W&F 2008/1

Der Stoff für die Bomben

Zugriffs- und Beseitigungswege

von Matthias Englert und Christoph Pistner

Der Zugang zu Kernwaffen ist aufgrund einer hohen technologischen Hürde nur mit entsprechendem Aufwand möglich. Die Haupthürde ist heute - mehr als sechs Jahrzehnte nach der Konstruktion erster Atomwaffen - vor allem der Zugriff auf ausreichende Mengen an kernwaffenrelevanten Nuklearmaterialien und weit weniger die Konstruktion eines Kernsprengkörpers. Die Beschaffung des Spaltstoffes ist das entscheidende Nadelöhr, das staatliche und substaatliche Akteure überwinden müssen, bevor sie einen Kernsprengkörper bauen können.

Der aktuelle Streit um das nordkoreanische und das iranische Nuklearprogramm verweist mit großer Deutlichkeit auf diese zentrale Problematik. Im Kern dieser Konflikte geht es neben offenen oder verdeckten politischen Zielsetzungen um die intrinsische zivil-militärische Ambivalenz von nuklearen Materialien und Technologien (dual-use). Besonders offensichtlich wird dies am Beispiel des Iran. Während dieser auf seinem im Rahmen des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NVV) zugesicherten Recht besteht, eine nationale Kapazität zur Anreicherung von Uran für zivile Zwecke zu entwickeln, werden diese Bemühungen von anderen Staaten dahingehend interpretiert, dass sich der Iran auf diesem Weg die notwendigen Technologien und Materialien aneignen will, um Zugriff zur Bombe zu erhalten.

Bei den Materialien handelt es sich vorrangig um Spaltstoffe, die im Rahmen ziviler Nuklearprogramme, aber ebenso in Kernwaffenprogrammen verwendet werden können. Die spaltbaren Materialien für Kernwaffen sind Plutonium und hoch angereichertes Uran (Highly Enriched Uranium, HEU), andere denkbare Spaltstoffe spielen bis heute praktisch keine Rolle.

Bei den ambivalenten sensitiven Nukleartechnologien sind vor allem die Nutzung von Zentrifugen zur Urananreicherung und die Wiederaufarbeitungstechnologie zur Abtrennung von Plutonium aus bestrahlten Brennelementen zu nennen. Diese Technologien werden in zivilen Kernenergieprogrammen genutzt, können prinzipiell jedoch auch zur Gewinnung von Waffenstoffen eingesetzt werden. Zum Bau einer Kernwaffe wird nur eine vergleichsweise geringe Menge an Plutonium oder HEU benötigt. Die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) definierte 1977 eine „significant quantity“ als Masse an spaltbarem Material, die ausreichend wäre zum Bau einer einfachen Waffe der ersten Generation (Implosionstyp).1 Als signifikante Mengen werden von der IAEO 8 kg Plutonium und 25 kg HEU angenommen. Dies ist eine verschwindend kleine Menge im Vergleich zu den bereits existierenden Beständen (siehe unten). Weiter fortgeschrittene Waffendesigns benötigen noch weitaus weniger spaltbares Material. Schon eine Menge von 4-5 kg Plutonium oder etwa 12 kg HEU können ausreichen, um einen modernen Nuklearsprengkopf zu bauen.

Kontrollregime

Heute sind mit Ausnahme der Kernwaffenstaaten Israel, Pakistan und Indien sämtliche Länder der Erde Mitglieder des NVV, des Nichtverbreitungsvertrages. Nord-Korea hat allerdings seine Mitgliedschaft 2003 gekündigt. Die Nicht-Kernwaffenstaaten innerhalb des NVV unterwerfen ihre zivilen Nuklearprogramme Kontrollen, so genannten Sicherungsmaßnahmen (»Safeguards«), durch die IAEO. Diese beinhalten z.B. Meldepflichten für Materialien und Güter, eine Überwachung bestimmter Materialien und signifikanter Anlagen bis hin zu Vor-Ort-Inspektionen.

Klar ist, dass »Safeguards« ein unverzichtbares Element der Rüstungskontrolle darstellen und für die Vertrauensbildung unter den Staaten bedeutsam sind. Aber es muss bedacht werden, dass sie die nukleare Ambivalenzproblematik weder grundlegend angehen, noch die auf der technologischen Seite tatsächlich existierenden Probleme lösen können. Im Rahmen von »Safeguards«-Maßnahmen muss lediglich sichergestellt werden, dass ein Vertragsbruch mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums entdeckt würde, die Aufdeckung der Abzweigung von signifikanten Materialmengen ist jedoch nicht garantiert. So können »Safeguards« bestenfalls zu einer nachträglichen Entdeckung von Verstößen gegen vertraglich abgesicherte Normen der nuklearen Nichtverbreitung führen und abschreckend wirken. »Safeguards« greifen daher tendenziell zu spät, auch wenn mit den Maßnahmen des Zusatzprotokolls nach 1997 weitergehende Möglichkeiten der Überwachung und Kontrolle eröffnet wurden. Weiterhin können sie zur Wahl von Umgehungsstrategien oder nicht-deklarierten, geheimen Aktivitäten führen und bieten keinen wirksamen Schutz gegenüber nicht-staatlichen Akteuren.

Plutonium

Zur Beurteilung der Lage beim Plutonium müssen die Produktionstechnologien und die Bestände und Beseitigungskonzepte unterschieden werden; letztere sind zudem nach ziviler und militärischer Nutzung zu diskriminieren.

Produktionstechnologien

Plutonium wird aus Uran-238 durch Neutroneneinfang in einem Uranbrennstoff produziert. In einem typischen Leichtwasserreaktor (LWR) zur Stromerzeugung mit einer elektrischen Leistung von einem Gigawatt (z.B. Biblis) entstehen auf diese Weise pro Jahr etwa 250 kg Plutonium. Weltweit ist der größte Teil der bis heute produzierten Plutoniumbestände noch zusammen mit den hochradioaktiven Abfällen im abgebrannten Brennstoff eingebunden und damit durch die Strahlung der Abfälle gegen einen direkten Zugriff relativ gut geschützt. Bei einer Wiederaufarbeitung nach dem heute üblichen REX-Verfahren kann allerdings mittels eines chemischen Trennverfahrens das Plutonium (und das Uran) aus dem abgebrannten Brennstoff abgetrennt werden und liegt anschließend in reiner Form vor. Von diesen separierten Plutoniumbeständen geht eine erhöhte Proliferationsgefahr aus, da sie nicht mehr durch eine Strahlenbarriere aus radioaktiven Abfällen vor direktem Zugriff geschützt sind.

Eine Abtrennung von Plutonium fand sowohl im militärischen Bereich für die Waffenproduktion, als auch im zivilen Bereich, etwa in den Wiederaufarbeitungsanlagen in La Hague (Frankreich) und Sellafield (Großbritannien) statt. Die ursprünglichen Pläne, ziviles Plutonium als Brennstoff in kommerziell arbeitenden Schnellen Brütern einzusetzen, wurden allerdings bis heute nirgendwo auf der Welt realisiert.

Es wird je nach Herkunft des Plutoniums noch differenziert, ob es sich um Waffenplutonium oder Reaktorplutonium handelt. Beide unterscheiden sich nur durch die Bestrahlungsdauer des Uranbrennstoffs im Reaktor und die daraus folgende höhere Reinheit des Waffenplutoniums (hoher Plutonium-239-Anteil). Grundsätzlich kann jedoch Plutonium praktisch bei jeder Isotopenzusammensetzung für Kernwaffen verwendet werden.

Bestände und Beseitigungskonzepte

Es gibt kein einfaches Verfahren, Plutonium zu beseitigen oder waffenuntauglich zu machen, wie dies bei HEU der Fall ist (s.u.). Dieser Umstand ist von großer Bedeutung, denn offensichtlich müssen neben essentiellen politisch-institutionellen Überlegungen auch technische Lösungen für einen geeigneten Umgang mit separiertem Plutonium gefunden werden, um eine Verwendung oder Wiederverwendung in Kernwaffen so weit eben möglich auszuschließen.

Grundsätzlich kann man zur Beseitigung von separiertem Plutonium heute zwei Strategien wählen. Zum einen kann das Plutonium genutzt werden, z.B. indem es in Uran-Plutonium-Mischoxyd-(MOX-)Brennstoffen eingebettet und dann in gängigen LWR eingesetzt wird. Die MOX-Nutzung und -Herstellung wird heute schon im industriellen Maßstab durchgeführt. Effizienter wäre hingegen eine Verbrennung des Plutoniums mit neuen, so genannten uranfreien Brennstoffen, bei denen eine wesentlich höhere Reduktion (bis ca. 70%) des eingesetzten Plutoniums im Vergleich zu MOX (nur 30%) erreicht werden könnte. Zur Erforschung dieser uranfreien Brennstoffe werden allerdings weltweit kaum Mittel eingesetzt und derzeit ist noch keine industrielle Fertigung vorhanden.

Die andere Strategie zur Beseitigung von Plutonium verzichtet auf eine Nutzung im Reaktor. Das Plutonium wird in eine direkt endlagerfähige Form überführt (immobilisiert). Zum Schutz vor einer erneuten Abtrennung wird das Plutonium dabei mit hochradioaktiven Abfällen vermischt und z.B. verglast. Bei Verfügbarkeit eines Endlagers soll es dann einem unmittelbaren Zugriff endgültig entzogen werden. Die Entwicklungsarbeiten zur Immobilisierung sind jedoch eingestellt und es gibt derzeit kein industriell nutzbares Verfahren. Bis heute ist daher lediglich eine Umsetzung von Plutonium als MOX in Leichtwasserreaktoren großtechnisch prinzipiell einsatzfähig.

Die offiziellen Kernwaffenstaaten haben mittlerweile ihre Produktion von separiertem militärischen Plutonium eingestellt. Die bis heute vorliegenden militärischen Bestände an separiertem Plutonium liegen im Bereich von etwa 260 Tonnen (siehe Abb. 1). 107 t davon haben die USA, Russland und Großbritannien als Überschuss über die gegenwärtig benötigten Mengen deklariert. Für 68 t aus diesen überschüssigen Beständen wurde zwischen den USA und Russland im Jahr 2000 ein Abkommen unterzeichnet, welches die Beseitigung dieser Bestände bis 2030 vorsieht. Beide Länder planen, das Waffenplutonium überwiegend zu MOX-Brennstoffen zu verarbeiten und in ihren kommerziellen LWR einzusetzen.

Abb. 1: Weltweite Plutoniumbestände nach Angaben der IAEO: Separiertes Plutonium im zivilen Bereich (grau) in Belgien, China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan, Russland, Schweiz und USA; jährlicher Netto-Zuwachs etwa 10-15 t. Plutoniumeinsatz in der Form von MOX in Leichtwasserreaktoren (schwarz). Zum Vergleich die Plutoniumbestände im militärischen Bereich (schraffiert).

Mittlerweile sind jedoch erhebliche zeitliche Verzögerungen gepaart mit einer Kostenexplosion zu verzeichnen. Nunmehr wird mit Kosten von über 4 Mrd. $ in Russland und mehr als 10 Mrd. $ in den USA gerechnet (vormals 2 Mrd. bzw. 4 Mrd.). Der Zeitplan verschiebt sich in Russland auf einen Start der MOX-Fertigung im Jahr 2018 und ein Ende des Programms im Jahr 2040. In den USA wird ein Start der MOX-Fertigung nunmehr für 2016 angesetzt. Mit dem Bau der MOX-Anlage wurde erst Ende 2007 begonnen.

Sowohl die Zeit- als auch die Kostenplanung ist damit in beiden Ländern drastisch gescheitert. Bald zwei Jahrzehnte nach Ende des Kalten Krieges ist bis heute außer für Testzwecke noch kein Gramm russischen oder US-amerikanischen Waffenplutoniums beseitigt worden.

Im zivilen Bereich wird heute etwa dieselbe Menge Plutonium gelagert wie im militärischen Bereich, wobei diese Menge in den letzten Jahren kontinuierlich anstieg. Nur etwa 10 t Plutonium werden zurzeit pro Jahr wieder als MOX in LWR eingesetzt. Ein wesentlicher Grund für die relativ geringen Umsatzmengen ist, dass die Nutzung von MOX in LWR für die Betreiber unwirtschaftlich ist. Dennoch geht die Wiederaufarbeitung von Brennstoffen und damit die Abtrennung von Plutonium in den großen Wiederaufarbeitungsanlagen weiter (siehe Abb. 1).

Einen besonderen Engpass zum Abbau von Plutonium stellen darüber hinaus die wenigen vorhandenen Anlagen zur MOX-Herstellung (in Frankreich und Großbritannien) mit einer derzeitigen Verarbeitungskapazität von ca. 10-14 t Plutonium/Jahr dar. Eine weitere Steigerung des Produktionspotenzials ist erst mit Inbetriebnahme einer geplanten japanischen Anlage zur MOX-Herstellung zu erwarten. Gleichzeitig wird aber durch die Inbetriebnahme der neuen japanischen Wiederaufarbeitungsanlage auch die Menge an neu separiertem Plutonium weiter zunehmen. Ein Abbau der vorliegenden Bestände rückt damit nochmals in weitere Ferne.

Deutschland hat durch seinen Beschluss zur Beendigung der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennstoffe den Neuanfall an separiertem Plutonium in deutscher Verantwortung begrenzt. Nach Angaben der Betreiber deutscher Anlagen können die bisher vorliegenden und noch anfallenden Mengen an abgetrenntem Plutonium bis 2013 in der Form von MOX in deutschen Reaktoren eingesetzt werden. Auch in den Kernenergie befürwortenden Staaten besteht heute weder aus ökonomischer Sicht noch aus Mangel an Spaltmaterial eine Notwendigkeit zur Plutoniumrückgewinnung durch Wiederaufarbeitung. Daher sollten andere Staaten dem deutschen Beispiel folgen und zumindest ein Moratorium zum Verzicht auf weitere Abtrennung von Plutonium beschließen.

Hoch angereichertes Uran

Auch im Falle des Highly Enriched Uranium (HEU) bietet sich die getrennte Betrachtung der Produktionstechnologien und der Bestände und Beseitigungskonzepte an; letztere werden ebenfalls hinsichtlich der zivilen und der militärischen Nutzung unterschieden.

Produktionstechnologien

Natürlich vorkommendes Uran enthält fast ausschließlich das Uranisotop Uran-238 und nur zu einem sehr geringen Teil (0,7%) das spaltbare Isotop Uran-235. Für Reaktorbrennstoff in kommerziellen LWR muss der Anteil des spaltbaren Uran-235 erhöht werden. In der Regel ist eine Anreicherung des Uran-235 auf 3,5 bis 4% für diesen Reaktorbrennstoff ausreichend und es gehört damit zur Kategorie des niedrig angereicherten Urans (Low Enriched Uranium, LEU). Als hoch angereichert (HEU) wird Uran dann bezeichnet, wenn in der Isotopenmischung mehr als 20% U-235 enthalten sind. Für die Verwendung in Kernwaffen wird typischerweise eine Anreicherung auf etwa 90% Uran-235 verwendet. HEU kann, im Unterschied zu Plutonium, auch in Kernwaffen mit besonders einfacher Technik, sogenannten »Gun-Type«-Waffen2, eingesetzt werden und stellt daher nochmals ein besonderes Risiko der Abzweigung dar. HEU mit dieser Anreicherung wird jedoch nach wie vor auch in zivilen Anwendungen genutzt, so in Brennstoffen für zivile Forschungsreaktoren, für Schiffsreaktoren und zur Produktion von medizinischen Isotopen.

Zur Anreicherung des Urans kommen verschiedene industriell verfügbare Technologien zum Einsatz. Wurden in der Vergangenheit hauptsächlich die großen und energiezehrenden Gasdiffusionsanlagen sowohl zur Herstellung ziviler Brennstoffe als auch für militärische Zwecke genutzt, werden diese nun zunehmend durch die kleineren und energieeffizienteren Gasultrazentrifugenanlagen abgelöst. Die in Hinsicht auf Proliferation problematischen Zentrifugenanlagen sind allerdings schwerer zu überwachen, nur schwer aus der Entfernung detektierbar und lassen sich im Vergleich zu Diffusionsanlagen relativ einfach von einer zivilen Nutzung zur Herstellung von Reaktorbrennstoff auf eine militärische Nutzung zur Herstellung von HEU umkonfigurieren. Gerade der internationale Streit um das iranische Kernenergieprogramm mit der Zentrifugenanreicherungsanlage in Natanz zeigt, wie sensitiv der Besitz und die Beherrschung der Zentrifugentechnologie bezüglich der Befürchtung sind, diese könnte für einen militärischen Zweck genutzt werden.

Bestände und Beseitigungskonzepte

Im Gegensatz zu den technisch anspruchsvollen Konzepten der Plutoniumbeseitigung kann HEU recht einfach durch Verdünnung mit Natururan oder abgereichertem Uran wieder in LEU überführt werden. Dieses LEU ist damit praktisch nicht mehr als Spaltstoff für Kernwaffen verwendbar, steht jedoch zugleich als Brennstoff für zivile Reaktoren zur Verfügung. Der Anreicherungsprozess ist also umkehrbar und das Verfahren kann sogar ökonomisch gewinnbringend eingesetzt werden.

Die weltweiten HEU-Bestände betragen in etwa 1.700 t mit einer Unsicherheit von ±300 t, die vor allem darauf zurückzuführen ist, dass für die militärischen russischen Bestände lediglich Schätzungen vorliegen. Nur etwa 100 t davon befinden sich im zivilen Brennstoffkreislauf in Forschungsreaktoren und in Schiffsreaktoren. Rund 99% der weltweiten HEU-Bestände besitzen die Kernwaffenstaaten, nur etwa 10 t befinden sich in Nicht-Kernwaffenstaaten. In Deutschland befinden sich derzeitig 140 kg frisches und 730 kg abgebranntes HEU (2006).

Die USA haben einen militärischen Bestand von etwa 478 t HEU deklariert, wovon 250 t weiterhin für Kernwaffen vorgesehen sind. Unter der Annahme, dass sich der Großteil des Materials in den Gefechtsköpfen der aktiven Arsenale und der Reserve des amerikanischen Kernwaffenprogramms befindet, entspricht dies in etwa einer Menge von 10.000 verbleibenden Kernwaffen. Von den restlichen 228 t HEU wurden 100 t bereits als Brennstoff für Schiffsreaktoren genutzt und die verbleibenden 128 t sollen die Reaktoren der amerikanischen Flugzeugträger- und Unterseebootflotte für die nächsten 40-60 Jahre antreiben. Seit dem Ende des Kalten Krieges wurden 374 t HEU als überschüssig für den Gebrauch im Kernwaffenprogramm gekennzeichnet, darin sind die reservierten 128 t für Schiffsantriebe schon enthalten. Etwa 202 t dieses Überschusses und weitere 7 t aus Forschungsreaktoren sollen wieder zu LEU verdünnt und somit tatsächlich beseitigt werden. Bis dato sind auf diesem Weg etwa 87 t militärisches HEU dem zivilen Kernenergieprogramm der USA als LEU-Reaktorbrennstoff zugeführt worden. In den zivilen Kreislauf wurden des Weiteren 20 t überführt und dienen als Brennstoff für Forschungsreaktoren und für das Weltraumprogramm der USA. Weitere 23 t HEU befinden sich in abgebranntem Brennstoff und sollen in ein Endlager verbracht werden.

Neben den USA befindet sich der überwiegende Anteil an militärischem HEU in Russland. Grobe Schätzungen gehen von einem Bestand von etwa 400-1.000 t HEU im militärischen Bereich aus und von einer Reserve für marine Zwecke von 100 t. Russland hatte schon 1993 500 t HEU aus militärischen Beständen als überschüssig deklariert. Von den anfänglich 500 t wurden 275 t bis 2006 zu LEU verdünnt, von den USA aufgekauft und dem zivilen Nuklearprogramm als Brennstoff zugeführt.

Großbritannien deklariert seinen militärischen HEU Bestand mit 21,9 t. Weitere Abschätzungen durch Nichtregierungsorganisationen über nennenswerte militärische Bestände an HEU liegen noch für Frankreich (30 t), China (20 t), Indien (0,2 t) und Pakistan (1,3 t) vor. Während die offiziellen Kernwaffenstaaten ihre Produktion von HEU zurzeit eingestellt haben, wird in Indien und Pakistan noch weiter HEU für die militärischen Arsenale produziert. Insgesamt wird der Bestand an militärischem HEU seit dem Ende des Kalten Krieges tatsächlich reduziert. Das Äquivalent von etwa 14.500 Gefechtsköpfen mit je 25 kg HEU wurde somit bisher beseitigt. Dennoch enthalten die russischen wie die amerikanischen militärischen Bestände auch in Zukunft noch Material für Zehntausende Kernwaffen auf HEU-Basis.

Derzeit liegen weltweit noch etwa 100 t HEU im zivilen Bereich vor. Der größte Teil davon wird als Brennstoff in Forschungsreaktoren und zum Betrieb der Reaktoren der neun zivilen russischen Eisbrecher der Nordmeerflotte eingesetzt. Obwohl die 100 t HEU im zivilen Bereich nur einen Bruchteil der gesamten Bestände an HEU darstellen, geht gerade von diesen Beständen eine Gefahr aus. Das Material würde für den Bau von mehr als 4.000 Kernwaffen ausreichen. Zudem liegt es weltweit verteilt in etwa 40 Ländern an ca. 100 Standorten vor und diese weisen oft nicht dieselben Sicherungsmaßnahmen auf wie Bestände im militärischen Bereich.

Seit den 70er Jahren gibt es daher weltweite Bemühungen, die Nutzung von HEU im zivilen Bereich zu minimieren. Vor allem das RERTR-Programm (Reduced Enrichment for Research and Test Reactors) hat wesentlich dazu beigetragen, dass bisher 43 ehemals HEU-betriebene Forschungsreaktoren auf niedrigangereichertes Uran (LEU) umgestellt wurden. Bis zum Jahr 2007 wurde somit in 16 Ländern die HEU-Nutzung eingestellt. Letztes Ziel ist jedoch der »global cleanout«, d.h. der weltweite Verzicht auf die Nutzung von HEU in zivilen Anlagen, mit den einhergehenden Transporten und der Lagerung von direkt waffentauglichem Material in zivilen Einrichtungen.

Aufgrund einer verschärften Bedrohungswahrnehmung in der Nachfolge des 11. September wurden etliche zusätzliche Programme aufgelegt. Nach dem Treffen der Präsidenten Putin und Bush in Bratislava 2005 wurde die »Global Threat Reduction Initiative« (GTRI) gegründet, in die das RERTR-Programm neben einer Reihe von weiteren Maßnahmen integriert ist. Das RERTR-Programm zur Umrüstung von Forschungsreaktoren wurde mit mehr Mitteln ausgestattet und ein aggressiver Zeitplan ausgearbeitet, der vorsieht, zunächst 64 weitere HEU-Reaktoren bis 2014 auf LEU umzustellen. Bis zu einem tatsächlichen globalen Verzicht der HEU-Nutzung ist es allerdings noch ein langer Weg.

Eine Umrüstungsverpflichtung (bis 2010) gibt es auch für den neu gebauten Forschungsreaktor Maier-Leibnitz in München (FRM-II), der entgegen den internationalen Bemühungen der letzten Jahrzehnte und trotz jahrelanger heftiger Kontroversen im Jahr 2004 mit HEU-Brennstoff in Betrieb genommen wurde. Der Reaktor verbraucht seither im Schnitt 40 kg HEU pro Jahr und gehört damit zu den Top Ten der zivilen HEU nutzenden Einrichtungen weltweit. Die Umrüstung ist technisch schwierig und im Wesentlichen von neuen hochdichten Brennstoffen abhängig, die derzeitig weltweit mit Millionenaufwand zur Umstellung von Forschungsreaktoren entwickelt werden. Ziel der Umrüstungsbemühungen des FRM-II sollte eine Minimierung der Anreicherung möglichst auf 20% (LEU) sein, ohne die wissenschaftliche Nutzung des Reaktors allzu sehr einzuschränken. Mit einer Umstellung auf nur 50% Anreicherung wäre das Ziel verfehlt, weltweit auf die Verwendung von HEU im zivilen Bereich verzichten zu können.

Zusammenfassung und zukünftige Aufgaben

Die derzeitige weltweite Verbreitung sensitiver Nukleartechnologien (Anreicherung mit Ultrazentrifugen, Wiederaufarbeitung) in der zivilen Atomenergienutzung, die den Direktor der IAEO, Mohamed ElBaradei, dazu veranlasste von 40 virtuellen Kernwaffenstaaten zu sprechen, sowie der Bestand von großen Mengen an separiertem Plutonium und HEU stellen ein akutes Problem für die internationale Sicherheit dar. Sie sind das Ergebnis der allgemeinen technologischen Entwicklungsdynamik in Verbindung mit einer unzureichenden Nichtverbreitungs- und Abrüstungspolitik.

Die Halden an separiertem zivilem Plutonium steigen kontinuierlich an und ein Ende des Anwachsens ist trotz der Nutzung als MOX in LWR bisher nicht in Sicht. Ein ziviles Moratorium bei der Abtrennung von Plutonium wäre daher notwendig, um wenigstens das weitere Anwachsen zu stoppen. Zur Vermeidung der Nutzung von HEU im zivilen Bereich wurden zwar in den letzten Jahren existierende Programme deutlich beschleunigt. Sie können jedoch angesichts vieler Ausnahmen nach wie vor kaum als umfassend bezeichnet werden. Die tatsächliche Umsetzung eines globalen Verzichts auf die Nutzung von HEU muss daher weiter forciert werden.

Nicht zu vergessen sind auch die weiterhin vorhandenen militärischen HEU- und Plutoniumbestände der offiziellen Kernwaffenstaaten. Zwar findet derzeit keine Neuproduktion in den offiziellen Kernwaffenstaaten statt. Die Beseitigung des als Überschuss deklarierten militärischen Plutoniums in den USA und in Russland hat jedoch noch nicht einmal begonnen, der Abbau der Bestände wird noch Jahrzehnte benötigen. Zur Beschleunigung dieses Abbaus sollten daher auch weitere technische Alternativen vorangetrieben werden. Die Vernichtung der überschüssigen militärischen HEU Bestände verläuft in den USA ebenfalls schleppend. Auch für den Betrieb von Schiffsreaktoren wurden von Russland und den USA große Mengen HEU zurückgehalten. Ohne einen radikalen Abbau der vorliegenden Bestände an Spaltmaterial ist eine dauerhafte nukleare Abrüstung nicht zu realisieren.

Entgegen ihrer im Nichtverbreitungsvertrag eingegangenen Verpflichtung zur vollkommenen Abrüstung der Nuklearwaffenarsenale haben diese Staaten darüber hinaus alle Modernisierungsprogramme für ihre Kernwaffenarsenale aufgelegt. Die Konservierung von immensen Beständen an Spaltmaterial, ausreichend für Kernwaffenbestände weit über die Vereinbarungen z.B. des SORT-Vertrages hinaus, in Verbindung mit Modernisierungsprogrammen für die Kernwaffenarsenale lässt nur den Schluss zu, dass die Kernwaffenstaaten wohl langfristig zur Wahrung ihrer Interessen auf Nuklearwaffenarsenale nicht verzichten möchten.

Anmerkungen

1) Beim Implosionstyp ist das Spaltmaterial in einer Hohlkugel enthalten. Die für die Kettenreaktion erforderliche kritische Masse wird durch ein Zusammendrücken der Kugel (Implosion) erreicht. Die Plutoniumbombe von Nagasaki funktionierte nach diesem Prinzip.

2) Bei einer »Gun-Type«-Waffe werden zwei für sich jeweils subkritische Mengen Spaltmaterial aufeinander gefeuert, um eine kritische Menge zu erreichen, die eine unkontrollierte Kettenreaktion auslöst. Auf Hiroshima wurde eine Uranbombe dieses Typs abgeworfen.

Matthias Englert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) an der TU Darmstadt. Christoph Pistner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Nukleartechnik und Anlagensicherheit am Öko-Institut Darmstadt. Beide sind Vorstandsmitglieder des Forschungsverbundes Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS).

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2008/1 Rüstungsdynamik und Renuklearisierung, Seite