Der Trend weltweiter Aufrüstung hält an
von Peter J. Croll
Es scheint so, als seien die ersten Jahre nach Ende des kalten Krieges »die Sternstunde der Abrüstung« gewesen. Man erforschte und betrieb Konversion. Die Rüstungsausgaben sanken. Dass die Großen dieser Welt nun wieder aufrüsten, belegt der BICC-Jahresbericht 2006/2007. Knapp die Hälfte der weltweiten Militärausgaben in Höhe von über 1.000.000.000.000 (1 Billion) US-Dollar entfallen auf die USA. Russland rüstete für etwa 21 Mrd. US-Dollar (d.h. um 34 Prozent mehr als 2001); Indien gab 20,4 Mrd. US-Dollar in 2005 aus (2002: 12,3 Mrd.) und China geschätzte 41 Mrd. US-Dollar in 2005 (von 26,1 Mrd. US-Dollar 2001). Ging es am Ende des Kalten Krieges noch um eine Friedensdividende, hält der Ruf nach kriegerischen Handlungen und militärischen Aktionen zunehmend Einzug in die internationale Politik.
Dies ist auch im US-Präsidentschaftswahlkampf zu beobachten: »Bomb bomb bomb – bombbomb‘ Iran« sang John McCain, einer der Präsidentschaftskandidaten der Republikaner nach der Melodie von »Bar bar bar, Barbar’ Ann«. Das war vielleicht noch ein – geschmackloser – Witz. Mitbewerber Duncan Hunter war bezüglich des Iran todernst: »I would authorize the use of tactical nuclear weapons if there was no other way to pre-empt those particular centrifuges«. Mit solchem Gedankengut einer selbst erklärten Weltmacht können weder weltweit Sicherheit noch nachhaltiger Frieden erreicht werden. Der Widerspruch zwischen den globalen Führungsansprüchen der US Regierung und ihrem Scheitern bei der Lösung von Konflikten ist unübersehbar.
Die für die Verteidigungsausgaben Verantwortlichen geben für Rüstung doppelt so viel aus, wie das gesamte Bruttoinlandsprodukt aller Länder des südlichen Afrikas zusammen. Dagegen nehmen sich die in Aussicht gestellten zusätzlichen zwei Mrd. Euro für die Entwicklung Afrikas wie Almosen aus. 75 % der globalen Militärausgaben stammen aus den 30 OECD-Staaten, und 707 Mrd. US-Dollar der weltweiten Militärausgaben aus den G8-Staaten. Die Gesamtausgaben für die globale Entwicklungszusammenarbeit (EZ) betrugen in 2005 nur 106,8 Mrd. US-Dollar. Damit lag das Verhältnis von Militärausgaben in den Industrieländern zu den Gesamtausgaben für die globale EZ bei erschreckenden 7:1. Dies macht die Aufrufe zum Kampf gegen die Armut zur Farce. Mehr als 1 Billion US-Dollar für Aufrüstung sind obszön, wenn wir sie mit den weltweiten Anstrengungen für die Bekämpfung von HIV/AIDS vergleichen.
Die Aufrüstung scheint sich auch in den Weltraum auszudehnen. Die Bush Regierung hat ernsthaftes Interesse an der Entwicklung von Anti-Satelliten Waffensystemen (ASAT) bekundet und angekündigt, diese im Rahmen ihres Weltraumraketenabwehrsystems 2008 auch testen zu wollen.
Die weltweiten Investitionen in Rüstung und Militär zeigen, dass auch die Rüstungskontrolle in einem beklagenswerten Zustand ist. Der Vertrag zur Nichtverbreitung von Kernwaffen wird durch die Mächtigen der Unterzeichnerstaaten ausgehöhlt. Die USA und Großbritannien haben die Modernisierung ihrer Nuklearwaffen schon ins Auge gefasst; die Folge ist weltweit ein verstärktes Drängen nach Nuklearwaffen. Auch der über sechs Jahre bis 2006 anhaltende Versuch der UNO, den legalen Handel mit Waffen zu regulieren, illegale Waffen aufzuspüren und zu vernichten sowie eine breite Kontrolle des Waffenbesitzes einzuführen, ist kläglich gescheitert – am Veto mächtiger Staaten wie den USA.
Die Spirale der Aufrüstung geht weiter. Die Argumente sind immer die gleichen: »Wir benötigen Waffen und Waffensysteme um unsere Sicherheit zu erhöhen«. Die Diskussion um das iranische Atomprogramm und die beabsichtigte Raketenstationierung in Europa unterstreichen diesen Trend. Durch die amerikanischen Raketenabwehrpläne in Osteuropa fühlt sich Russland provoziert: Ein weiteres »unvermeidbares Wettrüsten« wird die Folge sein. Selbst das großzügig scheinende Angebot Putins an die USA, Russlands Satellitenstation in Aserbaidschan mitbenutzen zu dürfen, wird sowohl an den technischen Möglichkeiten als auch an der amerikanischen »go-it-alone«-Strategie scheitern. Teil der Aufrüstungsspirale ist auch die russische Überlegung, den Vertrag über die Konventionellen Streitkräfte in Europa und den Vertrag über die vollständige Abschaffung von Mittelstreckenraketen zu kündigen.
Wie kann aber die fatale Logik der Aufrüstung, der fast nicht mehr funktionierenden Rüstungskontrolle, durchbrochen werden? Es gibt Handlungsoptionen, auch auf nationaler Ebene:
- Waffen müssen kontrolliert, eingesammelt und vernichtet werden. Denen, die sie benutzt haben, muss eine Möglichkeit zur friedlichen Integration in die Gesellschaft geboten werden.
- Kreative und innovative Lösungen zur Konfliktvermeidung müssen erforscht und komplementär zu traditioneller Rüstungskontrolle angewendet werden, so etwa der Kimberley-Prozess.
- Zivile Krisenprävention, Konfliktbeilegung und Friedenskonsolidierung müssen eine Bedeutung haben wie der Klimaschutz.
- Eine Integrative Sicherheitsstrategie bedarf einer konzeptionellen Klärung und einer engeren Diskussion und Koordination zwischen AA, BMZ, BMVg.
- Stärkeres Engagement der EU und der Bundesregierung zur Reduzierung der weltweiten Rüstungsausgaben.
- Höhere Investitionen in präventive Maßnahmen, z.B. des Beirats für zivile Krisenprävention.
Bei den Bemühungen der Regierenden zur Abrüstung, Rüstungskontrolle und Sicherheitsforschung gibt es noch immer eine nicht hinnehmbare Kluft zwischen Worten und Taten.
Peter J. Croll ist Geschäftsführer des Internationalen Konversionszentrums Bonn – Bonn International Center for Conversion (BICC)