W&F 2007/3

Die Gabala Offerte

von Jürgen Nieth

Der sprachlose Präsident

»George W. Bush ist ein Mann der klaren Sätze. Am vergangenen Donnerstag (07.06.) allerdings wirkte der US-Präsident im sonnigen Heiligendamm seltsam unentschieden. Er lächelte zwar meist, doch zu einer klaren Aussage schien Bush nicht fähig zu sein, als er neben Wladimir Putin stand und über das gemeinsame Gespräch berichten sollte. Der russische Präsident habe ›ein paar interessante Vorschläge gemacht‹, wand sich Bush. Man werde darüber jetzt ›einen strategischen Dialog‹ führen… Deutlicher wurde er nicht« (Spiegel 11.06.07, S.24). Was war passiert?

Für russisch-amerikanische Raketenabwehr

Putin hatte in Heiligendamm angeboten, an Stelle der von der US-Regierung geplanten Raketenabwehr in Polen und Tschechien gemeinsam die russische Radarstation in Gabala/Aserbaidschan zu nutzen. Über diese Anlage schreibt die FAZ (09.06.07). Sie ist »1985 als Teil des sowjetischen Frühwarnsystems gegen Raketenangriffe in Dienst gestellt worden. Sie hat eine Reichweite von 6.000 km und soll in der Lage sein, Raketenstarts in den Ländern der südlichen Hemisphäre zu registrieren und die Flugbahn der Raketen zu verfolgen. Von Gabala aus wird so der Luftraum und der Weltraum über Iran, Pakistan und der Türkei, Indien, Irak und eines Teils von China überwacht.« Russland hat diese Station bis 2012 gepachtet und der aserbaidschanische Präsident signalisierte sofort seine Zustimmung zu einer gemeinsamen russisch-amerikanischen Nutzung.

Die US-Raketenpläne für Osteuropa

Die US-Pläne sehen vor, in Tschechien eine Radarbasis zu bauen, die Aufklärungsdaten an eine polnische Station liefert, von der dann Abfangraketen aufsteigen können. Jeanne Rubner schrieb dazu in der Süddeutschen Zeitung (SZ 25.01.07): »Die ›Missile Defense‹, die mindestens zehn Miliarden Dollar kosten soll, ist das kärgliche Überbleibsel des ambitionierten ›Krieg der Sterne‹-Programms des früheren Präsidenten Ronald Reagan.« Rubner kritisiert weiter, dass »die gesamte Technik noch nicht ausgereift ist«, und »die USA den Schutzschild an der NATO und auch an der EU vorbei« planen.

Die FAZ wundert sich allerdings darüber, dass Bush von Putins-Offerte überrascht wurde: »Russische Sicherheitsfachleute hatten schon 2004 über einen solchen Vorschlag an die Vereinigten Staaten nachgedacht… (und) ein russischer Diplomat (habe schon drei Wochen vorher) im Gespräch mit einer aserbaidschanischen Zeitung angedeutet, dass die Möglichkeit einer gemeinsamen Nutzung von Gabala schon während des Besuchs des amerikanischen Verteidigungsministers, Robert Gates, in Moskau angesprochen worden sei.«

Politikerecho in Deutschland

Ein Teil der deutschen Politiker gab sich zuerst einmal positiv wertend gegenüber der Putin-Initiave, so z.B. Edmund Stoiber in einem Spiegelinterview: »Wir Deutsche haben ein elementares Interesse an einer echten Partnerschaft mit Russland. Ein gemeinsamer Abwehrschirm von NATO-Staaten und Russland gegen Raketen aus Iran oder Nordkorea wäre sicher besser als eine rein amerikanische Lösung in Osteuropa. Das wäre wohl nicht konsensfähig mit den Russen und könnte Europa neuerlich spalten« (11.06.07, S.42). SPD-Chef Beck äußerte die Hoffnung, »dass Putins Vorschlag dazu beitrage, ein neues Wettrüsten und ein ›Auseinanderdividieren Europas‹ zu verhindern« (SZ 11.06.07). Verhaltener waren die Kommentare des Außen- und des Verteidigungsministers. Steinmeier bezeichnet den Vorschlag als ein »Signal des Dialogs und der Entspannung«. Während der Prüfung sollten sich alle Beteiligten einer »voreiligen Bewertung enthalten« (SZ 09.06.07) Franz Josef Jung äußerte gegenüber der Bild am Sonntag (10.06.07) Genugtuung darüber, »dass auch Russland offensichtlich von der Notwendigkeit eines Schutzes gegen Raketen überzeugt ist«. Er sagte zu, »im Rahmen der NATO und im NATO-Russland-Rat über eine mögliche Ausgestaltung eines Schutzschildes zu diskutieren«.

Vorschlagsgegner

Das Iranische Parlament kritisierte den Vorschlag Putins scharf: »Der Iran darf nicht zum Spielball der Konflikte zwischen den Weltmächten werden«, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Ausschusses laut Frankfurter Rundschau (FR 11.06.07). Der Generalsekretär der NATO, Jaap de Hoop Scheffer, äußerte Zweifel daran, »ob die Anlage in Aserbaidschan die technischen Voraussetzungen erfülle, zumal sie ›ein bisschen sehr nahe‹ an den Schurkenstaaten sei, über die man rede« (FAZ 09.06.07).

Und was kommt vom treuesten Verbündeten Bushs, von Tony Blair? Er antwortet in einem Spiegelinterview auf die Frage, was er von Putins Vorschlag halte: »Ich kann das nicht beurteilen, ich bin kein Fachmann auf diesem Gebiet« (Spiegel 11.06.07, S.111).

Bushs Verlegenheit – nur für zwei Tage?

Am 09. Juni traf der US-Präsident den polnischen Präsidenten, Lech Kaczynski. Dazu die FR (11.06.07): »Bush hat bei seinem Besuch in Polen … keine Bereitschaft geäußert, auf die Stationierung von Anti-Raketen-Raketen in dem ehemaligen Ostblockland zu verzichten.« Er bekräftigte lediglich die alten Aussagen, nach denen man keine aggressiven Absichten verfolge. Bush wörtlich: »Das System, das wir vorgeschlagen haben, ist nicht gegen Russland gerichtet.« Staatspräsident Lech Kaczynski bekundete derweil »erneut seine Unterstützung für die US-Pläne« (Welt 11.06.07). »Zu einem möglichen Standort äußerten sich Bush und Kaczynski erwartungsgemäß nicht, aber in Warschauer Regierungskreisen heißt es, als Standort für die Abfangraketen sei der stillgelegte Flughafen Redzikowo am Stadtrand von Stolp ausgewählt worden.«

Putins Strategie

Während in einigen Pressekommentaren Putins Vorschlag als Ablenkungsmanöver bezeichnet wird, schreibt Kai Ehlers in der Wochenzeitung Freitag (15.06.07): »Aber nein, dieser Vorschlag ist keine Finte … Der Präsident hält an seinem Kurs fest, Russland stabilisieren und die Selbstachtung des Landes als Subjekt des Weltgeschehens … wiederherstellen … Insofern ist der Vorschlag … darauf geeicht, die Bedrohung von außen zu minimieren, einen sich bereits abzeichnenden Dissens mit der EU wegen der US-Raketenpläne aufzufangen und die Amerikaner zum Offenbarungseid zu zwingen: Welchen wirklichen Zweck verfolgen sie mit Abwehrraketen, die in Polen disloziert werden sollen

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2007/3 Medien und Krieg / Kriegsmedien, Seite