W&F 2004/2

Die Bundeswehr ist keine Polizei

von Helmuth Prieß

Seit Jahren taucht aus dem konservativen Lager immer wieder der Vorschlag auf, die Bundeswehr auch im Inneren einzusetzen; z.B. zur Abwehr illegaler Einwanderer an den Landesgrenzen oder – seit den Anschlägen vom 11. September 2001 – zur Bekämpfung des Terrorismus.

Diesem Vorschlag steht unsere Verfassung entgegen. Danach stellt der Bund Streitkräfte zur Verteidigung auf. Seit der verfassungsändernden Auslegung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 bedeutet das nicht nur Landesverteidigung, sondern auch Schutz deutscher Interessen weltweit – bisher nur, wenn dem Einsatz ein UN-Beschluss vorausgegangen ist und wenn der Deutsche Bundestag zugestimmt hat.

Die Sicherung der deutschen Grenzen gegen Schmuggel und illegale Grenzübertritte, d.h. auch zur Verhinderung illegaler Einwanderung, ist Aufgabe von Polizei und Bundesgrenzschutz; ebenso die Gefahrenabwehr im Inneren, also der Kampf gegen den Terrorismus. Das ist auch richtig so, denn die Soldaten der Bundeswehr sind zur Abwehr von Terrorakten im Inneren ebenso ungeeignet wie zur weltweiten Terrorbekämpfung. Der verdeckte Kampf von Terroristen unterläuft – wie das tägliche Geschehen zeigt – die offene Kampfführung militärischer Einheiten.

Für das Aufspüren von Terroristen – auch das belegen die regelmäßigen Erfolgsmeldungen – sind allein nationale und internationale Polizei sowie Geheimdienste geeignet. Deren technische und gegebenenfalls personelle Möglichkeiten müssen ausgebaut werden und die Zusammenarbeit der Dienste innerhalb der Staaten und zwischen ihnen ist zu verbessern. Dass das einer angemessenen parlamentarischen Kontrolle bedarf, ist für mich selbstverständlich.

Wir dürfen auch nicht übersehen, dass der Einsatz von Militär oft dazu beiträgt, terroristische Aktivitäten zu verstärken. Der israelisch-palästinensische Konflikt und die fortlaufende Kette terroristischer Angriffe, wie z.B. in Afghanistan und dem Irak, beweisen dies deutlich. Hinzu kommt, dass die Forderung nach Militär zur Terrorismusbekämpfung im Inneren von dringend erforderlichen zivilen Schutzmaßnahmen bei Atomkraftwerken, Chemieanlagen, Wasserwerken usw. ablenkt.

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass es auch bei größten Anstrengungen keine absolute Sicherheit geben wird! Unsere dicht besiedelte und hochtechnisierte Welt bleibt gegen Terroranschläge verwundbar!

Auch der im »rot-grünen« Entwurf des Flugsicherheitsgesetzes vorgesehene Einsatz von Kampfflugzeugen gegen Attentate mit gekaperten (Passagier-) Flugzeugen ist im Ernstfall wirkungslos. Falls es Terroristen gelingt, sich Passagiermaschinen zu bemächtigen, werden sie ohne »Sightseeing-Umwege« vom Frankfurter Flughafen direkt in die Frankfurter Bankhochhäuser, vom Düsseldorfer Flughafen direkt ins Mannesmann-Hochhaus oder von Berlin-Tegel direkt ins Sony-Center fliegen. Die Katastrophe wäre eingetreten, bevor die bereitgehaltenen Kampfjets in der Luft sind!

Wirksame Hilfe gegen Terroranschläge bieten nur vorbeugende politische, ökonomische, polizeiliche und technische Schutzmaßnahmen.

Um den Terrorismus in unserem Land und weltweit schrittweise abzubauen, brauchen wir Maßnahmen des politischen Ausgleichs, den Dialogs zwischen allen Religionen und ethnischen Gruppen und die weitestmögliche Herstellung von innerstaatlicher wie weltweiter sozialer Gerechtigkeit. Der größte Nährboden des Terrorismus ist die total ungerechte Verteilung von Chancen zur Lebensgestaltung. Hunger und Elend, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Hass bieten den Scharfmachern die Basis, um »Menschen ohne Lebensperspektive« für den geplanten Terrortod zu rekrutieren.

Der Ruf nach Militär zur Terrorabwehr trifft aber nicht nur ins Leere – er ist auch kontraproduktiv, denn (falls man ihm folgt) bindet er viel Geld und Arbeitskraft, die sinnvoller eingesetzt werden kann, er lenkt nicht nur ab, er behindert die Diskussion um tatsächlich notwendige Maßnahmen zum Kampf gegen den Terrorismus.

Die Debatte um den Einsatz der Bundeswehr im Inneren hat auch noch eine andere Dimension, die wir nicht übersehen dürfen: Hier könnte unter Umständen ein Tor geöffnet werden für einen missbräuchlichen – den politischen – Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Das Grundgesetz hat die Lehren aus der Weimarer Republik gezogen, als es auch deshalb diesen Einsatz untersagte.

Helmuth Prieß, Oberstleutnant a.D., ist Sprecher des »Arbeitskreises Darmstädter Signal« – eines friedenspolitischen Zusammenschlusses aktiver und ehemaliger Bundeswehroffiziere und Unteroffiziere. Er ist Träger des Gustav-Heinemann-Bürgerpreises und der Clara-Immerwahr-Auszeichnung der IPPNW.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2004/2 EU – Zivil- oder Militärmacht, Seite