W&F 2021/1

Die iranische Atomvereinbarung

Erfolg und Misserfolg europäischer Außenpolitik

von Azadeh Zamirirad

Die Atomvereinbarung ist eine der größten Errungenschaften europäischer Außenpolitik. Doch das europäische Prestigeprojekt verfiel in einen Krisenmodus, als sich die US-Regierung unter Donald Trump 2018 einseitig von ihren Verpflichtungen zurückzog und fortan eine Politik des »maximalen Drucks« gegenüber Iran verfolgte. Es kann als bemerkenswerter Erfolg der Europäer gelten, dass sie es trotz des US-amerikanischen Sanktionsdrucks geschafft haben, ein unmittelbares Scheitern der Vereinbarung zu verhindern. Zugleich zeigte sich jedoch, dass die EU nicht die notwendigen Kapazitäten besitzt, um ihre eigenen sicherheitspolitischen Interessen gegebenenfalls auch gegen den Willen der USA durchzusetzen.

Die Atomvereinbarung, der sogenannte »Joint Comprehensive Plan of Action« (JCPOA, siehe Kasten), ist in erster Linie ein Erfolg europäischer Diplomatie. Die Europäer legten 2003 den Grundstein für Verhandlungen mit Iran, als die Außenminister der E3 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) erstmals zu Nukleargesprächen nach Teheran reisten. Berlin, Paris und London setzten auf einen politischen Dialog, um offene Fragen hinsichtlich des iranischen Atomprogramms auf friedlichem Wege beilegen zu können.

Europa als Wegbereiterin der Atomvereinbarung

Die Initiative folgte vornehmlich sicherheitspolitischen Erwägungen. Angesichts der US-Intervention im Irak zielten die Europäer darauf, zum einen eine weitere militärische Eskalation in ihrer Nachbarschaft zu verhindern und zum anderen einer zusätzlichen Proliferationskrise zuvorzukommen, nachdem bereits Nordkorea zu Beginn des Jahres aus dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag ausgestiegen war.

Die EU schloss sich 2004 formal den Konsultationen an und wurde von der Hohen Vertreter*in für Außen- und Sicherheitspolitik vertreten. Dies bot nicht nur zusätzliche Möglichkeiten, Iran im Namen der gesamten Europäischen Union wirtschaftliche Anreize für einen Kompromiss zu setzen und damit den europäischen Verhandlungsspielraum zu erweitern. Durch die Einbeziehung der Hohen Vertreter*in konnte auch der Informationsfluss zwischen den E3 und den übrigen EU-Mitgliedsstaaten verbessert und entstandener Unmut gegenüber Alleingängen der E3 reduziert werden (Bassiri Tabrizi und Kienzle 2020, S. 327).

Trotz des größeren europäischen Rahmens und anfänglicher Verhandlungserfolge erwies sich das Gesprächsformat ohne explizite politische Unterstützung der USA und ohne Hinzuziehung weiterer permanenter Mitglieder des UN-Sicherheitsrats auf Dauer nicht als aussichtsreich. Im Jahr 2006 schlossen sich neben den USA auch Russland und China den Gesprächen an. Mit dem neuen Verhandlungsformat wandelte sich zugleich die Rolle der europäischen Staaten. Während diese 2003 als autonome Akteure mit eigenständigen Positionen auftraten, übernahmen sie kaum zehn Jahre später vor allem eine Vermittlerfunktion zwischen Washington und Teheran (Cronberg 2017, S. 246). Damit trug der erweiterte Verhandlungskreis der Atomgespräche zwar einerseits zum Einigungserfolg von 2015 bei, bedeutete andererseits aber auch, dass den europäischen Parteien nur noch eine nachrangige Rolle zukam.

Europa als Verteidigerin der Atomvereinbarung

Obwohl die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) mehrfach verifizierte, dass die Islamische Republik die Vereinbarung vollständig umsetze, verkündete die US-Regierung unter Donald Trump im Mai 2018, von ihren Verpflichtungen zurückzutreten. Der Rückzug hatte nicht nur das weitreichendste Sanktionsregime zur Folge, das die USA je gegen Iran verhängten. Die Adminis­tration unternahm auch gezielte Schritte, um die verbliebenen JCPOA-Parteien von der Fortführung der Vereinbarung abzuhalten. Insbesondere die Ausweitung US-amerikanischer Jurisdiktion mittels extraterritorialer Sanktionen erwies sich für europäische Staaten als enorme Herausforderung.

Die EU ergriff daher eine Reihe von Maßnahmen, die den Fortbestand der Vereinbarung sicherstellen sollten. Zu diesem Zweck aktualisierte die EU-Kommission eine Abwehrgesetzgebung aus dem Jahr 1996, die es europäischen Unternehmen untersagt, der US-amerikanischen Rechtsprechung zu folgen, und ihnen ermöglicht, dadurch entstandene finanzielle Schäden vor europäischen Gerichten einzuklagen. Darüber hinaus stellte sie auch finanzielle Hilfen bereit, darunter 50 Mio. € zur Unterstützung der wirtschaftlichen Kooperation mit dem iranischen Privatsektor. Den bedeutendsten Schritt unternahmen die E3 jedoch im Januar 2019 mit der Gründung eines vom US-Dollar unabhängigen Finanzmechanismus. Das sogenannte »Instrument in Support of Trade Exchanges« (INSTEX) sollte den Warenaustausch zwischen Iran und seinen Handelspartnern ermöglichen, ohne auf direkte Finanztransaktionen angewiesen zu sein, die durch US-Sanktionen behindert wurden. Mit der Einrichtung dieser Zweckgesellschaft sollten ursprünglich iranische Öl- und Gasexporte nach Europa abgesichert werden, doch um INSTEX aus dem Schussfeld amerikanischer Sanktionspolitik zu nehmen, wurde der Handel auf den humanitären Warenverkehr beschränkt. Ein substanzieller Beitrag zur wirtschaftlichen Kooperation mit Iran konnte damit nicht erzielt werden.

Während die Europäer den JCPOA nicht davor bewahren konnten, von US-amerikanischen Sanktionen wirtschaftlich untergraben zu werden, gelang es ihnen, die Abmachung zumindest politisch abzuschirmen. Im August 2020 verwehrten sie der US-Administration Unterstützung im UN-Sicherheitsrat (UNSR) bei deren Versuch, einen sogenannten »Snapback« in der UNSR-Resolution 2231 (siehe Kasten) auszulösen, mit dem der JCPOA außer Kraft gesetzt worden wäre. Zuvor hatten es die E3 bereits abgelehnt, sich einer Resolutionsinitiative aus Washington anzuschließen, mit der ein UN-Waffenembargo gegen Iran auf unbestimmte Zeit verlängert werden sollte – ein Vorhaben, das gegen die Abmachung verstoßen hätte. Mit ihrer klaren Haltung im Sicherheitsrat bekräftigten die Europäer glaubhaft ihre Absicht, an der Vereinbarung festzuhalten und zeigten, dass sie zur Aufrechterhaltung des JCPOA nicht davor zurückzu­schrecken, sich auch im Rahmen der Vereinten Nationen gegen den transatlantischen Bündnispartner zu positionieren.

Der Blick aus Teheran

Die europäischen Bemühungen wurden in Teheran jedoch als unzureichend angesehen. Nach dem einseitigen Rückzug Washingtons aus der Atomvereinbarung 2018 hatte die Islamische Republik zunächst darauf gesetzt, dass die verbliebenen Vereinbarungsparteien effektive Maßnahmen ergreifen würden, um die Wirtschaftskooperation trotz des US-amerikanischen Sanktionsdrucks aufrechtzuerhalten. Doch die Maßnah­men blieben weit hinter Teherans Erwartungen zurück. Insbesondere die Beschränkung von ­INSTEX auf den humanitären Warenverkehr stieß in allen politischen Lagern auf Kritik, die sich von der Zweckgesellschaft vor allem die Absicherung von Energieexporten versprochen hatten. Derweil weitete die Trump-Administration das Sanktionsregime gegen Iran sukzessive aus. Vor diesem Hintergrund setzte die Islamische Republik ab Mai 2019 Teile der Übereinkunft schrittweise aus und verkündete schließlich, keine der im JCPOA festgelegten technischen Beschränkungen des Atomprogramms mehr anzuerkennen. Die iranische Kehrtwende ist somit nicht nur die direkte Folge des US-amerikanischen Sanktionsdrucks, sondern zugleich Resultat des mangelnden Vermögens europäischer Akteure, effektive Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Damit wurden zwei grundlegende Annahmen der iranischen Atomdebatte bestätigt. Kritiker*innen eines Nuklearkompromisses hatten stets argumentiert, dass eine Vereinbarung mit westlichen Staaten keine nachhaltige Lösung im Atomkonflikt zur Folge haben würde, da es den USA am politischen Willen und den Europäern an grundlegenden Kapazitäten fehle. Durch die Erfahrung mit dem JCPOA wurde die Position jener politischen Kräfte in Iran untergraben, die sich für eine kooperative Haltung in der Atompolitik ausgesprochen hatten, darunter die Regierung von Präsident Hassan Rohani. Dies ist umso mehr der Fall, seit es Iran gelungen ist, durch eine regionale Eskalationsstrategie sowie die Steigerung nuklearer Aktivitäten, die eigene Verhandlungsposition zu verbessern. Derweil ist auch die Unterstützung der iranischen Bevölkerung für den JCPOA rapide gesunken (CISSM/IranPoll 2019, S. 4).

Europäische Versuche, Iran im Rahmen eines im JCPOA festgelegten Konfliktregulierungsmechanismus wieder zu einer vollständigen Implementierung der Vereinbarung zu bewegen, blieben daher ohne Erfolg. Teheran erklärte unmissverständlich, die Vereinbarung erst dann wieder in vollem Umfang umsetzen zu wollen, wenn auch die USA ihren Verpflichtungen wieder nachkämen.

Aussichten unter der Biden-Administration

Iran setzt die Übereinkunft nur noch in Teilen um und hat seine nuklearen Aktivitäten kontinuierlich ausgeweitet. Infolge des Attentats auf den Atomwissenschaftler Mohsen Fakhrizadeh im November 2020 verabschiedete das iranische Parlament ein bereits Monate zuvor erarbeitetes Gesetz, das die Regierung dazu anhält, den Zugang von IAEO-Inspekteur*innen zu iranischen Atomanlagen zu beschränken und Uran auf bis zu 20 % anzureichern, sollte es nicht zu kurzfristigen Sanktionserleichterungen kommen. Eine weitere Eskalation ließe sich unter dem neuen US-Präsidenten Joe Biden jedoch verhindern, der bereits im Wahlkampf seine Absicht erklärte, in die Vereinbarung zurückkehren zu wollen. Europäische Akteure könnten diesen Prozess unterstützen, indem sie sich mit Iran, Russland und China auf ein Verfahren für einen Wiedereinstieg der USA verständigen. Eine Verständigung auf eine schrittweise Implementierung auf US-amerikanischer und iranischer Seite wird jedoch auch unter einer Biden-Administration eine Herausforderung darstellen, nicht zuletzt, da Washington beabsichtigt auch in weiteren sensiblen Themenfeldern wie der iranischen Regionalpolitik oder dem ballistischen Raketenprogramm Folgevereinbarungen zu erzielen. Sollte es Biden versäumen, frühzeitig erste Sanktionserleichterungen zu erlassen, könnte Teheran beschließen, sein Atomprogramm auf Grundlage des Parlamentsbeschlusses erheblich auszuweiten. Damit wäre der JCPOA auf absehbare Zeit hinfällig.

Europas strategische Autonomie

Doch auch im Falle einer erfolgreichen Rückkehr der USA in die Vereinbarung wird die EU nicht umhinkommen, ihre strukturellen Defizite aufarbeiten zu müssen. Denn trotz zahlreicher Versuche ist es ihr nicht gelungen, europäischen Unternehmen die politische und rechtliche Sicherheit zu geben, den Handel mit Iran gegen anhaltenden Sanktionsdruck aus Washington fortsetzen zu können. Die Erfahrung mit dem JCPOA hat damit einmal mehr die Notwendigkeit für eine strategische Autonomie der Europäischen Union offenbart. Strategisch autonom wäre die EU dann, wenn sie imstande wäre, nicht nur eigene außen- und sicherheitspolitische Prioritäten zu setzen und Entscheidungen zu treffen, sondern auch die institutionellen, politischen und materiellen Voraussetzungen zu erfüllen, um diese gegebenenfalls auch eigenständig umsetzen zu können (Lippert, von Ondarza und Perthes 2019, S. 5). Die Ausweitung von INSTEX zu einem gesamteuropäischen alternativen Finanzinstrument, das unabhängig vom US-Dollar operiert, könnte hier wichtige Impulse setzen.

Nach vier Jahren transatlantischer Spannungen stellt die Wahl Joe Bidens für viele europäische Mitgliedsstaaten einen willkommenen Machtwechsel im Weißen Haus dar. Zugleich läuft die EU jedoch Gefahr, nunmehr in gewohnte Bündnismuster zurückzufallen und Bemühungen um größere Souveränität hintanzustellen. Die Atomvereinbarung hat jedoch aufgezeigt, dass Europas Anspruch, internationale Normen und Vereinbarungen aufrechtzuerhalten, Konflikte auf diplomatischem Wege beizulegen und Nichtverbreitungsinstrumente zu stärken, an enge Grenzen stößt, solange die Europäer extraterritorialen Sanktionen nichts entgegensetzen können. Intensive Bemühungen um strategische Autonomie bleiben daher auch unter Biden unabdingbar für die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Europäischen Union.

Dieser Artikel spiegelt den Stand der Entwicklungen bis Mitte Dezember 2020 wider.

Der »Joint Comprehensive Plan of Action« (JCPOA) (2015)

  • Der JCPOA wurde am 14.07.2015 zwischen der Islamischen Republik Iran und der Staatengruppe P5+1 (die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates und Deutschland) sowie der EU in Wien getroffen. Die Vereinbarung wurde mit der Verabschiedung der UN-Sicherheitsratsresolution 2231 (s.u.) völkerrechtlich verbindlich.
  • Der Text umfasst die Übereinkunft an sich und fünf weitere Anhänge (I-V), die genauer ausbuchstabieren, wie in den einzelnen Bereichen vorgegangen wird. Anhang V legt dafür den Zeitplan vor.
  • Im JCPOA bekräftigt Iran, niemals Atomwaffen besitzen oder beschaffen zu wollen (Präambel).
  • In der Vereinbarung verpflichtet sich Iran, bis 2030 maximal 300kg niedrig angereichertes Uran zu lagern und den Anreicherungsgrad auf maximal 3,67 % zu beschränken; ausreichend für zivile Nutzung, aber nicht für die Produktion einer Atombombe. Zudem sieht die Übereinkunft vor, dass Iran die Zahl verfügbarer Zentrifugen begrenzt und umfangreiche Modernisierungen am Schwerwasserreaktor vornimmt, die eine potenzielle militärische Nutzung verhindern sollen.
  • Im JCPOA unterwirft sich Iran einem umfangreichen und strengen Inspektionsregime durch die IAEO. Für den Fall von Unstimmigkeiten hinsichtlich der Umsetzung ist ein Disputregulierungsmechanismus vorgesehen. Wird der Disput unter den Vereinbarungsparteien innerhalb einer festgelegten Frist nicht beigelegt, wird der UN-Sicherheitsrat mit dem Konflikt befasst. Dieser hat 30 Tage Zeit, über eine Fortführung des JCPOA zu entscheiden, andernfalls treten alle zuvor ausgesetzten nuklearbezogenen UN-Sanktionen gegen Iran automatisch wieder in Kraft.

Die UN-Sicherheitsratsresolution 2231 (2015)

Nach dem Abschluss der Verhandlungen verabschiedete der UN-Sicherheitsrat einstimmig Resolution 2231, in der die internationale Staatengemeinschaft die Übereinkunft begrüßt und unter anderem folgendes festlegt:

  • Die Aufhebung der nuklearbezogenen UN-Sanktionen gegen Iran nach der positiven Einschätzung eines Umsetzungsberichtes der IAEO (Paragraph 5-7). Dieser Bericht wurde am 16.01.2016 eingereicht und damit der Umsetzungsplan im JCPOA ausgelöst.
  • Bei Verstößen gegen die Übereinkunft können die Sicherheitsratsmitglieder den sogenannten »Snapback-Mechanismus« auslösen, der zu einer sofortigen Wiederanwendung der zuvor aufgehobenen UN-Sanktionen führen würde (Paragraph 11 und 12).
  • Die Resolution hält auch fest, dass Iran eine Wiedereinsetzung von Sanktionen wie in Paragraph 11 und 12 als Bruch des JCPOA betrachtet und sich in einem derartigen Fall nicht länger an die Übereinkunft gebunden sieht (Paragraph 13). Hierauf beruft sich die Islamische Republik, nachdem die USA sich im Mai 2018 einseitig von ihren Verpflichtungen im JCPOA zurückzogen und fortan gegen Resolution 2231 verstießen.

Literatur

Bassiri Tabrizi, A.; Kienzle, B. (2020): The High Representative and Directories in European Foreign Policy. The Case of the Nuclear Negotiations with Iran. European Security 29(3), S. 320-336.

Center for International and Security Studies at Maryland (CISSM)/IranPoll (2019): Iranian Public Opinion Under »Maximum Pressure«, Oktober 2019.

Cronberg, T. (2017): No EU, no Iran Deal. The EU‘s Choice Between Multilateralism and the Transatlantic Link. The Nonproliferation Review 24(3-4), S. 243-259.

Lippert, B.; von Ondarza, N.; Perthes, V. (Hrsg.) (2019): Strategische Autonomie Europas. Akteure, Handlungsfelder, Zielkonflikte. SWP-Studie 2019/S 02, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik.

Dr. Azadeh Zamirirad, Irananalystin und stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten & Afrika, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2021/1 »Friedensmacht« EU ? – Zwischen Diplomatie und Militarisierung, Seite 20–22