W&F 2011/1

Die Grenzen moderner westlicher Kriegsführung

Der Glaube an die High-Tech-Lösung

von Niklas Schörnig

Die Erwartungen an moderne Kriegsführung kommen einer Quadratur des Kreises gleich: High Tech soll hohe Opferzahlen, vor allem in der Zivilbevölkerung und bei den eigenen Truppen, vermeiden. Gleichzeitig soll der Gegner zuverlässig kampfunfähig gemacht, der Krieg rasch gewonnen und die Situation in der Nachkriegsphase stabilisiert werden. Die moderne Kriegsführung bleibt aber kein Monopol westlicher Staaten, zudem hängt ihr Erfolg auch von politischen Faktoren ab und bleibt aus, wenn der Gegner zu asymmetrischen Mitteln greift.

Wenn man der Frage nach den Grenzen moderner Kriegsführung nachgeht, besteht die Gefahr, sich ausschließlich auf militärisch-technologische Aspekte zu konzentrieren. Der Diskurs zur aktuellen »Revolution in Military Affairs« (RMA), also der High-Tech-Rüstung amerikanischer bzw. westlicher Armeen, zeichnet sich durch einen „Techno-Fetischismus“ (Beier 2006, S.266) aus, der die technologische Leistungsfähigkeit einzelner Waffensysteme in den Vordergrund stellt. Dieser Fokus ist insoweit nachvollziehbar, als moderne Kriegsführung zumindest aus westlicher Sicht im Wesentlichen High-Tech-Kriegsführung ist und damit in der Regel die amerikanische bzw. »westliche« Kriegsführung meint, wie sie im Golfkrieg 1991 oder dem Irakkrieg 2003 demonstriert wurde.

Neben der technologischen Dimension müssen aber auch politische Anforderungen an die moderne Kriegsführung berücksichtigt werden. Denn Kriegsführung findet spätestens seit dem Vietnamkrieg unter globaler Beobachtung durch Medien und nationale Öffentlichkeiten statt. Erst vor dem Hintergrund technologischer Ansprüche und politischer Vorgaben zeichnen sich die Grenzen moderner Kriegsführung in aller Deutlichkeit ab.

Die technologische Seite der neuen Kriegsführung

Unter moderner Kriegsführung wird heute der Rückgriff auf modernste Waffensysteme verstanden. Hier spielen Waffensysteme eine Rolle, deren Entwicklung noch in die Zeit des Kalten Krieges zurückreicht, deren Durchsetzung aber auf die rasanten Fortschritte im Bereich der Mikro- und Kommunikationselektronik seit den 1980er Jahren zurückgeht (Neuneck/Alwardt 2008).

Im Vordergrund steht erstens die Fähigkeit, sich der Ortung durch den Feind zu entziehen (z.B. durch so genannte Stealth-Technologie). Zweitens die erhöhte Präzision der Waffensysteme und Raketen, die – bei geeigneten Bedingungen – mittels Satelliten- oder Laserzielführung inzwischen eine Genauigkeit von wenigen Metern erreichen können. Die dritte Komponente umfasst die dank verbesserter Sensorik in Satelliten und unbemannten Flugzeugen (unmanned aerial vehicles/UAVs oder auch Drohnen) immer ausgefeiltere Aufklärungsmöglichkeiten, die sowohl den Kommandeuren als auch den individuellen Einheiten ein immer besseres Lagebild vermitteln. Herzstück dieser RMA ist schließlich die Vernetzung aller am Kampf beteiligten Einheiten durch moderne Kommunikationselektronik via Satellit und ein konstanter Datenaustausch zwischen den Einheiten. Das hier immer wieder vorgebrachte Schlagwort ist »Netzwerk-zentrierte Kriegsführung«; im Jargon der Bundeswehr lautet es »vernetze Operationsführung«. Ziel ist es, gegenüber dem Kontrahenten »Informationsüberlegenheit« zu erlangen, den »Nebel des Krieges« zu lichten und so die Wirkung der einzelnen Waffensysteme zu »multiplizieren«. Auch soll es den einzelnen Einheiten auf Basis eines einheitlichen Lagebilds möglich werden, mit nur geringer zentraler Steuerung im Rahmen eines vorgegebenen Schlachtplans selbstsynchronisiert zu agieren.

Als prototypische Waffe dieser High-Tech-Transformation können die inzwischen in der Presse intensiv diskutierten bewaffneten Drohnen gelten. Ferngesteuert, mit umfangreicher Sensorik ausgestattet und mit Boden-Luft Raketen bewaffnet, verbinden sie zeitnahe Aufklärung und Präzisionsangriffe auf eine zuvor nicht umzusetzende Weise (Wirbel 2010). Bei all diesen Systemen sind westliche Staaten die treibenden Kräfte. Das wirft die Frage auf, warum.

Politische Ansprüche an moderne Kriegsführung

In seiner hervorragenden Arbeit »The New Western Way of War« (Shaw 2005) hat der britische Politikwissenschaftler Martin Shaw herausgearbeitet, dass westliche Staaten in der Art ihrer Kriegsführung besonderen politischen Zwängen unterliegen, die sich aus der Tatsache einer globalen Medienöffentlichkeit gepaart mit Ansprüchen westlicher Bürgerinnen und Bürger an ihre Politikerinnen und Politiker ergeben. Westliche Demokratien, so Shaw, können heute nur noch „Risikotransferkriege“ (Shaw 2005) führen, bei denen zentrale Risiken, speziell Risiken für die eigenen Soldatinnen und Soldaten, vermieden oder auf andere Gruppen abgewälzt würden – man denke an die Nordallianz in Afghanistan. Shaws Beobachtung deckt sich mit dem Konsens in der Literatur, der westlichen Öffentlichkeiten und Entscheidungsträgern eine hohe Sensibilität gegenüber eigenen Verlusten unterstellt, die seit dem Ende des Ost-West Konfliktes noch einmal deutlich angestiegen sei.

Speziell für die USA, aber auch für andere westliche Staaten, hat sich die Vermeidung eigener Opfer in militärischen Auseinandersetzungen inzwischen fast zu einem eigenständigen Missionsziel entwickelt (Schörnig 2009). Eigene Opfer, so die Überlegung, führen zu einer Erosion der öffentlichen Unterstützung für einen Militäreinsatz und möglicherweise gar zu einem Verlust des politischen Mandats der Entscheidungsträger. Ziel sind deshalb schnelle und eindeutige Siege mit nur geringen eigenen Verlusten.

Zunehmend gewinnt auch der Schutz von Zivilisten auf der Gegenseite einen immer höheren Stellenwert und wirkt so ebenfalls auf die Art der westlichen Kriegsführung ein. Das gilt besonders, wenn der Militäreinsatz mit Verweisen auf humanitäre Notlagen legitimiert wurde und zivile Verluste als das Missionsziel konterkarierend wahrgenommen werden. Allerdings sind sich Beobachter einig, dass der Schutz von Zivilisten auf der Gegenseite von politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern dem Ziel der Vermeidung eigener Opfer untergeordnet wird (Shaw 2005, S.107).

Kriegsführung im Risikotransferkrieg

Viele der oben vorgestellten technologischen Entwicklungen begünstigen die von Shaw beschriebenen politischen Ansprüche des Risikotransferkriegs auf besondere Weise. Zwei Trends lassen sich hierbei ausmachen: die steigende Bedeutung von Distanzwaffen aus der Luft und der Einsatz leichterer Bodeneinheiten.

Moderne westliche Kriegsführung bedeutet in sehr starkem Maß Krieg aus der Luft und basiert auf dem Einsatz von Distanzwaffen. Schon im Golfkrieg 1991 suggerierten Videoaufnahmen von präzise ihre Ziele treffenden Raketen, dass die Zeit der Flächenbombardements grundsätzlich vorbei sei. Dank verbesserter Aufklärung und immer präziserer Raketen seien nun Angriffe mit »chirurgischer« Präzision gegen bewusst ausgewählte Ziele möglich.

Obwohl schon 1991 der Eindruck umfassender Präzision vermittelt wurde, waren doch nur ca. 17.000 der über 210.000 abgeworfenen alliierten Bomben (etwa 8%) tatsächlich »intelligente« Präzisionsmunition. Während des Kosovo-Krieges 1999 war ihr Anteil auf ca. 28%, während des Angriffs auf Afghanistan 2001/2002 auf ca. 52% gestiegen. Im Irakkrieg des Jahres 2003 lag der Anteil von Präzisionsmunition schließlich bei über 64% (Minkwitz 2008, S.71).

Westliche Militärs und Politikerinnen und Politiker verweisen gern auf diese Zunahme präziser Bomben, um ihre Anstrengungen bei dem Versuch, zivile Opfer nach Möglichkeit zu minimieren, zu verdeutlichen (blenden dabei aber aus, dass immer noch in erheblichem Maß von Streumunition Gebrauch gemacht wird). Gleichzeitig bedeuten präzise Distanzwaffen wie Luft-Boden-Raketen auch, dass die eigenen Soldatinnen und Soldaten in besonderer Weise vor Feindeinwirkungen geschützt sind – sowohl weil sich die Waffen aus immer größerer Entfernung präzise zum Ziel führen lassen, als auch weil immer weniger Anflüge, bei denen sich die Piloten einem Risiko aussetzen, notwendig werden, ehe das Ziel tatsächlich zerstört wird.

Basierend auf ihrer praktisch ungefährdeten Luftüberlegenheit begannen die Kriege 1991, 1999 und 2001/2002 mit umfangreichen Luftoperationen, die das Ziel hatten, die immer besser aufgeklärte militärische Infrastruktur des Feindes soweit es ging zu zerstören oder die militärische Führung mittels eines so genannten Enthauptungsschlages zu töten. Während man 1991 und 1999 fast ausschließlich auf die Wirkung der eigenen Luftüberlegenheit setzte, kam im Afghanistankrieg 2001/2002 eine modifizierte Variante des Risikotransferkrieges zum Tragen: Lokale Verbündete (in diesem Fall Kämpfer der Nordallianz) wurden durch Spezialeinheiten am Boden und Luftstreitkräfte in einem Maß unterstützt, dass diese in die Lage versetzt wurden, umfangreiche Militäroperationen gegen die Kämpfer der Taliban durchzuführen. Auch hier war die Gefährdung der eigenen Soldatinnen und Soldaten gering.

Der Krieg gegen den Irak 2003 ließ schließlich die zweite Dimension moderner Kriegsführung erkennen: Anstatt den Feind zunächst mit umfangreichen Luftschlägen zu zermürben oder auf lokale Truppen zu setzten, erfolgten Luft- und Bodenoperationen nun gleichzeitig. Große Teile der Invasionstruppen waren nur relativ leicht gepanzert und damit deutlich mobiler als klassische, schwer gepanzerte Einheiten. Man ging davon aus, Informationsüberlegenheit, optimale Aufklärung und reibungslose Interoperabilität reiche den Einheiten zum Selbstschutz. So sollte das Ziel der schnellen Einnahme Bagdads erreicht werden. Andere Städte auf dem Weg wurden nicht eingenommen, sondern umrundet, irakische Einheiten umfahren, anstatt sich in Gefechte verwickeln zu lassen.

Es kam zwar vereinzelt noch zu klassischen Panzerschlachten, wie man sie für die zwischenstaatlichen Kriege des Kalten Krieges vorhergesagt hatte. Aber auch hier spielte die technologische Überlegenheit den amerikanischen Truppen in die Hände, so dass sich die Auseinandersetzungen dank größerer Reichweite, stabilisierter Geschütze und besseren Ortungsgeräten zu einer einseitigen Angelegenheit entwickelten (Boot 2006, S.385-418). Diese Asymmetrie zugunsten des Westens zeigt sich auch in den Verlusten, die die US-Truppen in den Konflikten hatten: Während 1991 noch 148 amerikanische Soldatinnen und Soldaten ihr Leben verloren, waren es 2003 trotz umfangreicher Bodenoperationen »nur« 138.

Insgesamt haben die genannten Kriege gezeigt, dass westliche Staaten anderen Staaten, die zwar hochgerüstet sind, aber nicht über die neueste Militärtechnologie verfügen, in klassischen zwischenstaatlichen Kriegen so überlegen sind, dass sie den Krieg fast vollständig nach ihren Vorstellungen führen können. Durch die Fähigkeit, den ausgespähten Gegner aus immer größerer Distanz punktgenau zu bekämpfen und die eigenen Soldaten immer stärker vom eigentlichen Schlachtfeld fern zu halten, konnten sowohl die militärischen als auch politischen Vorgaben, Missionen mit minimierten eigenen Verlusten durchzuführen, umgesetzt werden. Vor diesem Hintergrund scheint Streben nach dem „Krieg ohne Blutvergießen“ (Mandel 2004) – zumindest bei den eigenen Soldatinnen und Soldaten – gelungen zu sein.

Grenzen der modernen Kriegsführung

Nachdem die anfängliche Euphorie über die »leichten« militärischen Siege verklungen war, wurden die Probleme und Grenzen der westlichen High-Tech-Kriegsführung immer deutlicher – selbst in den militärischen Szenarien, für die die aktuelle westliche Kriegsführung eigentlich optimiert ist. Hoch vernetzte Streitkräfte ringen beispielsweise mit dem Problem, dass auf allen Führungsebenen immer mehr Detailinformationen vorliegen und Vorgesetzte sich in Fragen des Mikromanagements einschalten, was zu Kompetenzproblemen und Verwirrung führt. Grundsätzlicher haben die Einführung von immer mehr Sensoren und die Vernetzung von immer mehr Einheiten zu einem exponentiellen Wachstum an Daten geführt, die es auszuwerten und zu beurteilen gilt. Das stellt höhere Anforderungen sowohl an die verfügbaren Datenbandbreiten als auch an die Auswertung. Der Mensch stößt an kognitive Grenzen, die auf ihn einstürzende Datenflut zu beherrschen. Verschärft wird das Problem dadurch, dass Entscheidungen immer rascher getroffen werden müssen. Die Zeitspanne zwischen der Aufklärung eines Ziels und der Möglichkeit seiner Bekämpfung beträgt mit bewaffneten Drohnen nur noch Sekunden; es besteht kaum noch die Möglichkeit einer kritischen Überprüfung des Ziels, will man die militärischen Vorteile voll ausnutzen.

Den Militärs ist inzwischen bewusst geworden, dass Menschen mit der Unmenge an Daten, die binnen Kurzem ausgewertet und beurteilt werden müssen, überfordert sind und der Druck fatale Fehlentscheidungen produzieren kann. Deshalb übernehmen immer häufiger Computer mit entsprechenden Programmen die Auswahl, Priorisierung und Bewertung der Daten. So bewerten bei Drohneneinsätzen der US-Luftwaffe z.B. Computer die Wahrscheinlichkeit und Zahl von zivilen Opfern. Trotz aller Technologie kommt es aber immer wieder zu fatalen Fehlern – es sei nur an die Angriffe auf die chinesische Botschaft im Kosovo-Krieg oder die Bombardierung von Zivilisten im Irak oder in Afghanistan erinnert. Die Hoffnung von Befürwortern moderner Kriegsführung, es ließen sich dank perfekter Aufklärung die Friktionen des Krieges ausschalten, entpuppt sich bei genauem Hinsehen als Illusion, von der ethischen Frage, inwieweit Computern tatsächlich die Entscheidung über Leben und Tod von Menschen übertragen werden soll, ganz zu schweigen (Sparrow 2007).

Darüber hinaus ist Kriegsführung, die in so hohem Maß auf Informationsübermittlung angewiesen ist, besonders anfällig für Störungen und Angriffe auf die Kommunikationsinfrastruktur. Da moderne Kriegsführung im Wesentlichen von Satellitenkommunikation und Elektronik abhängt, sind verstärkte Investitionen in Anti-Satellitenwaffen und eine Ausweitung der Kampfzone in den Weltraum zu befürchten. Nicht nur in den USA arbeitet man inzwischen fieberhaft an Alternativen zur Satellitenkommunikation (z.B. gerichtete Datenübertragung per Laser). Aber selbst wenn es gelänge, andere Kommunikationsmöglichkeiten zu entwickeln, bestünde immer noch die Abhängigkeit von GPS-Satelliten bei der Ortung, Orientierung und Navigation. Ohne Satellitennavigation wäre der schnelle Vorstoß amerikanischer Truppen im Irak 2003 praktisch unmöglich gewesen (Boot 2006).

Im Zuge der Hochtechnisierung ergibt sich ein weiteres Problem: Der Erfolg hängt im Wesentlichen davon ab, dass der technologische Abstand zum Gegner ausreichend groß ist und der Gegner nicht mit innovativen und unerwarteten Reaktionen kontert oder sich selbst mit modernen Waffensystemen ausrüstet. Die oben beschriebenen militärischen Erfolge haben aber zu einer sprunghaften Nachfrage nach Raketen, Cruise Missiles und unbemannten Drohnen geführt, die auch für westliche High-Tech-Armeen eine gefährliche Herausforderung darstellen. Im November 2010 stellte China z.B. auf der 8. International Aviation and Aerospace Exhibition in Zhuhai 25 neue Drohnen vor, darunter auch bewaffnete Modelle. Der Iran hatte einige Monate zuvor eine selbst konstruierte Drohne vorgestellt. Zumindest in einigen Bereichen ist das High-Tech-Monopol des Westens inzwischen also nicht mehr gegeben oder zumindest wurde viel Vorsprung eingebüßt.

Weil viele moderne Waffensysteme auf dual-use-Technologien basieren, ist es relativ einfach, zumindest Teile der RMA kostengünstig und mit geringem technischen Aufwand zu kopieren. Der Kampf der Hisbollah gegen Israel hat gezeigt, wie wenig selbst hoch technisierte Streitkräfte einem Gegner entgegenzusetzen haben, der mit relativ einfachen und per Zeitschaltung gezündeten Raketen Terrorangriffe gegen die Zivilbevölkerung durchführt. Vermutlich mit iranischer Unterstützung gelangte die Hisbollah zudem in den Besitz von Anti-Schiff-Raketen, mit denen sie ein israelisches Kampfschiff schwer beschädigte.

Besonders deutlich werden die Grenzen der modernen Kriegsführung, wenn man die Ebene des klassischen Staatenkriegs mit seinen Schlachtfeldern und Frontverläufen verlässt und sich auf die so genannten »Kleinen Kriege«1 bzw. die Besatzungsphase nach einem bewaffneten Konflikt konzentriert. Die Beispiele Irak und Afghanistan haben gezeigt, dass dank deutlicher Luftüberlegenheit wenige – und dazu noch leicht ausgerüstete – Invasionstruppen schnelle Erfolge erzielen können, diese in der Besatzungsphase aber schnell in Schwierigkeiten geraten, wenn sie mit Guerilla-Widerstand konfrontiert werden. Die Statistik zeigt, dass die meisten westlichen Soldatinnen und Soldaten in der Phase des vermeintlichen Friedens, also nach dem Ende der regulären Kampfhandlungen, ums Leben kamen. Trotz enormer Investitionen in elektronische Gegenmaßnahmen haben sich improvisierte Sprengfallen (improvised explosive devices, IEDs) zur Hauptbedrohung westlicher Soldatinnen und Soldaten entwickelt. Solchen Angriffen von Aufständischen lässt sich mit High-Tech-Waffen nur schwer beikommen, weshalb in asymmetrischen Szenarien der Vorteil meist bei den militärisch »schwächeren« Guerilla-Kämpfern liegt.

Verschärft wird die Situation dadurch, dass der Einsatz von High-Tech-Waffen zur Aufstandsbekämpfung oft für Zulauf zu den Aufständischen sorgt. Im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet z.B., wo die CIA immer häufiger höchst umstrittene Drohnenangriffe gegen vermeintliche Terroristen und Aufständische fliegt, sorgen die Angriffe aus der Luft für extremen Ärger unter der Zivilbevölkerung, da sie als feige und »unheroisch« wahrgenommen werden. Für besonderen Unmut sorgt die Tatsache, dass völlig unklar ist, wie viele Zivilisten den vermeintlich hoch präzisen Drohnenangriffen zum Opfer gefallen sind. Die bislang seriöseste amerikanische Quelle geht davon aus, dass mindestens 30% aller von amerikanischen Drohnen Getöteten unschuldige Zivilisten sind (Bergen/Tiedemann 2009).

Das führt schließlich zur wohl bedeutendsten Grenze moderner Kriegsführung: Trotz der Versuche, diese als »chirurgisch«, »intelligent« und hoch präzise zu präsentieren, kennzeichnen hohe zivile Opferzahlen immer noch die aktuellen Militäreinsätze; der Krieg ohne eigenes und ziviles Blutvergießen bleibt eine unerfüllbare Illusion. Zwar sind die Fortschritte in der Aufklärung und die gestiegene Präzision aktueller Waffensysteme nicht von der Hand zu weisen. Aktuelle Studien haben gezeigt, dass westliche Demokratien im Kampf stärker auf Zivilisten Rücksicht nehmen, als das für autoritäre Regime gilt (Watts 2008), zumindest solange sie nicht unter zu starken militärischen Druck geraten und den Schutz der eigenen Seite gewährleisten können (Downes 2008).

Angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich moderne Kriege vollziehen, den unklaren Frontverläufen, den städtischen Szenarien, der zunehmend unschärferen Unterscheidung zwischen ziviler und militärischer Infrastruktur und der oft nicht gegebenen klaren Unterscheidung in Kombattanten und Nicht-Kombattanten, liegt die Hauptlast des Krieges immer noch bei der Zivilbevölkerung. Das wird die zunehmende Technisierung des Krieges nicht verhindern können.

Krieg bleibt immer gleich

Das Versprechen westlicher Militärs, der Rüstungsindustrie und auch vieler Politikerinnen und Politiker, mit modernsten High-Tech-Waffensystemen dem Krieg seinen Schrecken zu nehmen, hat sich nicht erfüllt. Die Asymmetrie zugunsten westlicher Armeen, die Voraussetzung der modernen Kriegsführung, ist schon jetzt im Schwinden begriffen. Für die wahrscheinlichen Szenarien zukünftiger Auseinandersetzungen ist der blinde Glaube an die eigene technologische Überlegenheit kontraproduktiv. Aber selbst dort, wo die westliche Art der Kriegsführung noch uneingeschränkt zum Tragen kommt, bleiben hohe Verluste unter der Zivilbevölkerung zu beklagen, die von den politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern im Sinne einer utilitaristischen Abwägung als notwendiges Übel hingenommen werden. Denn das Hauptaugenmerk gilt dem Schutz der eigenen Truppen. Reicht die Technologie zum Schutz nicht aus, gerät die moderne Kriegsführung an ihre Grenzen, so wird das Risiko auf andere Gruppen verlagert, z.B. indem westliche Truppen durch lokale Truppen mit einer vermeintlich höheren Opfertoleranz ersetzt werden oder die Toleranz gegenüber »Kollateralschäden« erhöht wird. Auch wenn Militärs und Politik etwas anderes behaupten: Die Grenzen der modernen Kriegsführung sind nicht nur erreicht, sie sind bereits überschritten.

Literatur

Beier, J. Marshall (2006): The Western Way of War. Outsmarting Technologies: Rhetoric, Revolutions in Military Affairs, and the Social Depth of Warfare. In: International Politics, Jg. 43, Nr. 2, S.266-480.

Bergen, Peter and Tiedemann, Katherine: Revenge of the Drones. An Analysis of Drone Strikes in Pakistan. 19. Oktober 2009; www.newamerica.net/publications/policy/revenge_of_the_drones.

Boot, Max (2006): War Made New. Technology, Warfare, and the Course of History 1500 to Today. New York: Gotham.

Downes, Alexander B. (2008): Targeting Civilians in War. Ithaca: Cornell University Press.

Mandel, Robert (2004): Security, Strategy, and the Quest for Bloodless War. Boulder: Lynne Rienner.

Minkwitz, Olivier (2008): Die technologische Komponente der militärischen Transformation. In: Jan Helmig / Niklas Schörnig (Hrsg.): Die Transformation der Streitkräfte im 21. Jahrhundert. Militärische und politische Dimensionen der aktuellen »Revolution in Military Affairs«. Frankfurt: Campus, S.63-80.

Neuneck, Götz / Alwardt, Christian (2008): The Revolution in Military Affairs, its Driving Forces, Elements and Complexity. IFAR Working Paper Nr. 13. Hamburg: IFSH.

Schörnig, Niklas (2009): In der Opferfalle. Die Bundesregierung und die zunehmenden Gefallenen der Bundeswehr in Afghanistan. HSFK-Standpunkt 2/2009, Frankfurt.

Shaw, Martin (2005): The New Western Way of War: Risk-Transfer War and Its Crisis in Iraq. Cambridge: Polity.

Sparrow, Robert (2007): Killer Robots. In: Journal of Applied Philosophy, Jg. 24, Nr. 1, S.62-77.

Watts, Stephen (2008): Air War and Restraint: The Role of Public Opinion and Democracy. In: Matthew Evangelista / Harald Müller / Niklas Schörnig (2008): Democracy and Security. Preferences, norms, and policy-making. London und New York: Routledge, S.53-71.

Wirbel, Loring (2010): Kriegsführung mit Drohnen. In: Wissenschaft & Frieden, Jg. 28, Nr. 3 (3-2010), S.42-45.

Anmerkungen

1) Der weit verbreitete Begriff des »Kleinen Krieges« soll das Kriegsgeschehen in diesen Konflikten in keiner Weise verharmlosen oder banalisieren. Er dient typologisch lediglich einer sprachlichen Abgrenzung vom »großen« zwischenstaatlichen Krieg.

Dr. Niklas Schörnig ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung und Lehrbeauftragter an der Goethe-Universität in Frankfurt.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2011/1 Moderne Kriegsführung, Seite 22–25