demonstrationen gegen das Regime in der Metropole Rangun zu vernehmen. Zwar waren die Tage Ne Wins gezählt, nicht aber die des Militärs. „Um die Auflösung der Union zu verhindern“, so Ne Wins Nachfolger, General Saw Maung, werde ein Staatsrat zur Wiederherstellung von Gesetz und Ordnung (SLORC) die Geschicke des Landes lenken, das seit 1989 Myanmar heißt. Aus kosmetischen Gründen wurde der SLORC Ende 1997 in Staatsrat für Frieden und Entwicklung (SPDC) umbenannt. Dieser wird vom heutigen Machthaber Than Shwe geführt.

»Heimstatt der Könige«

Than Shwe, um den sich allerlei Gerüchte ranken, arbeitete sich nachweislich als Experte psychologischer Kriegführung und als Leiter von so genannten Aufstandsbekämpfungsoperationen im Osten des Landes an die Spitze der Militärhierarchie. Auf ihn ging auch die Anregung zurück, die Hauptstadt von Rangun (heute Yangon) ins etwa 400 Kilometer weiter nördlich gelegene Naypyidaw zu verlegen. Naypyidaw heißt »Heimstatt der Könige« oder »Königliche Residenz«.

Dort schottet sich die Junta nun in unwirtlichem Terrain vom Volk ab. Sie misstraut dem Moloch Rangun mit seinen überbordenden sozialen Problemen, fürchtet die Hafenstadt als möglichen Dreh- und Angelpunkt eines Irak ähnlichen Regimewechsels und sieht sich näher dem großen politischen Verbündeten und potentesten Wirtschaftspartner, der Volksrepublik China, die bereits der größte Abnehmer seiner Gas- und Ölvorkommen ist. Analysten in der Region gehen davon aus, dass sich bald der Norden Birmas als bedeutsames Investitionsgebiet Chinas empfiehlt, um von dort sowie von der Hafenstadt Rangun aus seine Exporte nach Südasien, in den Nahen und Mittleren Osten sowie nach Europa drastisch zu erhöhen.

Ebenso wenig wie sich Zahnpasta zurück in die Tube pressen lässt, so wird sich der Einfluss des Militärs im Lande auf absehbare Zeit nicht eindämmen lassen. Birma rangiert heute auf Platz 10 der weltweiten Liste des Militärs mit zirka 490.000 Mann unter Waffen. Mit Hilfe der 1967 in der thailändischen Metropole Bangkok gegründeten (und damals strikt antikommunistisch ausgerichteten) Vereinigung südostasiatischer Staaten (ASEAN), deren Mitglied es seit genau einem Jahrzehnt ist, sowie als verlässlichster anti-US-amerikanischer Verbündeter Chinas in der Region, wird Birma alles unternehmen, um dem internationalen Big Business seine Pforten weiter zu öffnen. Aus Deutschland sind in dem südostasiatischen Land beispielsweise Hapag-Lloyd, Siemens und das Logistikunternehmen Schenker engagiert. Als Auslöser für die jüngsten landesweiten Proteste und Demonstrationen wurden drastische Preissteigerungen für Benzin und Lebensmittel verantwortlich gemacht. Zur gleichen Zeit wurde indes alles getan, um den reibungslosen Zufluss von Öl- und Gaslieferungen in Chinas südliche Provinz Yunnan zu garantieren.

Dr. Rainer Werning kennt Birma durch regelmäßige Besuche seit 1969; er ist Politologe und Publizist mit den Schwerpunkten Südost- und Ostasien

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2007/4 Europäische Sicherheitspolitik, Seite