W&F 1995/2

„Die Bombe verschonte japanische Menschenleben“

Hans Bethe* und die Bombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki

von Mary Palevsky

„Die Japaner hätten jetzt ihre Hauptinseln zu verteidigen gehabt, und die Kämpfe wären wahrscheinlich noch erbitterter gewesen“

„Wir alle zogen in den Krieg gegen Nazi-Deutschland, das wir für eine Bedrohung der ganzen Welt hielten“

Bethe hielt den Einsatz der Bombe für eine ausgemachte Sache.

„Die Bombe ist ein schlimmes Ding und wir dürfen sie niemals wieder einsetzen.“

Dr. Hans Bethe

Der zu Beginn dieses Jahrhunderts in Deutschland geborene Bethe erlebte nach dem 1. Weltkrieg aus erster Hand die nationalistische Gegenreaktion auf die harten Bestimmungen des Versailler Vertrages. Dieser Nationalismus brachte die Nazis an die Macht.

Da Bethes Mutter Jüdin war, durfte der junge Physiker nach den ersten judenfeindlichen Gesetzen nicht mehr im Staatsdienst arbeiten. Da alle Universitäten in Deutschland staatliche waren, verlor der 27-jährige Bethe seine Assistenzprofessur in Tübingen. Wie so viele Wissenschaftler, Intellektuelle und Akademiker floh er vor dem sich ausbreitenden Faschismus aus Europa.

1933 erhielt Bethe eine zeitlich befristete Anstellung in England, und 1935 übernahm er die Stellvertretung einer Assistenzprofessur an der Cornell University im Bundesstaat New York. J. Robert Oppenheimer, der Leiter des Labors in Los Alamos, fragte ihn 1943, ob er die Abteilung für theoretische Physik des Bombenprojekts leiten wolle.

Nach dem Krieg war Bethe einer der Mitbegründer der »Federation of American Scientists« und ein führender Sprecher von über das Wettrüsten beunruhigten Naturwissenschaftlern. Er war gegen die Eile, mit der die USA die Entwicklung der Wasserstoffbombe betrieben, und unterstützte einen Atomteststopp und das »Nuclear Freeze Movement«. Vehement sprach er sich gegen die »Star Wars« genannte Strategische Verteidigungsinitiative aus.

Für seine Arbeit über Kernreaktionen und vor allem seine Entdeckung der Energie freisetzenden Kernprozesse in Sternen erhielt Bethe 1967 den Nobelpreis für Physik. Heute ist er Emeritus der Cornell University, wo er kürzlich für seine 60jährige Mitgliedschaft in der Fakultät für Physik geehrt wurde.

(…)

Für Bethe gab es drei Möglichkeiten, den Krieg im Pazifik zu beenden: Blockade, Invasion oder die Atombombe. Er glaubt nicht, daß es ohne eine dieser Optionen zu einer Kapitulation gekommen wäre. Vielmehr seien die japanischen Friedensannäherungen an Moskau von Anfang an durch Stalins expansionistische Ambitionen im Fernen Osten zum Scheitern verurteilt gewesen.

Bethe beginnt mit einer Diskussion der Option einer Blockade. „Auf dem Meer und in der Luft waren wir völlig überlegen. Die Japaner waren auf Ölimporte angewiesen; das wird auch wahrscheinlich der Hauptgrund gewesen sein, warum sie Pearl Harbor angegriffen haben. Und ohne Öl konnten sie den Krieg nicht fortsetzen.“ Eine längere Blockade hätte ein Aushungern des japanischen Volkes bedeutet.

Ein Argument gegen eine Blockade aus amerikanischer Sicht war, daß die Truppen ungeduldig nach Hause wollten. Nach der Kapitulation wäre eine noch größere Unterstützung Japans notwendig gewesen. Doch Bethes wichtigstes Argument gegen eine Blockade war die mögliche Wirkung auf die japanische Bevölkerung. „… zweifellos wäre eine Blockade erfolgreich gewesen, doch sie hätte in Japan zu starken Ressentiments geführt, ähnlich denen, die in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg entstanden sind. Sie hätte wahrscheinlich für die gleichen negativen Gefühle gesorgt, die ich … Anfang der 20er Jahre erlebt habe. Der deutsche Slogan »Im Felde unbesiegt« war der Keim der Nazi-Bewegung. Ich glaube, Roosevelt und ebenso die Briten … hatten dies vor Augen, als sie die bedingungslose Kapitulation forderten. Sie wollten derlei Reden weder in Japan noch in Deutschland.“

Seine glanzvolle Karriere als amerikanischer Physiker hat Bethe weit von dem Deutschland seiner Jugend entfernt. Doch seine persönliche Erfahrung der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland und des Nazi-Terrors, der aus ihr hervorgegangen ist, lassen ihn ernstlich die potentiellen Gefahren einer anhaltenden Blockade Japans in Betracht ziehen. Das gleiche Moment spielt in seinen Argumenten gegen eine Invasion der japanischen Hauptinseln (die zweite Alternative) eine wichtige Rolle. „Neuerdings wird viel darüber geschrieben, daß eine Invasion viel weniger teuer zu stehen gekommen wäre, als man früher behauptet hat. Truman und [sein Kriegsminister] Stimson haben die Zahl der möglichen Todesopfer auf eine halbe bis zu einer ganzen Million geschätzt. Ich denke, diese Aussagen sind wahrscheinlich richtig.“

Ich frage Bethe, wie er über die Diskrepanz dieser Zahlen zu den Opferschätzungen denkt, über die unlängst in der Presse geschrieben worden ist. Was er von der Behauptung mancher Historiker hält, die Schätzungen, die noch zu Kriegszeiten gemacht wurden, seien wesentlich niedriger gewesen.

Bethe antwortete: „Ich bin davon überzeugt, daß die Zahlen, die jetzt immer wieder genannt werden, der Phantasie entspringen. … Schließlich hatten wir die Erfahrung mit den Inseln [Iwo Jima und Okinawa]. Die Japaner hätten jetzt ihre Hauptinseln zu verteidigen gehabt, und die Kämpfe wären wahrscheinlich noch erbitterter gewesen.“

Obwohl ich nach den Todesopfern auf Seiten der Alliierten frage, antwortet Bethe mit einer Erörterung der möglichen japanischen Verluste. Er betont, daß im Fall einer Invasion die Zahl der gefallenen japanischen Soldaten höher gewesen wäre als die der Alliierten und daß die Opfer in der Zivilbevölkerung gewaltig gewesen wären.

Allein auf Okinawa starben 75.000 Zivilisten. Nur schattenhaft kann ich hinter dieser abstrakten Zahl das Bild der fürchterlichen Zerstörungen erkennen, das sie bedeutet. Doch als Bethe weiterspricht, erhellt sich blitzartig die grausame Realität des Krieges in meinem Bewußtsein.

„Bei einer Blockade oder einer Invasion wären die Brandbombardements fortgesetzt worden. Die Opfer [der Brandbomben] in Tokio kamen nahe an die von Nagasaki heran. Wir müssen uns vor Augen halten, daß diese Bombenangriffe Woche für Woche weitergegangen wären. Die Zahl der Toten und die Zerstörung wären um ein Vielfaches größer gewesen als die von Hiroshima und Nagasaki.“

„Und dann ist es wichtig“, fährt er fort, „über den sowjetischen Kriegseintritt zu sprechen. Wir haben die Sowjets im Februar 1945 in Jalta inständig gebeten, in den Krieg im Osten einzutreten. Das haben sie auch getan, aber erst nach Hiroshima. Ich denke, es war ein Fehler, sie darum zu bitten. Denn zu diesem Zeitpunkt, im Februar 1945, war es ja schon klar, daß wir eine Uran-235-Bombe haben würden. Es stand außer Frage, daß sie funktionieren würde. Es war nur eine Frage der Lieferung des nötigen Materials.“

„[Die Sowjets] wollten in den Krieg eintreten. Und natürlich haben sie sofort die Mandschurei erobert. Stalin wollte die nördliche Hälfte von Hokkaido erobern, das eine der Hauptinseln ist [… und] etwa ein Zehntel der [japanischen] Bevölkerung ausmacht. Wir hätten hier dieselben Schwierigkeiten gehabt wie mit der sowjetischen Besetzung in Deutschland. … Es wäre eine sehr schwierige Situation für die Japaner geworden.“

Angesichts der späteren Erfahrung, meint Bethe, seien die möglichen Probleme mit der Sowjetunion ein weiterer Beweis dafür, daß die Entscheidung für den Bombeneinsatz richtig gewesen sei. Dennoch kann er nicht der Behauptung zustimmen, die Bombardements seien Akte einer primär gegen die UdSSR gewandten »Nukleardiplomatie« gewesen. Die Bombe sei eingesetzt worden, um den Krieg schnell zu beenden und das Leben alliierter Soldaten zu retten.

Ich kenne viele in Europa geborene Wissenschaftler, die sich mit all ihrer Kraft für das Bombenprojekt eingesetzt haben, weil sie Angst davor hatten, das Dritte Reich könne dank einer Atomwaffe unbesiegbar werden.

Selbst der Pazifist Albert Einstein hatte 1939 sich mit einem Brief an Präsident Roosevelt gewandt, in dem er dafür warb, ein Atombombenprojekt ins Leben zu rufen. Später betrachtete er diesen Brief als den großen Fehler seines Lebens, dennoch meinte er, die deutsche Bedrohung hätte sein Handeln in gewisser Hinsicht gerechtfertigt.

Bethe erinnert sich: „Wir alle zogen in den Krieg gegen Nazi-Deutschland, das wir für eine Bedrohung der ganzen Welt hielten. Schließlich hatten die Nazis … Kontinentaleuropa erobert. Ich erinnere mich noch an ihren Slogan 'Heute gehört uns Deutschland, morgen die ganze Welt!` Die Flüchtlinge aus Europa (und) die meisten führenden Wissenschaftler Amerikas beteiligten sich mit großer Begeisterung an einem Unternehmen, mit dem der Krieg gegen Deutschland gewonnen werden sollte.“

Auf meine Frage, ob der Sieg über Deutschland nicht die Voraussetzungen für die Entwicklung der Bombe geändert hätte, meint Bethe, er habe von Anfang an den Einsatz der Bombe für eine ausgemachte Sache gehalten. Das Ziel des Manhattan-Projektes sei der Bau einer Atombombe gewesen und der Krieg war lang und hart. Nach der Fertigstellung der Bombe würde man sie gegen Deutschland oder Japan einsetzen.

Hier befand sich Bethe im Widerspruch zu seinem Freund, dem ungarischen Physiker Leo Szilard. Szilard war die treibende Kraft hinter dem bekannten Brief an Einstein. Aber nachdem klar war, daß die Deutschen den Krieg verlieren, argumentierte Szilard, daß die Bombe, die als Verteidigung gegen die Nazis gedacht war, neu überdacht werden müsse. Er war einer von sieben Wissenschaftlern am Laboratorium, der den »Franck Report« (siehe S. 46ff.) unterschrieb. In diesem Bericht wird als Alternative zum Einsatz im Krieg gegen Japan eine Demonstration der Bombe über unbewohntem Gebiet gefordert, bei der Mitglieder der gerade gegründeten Vereinten Nationen anwesend sein sollten.

(…)

Obwohl der »Franck Report« von einigen Wissenschaftlern des Manhatten-Projektes unterstützt wurde, teilte Bethe mir mit, daß er dieses niemals in Erwägung gezogen hat.

„Eine Demonstration hätte keine Wirkung gezeigt. Sie wäre wahrscheinlich von einigen [japanischen] Militärs gesehen worden. Doch es war ziemlich unwahrscheinlich, daß sie den Kaiser unterrichtet hätten. Und der Kaiser war der Schlüssel für die Kapitulation. Ohne ihn hätte der Krieg noch viel länger gedauert.

Die japanischen Militärs waren Fanatiker. … Im Kabinett saßen drei Militärs und drei Zivilisten als Minister. Selbst nach Hiroshima, als [die] drei Zivilisten für die Kapitulation waren, wollten [die] drei Militärs noch immer weitermachen. Und dann entschied der Kaiser: 'Wir ergeben uns. Ich kann dieser Zerstörung von einer Stadt nach der anderen nicht weiter zusehen.` Für mich sieht es so aus, daß der Krieg mit einer Demonstration nicht hätte beendet werden können.“

Und so kommt Bethe auf die dritte Option zu sprechen: den Einsatz des Kernsprengsatzes und dies nicht zu Demonstrationszwecken, sondern, wie ursprünglich geplant, als Bombe, die in der Lage wäre, eine ganze Stadt zu zerstören.

Zu meinem Erstaunen kann Bethe dem Einsatz der Atombombe noch eine weitere Dimension abgewinnen. „Sie schien etwas Übernatürliches zu sein. Durch die Bombe wurde es für die Japaner möglich, sich in Ehren zu ergeben. Sie konnten noch sagen: 'Wir haben sehr gut gekämpft, aber da war etwas, dem wir nicht gewachsen gewesen sind – wir mußten uns ergeben.`“

(…)

Die Erleichterung der Kapitulationsentscheidung ist Bethes letztes Argument für die Bombe. Schrecklich und schnell sei der Krieg beendet worden – und zwar so, daß ein stabiler Frieden möglich blieb. „Als wir an Bord der [U.S.S.] Missouri [in der Bucht von Tokio] ankamen, hielt General MacArthur eine sehr bewegende Rede, die einige der anwesenden hochrangigen Japaner sehr beeindruckte – keine Rache, keine bösen Gefühle, jetzt werden wir in Frieden leben.“ Im Gegensatz zu der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg habe man also jedes Ressentiment vermieden, das zu einem Wiederauferstehen des Militarismus hätte führen können.

Bethe faßt schließlich zusammen: „Ich habe eine Menge Argumente dafür, daß es den Japanern mit den beiden Bomben besser ergangen ist, als es sonst – bei einer Blockade oder bei einer Invasion – der Fall gewesen wäre. Und das ganz unabhängig davon, daß im Fall einer Invasion die Russen wahrscheinlich einen Teil Japans erobert hätten.“

(…)

Die Vorstellung, daß es den Japanern durch die verheerenden Atombombenabwürfe besser ergangen sein soll, ist schwer für mich zu akzeptieren. Beunruhigende Fragen bleiben. Ich frage Bethe, was er mit „den beiden Bomben“ gemeint hätte, ob es für ihn klar gewesen sei, daß die Bombardierung von Nagasaki notwendig sein würde. „Vielleicht nicht“, meint er. „Einen halben Tag vor Nagasaki beschloß der Kaiser die Kapitulation. Doch diese Entscheidung war in Washington nicht bekannt. Erst nach Nagasaki wurde sie über Radio Tokio verkündet.“

Ich bemerke, daß die Japaner noch unter dem Schock von Hiroshima standen und vor Nagasaki nicht genügend Zeit gehabt hätten zu reagieren. Die zweite Bombe hätte nur dann nicht eingesetzt werden sollen, wenn Truman dies ausdrücklich anordnen würde. Der Befehl des Präsidenten sei also für den Abwurf der Bombe überhaupt nicht mehr relevant gewesen, sondern nur für dessen Verhinderung.

Er meint: „Sie haben vollkommen recht. Die zweite Bombe hätte vielleicht vermieden werden können. Leider lag die Entscheidung für diesen Einsatz nicht bei Truman. Es ist möglicherweise ein Fehler gewesen, die Order so zu erteilen, weshalb die Entscheidung dem Kommandierenden vor Ort überlassen blieb.“

(…)

Neben Hiroshima und Nagasaki ist der Atompilz zu einem Symbol unserer Fähigkeit geworden, uns gegenseitig mit einem Schlag zu töten.

Im Bild der Bombe ist die schreckliche Realität des Krieges eingeschlossen. Es erinnert uns daran, daß wir heute die Möglichkeiten besitzen, die Welt zu vernichten. Ich sage zu Bethe, daß Menschen meinen könnten, daß dies eigentlich kein Grund zum Feiern sei.

Ich hatte erwartet, er würde die Logik seiner Argumente verteidigen. So bin ich über seine Antwort überrascht: „Ich bin mit Ihnen völlig einer Meinung. Die Bombe ist ein schlimmes Ding, daran besteht kein Zweifel. Und meine erste Reaktion nach Hiroshima war: Wir dürfen sie niemals wieder einsetzen … . Gleich nach der Kapitulation habe ich mich völlig der Rüstungskontrolle gewidmet. Doch nachdem einmal die Kernspaltung entdeckt worden war und man sich im Krieg befand, stand es von vornherein fest, daß die Bombe gebaut würde.“

Mir kommt J. Robert Oppenheimers berühmte Äußerung in den Sinn, die Atomwissenschaftler hätten „die Sünde kennengelernt“. Ich frage Bethe, was sein Freund damit gemeint habe. „Ich denke, der Satz ist richtig. Und er [Oppenheimer] sagte im gleichen Zusammenhang, daß man eines Tages den Namen »Los Alamos« verfluchen werde. Das stimmt, weil dieses schlimme Ding auf die Welt gekommen ist und auch ohne die japanischen Städte noch immer da ist.“

Und er fügt hinzu: „Ich möchte noch eine weitere Äußerung erwähnen, die auf der anderen Seite steht. Anläßlich des 40. Jahrestags … sagte ein Wissenschaftler von Los Alamos: ,Wegen Pearl Harbor geschah es ihnen recht.` Dem kann ich nicht zustimmen. Ich denke, dieser Wissenschaftler ist noch nicht der Mentalität des Krieges und seiner blinden Brutalität entwachsen.“

Als ich bemerke, daß das nicht in die bequemen Kategorien passen will, mit denen wir dem Nachdenken über unangenehme Dinge aus dem Weg gehen, entgegnet Bethe: „Meine Frau hat von mir gesagt, ich sei eine Taube, aber eine mit Haaren auf den Zähnen.“

Ich frage Bethe, wie er als Wissenschaftler, der mitgeholfen hat, das Übel der Bombe auf die Welt zu bringen, seine eigene Verantwortung sieht. „Nun – ich habe da einen pragmatischen Standpunkt. Was hätte den Japanern am wenigsten Leid zugefügt? Sie [die Bombe] verschonte japanische Menschenleben. Ich denke, das ist mein wichtigstes Argument.“

Anmerkung

Der vollständige Artikel von Mary Palevsky erschien am 25.6.1995 unter dem Titel „Tough Dove. Hans Bethe and the Birth of the Bomb“ in der »Los Angeles Times«. Wir danken Herrn Bethe und Frau Palevsky sehr herzlich, daß wir die Abdruckrechte für die Auszüge aus diesem Artikel erhielten. Den Artikel schrieb die Autorin auf der Grundlage von zwei langen Interviews und einigen Telefongesprächen mit Herrn Bethe.

Über Hans Bethe

Hans Bethe, geb. 1906 in Straßburg, gehört weltweit zu den herausragenden Physikern dieses Jahrhunderts. „Ich fand heraus, warum die Sonne scheint, und dafür bekam ich (1966) den Nobelpreis“, erklärte er am 25. Oktober 1984. Bethe, Leiter der Theoretischen Abteilung im Manhattan-Projekt, war einer der wichtigsten Wissenschaftler des Atombombenprogramms der USA, in die er bereits 1933 emigrieren mußte.

Seit 1935 war Bethe bis zu seiner Emeritierung an der Cornell University, in seinem Arbeitszimmer im Newman Laboratory ist er auch heute noch tagtäglich anzutreffen. In einem im Herbst 1993 geführten Gespräch erklärte er, daß die Atombombenabwürfe neben der Flucht aus dem Dritten Reich für ihn eine der wichtigsten Ereignisse seines Lebens darstellten.

In seinen schriftlichen Äußerungen merkt man allerdings hiervon nichts. In der repräsentativen Aufsatzsammlung „The Road from Los Alamaos“ (New York u.a. 1991) kommt Hiroshima praktisch nicht vor. Als die Redaktion des »Bulletin of the Atomic Scientists« ihn 1985 bat, für das Hiroshima-Sonderheft einen Beitrag zum Thema »Rückblicke« zu verfassen, reichte Bethe den rüstungskontrolltheoretisch orientierten Aufsatz „The technological imperative“ ein. Im Vorwort zu Martin Sherwins Studie „A World Destroyed“ (New York 1975), geht er kurz auf die Abwürfe ein, wobei er das Bombardement von Nagasaki als „in any case unnecessary“ (S.xiv) bezeichnet. In dem langen Interview (das Transkript umfaßt 168 Seiten), das er im Herbst 1967 gab, kommt in der ersten Sequenz mit Charles Weiner und Jagdish Mehra das Thema »Hiroshima« nicht vor. Im zweiten Gesprächsabschnitt mit Weiner verweist Bethe (Transkript, S. 164) lediglich auf die 1965 erschienene Studie von Alice Kimball Smith „A Peril and A Hope“ (The University of Chicago 1965) hin. Seine Bemerkung ist knapp: er könne nichts hinzufügen. Bethes Gespräch mit Lillian Hoddeson vom Frühjahr 1981 widmet sich ausschließlich naturwissenschaftlichen Fragen.

Bethes Sprachlosigkeit macht umso deutlicher, wie sehr Hiroshima ihn innerlich nicht mehr losgelassen hat, auch wenn er in einem Telefongespräch im Frühsommer 1995 meinte, das Thema verfolge ihn nicht. Allerdings sprechen Hans Bethes zahlreiche und beständige Aktivitäten als Berater amerikanischer Präsidenten und Administrationen Bände. Bethe wird in allen großen Sicherheitsdebatten der USA – von der H-Bombe über den begrenzten Teststopp bis hin zu SDI – zu einem führenden Verfechter von Rüstungskontrolle und zu einem Leitbild für eine ganze Generation von rüstungsskeptischen Physikern.

„Zunächst waren wir glücklich“, antwortete er auf die Frage nach seiner ersten spontanen Reaktion auf die Abwürfe. Nachdem er jedoch die Bilder gesehen habe, war er darüber schockiert, was für ein „schreckliches Ding“ die Bombe sei. Ungeachtet, ob Bethes Aktivitäten und Positionen auf einen Schuldkomplex zurückzuführen sind (wie Teller meint) oder nicht (Oppenheimer hatte laut Bethe einen, der Cornell-Physiker ist sich aber nicht sicher, ob das auch für ihn gilt): das Plädoyer für Rüstungskontrolle ist Bethes sichtbarster Beleg für sein Lernen aus Hiroshima, dessen Bombardierung er nach wie vor rechtfertigt. Die Devise für seine Arbeit blieb, darauf hinzuwirken, daß A-Bomben nie wieder eingesetzt werden. „Heute kann ich nur sagen, daß Nuklearwaffen nicht eingesetzt werden dürfen“, sagte er in einem Telefoninterview im Frühsommer 1995.

An Hans Bethe und seine Position sind jedoch einige Fragen zu richten, die, wenn überhaupt, teilweise wohl nur ein sorgfältiger Biograph wird beantworten können, der Zugang zu den noch verschlossenen Los Alamos-Dokumenten im Bethe-Archiv hat: Sind dies seine Argumente damals auch schon gewesen (ist nicht die Betonung auf das

Menschenleben neueren Datums)? Wie intensiv sind alle jene Fragen in Los Alamos wirklich schon erörtert worden? Was ist spätere Reflexion – und möglicherweise Rechtfertigung? Zu beachten ist auch, daß in den Sitzungen des entscheidenden „Interim-Ausschusses“, der Truman den Einsatz der Bombe empfahl, nur einmal das Für und Wider einer Demonstration erörtert wurde – und das auch nur während eines Mittagessens am 31. Mai 1945. Zu fragen ist auch, ob Bethe jemals erwogen hat, das Los Alamos-Projekt zu verlassen, nachdem klar war, daß die Bomben nicht gegen Nazi-Deutschland, sondern gegen Japan eingesetzt würden?

Mary Palevsky (Kalifornien)

Soweit ersichtlich, hat sich Hans Bethe zum ersten Mal im Gespräch mit Mary Palevsky Granados von der »Los Angeles Times« mit diesen Fragen ausführlich für die Öffentlichkeit befaßt. Bernd W. Kubbig

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1995/2 Hiroschima und Nagasaki, Seite