W&F 1997/3

Die Legende vom saub’ren Soldaten

von Astrid Albrecht-Heide

Eine offenbar allzu kurzatmige Irritation wurde durch Soldaten in Hammelburg ausgelöst. Der Flut-Katastropheneinsatz an Oder und Neiße legt sich danach rasch wie ein ziviler Heldenmantel über die gesamte Truppe. Dabei gilt es Irritation und Entsetzen wachzuhalten. Als die Videos über Scheinhinrichtungen und -vergewaltigungen bekannt wurden, waren Zeitungs- und Kommentarüberschriften selbst in gemeinhin demokratisch aufmerksameren und sensibleren Blättern, wie etwa der »Frankfurter Rundschau« eher im Wortsinne »daneben«. Dort war z.B. zu lesen: „Ein kleines bißchen Horrorshow“ (8.7.97) oder „Der Video-Skandal“ (9.7.97). Gewollt oder ungewollt wird mit solchen Formulierungen skandalisiert und entwirklicht zugleich. Die virtuelle Realität läßt grüßen; denn die Wirklichkeit des gewaltsamen »Spiels« wird gleichsam aus dem Blick geräumt.

Durch eine skandalisierende Entwirklichung können die Hammelburger Ereignisse – und das ist gravierender – jedoch auch als Unfälle oder ein »Aus-der-Rolle-fallen« aus einem eigentlich friedlichen »Spiel« begriffen werden. Die potentiell tödliche und selbstmörderische Realität, auf die jede Militärausbildung vorbereitet, kann auf diese Weise nicht Entsetzen auslösen, sondern wird auf das Hammelburger »Spiel« verschoben.

Eine der Kernfragen ist, ob die gespielten Gewaltszenen etwas mit der militärischen Normalität zu tun haben. Hält man sich vor Augen, daß jedes Militärmanöver nichts anderes als ein »gespieltes« Gewaltszenario ist, so liegt der Verdacht nahe, daß Hammelburg für etwas anderes steht. Das dorthin verschobene Entsetzen müßte sich vielleicht eher darauf richten, daß junge Männer im Militär lernen müssen, sich vom zivilen Tötungsverbot zur militärischen Tötungserlaubnis (gegebenenfalls auch zum Tötungsgebot) zu bewegen. Soldaten lernen zu töten und werden auf einen möglichen Selbstmord vorbereitet. Die handwerklichen und technischen Voraussetzungen ebenso wie die psychische Bereitschaft müssen erlernt werden. Dies kann nur gelingen, wenn das eigene und das andere Leben und deren Lebendigkeit ihren spürbaren Wert verloren haben. Dies erfordert als »minimale« emotionale Voraussetzung Abspaltung der Gefühle, kann jedoch auch durch Abstumpfung und Vergleichgültigung möglich werden. Schließlich kann aber auch eine emotional lustvolle Besetzung dieses Handlungsfeldes erfolgen.

Nun kann mit Recht darauf verwiesen werden, daß es in der alltäglichen militärischen Ausbildung nicht um das Einüben von Hinrichtung und Folter geht. Die militärische Ausbildung schafft jedoch eine emotionale Abspaltung, Entgrenzung oder auch Brutalisierung gegenüber der Wertschätzung des individuellen Lebens, so daß ein emotionales Unterfutter für entsprechende Handlungen mit hergestellt wird.

Die militärische Sozialisation, besonders in der Grundausbildung, ist stark reglementiert und erfolgt serienmäßig. Dabei spielt Entindividualisierung eine entscheidende Rolle. An die Stelle der zivilen Identität soll die militärische Identität treten. Jede militärische Sozialisation arbeitet mit Demütigungen, ohne daß diese im übrigen »dramatisch« sein müssen: Kleiderordnung, Schrankordnung, Zimmersauberkeit und Bettenmachen – um die zivile Terminologie zu verwenden – werden kontrolliert und überprüft. Dies ist mit Unterwerfungsleistungen verbunden. Als Preis winkt eine Steigerung von Männlichkeit insbesondere durch die Ausbildung an Waffen. Erkauft wird diese Steigerung von Männlichkeit durch Gehorsam und Unterwerfung.

Diese Elemente müssen mitgedacht werden, wenn die militärische Tötungserlaubnis und das dazugehörige seelische Unterfutter ungesicherte Grenzen gegenüber anderer Gewalt einschließt. Diese ungesicherten Grenzen haben z.B. Menschen wie Baudissin (wer war das überhaupt, werden viele jüngere Leute fragen…) dazu bewogen, mit dem Konzept vom »Bürger in Uniform« hohen Wert auf eine zivil-identische Verortung des einzelnen Soldaten in der demokratischen Gesellschaft zu legen – auch wenn es dabei um so etwas wie die Quadratur des Kreises geht.

Mit der »Normalisierung« eines deutschen Militärs nach dem Ende des kalten Krieges erfolgt eine Normalisierung des Soldatenberufes, in der die Besonderheiten – Töten und Zerstören als unaufhebbare Berufspotentiale – drohen, zum Nicht-Thema gemacht zu werden. Und spätestens Hammelburg zeigt, daß dies nicht gelingen kann.

Hammelburg zeigt jedoch auch noch ein zweites. Dort wurden ja nicht nur Scheinhinrichtungen sondern auch -vergewaltigungen »gespielt«. Der Frage, ob und gegebenenfalls wie Vergewaltigungen »lediglich« Ausfälle sind, oder zur (militärischen) Männlichkeit gehören, kann daher kaum ausgewichen werden.1 Um diese Frage beantworten zu können, müssen einige Gedanken zusammengeführt werden.

Viele soldatische Tätigkeiten, wie z.B. Putzen, Ordnung halten/herstellen, das passive Bewegtwerden, gelten im zivilen Leben keineswegs als »männlich«, sondern sie sind im kulturellen Sinne weit eher »weiblich« kodiert. Daher vermögen diese Tätigkeiten unterschwellige Ängste bei den Soldaten auszulösen, d.h. das Militär arbeitet systematisch mit Verweiblichungsangst, nicht unbedingt bewußt oder gar mit strategischem Kalkül. Dieser ständigen Bedrohung seiner Männlichkeit gilt es auf Seiten des Soldaten u.a. durch Straffheit und Härte immer wieder zu begegnen. Sie kann nicht ein für alle mal gebannt werden; die dadurch ausgelöste und in Gang gehaltene Dynamik entspricht einer Suchtstruktur.

Hinzu kommt, daß die Verweiblichungsangst eine zivile Grundlage hat; sonst könnte das Militär nicht mit ihr arbeiten. Sie ist darin begründet, daß dem kleinen Jungen in unserer Gesellschaft durch die privat meist abwesenden Väter zugemutet wird, seine Identität durch die Abgrenzung von einer Frau (meist seiner Mutter) zu bestimmen. Es geht für ihn darum, daß er nicht so wird wie sie. Der besondere Charakter ergibt sich daraus, daß die Frau in unserer Kultur als Nicht-Mann definiert ist, weil sie (als Kategorie) durch all das definiert ist, was der Mann nicht verkörpert. Die Aufgabe des kleinen Jungen ist also eine doppelte negative Abgrenzung, nämlich nicht so zu werden wie der Nicht-Mann. Und das ist mit Angst verbunden, mit der u.a. das Militär arbeiten kann. Die Abgrenzungsbemühungen gegenüber dem Weiblichen gelingen am ehesten durch Abwertung, die ja in unserer Kultur zudem nicht vom einzelnen gefunden werden muß, sondern quasi auf der Straße liegt. Die abwertende Abgrenzung ist bei Vergewaltigungen mitzudenken. Vorliegende Untersuchungen sprechen außerdem dafür, daß es im Militär zu einer Brutalisierung und Simplifizierung im Verhältnis von Soldaten zu Frauen kommt. Frauen werden oft verstärkt auf »Sexual«-Objekte reduziert. Ob es nun gefällt oder nicht: Sexuelle Potenz als Ausdruck von Kämpfertum (im Kampf gegen die Verweiblichungsangst) ist eine im Militär verbreitete Ansicht.

Eine weitere Tatsache, die in dem Zusammenhang von (militärischer) Männlichkeit und Vergewaltigung herangezogen werden muß, ist jene vor allem in Männerbünden verbreitete Spaltungslogik in sog. gute und sog. böse Frauen. Die Frauen im Feindesland – und dies wurde in Hammelburg phantasierend geübt – werden in aller Regel den sog. bösen Frauen zugeordnet. Und spätestens durch die Vergewaltigung werden sie in diesem Verständnis zu Huren gemacht. Dies ist die Botschaft von Männerbund zu Männerbund. Den »feindlichen« Männern wird vorgeführt, daß die Beziehung zu ihren Frauen nichts (mehr) wert ist. Die gewalttätige Spaltungslogik bewegt sich so in einem Zirkel einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.

Schließlich gehört hier ein noch abgründigerer Aspekt her, mit dem deutlich wird, daß im Hinblick auf einen »saub`ren Soldaten« kein Land und kein sicherer Boden zu gewinnen ist. In der Militärlogik sind männliche Wehrfähigkeit mit Tötungsprivileg und weibliche Gebärfähigkeit aufeinander bezogen. Das männliche Tötungsprivileg obsiegt im Krieg über das Leben. Indem bei Vergewaltigungen im sogenannten Feindesland – ohne die kein neuzeitlicher Krieg »auskam« – dem Ort des Gebärens Gewalt angetan wird, erhält der Sieg des Tötungsprivilegs über die Gebärfähigkeit Ausdruck.

Anmerkungen

1) Wesentliche Gedanken hierzu verdanke ich Mario Erdheim, Carol Hagemann-White, Doris Janshen u. Klaus Theweleit. Zurück

Profn. Dr. Astrid Albrecht-Heide lehrt an der Technischen Universität Berlin Sozialisationsforschung aus der heraus sie u.a. Friedens- und Konfliktforschung betreibt. Sie gehört zum Netzwerk Friedensforscherinnen.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1997/3 Wahnsinn ohne Ende, Seite