W&F 1989/3

Die ökologische Kritik der Abschreckungspolitik

von Knut Krusewitz

Es gibt eine ökologische Geschichte des Kalten Krieges, eine Naturgeschichte der Abschreckung. Ihr Gegenstand sind die natürlichen Bedingungen und ökologischen Folgen der militärischen Indienstnahme, Instrumentalisierung und Gefährdung der Biosphäre und des Weltraums zur Aufrechterhaltung eines »Gleichgewichts des Schreckens« zwischen Nordatlantischer Allianz (NATO) und Warschauer Vertrag (WVO).

Aus dieser Geschichte sind zwei Erkenntnisse herzuleiten;

  • Die militärökologische Einsicht besagt, daß die militärische Abschreckungsdynamik erkauft wurde durch die Destabilisierung ökologischer Lebensbedingungen der Menschheit. Das stetige Wachstum der Vernichtungs- und Vergeltungsarsenale ging nicht zufällig einher mit einem wachsenden Verlust an globaler ökologischer Sicherheit.
  • Die friedensökologische Erkenntnis besagt, daß die Perestroika ihre ökologiepolitisch begründete Entspannungsdialektik entfaltet, die im NATO-Bereich von einer Ökologie- und Friedensbewegung vorangetrieben (werden) sollte, deren Interesse an der Überwindung der Abschreckungspolitik hinlänglich erwiesen ist.

So könnte der zweite entspannungspolitische Wandel in den Ost-West-Beziehungen innerhalb von zwanzig Jahren zu einer beispiellosen »Umwelt-Epoche« in der europäischen Nachkriegsgeschichte werden: Vor genau zwei Jahrzehnten thematisierte die NATO den engen Zusammenhang zwischen ökologischer Krise und Sicherheit – heute fordern die WVO-Staaten uns auf, die abschreckungspolitischen Konsequenzen aus den gemeinsamen Einsichten in die weltökologische Krisendynamik zu ziehen.

Die ökologische Geschichte der Abschreckung haben die Mitgliedstaaten der NATO und der WVO zwischen 1955 und 1985 objektiv gemeinsam gestaltet. Objektiv meint hier, das Abschreckungsverhältnis zwischen beiden Bündnissen erzwang ein spezifisches gemeinsames ökologisches Denken und Handeln, das wie wir später sehen werden, nicht mit den gesellschaftlichen Funktionsbedingungen innerhalb der beiden Bündnissysteme selber erklärt werden kann.

Der zeitliche Bezugsrahmen – 1955 bis 1985 – ergibt sich einmal durch das Gründungsjahr der WVO und zum anderen durch das Datum des Beginns der Perestroika in der UdSSR.

Dreißig Jahre lang konnten die meisten Länder in beiden Bündnissen über ihre Staatshaushalte in einem fast kriegsökonomischen Umfang (Renner, 1989, S. 7-24) die volkswirtschaftlichen, finanziellen, wissenschaftlichen und eben auch natürlichen Ressourcen mobilisieren, die ihre Abschreckungs- und Vergeltungsexperten glaubten, auf der Grundlage ständig fortgeschriebener Bedrohungsanalysen für die Reproduktion nuklearer, konventioneller und elektronischer Vernichtungsarsenale bereit halten zu müssen.

Diese Ressourcenbeschaffungsprogramme für das dynamische Realwachstum der unterschiedlichen Waffenarsenale waren indes nur eine Bedingung für die Entwicklung des Abschreckungssystems. Eine zweite Funktionsbedingung war die weder politisch noch ökologisch eingeschränkte Freiheit der Atommächte in beiden Bündnissen, die Erde und den Weltraum militärisch zu erobern, also für Produktion, Test, Stationierung von militärischer Abschreckungstechnik und den entsprechenden Manöverbetrieb der Streitkräfte zu nutzen. (Robinson, 1979; Westing 1980; Krusewitz, 1981; Benes, 1981; UNEP, Hrsg., 1983; Hauff, Hrsg., 1987)

Heute wird erkennbar, daß erst die Abschreckungsrealität mit ihren globalpolitischen, militärstrategischen und vernichtungstechnischen Implikationen eine totale Militarisierung der Biosphäre verursachte. Deren komplexe Rückwirkungen auf die Abschreckungsdynamik haben die Naturgeschichte der Abschreckung zu dem gemacht, was sie ist: die gigantischste, gesellschaftlich verursachte und zugleich unbegriffene Fehlentwicklung der Mensch-Natur-Beziehungen in der Weltgeschichte. Weil es aus abschreckungsstrategischen Gründen inzwischen keinen weltökologisch bedeutsamen Naturkontext mehr gibt, der als Kontinent, Weltmeer, Atmosphäre oder Weltraum nicht in die Kalküle der militärischen Vernichtungspläne einbezogen worden wäre, mußten auch die zivil organisierten Beziehungen zwischen Natur und Gesellschaft an globalstrategische Sicherheitsprinzipien der Abschreckungsmächte angepaßt werden. (Immler, 1984, S. 36-54, Krusewitz, 1986, S. 326-349; Bertell, 1987)

Mag sein, daß UmwelthistorikerInnen eines Tages den Nachweis liefern, daß die Militarisierung der Biosphäre kein Hauptziel der Abschreckungsplaner war; bereits heute ist nicht mehr zu bestreiten, daß sie das wesentliche ökologische Ergebnis der Abschreckungspraxis ist.

»Schutz« durch allgegenwärtige Vergeltungskraft

Abschreckungsplanung in Ost und West war und bleibt bis auf weiteres vor allem die Planung zur Führung und zur Verhinderung von Atomkriegen. Damit hat die Abschreckungsstrategie die Jahrtausende alte Gedankenfigur vom militärischen Angriffs- und Verteidigungskrieg ad absurdum geführt. Ein Krieg zwischen den Abschreckungsmächten ist nur noch als nuklearer Erstschlag und als nukleare Vergeltung, also als Vernichtungskrieg, denkbar. Der Schutz der NATO oder der WVO besteht nicht mehr in der Verteidigung, sondern, wie Raymond Aron in seinem großen Werk über »Frieden und Krieg« bereits vor über 25 Jahren nachwies, „in der Vergeltungskraft“, deren „Sicherheit“ wiederum durch „die Entfernung vom Feinde gewährleistet“ sei „als durch die Allgegenwärtigkeit.“ (Aron, 1986, S. 248; zuerst: 1962)

Daraus schließe ich:

Abschreckungsstrategien sind die einzige Kriegsplanungs- und Kriegsführungsoption, die nur dann »funktioniert«, wenn die gesamte Biosphäre, immerhin ein Kollektivgut der Menschen, von den Abschreckungsplanern als Medium der Kriegsführung »genutzt"wird.

Die Biosphäre als multifunktionales Manövergebiet

Aber auch dann, wenn der Kriegsfall zwischen Atlantischer und Warschauer Allianz niemals eintreten sollte, erzwingt die abschreckungsspezifische Strategiewahl ihre weltökonomisch ausgeprägte, und das beinhaltet eben – bündnisterritorial nicht begrenzbare – Militärpraxis. Denn sämtliche Atomkriegsübungen erfordern globale Naturnutzungsmuster für Ausbildungs-,Test- und Operationszwecke, die nur dann zu »realistischen« strategischen Erkenntnissen führen, wenn die Abschreckungsstreitkräfte „kriegsnah ausgebildet“ (BMVg., Hrsg., 1985) werden, mithin die Biosphäre und den Weltraum als multifunktionales Manövergebiet nutzen.

Angesichts dieser grundsätzlichen Beziehungen zwischen Abschreckung und Ökologie wundert es wahrscheinlich niemanden mehr, wenn die Abschreckungsstrategen auf dem Primat des Militärischen gegenüber dem Ökologischen beharren. Zumindest für die NATO-Planer ist diese Haltung nachgewiesen.(Krusewitz, 1985, S. 121 ff.; S. 126 ff.) Wer bereit ist, sich mit der Existenz einer »Abschreckungsvernunft« abzufinden, der muß tatsächlich am militärischen Primat festhalten. Andernfalls müßte er nämlich die Atomkriegsstrategen zum sicherheitspolitischen Offenbarungseid zwingen: Nuklearplanung, Atomkriegsübungen und Erstschlag wären nicht realisierbar, wenn sie ökologischen Imperativen unterworfen würden, folglich die Prinzipien, Normen und Restriktionen des Naturschutz-, Immissionsschutz-, Klimaschutz- oder gar Produkthaftungsrechts beachten müßten.

Den Antagonismus von Abschreckung und Ökologie

Abschreckung und Ökologie stehen in einem antagonistischen Verhältnis zueinander, ein Verhältnis, das nur auflösbar, nicht aufhebbar ist. Militärische Programmplanungen und ihre Umsetzungen in Ost und West haben sich bislang am Primat der Abschreckungs- und Vernichtungsfähigkeit orientiert, an der militärischen Fähigkeit also, durch den Erst- oder Vergeltungsschlag nicht nur die militärische, sondern auch die zivilen Strukturen, wozu allemal die Natur gehört, großräumig, langanhaltend und schwerwiegend zu zerstören. Im totalen Gegensatz zu solchen militärischen Planungen können ökologische Programme vom Primat der friedlichen Kooperation zwischen Völkern und Staaten hergeleitet werden. Die in der real existierenden Abschreckungswelt vorfindlichen Umweltprogramme sind zwar nicht frei von ökonomisch und sicherheitspolitisch verursachten Regelverstößen gegen wissenschaftlich gesicherte Einsichten in grundsätzliche Bedingungen eines von ökologischer Vernunft angeleiteten »Stoffwechselprozesses« zwischen Natur und Gesellschaft. Gleichwohl zwingen nicht einmal diese Umweltprogramme dazu, die Biosphäre für Ziele der politischen, ökonomischen oder ideologischen Vernichtung des Konkurrenten zu instrumentalisieren, ja, sogar manipulativ beherrschbar erscheinen zu lassen.

Ökologische Programme, die am Primat der Überlebensfähigkeit von Weltökologie und Menschheit ausgerichtet werden, können sogar als friedenspolitischer Hebel gegen die ökologischen Funktionsbedingungen der Abschreckung entwickelt werden mit dem Ziel, den Abschreckungszusammenhang aufzulösen. Nur Zyniker kämen auf den Gedanken, militärische Programme, die am Primat der Vernichtungsfähigkeit von Natur und Gesellschaft ausgerichtet werden, ließen sich zur Bewältigung weltökologischer Probleme einsetzen.

Kommen wir zur Abschreckungsdialektik, zur Beantwortung der Frage, ob, und wenn ja, wie, innerhalb der NATO und der WVO die abschreckungspolitisch verursachten ökologischen Krisenprobleme erkannt, erklärt und prognostiziert werden.

Ökologische Kritik der Abschreckung: Die NATO-Sicht

Die NATO war die erste welpolitisch einflußreiche Organisation, die versuchte, einen Handlungsrahmen zur Bewältigung der „weltumspannenden ökologischen Krise“ (NATO-Formel: 1969) zu entwickeln. Bereits im Jahre 1969 beschloß der Nordatlantikrat, das höchste Entscheidungsgremium des Bündnisses, “daß die NATO bei der Schaffung einer menschenwürdigeren Umwelt“ einen „bedeutsamen Beitrag“ leisten müsse. (NATO, Hrsg., 1971, S. 46)

Andere Institutionen des internationalen Politikmanagements haben solche ökologiepolitischen Ansprüche erst später formuliert:

  1. die OECD (Organization for Economic Cooperation and Development) im Jahre 1970;
  2. die Vereinten Nationen im Jahre 1972;
  3. die Europäische Gemeinschaft im Jahre 1973;
  4. die KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) im Jahre 1975.

Das erste Umweltprogramm einer bundesdeutschen Regierung wurde im Jahre 1971 verabschiedet. Es ist übrigens noch heute verbindlich. Die frühe thematische und konzeptionelle Beschäftigung der Nordatlantischen Allianz mit weltökologischen Problemen war durchaus anspruchsvoll; zu den Hauptthemenfeldern des im Dezember 1969 gegründeten »NATO-Umweltausschusses« gehörten in der Anfangsphase solche Probleme wie ökologische Krise und Stabilität, Umweltpolitik des Bündnisses, globale Umweltkooperation und ökologische Sicherheit. Ich erwähne dies aus zwei Gründen. Einmal, weil es heute die WVO-Staaten sind, die, wie noch darzustellen sein wird, über diese Umweltthemen ernsthaft mit den NATO-Ländern verhandeln wollen. Zum anderen, weil innerhalb der Nordatlantischen Allianz das anfängliche Problemniveau in den siebziger Jahren so nachhaltig vulgarisiert wurde, daß die Präsentation der folgenden ökologiepolitischen NATO-Positionen auch beim sachkundigen Publikum allemal Verwirrung stiftet.

„In der ganzen Geschichte der Menschheit“, lesen wir in einem NATO-Dokument, das im Jahre 1971 als »Das Atlantische Bündnis und die Umweltkrise« veröffentlicht wurde, „haben es die Nationen immer wieder für erforderlich gehalten, zum Schutz gegen äußere Aggressoren Bündnisse zu schließen. Für die Verschlechterung und den Verfall der Umwelt und der Ökologie und die damit verbundenen sozialen Erschütterungen, die für die etablierte Ordnung in den entwickelten Ländern vielleicht die ernsteste Bedrohung darstellen“ – und anscheinend eben nicht der Weltkommunismus« – „gibt es in der Menschheitsgeschichte hingegen kein Vorbild.“ Diese Form der Bedrohung „erfordert neue Arten von Bündnissen, damit die konzentrierte Kraft aller Beteiligten gegen den drohenden Umweltverfall eingesetzt werden kann.“ (NATO, Hrsg., 1971, S. 35)

Diese Argumentation verweist auf ein ökologisches Sicherheitsverständnis. Wenn der Verfall der Umwelt soziale Erschütterungen bewirkt, die zur Bedrohung der etablierten Macht- und Herrschaftsverhältnisse in den entwickelten, also vor allem den NATO-Ländern führen können, dann reicht die tradierte militärische Abschreckungs- und Sicherheitspolitik nicht mehr aus, um die soziale Stabilität zu gewährleisten. Dies neue Sicherheitsverständnis, daß sich nicht mehr nur an militärischen, sondern auch an ökologischen Bedrohungserkenntnissen ausrichten sollte, hätte zu einer »ökologischen Dimension« der NATO entwickelt werden können, die wiederum als Grundlage für einen sicherheitspolitischen Paradigmawechsel nützlich gewesen wäre.

Die ökologische Krise unbestritten ...

In der Frühphase der NATO-Umweltpolitik war zudem in den wichtigsten Allianzstaaten, den USA und der BRD, der bündnistransendierende Charakter der ökologischen Krise unbestritten. „Die Krise“ sei zwar „ in ihrem ganzen Ausmaß bisher noch nicht bekannt“, erklärte der NATO-Umweltausschuß im Jahre 1971, aber „daß wir uns in einer Krise befinden.“, stünde „außer Frage – einer Krise, die sich letzten Endes (!) für die Menschheit als genauso ernst erweisen mag wie die Frage nach Krieg und Frieden (!).“ Nicht nur die „Qualität des Lebens“ stünde nämlich „auf dem Spiel“, sondern „sogar die Möglichkeit des Lebens für die gesamte Menschheit“. (NATO, Hrsg., 1971, S. 12) SDI und Ozonlöcher, MX-Peacekeeper und Plutomiumverseuchung, Stealth-Bomber und Deponie-Zeitbomben, AirLand Battle und Ramstein, Pentagon-Budgets und USA-Wasserkrise lassen den NATO-Umweltausschuß seither grüßen. Bereits vor zehn Jahren wurde in der aufwendigsten Umweltstudie eines NATO-Staates, Global 2000, beklagt, „daß angesichts der Dringlichkeit, Reichweite und Komplexität der vor uns liegenden Herausforderungen“ die „auf der ganzen Welt in Gang gekommenen Anstrengungen (weit) hinter dem zurück“ geblieben seien, „was erforderlich ist“. Deshalb müsse „eine neue Ära der globalen Zusammenarbeit und gegenseitigen Verpflichtungen beginnen, wie sie in der Geschichte ohne Beispiel“ sei. (Council on Environmental Quality/State Department, Hrsg., 1980, S. 19 f.)

...aber die Praxis

Da war die Reagan-Administration, der MIlitärisch-Industrielle-Komplex und das erzkonservative Nordamerika vor. Weder die acht Jahre amtierende Reagan-Administration noch andere Regierungen innerhalb des Bündnisses haben seit Veröffentlichung der Global-2000-Studie auf die ständig wachsenden ökologischen Herausforderungen tatsächlich reagiert. Mir jedenfalls sind keine umweltpolitischen Aktivitäten und Verpflichtungen der NATO-Staaten bekannt, die zu der Vermutung Anlaß geben müßten, die historisch beispiellose Ära einer globalen Umweltkooperation habe bereits begonnen. Das Gegenteil dürfte stimmen.

Seit Ende der siebziger Jahre waren es nämlich die Ökologie- und Friedensbewegungen, die den Bedingungszusammenhang zwischen Abschreckung, Sicherheit und Ökologie zu einem Thema mit Praxis veränderndem Gehalt machten.

Diese Entwicklung hat die NATO durchaus registriert:

»Öko- und Friedensbewegung« erläuterte Günther Hartkopf, damals Umwelt-Staatssekretär im Bundesinnenministerium, in der Sitzung des NATO-Umweltausschusses vom 17. Nov. 1981, „haben eine gemeinsame Grundstruktur: Sie wollen einen anderen, weniger an wirtschaftlicher Prosperität und mehr an Menschlichkeit, weniger in west-östlichem Lager-Denken und mehr in Kategorien weltweiter Mitverantwortung denkenden und handelnden Staat. Weltweite Sicherung des Friedens und Sicherung der überlebensnotwendigen Ressourcen sind gleichwertige Bausteine einer solchen »Umweltpolitik«. Folgerichtig sehen sie die Bundesrepublik nicht nur da in die Pflicht genommen, wo nationale Interessen direkt betroffen sind, wie z.B. beim Energieverbrauch, bei der Schonung der Ressourcen und der Natur, bei den Verteidigungsausgaben und bei der Entwicklungshilfe. Sie fordern Handeln auch da, wo im Rahmen des Nord-Süd-Konfliktes aus einer Gesamtverantwortung aller Regierungen dieser Welt jeder Regierung eine Mitverantwortung zukommt bei der Beseitigung von Hunger und Elend sowie für die Weiterentwicklung der Dritten Welt.“ (BMI, Hrsg., 1982, S.35)

Die sozialen Träger der NATO-Abschreckungspolitik haben eine völlig entgegengesetzte gemeinsame Grundstruktur: Sie bestreiten energisch deren Bedingungszusammenhang.

Die Position der Bundesregierung

Als repräsentativ für das heutige NATO-Problembewußtsein kann das außen-, umwelt- und sicherheitspolitische Selbstverständnis der amtierenden Bundesregierung gelten, wie es sich in der Beantwortung einer Anfrage der Grünen im Bundestag zum Thema „Folgen des Wettrüstens für die gesamteuropäische Umwelt“ vom August 1988 ausdrückte (Drs. 11/3874 v. 19. Jan. 1989).

Die hier interessierenden Fragen lauteten:

„Wie beurteilt die Bundesregierung die Erkenntnis der WVO-Staaten, wonach das Wettrüsten, vor allem auf nuklearem Gebiet, eine der gefährlichsten Ursachen für die Verschlechterung der Umwelt ist? Hat die Bundesregierung Studien veranlaßt, die diesen behaupteten Ursachenzusammenhang bestätigen oder widerlegen?“

Antwort: „Bei der zitierten Aussage handelt es sich nicht um eine »Erkenntnis« sondern um eine nicht belegte Behauptung. Die Bundesregierung teilt nicht die Auffassung, daß die zur Gewährleistung unserer Sicherheit erforderlichen Verteidigungsanstrengungen „eine der gefährlichsten Ursachen für die Verschlechterung der Umwelt sind.“ “Bei der letzten Aussage handelt es sich zweifelsfrei um eine »Erkenntnis« unserer Regierung und nicht etwa um eine „nicht belegte Behauptung“.

Die andere Frage lautete:

„Die WVO-Staaten sind der Auffassung, “daß die Lösung der ökologischen Probleme eng mit der Festigung des Friedens und der internationalen Sicherheit sowie der Abrüstung zusammenhängt“. “Vertritt die Bundesregierung eine umwelt- und friedenspolitische Position, die dieser Auffassung nahekommt? Wenn nicht, worin bestehen die methodischen und sachlichen Differenzen?“

Antwort: „Die Bundesregierung bejaht die hohe Bedeutung, die der internationalen Behandlung und Lösung grenzübergreifender Umweltprobleme zukommt. Davon unabhängig ist die Friedenssicherung auf möglichst niedrigem Niveau der Rüstungen oberstes Ziel der Bundesregierung.“ und dann kommt's: „Internationaler Umweltschutz sowie Friedenssicherung und Abrüstung sind eigenständige (!), vorrangige Aufgaben, deren Lösungen nicht durch künstliche Verknüpfungen (!) behindert (!) werden sollte.“

Mit dieser abschreckungspolitischen Weltsicht fällt die Bundesregierung nicht nur um zwei Jahrzehnte hinter das frühe ökologische Sicherheitsbewußtsein der NATO zurück. Das wäre zu verschmerzen. Geradezu wahnhafte Realitätsvorstellungen offenbaren die Außen-, Umwelt- und Verteidigungsminister, die für die Beantwortung der Anfrage verantwortlich sind, wenn sie behaupten, ihre »Anstrengungen« zur Lösung umwelt-, friedens- und abrüstungspolitischer Probleme würden dadurch »behindert«, daß sie vom „potentiellen Gegner des Bundes“ (NATO-Jargon) »künstlich« verknüpft würden.

So, als ob die „zur Gewährung unserer Sicherheit erforderlichen Verteidigungsanstrengungen“ im Abschreckungssystem nicht längst die realen »Verknüpfungen« zustande gebracht hätten!

Die NATO hält an alten Denkmustern fest

Unfähig zu erkennen, daß die ökologischen Implikationen der Abschreckung selber zu einem ökologischen Sicherheitsproblem für die Menschheit geworden sind, halten die einflußreichsten NATO-Staaten dumpf, stur und verbissen an den gewohnten, inzwischen aber obsoleten Denkschemata und Organisationsmustern der abschreckenden Sicherheitpolitik fest. Als sei der weltökologischen Krisendynamik, den rasch fortschreitenden Prozessen der Klimaveränderung, der Meeresverseuchung, der Verwüstung nutzbarer Weltböden, der Entwaldung der Erde, das Aussterben ganzer biologischer Arten oder der Chemisierung und Verstrahlung der Biosphäre, mit Abschreckungspolitik beizukommen, halten unsere »Verteidigungsplaner« an den seit 20 Jahren als gemeingefährlich durchschauten Erkenntnismodellen der Bedrohungs- und Konfliktanalyse auch dann noch fest, wenn ihre Selbstgefährdung unabweisbar geworden ist.

Abschreckungsdialektik: Einer überragenden Mehrheit der Menschen hierzulande ist seit geraumer Zeit bewußt, daß die epochale Aufgabe, den Niedergang der Weltökologie zu verhindern, nicht zu bewältigen ist, wenn die Abschreckungsrealität in die Zukunft verlängert wird. Nicht zufällig ist der Zusammenhang zwischen „Bedrohungswahrnehmungen, Akzeptanz militärischer Verteidigung und Veränderungen von Grundorientierungen bei Jugendlichen“ zu einem Forschungsthema im »Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr« geworden. (Kern, 1989)

Ökologische Kritik der Abschreckung: Die WVO-Sicht

Die WVO-Staaten veröffentlichten im Juli 1988 ein ökologiepolitisches Positionspapier, das als „Folgen des Wettrüstens für die Umwelt und andere Aspekte der ökologischen Sicherheit“ während einer Tagung ihres »Politischen Beratenden Ausschusses« (15./16. Juli 1988) verabschiedet worden war. (Blätter, 1988, S. 1150 f.) Dies Dokument liest sich passagenlang wie die Anerkennung friedensökologischer Studien, Praxisberichte und Forderungskataloge der internationalen Ökologie- und Friedensbewegungen.

Er liest sich aber auch wie die Fortsetzung jenes berühmten Resolutionsentwurfs zum »Umweltkriegsübereinkommen«, den die Sowjetunion, unterstützt von einer Reihe anderer Staaten, im Jahre 1974 der Vollversammlung der Vereinten Nationen unterbreitete. „Die Resolution sollte nach dem Willen ihrer Urheber nicht nur den Waffenwettlauf und die Einführung neuartiger Kriegstechniken verhindern“, urteilte später der Schweizer Völkerrechtler Kurt Höchner, „sondern auch dem Schutz der Umwelt allgemein dienen. (Höchner, 1977, S.125)“

Wenn der im Okt. 1978 in Kraft getretene Vertrag über das „Verbot der militärischen oder einer sonstigen feindseligen Nutzung umweltveränderter Techniken“ (Fahl, 1980, S. 136-143) eine „Frucht der Entspannungsbemühungen der siebziger Jahre“ war (FAZ, 28. Mai 1983), dann darf man das Umwelt-Dokument der WVO-Staaten getrost als ein Ergebnis der Entspannungebemühungen der späten achtziger Jahre bewerten.

Die wichtigsten Erkenntnisse, Urteile und Postulate in diesem regierungsamtlichen Dokument ergeben zusammen eine radikale, ermutigende ökologische Kritik an jeder Version von Abschreckungsrealität und Apologetik.

Im diagnostischen Teil ihrer Argumentation räumen die Repräsentanten der WVO-Staaten ein, daß auch in ihren Gesellschaftssystemen noch sicherheits- und abschreckungspolitische Prinzipien und Praktiken herrschen, die mitverantwortlich sind dafür, „daß sich der Zustand der Umwelt ständig verschlechtert.“ Dazu gehören sämtliche militärische Aktivitäten, die ohne Umschweife als naturgefährdend behauptet werden: „Produktion, Lagerung und Transport verschiedener Waffenarten, der Bau von Militärobjekten und die Durchführung militärischer Übungen haben unmittelbare, negative Auswirkungen auf die Umwelt.“ In der bereits erwähnten Anfrage der Grünen an die Bundesregierung wurde auch gefragt, ob sie dieses WVO-Urteil „bestätigen oder widerlegen“ könne. Antwort: „Militärische Aktivitäten können(!) die Umwelt ebenso belasten wie andere menschliche Tätigkeiten.“ (Drs. 11/3974, S. 2) Da zu den »militärischen Aktivitäten« im Sinne der Bundesregierung per definitionen allemal kriegerische gehören, interpretiere ich diese Antwort als eine Mischung aus Arroganz, Dummheit und – vor dem Hintergund ungezählter ziviler Opfer militärischer Aktivitäten in Friedenszeiten bei Manövern, Tiefflug und Flugschauen – unerträglichen Zynismus. Abschreckungszynismus – eine notwendige Folge ihrer Abschreckungsarsenale, ihrer Abschreckungsökologie und ihres Abschreckungswahns?

„Das Wettrüsten“, erklären die WVO-Staaten, „zerstört in immer stärkerem Maße die Umwelt“, und die „Fortsetzung der Kernwaffenversuche, die großen Bestände an chemischen Waffen und deren unablässige Produktion, die Schaffung prinzipiell neuer Waffensysteme – all das kann unvorhersehbare und verheerende ökonomische Folgen haben.“ Hier allerdings irrten sich die Militär- und Umweltexperten des Warschauer Vertrages: all das »kann« nicht irgendwann verheerende ökologische Folgen haben, weil die bereits evident sind. Darüber mehr im nächsten Abschnitt.

Richtig wiederum ist die Erkenntnis, wonach das Wettrüsten – oder, in meiner analytischen Begriffswahl, die Abschreckung – „den Anstrengungen zum Umweltschutz“ zuwiderläuft und die „Lösung der bedeutsamen Aufgabe, ein harmonisches Gleichgewicht der Gesellschaft, Technik und Natur auf der Erde“, verhindert. Da die WVO-Staaten ihren eigenen Anteil am Wettrüsten nicht (mehr) bestreiten, interpretiere ich diese Haltung als ihre Verabschiedung vom Denken in apologetischen Kategorien der Abschreckungsvernunft.

Umweltorientierte Abrüstungsplanung

Im therapeutischen Teil ihres Positionspapieres schlagen sie vor, „den begonnenen Abrüstungsprozeß zu nutzen, um die Anstrengungen beim Umweltschutz zu aktivieren. Schritte auf dem Gebiet der Abrüstung müssen mit konkreten Maßnahmen zum Schutz der Natur einhergehen.“ Diese Forderung eröffnet eine faszinierende Perspektive, die der umweltorientierten Abrüstungsplanung: In der Übergangs- und Auflösungsphase des Abschreckungssystems werden Waffenbeschaffungsprogramme, die bereits in langfristigen Finanzplanungen der NATO- und WVO-Staaten eingestellt wurden, nur noch bis zur Herstellung von entsprechenden Prototypen finanziert. Beide Bündnissysteme signalisieren sich in dieser Phase: Wir könnten Atomwaffen der »dritten"Generation, Stealth-Bomberflotten, neue Kampfflugzeuge mit »modularen"Abstandswaffen, binäre Chemiewaffen oder Röntgenlaser bauen, aber wir verzichten auf die Serienproduktion, weil unsere umweltkooperativen Interessen uns dazu raten. Die dadurch eingesparten Finanzmittel würden in einen Umweltfonds eingebracht, den die Mitgliederstaaten der NATO und der WVO gründen. Ein paritätisch besetzter Verwaltungsrat könnte dann konkrete Umweltschutzprojekte in den Mitgliedsländern (und anderswo) vorschlagen, deren Realisierung von den jeweiligen Parlamenten gebilligt werden müßten.

Ein solcher Umweltfonds böte, im Gegensatz zum bisherigen west-östlichen Umweltvertragswerk, das, an den Kooperationsformen der Abschreckungsrealität ausgerichtet, überwiegend umwelttechnische Transferleistungen regelt, eine friedenspolitisch gewollte materielle Basis für die Entwicklung der ökologischen Zusammenarbeit.

Zurück zur WVO-Position. Sie „erklären, daß sie aktiv dazu beitragen wollen, die dringlichen Probleme der Erhaltung der natürlichen Umwelt zu lösen und sie vor Kriegen und den Folgen des Wettrüstens zu bewahren.“ Die ökologischen Implikationen dieser Erklärung besagen, daß sie unter bestimmten Bedingungen bereit sind, zukünftig ihre militärischen Sicherheitsinteressen denen der ökologischen Sicherheit unterzuordnen. Zu diesen Bedingungen gehört nicht nur, daß die reale Abschreckungsdialektik auch in den NATO-Staaten ihre abrüstungsdynamische Wirkung entfaltet, sondern die „Gewährleistung der internationalen ökologischen Sicherheit“.

Sie erfordert, „verbindliche Prinzipien und Normen für das Verhalten der Staaten anzunehmen und die Hauptrichtungen der internationalen Zusammenarbeit auf ökologischem Gebiet zu bestimmen.“ Kaum vorstellbar, daß zu diesen »Hauptrichtungen« nicht der Zusammenhang von Abschreckung, Ökologie und Sicherheit gehören wird. „Diese Prinzipien, Normen und Richtungen sollen gemeinsam“ durch einen „konstruktiven Dialog ausgearbeitet werden. Ein entsprechendes völkerrechtliches Dokument könnte 1992 aus Anlaß des 20. Jahrestages der Umweltkonferenz der Vereinten Nationen angenommen werden.“ Kommt der internationale Dialogüber eine verbindliche Konzeption der ökologischen Sicherheit zustande, dann bestünde noch begründete Hoffnung, daß endlich aus den weltweit unbestrittenen Erkenntnissen über Struktur und Dramatik der großen Weltprobleme die Realinteressen sämtlicher Völker auf diesem von Kriegen, Hungerepedemien, Armut, Ausbeutung, Ungerechtigkeit und Naturprobleme zerrütteten Planeten aufgedeckt werden. Durch den »ökologischen Sicherheitshebel« könnten die Realinteressen ins Bewußtsein der Weltöffentlichkeit gehoben werden, ein Prozeß, der die Überwindung der Abschreckung gleichermaßen voraussetzt wie bewirkt.

Fazit

Die epochale Aufgabe, den Niedergang der Weltökologie zu verhindern, ist nicht zu bewältigen, wenn die NATO sich nicht von ihren langfristigen Abschreckungskonzeptionen – der AirLand Battle 2000-Doktrin, den Low Intensitiy Warfare-Programmen und der Discriminate Deterrrence-Strategie – rasch und eindeutig verabschiedet. Da die WVO-Staaten auf glaubwürdige, überprüfbare und überzeugende Weise damit begonnen haben, ihre Militärkonzeptionen und -doktrinen an Prinzipien der gemeinsamen Sicherheit auszurichten, wurde den westlichen Abschreckungsoptionen die »Geschäfts«-grundlage entzogen.

In dieser historischen Situation sollte sich die internationale Friedens- und Ökologiebewegung auf die Verfolgung des umwelt–, außen– und friedenspolitischen Ziels konzentrieren, endlich den überlebenswichtigen Paradigmawechsel von der militärisch-abschreckend gestützten zur ökologisch-kooperativ fundierten Sicherheitspolitik zu vollziehen.

Literatur

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Dr. Knut Krusewitz ist Hochschullehrer an der Technischen Universität Berlin

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1989/3 1989-3, Seite