W&F 2025/2

Die Hoffnung nicht aus dem Blick verlieren

von Stephan Hebel

Am 23. Februar 2025 hat Deutschland gewählt. Mit Blick auf das Ergebnis lässt sich die Lage ohne Zweifel in düsteren Farben beschreiben: In den nächsten (maximal) vier Jahren werden wir es mit einer Regierung zu tun haben, die ökologische, soziale, humanitäre und demokratische Errungenschaften dem Erhalt des industriekapitalistischen Wirtschaftssystems unterordnet. Während Investitionen in die materielle Infra­struktur nun endlich finanziert werden sollen, aber »nur« mit einem zeitlich und im Umfang gedeckelten Sondervermögen, gibt es für die Aufrüstung weder eine Bestimmung des konkreten Bedarfs noch eine Obergrenze. Selbst die ohnehin unzureichenden Klimaschutz-Initiativen der Ampelregierung werden infrage gestellt (»Heizungsgesetz«, »Verbrenner-Aus«), Arbeitslose müssen mit noch verschärften Sanktionen rechnen, und über Geflüchtete wird geredet, als seien sie Feinde, die von den Grenzen ferngehalten werden müssten. Und da sprechen wir nur von Deutschland – die zahlreichen Kriege, die Entwicklungen in den USA und die geopolitischen Umwälzungen insgesamt vervollständigen das Bild.

Diese täglichen Krisennachrichten können, so scheint es, zwei unterschiedliche Reflexe hervorrufen, oft in ein und derselben Person: Manische Vertiefung in die Abgründe der Welt auf der einen, Realitätsverweigerung auf der anderen Seite. Doch wo bleibt da die Hoffnung, die wir für die Arbeit an einer Veränderung der Verhältnisse so dringend brauchen?

Wer sich einer krisenhaften Wirklichkeit stellt, ohne in resignierendes Nichtdenken zu verfallen, wird im Dunkel der Gegenwart immer wieder auch ein Aufscheinen des Anderen, Besseren finden. Tatsächlich lassen sich selbst in diesen Tagen Zeichen paradoxer Zuversicht erkennen, wenn man nur hinschaut. Die einzige Partei links von CDU und CSU, die sich Friedrich Merz nicht als Koalitionspartnerin angedient hatte, ist aus der Bundestagswahl unerwartet erfolgreich hervorgegangen. Die 8,8 Prozent für die Linkspartei mögen immer noch allzu bescheiden erscheinen. Aber viele, die für eine Politik der sozial-ökologischen Transformation und für ein Primat der Diplomatie in internationalen Konflikten kämpfen oder dafür zu gewinnen wären, dürften im Februar noch SPD, Grüne oder gar nicht gewählt haben.

Widerstand drückt sich nicht nur in gelegentlich aufwallenden Straßenprotesten gegen rechts aus (die ihrerseits keineswegs bedeutungslos sind). Vielmehr wimmelt es – zugegebenermaßen allzu oft unter dem Radar der meisten Medien – von Menschen und Gruppen, die an der Vision einer gerechten, demokratischen und friedlichen Politik festhalten wollen. Um nur wenige Beispiele zu nennen: Da ist das Konzeptwerk Neue Ökonomie, das immer wieder Ideen für einen sozial-ökologischen Umbau präsentiert; da ist das Institut Solidarische Moderne, das die Inhalte eines rot-rot-grünen Mehrheitsprojekts am Leben zu halten versucht; da sind Attac oder das Bündnis Klinikrettung, das sich unermüdlich für ein solidarisches Gesundheitswesen einsetzen.

Und da sind nicht zuletzt die unterschiedlichen Friedensgruppen, die ehrlich mit der Frage nach einem zeitgemäßen Pazifismus ringen. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine erscheinen im öffentlichen Diskurs oft diejenigen übermächtig, die eine Niederlage der Ukraine und damit »des Westens« mit rein militärischen Mitteln verhindern zu können glauben. Die „Fausthiebe in die Fresse des Reflektierens“, wie der Schriftsteller Ilija Trojanow ihre Parolen in seiner taz-Kolumne charakterisierte, zeigen Wirkung. Aber ist es nicht auch so, dass diejenigen, die sich das „Reflektieren“ nicht nehmen lassen wollen, unter diesen Fausthieben noch lange nicht zusammengebrochen sind?

Nun gehört zum „Reflektieren“ zwar einerseits die Suche nach einer Friedensordnung, die ohne Aufrüstung auskommt. Aber andererseits gehört dazu auch die ehrliche Frage, mit wie viel militärischer Verteidigung diese Suche im Hier und Jetzt verbunden sein muss. Antiimperialismus wird ja nicht obsolet, wenn der Imperialist Putin heißt (was auch keineswegs ausschließt, die Rolle der Nato in der Vorgeschichte des russischen Angriffs zu erwähnen).

Die Linkspartei hat sich im Wahlkampf dieser Frage entzogen, indem sie sich gegen »immer mehr« Waffenlieferungen an die Ukraine wandte, ohne ein realistisches Maß zu benennen. Aber immerhin werden differenziertere Stimmen, die nach Wegen jenseits überzeichneter Bedrohungsszenarien und Aufrüstungsprogramme suchen, ohne Verteidigungs-Erfordernisse zu leugnen, langsam lauter. Wenn, wie kürzlich, eine Expertengruppe um den Politologen J. Varwick mit einer differenzierteren Bedrohungsanalyse an die Öffentlichkeit tritt, findet das bis in etablierte Medien hinein Resonanz. Und selbst Bundespräsident Steinmeier sah sich Anfang April genötigt, dem Lob der Aufrüstung hinzuzufügen: „Wir dürfen Diplomatie nicht den Autokraten dieser Welt überlassen.

Also: Ja, die Lage ist so ernst wie lange nicht. Aber das Sensorium für die Lichtpunkte im Gegenwartsdunkel, die sich früher oder später zu einer helleren Zukunft verdichten könnten, haben wir noch lange nicht verloren. Hoffentlich.

Stephan Hebel war bis 2022 politischer Redakteur der Frankfurter Rundschau. Heute arbeitet er als freier Autor unter anderem für die »Frankfurter Rundschau« und die Wochenzeitung »Der Freitag«.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2025/2 Nicht Verzagen! Weitermachen in Zeiten multipler Krisen, Seite 5