Die Bundeswehr in Führung?
Die Reklamekampagne der Bundeswehr
von Christian Stache
Im Juni 2014 stellte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Reklame- und Rekrutierungskampagne »Aktiv. Attraktiv. Anders. - Bundeswehr in Führung« der Öffentlichkeit vor. Die Attraktivitätssteigerung des Dienstes an der Waffe durch einen Acht-Punkte-Plan ergänzt die Auf- und Umrüstung des deutschen Militärs. Die Kampagne hat zum Ziel, neue Soldatinnen und Soldaten zu gewinnen und bereits aktive zu binden sowie die politisch-ideologische Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft zu vertiefen. Auf diese Weise soll die Kampagne die Kriegsfähigkeit der Bundesrepublik und ihre Einsatzfähigkeit als Interventionsarmee steigern.
Anfang 2014 gab Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen der Bild am Sonntag ein ausführliches Interview, in dem sie unter anderem ihre Vorhaben für die Bundeswehrreform im Kalenderjahr 2014 skizzierte. Dem Leitmedium des Springer-Verlags sagte sie, die Bundeswehr müsse im „Wettbewerb um die besten Köpfe mit den vielen zivilen Arbeitgebern bestehen“ können. Ihr Ziel sei es daher, „die Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland zu machen“. Denn, so die Ministerin einige Monate später, nach Bekanntgabe der so genannten Attraktivitätsoffensive des Bundesverteidigungsministeriums (BMVg), die Frage der Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber sei für die Einsatzfähigkeit von entscheidender Bedeutung. Und um diese zu steigern, wolle sie „nur die Besten“ für das deutsche Militär.
Das Personalproblem
Trotz des sukzessiven Anstiegs der Ausgaben für PR- und Rekrutierungsmaßnahmen auf jährlich knapp 30 Millionen Euro1 und zahlreicher Initiativen zur Attraktivitätssteigerung des Dienstes an der Waffe2 strömen die jungen Arbeitskräfte nicht in Massen in die Kasernen. Der Presse- und Informationsstab des BMVg beteuert zwar, „die Lage der militärischen Personalgewinnung“ könne „sowohl rückblickend für das Jahr 2013 als auch vorausschauend für 2014 als gut und stabil bezeichnet werden“.3 Doch auch die PR-Abteilung des Ministeriums kann nicht gänzlich kaschieren, dass Personal fehlt. Ihr zufolge verpflichteten sich 2013 nur 87 Prozent der benötigten Soldaten auf Zeit. Bei den Mannschafts- und Unteroffizierslaufbahnen unterschritt die Armee die erforderliche Zahl sogar um 15 Prozentpunkte, ganz zu schweigen von den so genannten Spezialisten, „insbesondere in den Bereichen IT/Elektronik und Sanitätsdienst. Hier ist es schwer, geeigneten Nachwuchs zu finden“, räumen die Kommunikationsexperten von der Hardthöhe ein. Von den seit 1. Juli 2011 eingestellten 28.830 Freiwilligen Wehrdienstleistenden hat nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums etwa ein Viertel den Dienst innerhalb der ersten sechs Monate quittiert. Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, Hellmut Königshaus (FDP), sprach in seinem Jahresbericht gar von „erheblichem Personalmangel vor allem beim Heer und der Marine“. Laut Königshaus müsse heute die Basis dafür geschaffen werden, dass die Bundeswehr „auch in Zukunft genügend und ausreichend qualifizierten Nachwuchs gewinnen kann“. Dies sei „eine Überlebensfrage für die Streitkräfte“.4
Der Acht-Punkte-Plan
Von der Leyen weiß um die Achillesferse der Bundeswehr, auch wenn sie solch deutliche Formulierungen wie die ihres Kollegen Könighaus vermeidet. Eines der größten Risiken für die Einsatzfähigkeit der Truppe sei, dass ihr die qualifizierten Menschen ausgingen, sagte die Ministerin vor der Bundespressekonferenz Mitte 2014. Damit dies nicht passiert und die Bundeswehr weiterhin weltweit Operationen durchführen kann, wie von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), Bundespräsident Joachim Gauck und von der Leyen im ersten Halbjahr 2014 unisono gefordert,5 legte das BMVg nach langer Vorarbeit einen Maßnahmenkatalog zur Attraktivitätssteigerung der Arbeit bei der Bundeswehr vor.
Von der Leyen stellte die Kampagne ihres Hauses mit dem Titel „Aktiv. Attraktiv. Anders. - Bundeswehr in Führung“ Anfang Juni 2014 der Öffentlichkeit vor. Im Wesentlichen handelt es sich um einen Acht-Punkte-Plan, unterfüttert mit 29 „untergesetzlichen“ Maßnahmen, d.h. Reformen, die nicht per Gesetz geregelt werden müssen. Mit ihrer Hilfe sollen die angestrebten Veränderungen erreicht und junge Menschen zum Dienst in den Streitkräften bzw. bereits »dienende« Soldatinnen und Soldaten für eine längerfristige Tätigkeit beim Militär motiviert werden.
Bei den acht Kernvorhaben handelt es sich um folgende Punkte: die Einführung eines neuen Führungsmanagements (1) und neuer Rekrutierungs- und Fortbildungsmöglichkeiten (2), die Vereinbarkeit von Familie und Beruf (3), flexiblere Arbeitsverhältnisse (4) bei gesteigerter Planbarkeit und besseren Aufstiegsbedingungen (5), die Entwicklung eines Gesundheitsmanagements (6), die moderne Einrichtung der Kasernen (7) sowie die vertiefte Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft (8).6
Hier sollen die einzelnen Punkte kurz beleuchtet werden.
Die Führungsebene der Bundeswehr ist offensichtlich zu dem Ergebnis gekommen, es bestünden erhebliche Defizite in der „Art und Weise, wie respektvoll und wertschätzend Vorgesetzte und Untergebene tagtäglich miteinander umgehen“. Außerdem geht bei den Militärs wohl immer noch die Pflicht des Korps über die Belange des Individuums. Daher soll das neue Führungsmanagement „Gute Führung“ (Punkt 1) die militärischen Führungskader sensibilisieren. Über Lehrgänge, Schulungen und eine Kanonisierung dessen, was man sich unter „guter Führung“ vorzustellen hat, soll das Leitungspersonal der Bundeswehr soziale Techniken - »soft skills« - erlernen, um die Untergebenen effektiver zu führen, ohne dabei auf die bestehenden Hierarchien direkt Bezug nehmen zu müssen. Zudem sollen die Vorgesetzten die privaten Belange der ihnen unterstellten Soldatinnen und Soldaten berücksichtigen.
Ein zentraler Pfeiler der aktuellen Bundeswehrreform und der Kampagne zur Attraktivitätssteigerung ist die Entwicklung neuer Methoden zur Nachwuchsgewinnung und internen Weiterbildung (Punkt 2). Diese bilden gemeinsam mit der gesteigerten Planbarkeit und den besseren Aufstiegsbedingungen das Herzstück der Reformagenda. Die Bundeswehr will z.B. durch einen „24-Stunden-Service für Jobangebote und Kontaktaufnahme“ in Form des „E-Recruiting“, die „Einrichtung eines Call-Centers für zivile Laufbahnen“ und einen Talentpool, über den grundsätzlich geeignete, aber zunächst nicht ausgewählte Bewerber weitere Stellenangebote erhalten, den „Kontakt zum Arbeitgeber Bundeswehr“ erleichtern. Außerdem hofft sie durch die Erhöhung „der Azubi-Übernahmequote aus Ausbildungswerkstätten von 25 auf 70%“, neue Arbeitskräfte zu gewinnen. Das BMVg beabsichtigt darüber hinaus, den Soldatinnen und Soldaten die Weiterbildung zu garantieren und frühzeitige Anschlussangebote sowie Beratung zu weiteren Berufsperspektiven bei der Bundeswehr sicherzustellen. Gleichzeitig sollen Versetzungen früher angekündigt, mit den Betroffenen erörtert und insgesamt die Zahl der Verlegungen verringert, die Aufstiegschancen an einem Standort erhöht und eine Online-Informationsbörse über Dienstposten eingerichtet werden, sodass die Soldaten sich einfach über mögliche Anschlussjobs informieren können.
Ergänzt werden diese Vorhaben durch Maßnahmen, mit denen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert und die Arbeit flexibler gestaltet werden kann (Punkte 3, 4 und 5). Die Bundeswehr hat schon damit begonnen, mehr Belegrechte in Kitas zu erwerben, mehr Tagespflegeangebote zu machen und auch Kitas an eigenen Standorten zu eröffnen.7 Es ist zudem geplant, an jedem Standort eine „zentrale Ansprechstelle für alle Probleme rund um Familie und Dienst“ zu schaffen und den Soldaten im Einsatz überall kostenfreie Telefon- und Internetnutzung anzubieten. Ferner will das BMVg Teilzeitarbeitsmodelle und Langzeitarbeitskonten für alle Beschäftigte einführen, damit diese Zeit für private Anliegen haben. Zusätzlich soll durch mobile Informationstechnologie - also Laptops, Tablets und Smartphones - „zeit- und ortsunabhängiges Arbeiten“ unterstützt werden.
Die Einführung eines „betrieblichen Gesundheitsmanagements“ (Punkt 6) beginnt mit einem Pilotprojekt an zehn Standorten und dient der Kontrolle und Sicherstellung der Leistungsfähigkeit der Truppe. Es zielt auf Stress- und Suchtprävention und umfasst voraussichtlich Gesundheitschecks und Sportangebote.
Unter modernen Unterkünften (Punkt 7) stellt sich Ministerin von der Leyen vor allem eine neue Inneneinrichtung (Möbel, Fernseher und Kühlschränke) sowie freien und ungehinderten Internetzugang in allen Kasernen vor. Diese Ausstattung soll den Wohnkomfort und den Wohlfühlfaktor für die Soldatinnen und Soldaten deutlich erhöhen.
Ein besonderes Schmankerl sind die Projekte, die man sich auf der Hardthöhe für eine stärkere Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft ausgedacht hat (Punkt 8). Unter anderem soll im Jahr 2015 „anlässlich des 60-jährigen Bestehens der Bundeswehr“ bundesweit ein „Tag der Bundeswehr“ gefeiert werden, „an dem sich die Bundeswehr an zahlreichen regionalen Standorten auch als attraktiver Arbeitgeber mit Hunderten spannenden zivilen und militärischen Berufen präsentiert“. Fortan, so die Planung, ist der Tag jedes Jahr zu begehen. Außerdem wird ab 2015, ganz im Geiste der zivil-militärischen Kooperation an der Heimatfront, jährlich der Preis »Bundeswehr und Gesellschaft« an „Personen und Institutionen, die sich auf allen gesellschaftlichen Ebenen in besonderem Maße für die Belange der Bundeswehr oder ihrer Angehörigen einsetzen“, verliehen.
Insgesamt werden für das Reformpaket laut Bundesverteidigungsministerin für einen Zeitraum von fünf Jahren 100 Millionen Euro veranschlagt. Die Ausgaben würden aus den laufenden Jahresetats bestritten, d.h. es fallen angeblich keine Mehrkosten an. Dies wurde in den Reihen der Bundestagsopposition bereits in Zweifel gezogen. Ähnliche Versprechungen wurden auch in der Vergangenheit selten eingehalten.
Es ist vorgesehen, dass der überwiegende Teil der Pläne in den nächsten zwei Jahren realisiert wird. Die Umsetzung einiger Vorhaben wird sich bis ins Jahr 2017 hinein ziehen; dann soll auch die aktuelle Bundeswehrreform abgeschlossen sein soll.
Nach der Attraktivitätsoffensive ist vor der Attraktivitätsoffensive
Die Große Koalition hatte bereits im Koalitionsvertrag angekündigt, sie beabsichtige, große Summen Steuergelder für die Rekrutierung von Nachwuchs und für Bundeswehr-Reklame auszugeben: „Wichtig ist es, dass der Dienst in der Bundeswehr attraktiv bleibt. Wir werden eine Attraktivitätsoffensive voranbringen.“ Der Koalitionsvertrag enthält eine relativ detaillierte Liste an Vorschlägen, die einen Teil der jetzt vorgestellten Maßnahmen bereits vorweg nehmen. Daher ist die zurückhaltende Kritik des SPD-Verteidigungsexperten Rainer Arnold an den Plänen der Ministerin kaum ernst zu nehmen. Zumal Arnold im Namen der SPD-Fraktion noch wenige Wochen vor Veröffentlichung der BMVg-Agenda die Vorschläge des Bundeswehrverbandes zur Attraktivitätssteigerung des Militärs begrüßte und erklärte: „Die Bundeswehr muss attraktiver werden.“ 8
Der Acht-Punkte-Plan wird durch eine weitere Initiative des BMVg ergänzt, die allerdings noch nicht beschlossen wurde, weil die rechtlichen Anforderungen an sie höher sind: das so genannte Artikelgesetz. Es soll Ende 2014 vom Bundestag verabschiedet werden und bereits am 1. Januar 2015 in Kraft treten. Maßgeblich sollen die Grenzen für zusätzliche Verdienste für Berufssoldaten wegfallen. Auch die Rente für Soldaten auf Zeit wird neu geregelt. Schließlich soll für pendelnde Soldatinnen und Soldaten die Möglichkeit geschaffen werden, zwischen Trennungsgeld und Umzugskostenvergütung zu wählen. Gerd Hoofe, Staatssekretär im BMVg, kündigte bereits im Juli 2014 an, dass die „bisher vorgestellten Maßnahmen“ der Kampagne »Aktiv. Attraktiv. Anders. - Bundeswehr in Führung« nicht abschließend seien, sondern „fortgeschrieben und weiterentwickelt werden, unter anderem in einer »Personalstrategie 2020+«“. Die Chefetage des Militärs forderte er zudem auf, „kontinuierlich alle sich ergebenden Möglichkeiten der Attraktivitätssteigerung“ auch in der Alltagsarbeit auszuschöpfen. Es ist also davon auszugehen, dass das Ende der Rekrutierungsbemühungen und des Reklame-Bombardements noch nicht erreicht ist.
Erhöhte Kriegsfähigkeit: Attraktivität plus Waffen
Kaum hatte von der Leyen im Juni 2014 ihre Pläne vorgestellt, standen sie im Kreuzfeuer der Kritik. Insbesondere der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, ließ kein gutes Haar an der Ministerin und ihren Vorschlägen. Er polterte gegenüber dem FOCUS: „Von der Leyen hat ganz offensichtlich keine Ahnung vom Militär.“ 9 Die Ministerin komme ihm vor „wie eine gute Hausfrau, die ihre Kinder versorgt“. „Und“, so Kujat gegenüber der Süddeutschen Zeitung, „es wirkt auf mich, als sei diese Ideensammlung von Leuten erstellt worden, die die Bundeswehr nicht kennen.“ Soldaten bräuchten vor allem eine vernünftige Ausrüstung. „Das macht den Soldatenberuf sicherer und damit attraktiv.“ 10 Der ehemals ranghöchste Militär der Bundesrepublik erhielt Unterstützung von einem nicht namentlich genannten hochrangigen Offizier aus dem BMVg, den der FOCUS mit folgenden Worten zitierte: „Die Ministerin verpasst uns mit dieser Agenda das Image von Weicheiern und Warmduschern, kein Mensch wird doch Soldat, weil er wohnliche Beleuchtung für seine Stube bekommt.“ 11
Der Kritik wurde postwendend von höchster Stelle begegnet. Der amtierende Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker, sagte in einem Interview mit der FAZ, ohne Kujat beim Namen zu nennen, es sei „unzulässig, die Modernisierung von Ausrüstung und Bewaffnung der Bundeswehr in eine Entweder-oder-Konstellation mit der Attraktivitäts-Agenda zu stellen, die gerade vorgestellt worden ist“; einige Einwände gegen von der Leyens Pläne seien „rückwärtsgerichtet“ und schadeten der Bundeswehr.12 Der Inspekteur der Marine warb in einem offenen Brief um Unterstützung für die Werbe- und Rekrutierungsbemühungen. Attraktive Rahmenbedingungen seien für die Marine auch in Anbetracht der aktuellen Personallage geradezu überlebenswichtig.13 Auch der Bundeswehrverband stand der Ministerin zur Seite. In einer Pressemitteilung bezeichnete dessen Bundesvorsitzender, Oberstleutnant André Wüstner, die Reformvorschläge von der Leyens als „guten Anfang“. Es müssten aber weitere Maßnahmen folgen.14 Zuspruch kam sogar aus der Opposition. Doris Wagner, Mitglied des Bundestages für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, begrüßte die „Attraktivitätsagenda der Ministerin“ als einen „wichtigen Schritt in die richtige Richtung. [...] Wer gute Männer und Frauen für die Bundeswehr begeistern will, muss auch gute Arbeitsbedingungen bieten.“ 15 Von der Leyen meldete sich schließlich noch einmal selbst zu Wort: Für sie sei es „nicht ein Entweder-oder, sondern es ist ein Sowohl-als-auch“.16 Die Ministerin will also nicht nur eine attraktivere Armee, sondern auch bessere Waffen. Sie ließ zwar in den vergangenen Monaten (mit niederschmetterndem Ergebnis) einige große Rüstungsprojekte prüfen, an ihrer generellen Absicht, die Bundeswehr weiter hochzurüsten, bestehen aber kaum Zweifel.
Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Wüstner, lieferte schließlich unzweideutig die Begründung für die Attraktivitätsoffensive: „Die Steigerung der Attraktivität ist kein Selbstzweck. Sie ist existenziell für motivierte und einsatzbereite Streitkräfte.“ Softskills plus Drohnen oder Attraktivität plus Waffen, das ist das Konzept der ersten Verteidigungsministerin der Republik, um die Kriegsfähigkeit des deutschen Militärs zu erhöhen und die Interessen der deutschen Wirtschaft und der deutschen Politik militärisch durchzusetzen.
Berufsrisiko Krieg
Die Protagonistinnen und Protagonisten dieser Kontroverse sparen aus, dass der Job bei der Bundeswehr wohl kaum ein Beruf »wie jeder andere« ist. Im Begleitvideo zur Rekrutierungs- und Werbekampagne »Aktiv. Attraktiv. Anders. - Bundeswehr in Führung« spielt die Kriegsrealität nicht ansatzweise eine Rolle. Von der Leyen spricht zwar davon, die Bundeswehr sei aufgrund der Auslandseinsätze „ein besonderer Arbeitgeber“ mit „ganz besonderen Aufgaben“, aber nur, um diese Besonderheit in ihrem Sinne positiv zu wenden: „[G]erade weil wir viel von den Soldatinnen und Soldaten verlangen, müssen wir ihnen auch im Grundbetrieb viel bieten.“ 17
Das BMVg will vor allem und ausdrücklich auf die Bedürfnisse der Zielgruppe »jung und qualifiziert« eingehen. In dem Flyer zur Werbe- und Rekrutierungskampagne heißt es: „Als Arbeitgeber im Wettbewerb um Fachkräfte müssen wir attraktiv sein für junge Männer und Frauen, die berufliche Herausforderungen suchen und die notwendigen fachlichen und sozialen Kompetenzen mitbringen.“ 18 Die Charmeoffensive des BMVg richtet sich entsprechend nicht in erster Linie an Jugendliche, deren Schulabschluss schlecht ist, oder an Menschen mittleren Alters, die keinen Job finden - die kommen auch ohne extra Überzeugungsarbeit in ausreichender Zahl. Die jungen qualifizierten Arbeitskräfte hingegen haben andere Möglichkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden, und nutzen diese auch. Die demographische Entwicklung verschärft die Konkurrenz mit den zivilen Unternehmen zusätzlich. Entsprechend müsse die Bundeswehr, so ist ihrer Homepage zu entnehmen, „in den nächsten drei Jahren auf die Überholspur gehen, um sich einen vorderen Platz im Wettbewerb um die besten Köpfe zu sichern“.19 „Ziel ist es“, wird in dem oben erwähnten Flyer des Ministeriums formuliert, „die vielen Guten, die sie hat, zu halten und möglichst viele neue motivierte Männer und Frauen für sich zu gewinnen.“
Demographischer Wandel, verschärfte Konkurrenz mit zivilen Unternehmen um Arbeitskräfte usw. - Argumente, die die Bundeswehr seit Jahren als Erklärung für ihre schlechte Personalsituation anführt -, sind zwar aus Sicht der Bundeswehr durchaus ernstzunehmende Probleme. Es sind aber vor allem die Kriege und militärischen Operationen im Ausland, die der Attraktivität der Bundeswehr und der Nachwuchsförderung diametral entgegenstehen. Dies wird allerdings nur selten ausgesprochen. Alexander S. Neu, Obmann der Fraktion DIE LINKE im Verteidigungsausschuss, äußerte sich kritisch über die Pläne des BMVg und die Erfolgsaussichten der Reformen: „Die Bundeswehr hat ein grundsätzliches Problem: Junge Menschen wollen nicht in Kriege geschickt und dort verheizt werden.“ Die mangelnde Attraktivität des Militärdienstes führt er auf „die Ausrichtung der Bundeswehr als globale Interventionsarmee im Dienste einer militarisierten Außenpolitik“ zurück. „Die Bundeswehr ist eben kein normaler Arbeitgeber, sondern einer, der junge Menschen sucht, die bereit sind zu töten und selbst getötet zu werden.“ 20
Diese Position wird untermauert von den Ergebnissen einer Studie des Potsdamer Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Auch wenn das Institut mit seiner Studie lediglich die „Attraktivität der Mannschaftslaufbahn“ erforscht hat, sind die im Dezember 2013 veröffentlichten Resultate durchaus auf die Bundeswehr insgesamt übertragbar. Der Erhebung zufolge seien die Auslandseinsätze und das damit verbundene Berufsrisiko der „wichtigste Grund gegen eine Verpflichtung in der Mannschaftslaufbahn“. Sogar „für die Jugendlichen, die sich für eine Tätigkeit als Soldat bzw. Soldatin der Mannschaftslaufbahn interessieren, sind die Auslandseinsätze der mit Abstand häufigste genannte Grund gegen eine solche Verpflichtung“.21
Lebensverlängernde Maßnahme
Mittelfristig stellt sich die Frage, ob es den Strateginnen und Strategen des BMVg gelingt, die berechtigten Bedenken und nachvollziehbaren Sorgen der Menschen sukzessive aus dem kollektiven Bewusstsein zu verdrängen, indem man sie mit stetig neuen Versprechungen und materiellen Zugeständnissen überlagert. Bislang zumindest hält sich hartnäckig die Erkenntnis, dass der Verzicht auf einen Job beim - in den Worten des BMVg - „hochmodernen, global agierenden Konzern“ Bundeswehr eine lebensverlängernde Maßnahme ist.
Anmerkungen
1) Kleine Anfrage »Umfang von Werbemaßnahmen der Bundeswehr im Jahr 2013« der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag. Drucksache 18/1018, 16.5.2014.
2) Mehr dazu in Christian Stache: Arme und Ausländer, zu den Waffen und an die Front! Die Bundeswehr startet Charme-Offensive für ihre Transformation zur Armee im Einsatz. Tübingen: Informationsstelle Militärisierung, IMI-Analyse 2011/05.
3) Presse- und Informationsstab BMVg: Die Lage der Personalgewinnung in der Bundeswehr. Berlin, 5.3.2014.
4) Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten. Jahresbericht 2013 (55. Bericht). Bundestags-Drucksache 18/300, 28.1.2014.
5) Siehe z.B. Florian Gathmann: Gauck auf Sicherheitskonferenz: Deutschland, auf in die Welt. Spiegel Online. 31.1.2014.
6) Die Bundeswehr stellt auf ihrer Homepage reichlich Material zur Kampagne zur Verfügung. Um einen ersten Überblick zu erhalten, sind die „Informationen für die Medien“ besonders geeignet, in denen die acht Schwerpunkte benannt und die dazugehörigen Maßnahmen stichpunktartig aufgeführt werden. Dies gilt auch für den achtseitigen »Flyer« des Bundesverteidigungsministeriums zur Kampagne, der im Juni 2014 erschienen ist. Diese Materialien wurden durchweg für die Veröffentlichung werbewirksam aufbereitet.
7) Zu den Folgen und Problemen siehe z.B. Thomas Mickan: Motivationsfaktor Kita. Über Belegrechte und die Privilegierung der Bundeswehr. Tübingen: Informationsstelle Militärisierung, IMI-Analyse 2013/019.
8) SPD-Bundestagsfraktion, Arbeitsgruppe Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Abgeordneter Rainer Arnold: Bundeswehr muss attraktiver werden. Pressemitteilung, 7.5.2014.
9) Ulrike Demmer: Die Wellness-Truppe. FOCUS Magazin Nr. 23, 2.6.2014.
10) Kritik an von der Leyens Plänen für attraktivere Bundeswehr. Süddeutsche.de, 31.5.2014.
11) Von der Leyen erntet Spott mit Attraktivitätsoffensive für Bundeswehr. focus.de, 1.6.2014.
12) Johannes Leithäuser im Gespräch mit dem Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker: Rückwärtsgerichtete Kritik schadet der Bundeswehr. FAZ.net, 8.6.2014.
13) Vizeadmiral Axel Schimpf: Inspekteurbrief zur Attraktivitätsoffensive der Bundeswehr. 19.6.2014, marine.de.
14) Deutscher Bundeswehrverband: Attraktivitätsoffensive der Bundeswehr - Wüstner: Guter Anfang - jetzt Finanzmittel bereitstellen und notwendige Gesetze erlassen! Pressemitteilung Nr. 8/2014, Berlin, 30.5.2014.
15) Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen: Bundeswehr - Attraktivität-Agenda ohne Abstriche. Pressemitteilung, 4.6.2014.
16) BMVg: Pressekonferenz - Statement der Verteidigungsministerin zur Attraktivität der Bundeswehr [vor der Bundespressekonferenz]. Berlin, 4.6.2014.
17) Ibid.
18) Siehe Fußnote 6.
19) Die Bundeswehr geht in die Attraktivitätsoffensive. bundeswehr.de, 2.6.2014.
20) Linksfraktion Alexander Neu: Wohlfühl-Angebote machen eine Interventionsarmee nicht attraktiv. Pressemitteilung, 4.6.2014.
21) Jana Hennig: Attraktivität der Mannschaftslaufbahn der Bundeswehr. Forschungsbericht. Potsdam: Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Dezember 2013.
Christian Stache, M.A. der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, promoviert derzeit an der Universität Hamburg und ist Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI).