W&F 2004/4

Deutsche und amerikanische Think Tanks

Voraussetzungen für ihr Wirken

von Josef Braml

Think Tanks – fast ausschließlich privat finanziert – sind für die US-amerikanische Öffentlichkeit selbstverständlich. In Deutschland – weitgehend staatsfinanziert – stehen sie nur selten mal im Rampenlicht. Der Autor geht der Frage nach, wie verwoben die amerikanischen und deutschen Denkfabriken jeweils mit ihrer institutionellen, rechtlichen, finanziellen, arbeitsmarktspezifischen, technologie-/medienspezifischen, intellektuellen und zunehmend wettbewerbsorientierten Umwelt sind. Er vergleicht die unterschiedlichen Mittel und Wege, die deutsche und amerikanische Think Tanks nutzen, um bestmöglich in ihrem spezifischen Marktkontext zu operieren und auf diesen Einfluss zu nehmen.

Think Tanks sind praxisorientierte Forschungsorganisationen des Dritten Sektors,1 deren erklärte Zielsetzung es ist, auf den politischen Entscheidungsprozess Einfluss zu nehmen, indem sie mehrere, für sie charakteristische Kommunikationsrollen ausüben:

•Rolle der politikrelevanten Forschung: Ein Think Tank ist gut beraten, einen sowohl wichtigen als auch unterscheidbaren Kommunikationsbeitrag zu leisten; das heißt, ein Think Tank sucht sich mit Hilfe von Beiträgen, die auf eigenen oder synthetisierten wissenschaftlichen Expertisen beruhen, von anderen Organisationen und konkurrierenden Think Tanks abzugrenzen, und nicht zuletzt damit auch einen (wahrgenommenen) Einfluss auf die Politikgestaltung auszuüben.

•Rolle der Transmission und Interpretation: Dafür ist es notwendig, dass die Kommunikation über private oder öffentliche Kanäle wirksam wird, dass also eine Interpretation sowie eine Transmission in zentrale politische Entscheidungen erfolgt.

•Konvokationsrolle, Netzwerksrolle, Rekrutierungsrolle und Elitentransferrolle: Wegen der spezifischen Beschaffenheit der Kommunikationskanäle – Stichwort »Gatekeeper« – sind Think Tanks oftmals genötigt, ihre eigenen Kommunikationsforen und -netzwerke zu etablieren sowie Emissäre für ihre Expertisen zu rekrutieren, auszubilden und in die politische Welt zu senden.

Empirische Befunde legen den Schluss nahe, dass ihre »Raison d’être«, ihre auszuübende Rolle, vom jeweiligen Kontext abhängt. Aus vergleichender Perspektive betrachtet, erweist sich die strategische Orientierung von amerikanischen und deutschen Think Tanks jeweils als verwoben mit ihrer institutionellen, rechtlichen, finanziellen, arbeitsmarktspezifischen, technologie-/medienspezifischen, intellektuellen und zunehmend wettbewerbsorientierten Umwelt.

Die Verbundenheit von Think Tanks mit ihrer spezifischen Umwelt bedeutet, dass nicht jede erfolgreiche Strategie amerikanischer Think Tanks problemlos auf den deutschen Kontext übertragen werden kann. Das heißt jedoch nicht, dass deutsche Think Tanks nichts aus den Erfahrungen anderer Länder lernen können. Vielmehr dürfte es ausgesprochen lehrreich sein, sich den Einfluss von externen Kräften auf das spezifische Verhalten amerikanischer Think Tanks vor Augen zu halten. Umgekehrt können auch deutsche Erfahrungen als Referenzrahmen dienen, um die Besonderheiten, Chancen und Gefahren des sich verändernden US-Kontextes auszumachen und mögliche Alternativen zum »American way of think tank business« aufzuzeigen.

Tatsächlicher Einfluss versus Einfluss des wahrgenommenen Einflusses

Wissenschaftliche Beobachter und Praktiker stimmen darin überein, dass es sehr schwierig ist, den wirklichen Einfluss von Think Tanks zu ermessen. Für R. Kent Weaver „ist es genuin schwierig, den Einfluss zu beurteilen, den Think Tanks einzeln oder generell auf den legislativen Entscheidungsprozess ausüben; die meisten Belege dafür sind eher anekdotenhaft. Es ist schwierig, den Ursprung von Ideen mit Sicherheit nachzuweisen, weil der legislative Prozess meistens sehr langwierig ist und eine Vermengung verschiedener Vorschläge beinhaltet. Erfolgreiche Vorschläge haben viele Väter; Misserfolge sind Waisen. Es ist noch schwieriger, den Einfluss eines Think Tank im Vergleich zu einem anderen zu bestimmen, weil die verschiedenen Mittel und Wege der politischen Einflussnahme nicht miteinander vergleichbar sind, sowohl hinsichtlich der Art des Einflusses als auch was den Zeitrahmen angeht, in dem sich das Wirken von Think Tanks erwartungsgemäß manifestieren könnte.“2 Winand Gellner wiederum verweist auf Gespräche, die er im Frühjahr/Sommer 1990 in Berkeley, Kalifornien mit Nelson Polsby führte. Dabei habe Polsby deutlich gemacht, „dass er es für zwecklos halte, nach direkten Auswirkungen von Think-Tank-Aktivitäten zu fragen. Solche Fragen könne nur stellen, wer die Komplexität des politischen Prozesses nicht in Rechnung stelle. In Einzelfällen, »case studies« eben, seien Nachweise durchaus möglich, systematisch überzeugende Erklärungen wohl eine Illusion.“3

Demnach erscheint es ergiebiger, den wirklichen Einfluss von Think Tanks fallweise nachzuzeichnen.4 Während einige Fallstudien diese Forschungslücke bereits schließen helfen, bleibt ein weiteres Forschungsdesiderat bestehen: eine Antwort auf die Frage nach wahrnehmungsbedingten Auswirkungen auf Verhalten und Organisationsmuster von Think Tanks, die Einfluss anstreben und ihn auch demonstrieren wollen. Im Folgenden soll es deshalb vornehmlich darum gehen, den Einfluss des wahrgenommenen Einflusses systematisch zu erklären. Denn nicht minder wichtig als der eigentliche, »wahre« Einfluss, den ein Think Tank ausübt, ist der tatsächlich perzipierte Einfluss, der die spezifischen Chancen auf den Marktplätzen für Ideen und Finanzierung bestimmt und damit eine Wirkung auf das Organisationsverhalten der verschiedenen Think-Tank-Typen in beiden Ländern zeitigt.

Marktplätze für finanzielle Ressourcen und für Ideen

Eine empirische Analyse des jeweiligen Verhältnisses zwischen dem Marktplatz für finanzielle Ressourcen und dem Marktplatz für Ideen5 ermöglicht es aufzuzeigen und zu erklären, inwiefern bzw. warum Think Tanks unterschiedliche Mittel und Wege nutzen, um bestmöglich in ihrem spezifischen Marktkontext zu operieren und auf diesen Einfluss zu nehmen. Unter institutionellen Gesichtspunkten erscheint das Verhältnis zwischen Think-Tank-Ressourcen und ihrem Output, graphisch vereinfacht, wie in Abbildung 1 dargestellt.

  • In Deutschland führt die überwiegend öffentliche/staatliche Finanzierung in der Regel zu einem »privaten«, eliteorientierten Output;
  • die hauptsächlich private Finanzierung in den USA hingegen zeitigt tendenziell einen zivilgesellschaftlich orientierten Output, der einer breiteren Öffentlichkeit »zugänglicher« ist.

Nicht zuletzt das asymmetrische Verhältnis zwischen der überwiegenden Staatsfinanzierung deutscher Think Tanks und ihrer tendenziell privaten bzw. vertraulichen Beziehung zum politischen Entscheidungsprozess liefert häufig Anlass zur Kritik: Während ihre üppigen staatlichen Zuwendungen weithin bekannt sind und von den Medien oftmals kritisch kommentiert werden, sind ihre wissenschaftlichen Dienstleistungen der Öffentlichkeit weniger vertraut. Angesichts zunehmend engerer staatlicher Finanzierungsspielräume sind Think Tanks gefordert, ihre »Raison d’être« zu behaupten, indem sie ihre Rolle (neu) definieren und zum Ausdruck bringen. In dieser Situation wird gerne das amerikanische Vorbild bemüht und die Tradition des amerikanischen Pragmatismus als Referenzrahmen herangezogen.

Vorbild Amerika?

Die entscheidende Frage: „Warum ist in Amerika Politikberatung selbstverständlich, während sie bei uns als Luxus gilt?“ stellte Roman Herzog in seinem Vortrag bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).6 Als Ursachen wurden genannt die „Kurzatmigkeit“ der deutschen Tagespolitik auf der einen Seite und das „Problem der Umsetzung“ von Erkenntnissen der deutschen Wissenschaft auf der anderen.

Doch auch in den Vereinigten Staaten ist – ungeachtet der ihnen zugebilligten Vorbildfunktion – nicht alles Gold, was glänzt: „Es ist offensichtlich, dass in den vergangenen Jahrzehnten grundlegende Veränderungen der Eigenschaften und Arbeitsweisen von Think Tanks stattgefunden haben, was sich in einer Politisierung der Beratung amerikanischer Politik widerspiegelt. In den ersten Jahrzehnten bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Think Tanks allgemein als objektive und sehr glaubwürdige Produzenten von Expertisen für politische Akteure angesehen. In der heutigen, viel dichter besiedelten Think-Tank-Landschaft werden sie zunehmend zu streitsüchtigen Advokaten in balkanisierten Debatten über politische Richtungsentscheidungen, oder werden zumindest so wahrgenommen.“7 Anders ausgedrückt, mit der stärkeren Betonung der Konkurrenz auf den so genannten Marktplätzen für Ideen und für finanzielle Ressourcen haben sich auch die Kommunikations- bzw. Finanzierungsmittel und -wege amerikanischer Think Tanks grundlegend verändert.

Die vorliegende Zusammenfassung von Forschungsergebnissen8 will einen Beitrag dazu leisten, die unterschiedlichen Mittel und Wege zu verstehen, welche deutsche und amerikanische Think Tanks nutzen, um bestmöglich in ihrem spezifischen Marktkontext zu operieren und auf diesen Einfluss zu nehmen.

Intellektueller Nährboden für Unabhängigkeit

Verschiedene intellektuelle Nährböden legen amerikanischen und deutschen Think Tanks unterschiedliche Arten der Alimentierung nahe. Privatfinanzierung von Stiftungen, Wirtschaftsunternehmen und Einzelpersonen gilt amerikanischen Think Tanks als Garant für ihre »Unabhängigkeit« – vom Staat. Deutschen Think Tanks hingegen geht es vorrangig darum, als von der Wirtschaft bzw. vom privaten Sektor »unabhängig« wahrgenommen zu werden, was durch eine überwiegende Staatsfinanzierung von Bund und Ländern sichergestellt wird. Diesseits des Atlantiks gilt es also, sich dem korrumpierenden Einfluss privaten Geldes zu erwehren, auf der anderen Seite sieht man seine Unabhängigkeit eher durch den dirigistischen Einfluss des Staates gefährdet.

Finanzierung

Die Finanzierungspraktiken deutscher und amerikanischer Think Tanks entsprechen diesen Wahrnehmungsmustern. In den USA nehmen nur vier von zehn Instituten überhaupt staatliches Geld an. In der Bundesrepublik hingegen bestätigen neun von zehn Think-Tank-Managern, dass sie staatliche Finanzierung erhalten. Mit anderen Worten: Verglichen mit den 60% der amerikanischen Think Tanks, die grundsätzlich keine staatliche Finanzierung annehmen, ist die Zahl rein privat finanzierter Think Tanks in der BRD sehr gering: Nur knapp 10% der deutschen Think Tanks nehmen überhaupt kein staatliches Geld.9

Die dominante Staatsfinanzierung deutscher und die überwiegende Privatfinanzierung amerikanischer Think Tanks wird um so deutlicher, wenn man die absoluten Zahlenverhältnisse betrachtet: Der durchschnittliche Finanzierungsmix deutscher Think Tanks beträgt zwei drittel staatliche und ein drittel private Mittel. Amerikanische Think Tanks beziehen im Schnitt 86% ihrer Einnahmen aus privaten Mitteln und nur zu 14% vom Staat.10

Zwischenfazit: Viel mehr deutsche als amerikanische Think Tanks beziehen überhaupt staatliche Mittel, und deren Umfang ist in Deutschland auch wesentlich höher als in Amerika.

Ein noch differenzierteres Bild der jeweiligen Finanzierungspraktiken ergibt sich, wenn man die Art und Weise der Zuwendungen vergleicht. Im deutschen Kontext fallen schnell die Kategorien staatlicher Finanzierung durch Bund und Länder ins Auge. Anders in den USA, wo private Finanzierungsformen dominieren (Abbildung 2). Hier sind Zuwendungen von Stiftungen an erster Stelle, gefolgt von Spenden von Unternehmen und Privatpersonen.

Orientierung

Die verschiedenen Finanzierungsformen korrespondieren mit unterschiedlichen institutionellen Orientierungen. Der breitere Fokus amerikanischer Think Tanks, der sowohl den engeren politischen als auch den nichtstaatlichen Bereich umfasst, reflektiert deren Verbundenheit mit dem privaten Sektor. Hingegen weisen überwiegend staatlich finanzierte deutsche Think Tanks eine engere Ausrichtung auf zentrale (politische) Entscheidungsträger auf, die in der einen oder anderen Form mitbestimmend sind für ihre Finanzierung. Die Graphik (Abbildung 3) illustriert die verschiedenen Zielgruppen deutscher und amerikanischer Think Tanks:

Vor diesem Hintergrund erscheint die deutlich stärkere Hinwendung amerikanischer Think Tanks zu Wirtschaft und Medien um so plausibler. Das Datenmaterial in Abbildung 4 verdeutlicht, wie unterschiedlich deutsche und amerikanische Think-Tank-Manager die Bedeutung ihrer Mediensichtbarkeit für ihre Finanzierung bewerten.

Eine gute Beziehung zu den Medien zahlt sich für US-Think-Tanks im wahrsten Sinne des Wortes aus. Denn eine Symbiose mit den Medien erhöht nicht nur die Sichtbarkeit eines Think Tanks, sondern seine Chancen auf private Weiterfinanzierung.

Deshalb sind Think Tanks in den USA den Medien gegenüber generell aufgeschlossener und um Medienpräsenz bemüht; auch investieren sie mehr finanzielle und personelle Ressourcen in medienbezogene Aktivitäten und managen ihre »Public Relations« professioneller, was sich nicht zuletzt in einer spektakuläreren Produkt- und Servicepalette zeigt (siehe Abbildung 5).

Humankapital

Die unterschiedlichen Orientierungen (und nicht zuletzt auch Mobilitätsmuster bei der Karriereplanung) spiegeln sich auch in den Qualifikationsanforderungen und -profilen der wissenschaftlichen Mitarbeiter wider. Amerikanische Think Tanks legen im Vergleich zu deutschen Instituten deutlich höheren Wert auf praktische Erfahrung (government experience), politische Orientierung, Fähigkeiten im Umgang mit den Medien und spezifische Politikfeldkenntnisse. Deutsche Think Tanks wiederum benennen die akademische Qualifikation und Reputation als wichtigste Kriterien bei der Einstellung und Beurteilung/Beförderung von Mitarbeitern im Forschungsbereich (siehe Abbildung 6).

Diese unterschiedlichen Qualifikationskriterien passen zum jeweils vorherrschenden Selbstbild. Während sich amerikanische Forscher eher zur praxis- und politikorientierten Zunft rechnen, sehen sich viele deutsche Sozialwissenschaftler als akademische Freiheit genießende Theoretiker. Deutsche Sozialwissenschaftler sind in erster Linie auf ihre akademische Reputation bedacht, die nicht zuletzt häufig dafür ausschlaggebend ist, ob eine staatliche Finanzierung gewährleistet werden kann (Stichwort DFG-Mittel und finanziell relevante Beurteilungen durch den Wissenschaftsrat).

Erforderliche Umorientierung?

Vor dem Hintergrund der angespannten öffentlichen Haushaltslage in der Bundesrepublik Deutschland gewinnt jedoch die Frage besondere Bedeutung, inwiefern es auch deutschen Think Tanks gelingen könnte, fehlende staatliche Unterstützung mit privaten Mitteln zu kompensieren. Was wären mögliche (unbeabsichtigte) Wirkungen einer derartig grundlegenden Veränderung der Rahmenbedingungen?

In der Bundesrepublik Deutschland wurden bereits gesetzliche Regelungen verabschiedet, um philanthropische Aktivitäten im privaten Sektor anzuregen.11 Das Potenzial hierfür wäre enorm: „Zum erstenmal in diesem Jahrhundert wurde privater Wohlstand weder durch Krieg noch durch Inflation zerstört, sondern kann ungeschmälert auf die nachfolgende Generation übertragen werden. Allein das private Geldvermögen [betrug Ende der 90er Jahre] etwa 5 Billionen DM und [war] damit so hoch wie nie zuvor.“12 Für das Jahr 2002 errechnete die Bundesbank einen Betrag von 3,7 Billionen Euro Geldvermögen. Auch nach Abzug der Verbindlichkeiten bleiben den privaten Haushalten 2,1 Billionen Euro Nettogeldvermögen zur Verfügung.13

Die Änderung des rechtlichen Rahmens hat optimistische Erwartungen geweckt, in Deutschland könne eine philanthropische Kultur entstehen. Es bleibt jedoch abzuwarten, inwieweit die steuerlichen Anreize zur Gründung und Förderung privater Stiftungen sich auch für politikrelevant forschende Think Tanks auszahlen.

Um dieses Potenzial an privaten Mitteln zu nutzen, müssten sich auch deutsche Think Tanks verstärkt auf die Zusammenarbeit mit den Medien einlassen und ihre PR-Arbeit professionalisieren. Sie sollten sich wie ihre Kollegen in den USA verstärkt um Symbiose mit den Medien bemühen, um ihre Sichtbarkeit – und damit auch ihre Aussichten auf Privatfinanzierung – zu verbessern.

Extrem politisiert wie das private Finanzierungs- und auch das Medienumfeld in der Bundesrepublik Deutschland ist, böte es – so die generelle Einschätzung deutscher Think-Tank-Manager (vgl. Abbildung 7) –, advokatischen Think Tanks mit eindeutiger politischer Positionierung auch hierzulande eine wesentlich bessere Ausgangslage: sowohl im Hinblick auf ihre Attraktivität bei potenziellen Sponsoren als auch hinsichtlich ihrer Medienpräsenz, die wiederum ausschlaggebend für die Finanzierungsaussichten ist. Mit anderen Worten: Eine Umstellung der finanziellen Rahmenbedingungen von überwiegend öffentlicher auf stärker private Finanzierung würde auch in der Bundesrepublik eine Politisierung der Think-Tank-Expertisen zur Folge haben – wenn nicht sogar einen ähnlichen Grad an Ideologisierung hervorrufen wie sie in Amerika vorherrscht.

Europäische Zukunftsperspektiven

Auch im Zuge der europäischen Integration verändern sich die Bedingungen für deutsche Think Tanks. Nicht nur ist die D-Mark in einer gemeinsamen europäischen Währung aufgegangen; in dem dadurch veränderten Umfeld ist es auch denkbar, dass die Think-Tank-»Währung« eine andere Denomination annimmt. Im bisherigen nationalen Kontext gelten staatliche Mittel als Garant für »Unabhängigkeit« der Think Tanks von privaten Ressourcen und deren Einfluss. Doch in einem sich ändernden geopolitischen Umfeld können Partikularinteressen schnell als nationale und damit als »öffentliche Güter« deklariert und wahrgenommen werden und wären insofern nicht denselben argwöhnischen Vermutungen ausgesetzt wie es etwa finanzielle Mittel von organisierten Partikularinteressen im nationalen Kontext sind.

Ferner vermögen in einem sich wandelnden geopolitischen Umfeld neue Themen- und Politikfelder durchaus dazu beizutragen, dass bestehende nationale Verkrustungen aufbrechen – im US-Kontext auch »iron triangles« genannt. Interessengruppen und andere Akteure sind auf der supranationalen Ebene in ihrem Manövrierraum weniger durch die potenzielle Machtrolle politischer Parteien – der traditionellen Türsteher (gatekeepers) – eingeschränkt und haben einen leichteren Zugang zu einer steigenden Zahl (mit)entscheidender Akteure. Anstatt sich wie bisher nur auf etablierte direkte und private Kommunikationskanäle zu »ihren« Regierungen zu verlassen, könnte – was durchaus vorstellbar ist – ein erweiterter Kreis von Akteuren versuchen, eine steigende Anzahl von politischen Entscheidungsträgern auf den verschiedenen, sich weiterhin differenzierenden Entscheidungsebenen über die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Auch in diesem zunehmend komplexen und unübersichtlichen Umfeld steht zu erwarten, dass der wahrgenommene Einfluss wichtiger ist als der »wahre«, wirkliche Einfluss, den Think Tanks ausüben. Zweifelsohne wird sich aber der Einfluss der wahr-genommenen Einflüsse in neuen organisatorischen Strukturen manifestieren. Veränderungen der äußeren Rahmenbedingungen erhöhen demnach die Bedeutung der Medien und rücken Think Tanks stärker ins öffentlichkeitswirksame Rampenlicht. In einem sich solcherart wandelnden (institutionellen) Umfeld erscheint eine Symbiose zwischen Think Tanks und Medien als plausible Option auch für deutsche Think Tanks, wollen sie ihre kommunikative Nische auf dem europäischen Ideen- und Finanzierungsbasar behaupten.

Anmerkungen

1) Think Tanks sind Organisationen des Dritten Sektors, welche in rechtlicher Hinsicht einen Gemeinnützigkeitsstatus genießen und vom zentralen politischen Entscheidungssystem »unabhängig« sind. Diese flexible Definition ist besonders brauchbar für vergleichende Analysen, denn je nach nationalem Kontext können Think Tanks entweder mehr mit dem zentralen politischen Entscheidungssystem verbunden oder stärker im privaten Sektor verwurzelt sein. Zudem kann sich die jeweilige Anbindung im Laufe der Zeit verändern. Während die Definition von Think Tanks ein breites Spektrum – vom privaten Sektor bis hin zum politischen Entscheidungssystem im engeren Sinne – umspannt, ermöglicht sie gleichzeitig auch Abgrenzungen. An den beiden Endpunkten des Kontinuums schließt die Definition einerseits Organisationen aus, welche privatrechtlich organisiert sind und keinen Gemeinnützigkeitsstatus geltend machen können; andererseits gelten auch Organisationen nicht als Think Tanks, die einen integralen Teil des zentralen politischen Entscheidungssystems darstellen bzw. allgemein als von diesem nicht ausreichend unabhängig wahrgenommen werden.

2) Vgl. R. Kent Weaver (1995): Think Tanks. In The Encyclopedia of the United States Congress, Vol. 4. Donald C. Bacon, Roger H. Davidson, and Morton Keller (Hrsg.), 1957-1959, New York, Simon & Schuster, S. 1959.

3) Vgl. Winand Gellner (1995): Ideenagenturen für Politik und Öffentlichkeit. Think Tanks in den USA und in Deutschland, Opladen, Westdeutscher Verlag, S. 22.

4) Winand Gellner führt folgende Arbeiten im deutschen Sprachraum an, die sich um empirische Nachweise bemühen: Martin Müller (1988): Politik und Bürokratie – Die MBFR-Politik der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1967 und 1973. Mit einer Einführung von Uwe Nerlich, Baden-Baden, Nomos; Gerhard Timm (1989): Die wissenschaftliche Beratung der Umweltpolitik. Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Wiesbaden, Deutscher Universitäts-Verlag; Matthias Küntzel (1992): Bonn und die Bombe. Deutsche Atomwaffenpolitik von Adenauer bis Brandt, Frankfurt/Main, New York, Campus. Für den amerikanischen Kontext erarbeitete Andrew Rich ausführliche Fallstudien zum Einfluss von Think Tanks in der Gesundheits- und Telekommunikationspolitik: Andrew Rich (1999): Think Tanks, Public Policy, and the Politics of Expertise, Dissertation, Yale University.

5) Diese für die vorliegende Analyse grundlegende Unterscheidung wurde von James McGann und R. Kent Weaver vorgeschlagen: „Damit Think Tanks ihre Aufgabe erfüllen können, den politischen Entscheidungsprozess zu bereichern, müssen sie auf zwei unterschiedlichen Märkten operieren: auf einem Finanzmarkt und auf einem Markt für politische Beratung. Manchmal überlappen sich diese Märkte. […] Häufiger jedoch sind Sponsor und Adressat der Politikberatung nicht identisch.“ Vgl. James G. McGann und R. Kent Weaver (2000): Think Tanks and Civil Societies in a Time of Change. In Think Tanks and Civil Societies. Catalysts for Ideas and Action. James G. McGann und R. Kent Weaver (Hrsg.), S. 1-35. New Brunswick, NJ und London, Transaction Publishers. (S. 13; Übersetzung J.B.).

6) Roman Herzog: Überlegungen zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik, Ansprache des Bundespräsidenten am 13.3.1996 bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen. SWP Paper (Mai 1996, S. 25). Vgl. auch Süddeutsche Zeitung: Mehr Wissenschaft für die Politik, Süddeutsche Zeitung, 15.3.1996. Oder Frankfurter Allgemeine Zeitung: Herzog setzt sich für Denkfabriken ein, FAZ, 15.3.1996, S. 4.

7) Andrew Rich und R. Kent Weaver (1998): Advocates and Analysts: Think Tanks and the Politicization of Expertise. In Interest Group Politics,Allan J. Cigler und Burdett A. Loomis (Hrsg.), S. 235-254, Washington, DC: Congressional Quarterly Press. (S. 250; Übersetzung J.B.).

8) Ausführlicher dazu Josef Braml: Think Tanks versus „Denkfabriken“? U.S. and German Policy Research Institutes‘ Coping with and Influencing Their Environments; Strategien, Management und Organisation politikorientierter Forschungsinstitute (dt. Zusammenfassung), Aktuelle Materialien zur Internationalen Politik 68, Stiftung Wissenschaft und Politik, Baden-Baden, Nomos, 2004.

9) n = 116, 63 US, 53 BRD. Erwähnt sei die Tatsache, dass auch »rein privatfinanzierte« Think Tanks von staatlichen Steuerungsmechanismen in Form ihrer Steuerbegünstigung oder den Steuererleichterungen ihrer Sponsoren profitieren.

10) n = 106, 59 US, 47 BRD.

11) Ausführlicher dazu siehe Rupert Graf Strachwitz (Hrsg.) (2004): Reform des Stiftungs- und Gemeinnützigkeitsrechts, Berlin, Maecenata Verlag.

12) Siehe Einleitung. In: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (1998): Handbuch Stiftungen. Ziele – Projekte – Management – Rechtliche Gestaltung, Wiesbaden; Gabler, S. 3-4. Vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht, Mai 1997, S. 29-41.

13) Siehe Deutsche Bundesbank, Monatsbericht, Juni 2003, S. 42.

Dr. Josef Braml ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit in Berlin. Davor war er Projektleiter des Aspen Institute Berlin, Consultant der Weltbank, Gastwissenschaftler der Brookings Institution in Washington, DC sowie Congressional Fellow der American Political Science Association (APSA) und legislativer Berater im amerikanischen Abgeordnetenhaus

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2004/4 Think Tanks, Seite