W&F 1988/4

Die Lektion von Tschernobyl

von Peter Carl

Seit 1982 verfolgt der Internationale Rat Wissenschaftlicher Vereinigungen (ICSU) ein Projekt zur Untersuchung der biologischen, medizinischen und physikalischen Auswirkungen eines massenhaften Einsatzes von Kernwaffen. Im ICSU sind nationale und internationale wissenschaftliche Einrichtungen u.a. aus dem naturwissenschaftlich-technischen Bereich, wie die Europäische Physikalische und Geophysikalische Gesellschaft, vertreten.
Auf der 19. Generalversammlung wurde das Mandat für das Projekt erteilt; in der Beschreibung des ICSU-Generalsekretärs von 1983 wurde eine Konzentration auf langfristige globale klimatische und biologische Konsequenzen gefordert. Die Arbeit erfolgte unter Federführung des Umweltausschusses (SCOPE); ein Koordinationskomitee wurde an der Universität von Essex eingerichtet. Das Projekt firmierte seitdem als SCOPE-ENUWAR-Projekt (Environmental Consequences of Nuclear War). Die Arbeit wurde 1985 abgeschlossen; allerdings faßte die ICSU-Generalversammlung im Sept. 1986 den Beschluß zur Fortführung des Dialogs über die Ergebnisse (Gegenstimme-USA/Enthaltungen 10 NATO-Länder). Seitdem haben Workshops in Bangkok, Genf und Moskau stattgefunden, wurde eine Studie an die 3. UNO-Sondertagung für Abrüstung unterstützt, zahlreiche Einzelpublikationen vorgelegt und Folgestudien initiiert. Inzwischen steht eine Verlängerung des Mandats nicht mehr in Aussicht. Die beteiligten Wissenschaftler hoffen jedoch, ihre Problemstellungen in das dann zu erweiternde internationale Geosphäre-Biosphäre-Programm der ICSU einbringen zu können.
Auf dem Moskauer workshop im März dieses Jahres beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe ausführlich mit der Bewertung der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Die Gruppe führte auch eine Exkursion an den Ort des Geschehens durch. Der DDR-Wissenschaftler Dr. Peter Carl, tätig am Zentralinstitut für Elektronenphysik bei der Akademie der Wissenschaften in Berlin, war am SCOPE-ENUWAR-Projekt beteiligt. Aus dieser Arbeit ist ein Bericht entstanden, den das DDR-Komitee für wissenschaftliche Fragen der Sicherung des Friedens und der Abrüstung in drei Teilen veröffentlicht. Teil II ist unter dem Titel »Kernwaffenkrieg, Klima und Umwelt – Pathologie einer Katastrophe« jüngst veröffentlicht worden.
Wir bringen im folgenden einen Abschnitt, der sich mit den Folgen des Reaktorunfalls von Tschernobyl befaßt. Die dortige Analyse-Arbeit soll v.a. durch die sowjetischen Wissenschaftler fortgesetzt werden.

Der Moskauer Workshop hat wie seit längerem angekündigt in einer seiner Arbeitsgruppen die Erfahrungen aus dem Reaktorunfall von Tschernobyl, insbesondere die derzeitigen Fähigkeiten zur Prognose lokaler, regionaler und weltweiter radioaktiver Belastungen bewertet. Die Abbildung (s. W&F 4/88 S.19) zeigt eine berechnete Inhalationsdosis – sie ist zu 80 % auf Jod zurückzuführen, ansonsten im wesentlichen auf Cäsium, Ruthenium und Tellur (lokaler Fallout in der unmittelbaren Umgebung von Tschernobyl ist hier nicht berücksichtigt).

Von sowjetischer Seite sorgfältig vorbereitet und mit bemerkenswerter Aufmerksamkeit bedacht war eine Exkursion von 23 Teilnehmern nach Tschernobyl. Zwar sind die meisten der dort erhaltenen wissenschaftlichen Informationen bereits durch Publikationen verfügbar2-7, der persönliche Eindruck von den ökologischen, ökonomischen und sozialen Konsequenzen und von dem humanen Aspekt dieser Katastrophe – der besonders deutlich wurde beim Besuch der »Geisterstadt« Pripât – ist jedoch für ein Team, das die potentiellen Folgen des Einsatzes von Nuklearwaffen einzuschätzen hat, von nicht geringem Gewicht. Die folgenden skizzenhaften Angaben zur Dimension eines Unfalls, der nach Expertenmeinung eine der schwersten technisch überhaupt denkbaren Havarien an diesem Reaktortyp darstellte, belegen auch die extremen Anstrengungen, die unternommen werden mußten, um die räumliche und zeitliche Ausdehnung der Umweltbelastungen weitgehend einzugrenzen. Vollständig zu beseitigen sind sie in absehbarer Zeit nicht, ebensowenig wie die sozialen und ökonomischen Folgen des Unfalls und die starke Beeinträchtigung der betroffenen Bevölkerung:

  • 135.000 Menschen, zu einem großen Teil Alteingesessene, wurden aus der 30-km-Zone evakuiert (die zu etwa einem Drittel aus landwirtschaftlicher Nutzfläche bestand) und können kaum damit rechnen, je wieder in ihre Heimatorte zurückzukehren: das Risiko, daß etwa Kinder beim Spielen in der Umgebung der Ortschaften mit nicht entdeckten radioaktiv »heißen« Nestern in Berührung kämen, ist nicht akzeptabel.
  • Die Evakuierung der Stadt Pripât, 5 km nordwestlich des Kernkraftwerks gelegen (zur Zeit der Havarie in Windrichtung), begann 36 Stunden nach dem Unfall. Bis dahin eine moderne Neubaustadt, 50.000 Einwohner, Geburtenrate etwa 1000 Kinder pro Jahr, Durchschnittsalter unter 30 Jahre, erinnerte der Ort fatal an die Bilder kampucheanischer Geisterstädte. Die Bewohner mußten bis auf lebensnotwendige Dinge (ein Koffer pro Person) alles unwiderruflich zurücklassen; sie zeigten sich trotzdem – im Gegensatz zu denen einiger ländlicher Gebiete – der Situation gewachsen. Sie folgten der Aufforderung, in den Häusern zu bleiben, wodurch die empfangene Strahlendosis etwa um eine Größenordnung verringert werden konnte. Die Evakuierung erforderte ein hohes Maß an Organisation und Disziplin sowie die Bereitstellung beträchtlicher Transportkapazitäten (mehr als 1000 Busse für einen Zeitraum von 48 Stunden). Bei einer Havarie unter den Bedingungen nach einem nuklearen Schlagabtausch waren wahrscheinlich die Häuser in Mitleidenschaft gezogen, wäre Panik nahezu unvermeidbar und wäre die Bereitstellung der Transportmittel eine unlösbare Aufgabe.
  • 500 ha Wald, der einer Dosis von mehr als 3 Gy ausgesetzt war, mußten abgeholzt und begraben werden, um eine Windverbreitung abgestorbener Pflanzenteile zu unterbinden. Insbesondere bestand für Pripât die Gefahr einer erneuten Kontamination.
  • 5 Mill. M³ Boden wurden (in unmittelbarer Nähe des Reaktors knietief, ansonsten etwa 15 cm tief) beseitigt, um das Strahlungsniveau in dem durch lokalen Fallout betroffenen Gebiet unter die vorgeschriebene tolerierbare Höchstgrenze zu senken. Unkontrolliertes Auswaschen und damit tieferes Eindringen der radioaktiven Ablagerungen in den Boden wurde verhindert, indem man durch Injektion von Kondensationskeimen Regenwolken am Abregnen hinderte (»Overseeding«). Quelle der radioaktiven Bestrahlung war (knapp zwei Jahre nach dem Unfall) selbst in einer Entfernung von wenigen hundert Metern und trotz der genannten Maßnahmen nicht der havarierte Block 4, sondern eindeutig der Erdboden.
  • Die erste Dekontaminationswelle begann einen Monat nach der Havarie und nahm 6 Monate in Anspruch; eine zweite Etappe war im März 1988 im Gange. Sie soll in Pripât dazu dienen, die Stadt für industrielle Zwecke nutzbar zu machen, was vom allgemeinen Strahlungspegel her bereits möglich wäre – er liegt inzwischen niedriger als die natürliche Untergrundstrahlung in einigen Gebieten der Erde, z.B. in Mexico.
  • Von den 10.000 heute innerhalb der 30-km-Zone Beschäftigten gehören 3000 zum Reaktorpersonal. Blocks 1, 2 und 3 sind nach technischen Vorkehrungen zur Verhinderung ähnlicher Havarien wieder in Betrieb genommen worden, der weitere Aufbau der Blocks 5 und 6 ist vorläufig bis 1991 gestoppt. Neben starken Wachmannschaften, die die 30- und die 10-km-Zone abriegeln, sind die meisten anderen Beschäftigten für die Dekontamination eingesetzt. Die Bereitstellung technischer Hilfsmittel und des Personals für solche langwierigen Entaktivierungsmaßnahmen großen Umfangs wäre in einem von massiven Atomschlägen betroffenen Land nicht denkbar.

Obwohl er unmittelbar einunddreißig Menschen das Leben kostete, verlief der Unfall selbst – gemessen an Risikostudien solcher »worst case« Havarien – geradezu »glimpflich«. Im Gegensatz zu der kaum für möglich gehaltenen unglückseligen Aufeinanderfolge von Fehlhandlungen und Fehleinschätzungen durch das Reaktorpersonal (eine der erfahrendsten Besatzungen an diesem Reaktortyp, die offenbar auch aus einer dadurch entstandenen Haltung vermeintlicher Überlegenheit heraus bei dem letztlich zur Havarie führenden elektrotechnischen Test mit erschreckender Leichtfertigkeit die Sicherheitsbestimmungen ignorierte) war die Reaktion auf den Unfall nach Einschätzung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) »optimal« und hat eine größere Anzahl von Opfern verhindert.2 237 Fälle akuter Strahlenkrankheit sind aufgetreten, von denen 28 zum Tode führten. Die Hauptursache waren schwere Hautverbrennungen durch ß-Strahlung, die – wo sie nicht selbst tödlich waren – die Erfolgschance anderer therapeutischer Maßnahmen stark verringerten. Drei Menschen starben aus anderen Gründen (Herzanfall, Sturz ins Feuer, durch Trümmer erschlagen). Als geheilt galten im März 1988 139 Fälle der Strahlenkrankheit 1. Grades, 55 Fälle 2. Grades, 14 Fälle 3. Grades und ein Fall 4. Grades.

In Abhängigkeit von Wetterbedingungen, Evakuierungsstrategien und medizinischer Versorgung liegen Abschätzungen verschiedener Risikostudien – allerdings für Druckwasserreaktoren – im Bereich von einigen hundert bis hin zu einem Extremfall von 10.000 (!) unmittelbaren Unfallopfern.8 Auch wenn Tschernobyl diese Prognosen glücklicherweise nicht bestätigt (und zu einem gewissen Grade widerlegt) hat, sind sie nicht ohne Bedeutung: Kernkraftwerke stellen unter Kriegsbedingungen besondere Risikoquellen dar. Selbst wenn man von direkten Angriffen absieht, besteht aus folgenden Gründen eine beträchtliche Gefahr schwerer Havarien, die mit der Zerstörung des Reaktorkerns enden können:

  • Ausfall des Energienetzes für den gesamten Zeitraum, in dem der Reaktor »heruntergefahren"werden muß;
  • unzureichende Verfügbarkeit von Treibstoff für die Notstromversorgung bis zum sicheren Abschalten (1 - 2 Wochen) – aus sehr verschiedenen denkbaren Gründen unter Kriegsbedingungen;
  • Beschädigung oder Zerstörung der elektronischen Sicherheitssysteme und anderer elektrischer bzw. elektronischer Einrichtungen, die für das Abschaltregime wesentlich sind, durch den elektromagnetischen Impuls ;
  • Beschädigung von Teilen der Anlage (z.B. des Kühlkreislaufs) infolge mittelbarer Kriegswirkungen;
  • fehlende Besatzung (Tod, Verletzung oder Flucht);
  • Fehlhandlungen des Bedienungspersonals bei Havarie der Meßgeräte, durch Ausfall der Steuerelektronik, infolge Unsicherheit über die Meßwerte oder als Folge der extremen psychischen und physischen Belastungen: Es ist kaum denkbar, daß eine einzige Besatzung, die zur Zeit des Kriegsausbruches gerade Dienst hat, in dieser extremen Situation ihre Aufgabe 14 Tage lang fehlerfrei erfüllt (in einem bereits sehr instabilen Betriebszustand des Reaktors soll es – nach unbestätigten Berichten – in Tschernobyl zur eigentlichen Katastrophe gekommen sein, als einem Operateur, der die kritischen Druckwerte zu beobachten hatte, für einen Moment die Augen zufielen; die Havarie ereignete sich um 1.23 Uhr nachts);

Zwar ist bei Reaktoren mit doppeltem Containment die Gefahr eines starken Eintrags radioaktiver Substanzen in die Atmosphäre wesentlich geringer als im Fall von Tschernobyl, unter Kriegseinwirkung könnte bei eventueller Ordnung des Containment jedoch in keinem Fall mit einer effektiven Bekämpfung solcher Emissionen gerechnet werden, die in Tschernobyl fast zwei Wochen dauerte. Desweiteren ist der heute unter einem Beton-"Sarkophag« begrabene Block 4 dieses Kernkraftwerkes mit einer 40 m tief in den Erdboden führenden Betonmauer umgeben worden, um eine Verseuchung des Grundwassers zu verhindern, falls die Hitzeentwicklung im Reaktorkern zum »Chinasyndrom«, einem Durchschmelzen nach unten geführt hätte – was wegen seiner teilweisen Zerstörung durch eine (oder zwei) thermische Explosion(en) und infolge der effektiven Gegenmaßnahmen nicht geschah.

Unter Kriegsbedingungen müßte (selbst ohne direkte Angriffe auf Anlagen des Kernenergiezyklus) mit nahezu gleichzeitig auftretenden ernsten Havarien an einer Anzahl von Kernkraftwerken gerechnet werden. Wenn man heutige Risikostudien (mit Vorbehalt) auf eine Kriegssituation extrapoliert, wären das etwa 15 % der Reaktorblöcke8, für Europa also 30 Reaktoren. Darüber hinaus wäre unter solchen Extrembedingungen zu befürchten, daß bei Kraftwerken mit mehreren Reaktorblöcken (heute der Normalfall) kombinierte oder Folge-Havarien aufträten, daß also Ursache oder Verlauf einer Havarie nicht auf einen der Blöcke beschränkt bliebe, etwa durch Brandeinwirkung. Das Fluten des Blocks 4 in Tschernobyl mußte beispielsweise eingestellt werden, um Block 3 nicht zu gefährden. Durch Havarie an einem Nachbarblock könnte das Vertrauen in die Meßwerte, in die eigenen Fähigkeiten und in die Beherrschbarkeit der Situation erschüttert werden, würde sich die ohnehin schlimme psychische Lage der Besatzung weiter verschärfen. Die Unsicherheit, ob die angezeigten Meßwerte korrekt sind, spielte bei der Entwicklung der Havarie des Kernkraftwerkes TMI bei Harrisburg eine Rolle.

In der Bilanz radioaktiver Belastungen außerhalb der Zonen des lokalen Fallouts bodennaher Kernwaffenexplosionen würden die Emissionen havarierter Kernkraftwerke deutlich zu Buche schlagen; auch direkte Angriffe mit wesentlich schwerwiegenderen Konsequenzen wären natürlich nicht prinzipiell ausgeschlossen. Die Abbildung zeigt berechnete Flächenbelastungen (Strahlungsdosis mal exponierter Fläche pro Zeiteinheit) nach Kernwaffenexplosionen (bezogen auf 1 Mt Detonationsstärke des spaltbaren Materials) im Vergleich mit der aus zerstörten Anlagen des Kernernergiezyklus.

Die vollständige Freisetzung des radioaktiven Inventars einer einzigen dieser Anlagen würde Langzeitwirkungen hervorrufen, die für einzelne Isotope (beispielsweise für 90Sr) mit der Langzeit-Strahlenbelastung eines 1000-Mt-Krieges (!) vergleichbar wären.9 Ein für den jahrelang ununterbrochenen Einsatz ausgelegtes kernkraftgetriebenes Kriegsschiff kann ein radioaktives Inventar an Bord haben, das dem eines kommerziellen Reaktors nahekommt. Solche Schiffe gehören wegen der von ihnen ausgehenden unmittelbaren strategischen Bedrohung zu den ersten Zielen eines nuklearen Schlagabtausches (zur Bekämpfung würden taktische Waffen zum Einsatz kommen). Es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß solche Attacken zur Freisetzung der akkumulierten Radionuklide führen. Obwohl ein beträchtlicher Teil durch die bei Detonationen auf See mit dem Feuerball emporgerissenen Wassermassen wieder unmittelbar ausgewaschen würde, könnten erhebliche Mengen langlebiger Radionuklide in der Troposhäre verbleiben und zum mittelfristigen Fallout beitragen.

Die Erfahrungen von Tschernobyl bestätigen, daß lokale »hot spots« mit 30 - 40-facher Belastung insbesondere dort auftreten können, wo die Aerosole durch Niederschläge ausgewaschen werden. Beträchtliche Schädigungen der Umwelt und der Bevölkerung durch Kernkraftwerks-Havarien wären also im Kriegsfall wahrscheinlich – zumal nicht wie in der Umgebung von Tschernobyl eine (kostenlose) Versorgung mit allem Lebensnotwendigen erfolgen, sondern es im Gegenteil an allem Lebensnotwenigen bald mangeln würde. Die Bevölkerung müßte und würde, um zu überleben, auf radioaktiv verseuchte Produkte zurückgreifen.

Der Unfall von Tschernobyl hat das Krebsrisiko einer 100-Millionen-Bevölkerung Osteuropas, die einer erhöhten Strahlenbelastung ausgesetzt war, rein rechnerisch von 20% auf 20,002 % erhöht, d.h. der Effekt verliert sich vollständig im Schwankungsbereich gegenwärtiger Krebsursachen. Das kann jedoch nicht heißen, es gäbe praktisch keine durch diese Belastung hervorgerufenen Krebsfälle – die empfangene Dosis wird zusammen mit anderen Faktoren zur Manifestation von Erkrankungen beitragen, ohne daß sie nach unserer heutigen Kenntnis eindeutig auf diese Ursache zurückzuführen sind. Die für westeuropäische Länder berechnete kollektive Strahlendosis aus dem Reaktorunfall ergäbe bei einer – fragwürdigen – Extrapolation statistischer Werte (die nur für wesentlich höhere individuelle Belastungen vorliegen) für die nächsten 50 Jahre 1000 Todesfälle durch Krebs, im Vergleich zu 30 Millionen Krebstoten aus anderen Gründen.4 Für den europäischen Teil der Sowjetunion ist dieses Verhältnis ungünstiger (25000/60 Mio.), liegt aber immer noch deutlich unter einem hypothetischen Wert, den man bei der Anwendung derselben Methode auf die natürliche Hintergrundstrahlung ermitteln könnte. Dies trifft natürlich nicht auf die (weitere) Umgebung von Tschernobyl zu. Etwa 5 Millionen Menschen aus diesem Gebiet sind in Reihenuntersuchungen erfaßt und werden voraussichtlich bis an ihr Lebensende regelmäßig überprüft, um mögliche Langzeitfolgen der empfangenen Strahlenbelastung zu erkennen und zu behandeln – ein Programm von hohem gesundheitspolitischem Anspruch und auch von großer wissenschaftlicher Bedeutung.

Anmerkungen

1 Chernobyl Source Term, Atmospheric Dispersion, and Dose Estimation. Gudiksen, P.H.; Harvey, T.F.; Lange, R. preprint UCRL-98235, Lawrence Livermore National Laboratory, Livermore, February 1988. SCOPE-ENUWAR Manuskript MO.11.88. SCOPE-ENUWAR Moscow Workshop, March 21 - 25, 1988. –S. 16 Zurück

2 Summary Report on the Post-Accident Review Meeting on the Chernobyl Accident. International Safety Advisory Group (INSAG). Vienna: IAEA Governing Council GC(SPL.I)/3, 1986 Zurück

3 Ecological Consequences of Radioactive Contamination of the Environment in the Chernobyl Emergency Zone. Izrael, Û.A. et al. Report to the XIV. Session of IAEA Governing Council, Nairobi, June 1987, Moscow: 1987. –S. 31. Zurück

4 Chernobyl – Ethical and Environmental Considerations. Sir Frederic Warner. IEE Proceedings: 134A(1987)10. – S. 834 - 840 Zurück

5 Die Havarie im KKW Tschernobyl: ein Jahr danach (russ.). Asmolov, V.G. et al. Atomnaâ energiâ, – Moskau: 64(1988)1. – S. 3 - 23 Zurück

6 Analyse der ersten Entwicklungsphase der Havarie am vierten Block des KKW Tschernobyl (russ.). Adamov, E.O. et al. Atmonaâ energiâ, – Moskau: 64(1988)1. – S. 24 - 28 Zurück

7 Ökologische Folgen der radioaktiven Verseuchung von Umweltmedien im Gebiet der Havarie des KKW Tschernobyl (russ.). Izrael, Û.A. et al. Atomnaâ energiâ, – Moskau: 64 (1988) 1. – S. 28 - 40 Zurück 8Station Blackout at Nuclear Power Plants. Radiological Implications for Nuclear War. Shapiro, C.S. preprint UCRL-95827, Lawrence Livermore National Laboratory, Livermore, December 1986. SCOPE-ENUWAR Manuscript BA.13.87. SCOPE-ENUWAR Bangkok Workshop, February 9 - 12, 1987. –S. 25 Zurück

9 Climatic Consequences of Nuclear War, Bach, W. Manuscript of an Invited Lecture given at the VIth World Congress International Physicians for the Preventation of Nuclear War (IPPNW). Cologne: May 29 - June 1, 1986. –S. 30 Zurück

10 Die Kontamination wird hier auf die Expositionsrate durch Gamma-Strahlung bezogen. Ein Röntgen (R) ist die Dosis ionisierender Strahlung, die der Exposition durch eine Ladungsmenge von 2,58 * 10-4 Coulomb pro Kilogramm Masse entspricht. Es handelt sich bei dieser Einheit also um eine Ladungsdosis, während das Gray (Gy) eine Energiedosis ist. Zurück

11 SCOPE 28 – Environmental Consequences of Nuclear War. Vol. I: Physical and atmospheric Effects/ Pittock, A.B. et al. Chichester, New York: John Wiley and Sons, 1986. S. 359. Vol. II: Ecological and Agricultural Effects/ Harwell, M.A.; Hutchinson, T.C. Chichester, New York: John Wiley and Sons, 1985. S. 523 Zurück

Peter Carl, Zentralinstitut für Elektronenphysik, AdW, Berlin/DDR

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1988/4 Die neue nukleare Aufrüstung: Großbritannien und Frankreich, Seite