W&F 2024/1

Die Sámi in einer umkämpften Arktis

Aktuelle Herausforderungen für Selbstverwaltung und Autonomie

von Rene Urueña

Die rechtlichen und politischen Regelungen für die Selbstverwaltung der Sámi sind in Finnland seit langem umkämpft. Darüber hinaus schließen sich nach den geopolitischen Turbulenzen, die durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine ausgelöst wurden, zunehmend wertvolle internationale Räume für Zusammenarbeit und Beteiligung. Trotz zahlreicher Fortschritte bei der formalen Anerkennung von Rechten und der Schaffung von Räumen für internationale Beteiligung scheint die Selbstverwaltung der Sámi in der Arktis nach wie vor stark umstritten und externen geopolitischen Dynamiken ausgesetzt zu sein, die sich der Kontrolle der indigenen Gruppe entziehen.

Die Sámi1 sind eine indigene Gruppe von 50.000-100.000 Menschen, deren Heimat (traditionell als Sápmi bekannt) große Gebiete im heutigen Nordnorwegen, Finnland, Schweden und Russland umfasst. Sie sind jedoch eine klare Minderheit: Sie machen nur etwa 2,5 % der Bevölkerung des als Sápmi bezeichneten geografischen Gebiets aus, und ein großer Teil der Sámi lebt außerhalb dieses Gebiets (Mamo 2023). Die Sámi sind das einzige indigene Volk in der Europäischen Union; als solches haben sie eine eigene Sprache, Kultur, Traditionen und Selbstverwaltungsstrukturen, die oft unter starkem Druck durch äußere Faktoren stehen, wie z.B. durch die militärischen Spannungen zwischen der NATO und Russland in der arktischen Region. Derzeit gibt es neun samische Sprachen, von denen das Nordsámi mit etwa 75 % der Sprecher*innen die am weitesten verbreitete ist. Allerdings gibt es eine beträchtliche Vielfalt unter einigen dieser Sprachen, die in Schweden, Finnland und Norwegen offiziell gesetzlich geschützt sind, nicht aber in Russland (Svonni 2008).

Ein Großteil der samischen Kultur und des traditionellen Lebensunterhalts ist mit der Rentierzucht, dem Fischfang, der Jagd und dem Kunsthandwerk verbunden. Rentiere spielen in der samischen Kultur eine besonders wichtige Rolle. Ein Großteil des traditionellen Kalenderjahres ist auf die Wanderung der Rentiere ausgerichtet: Das Jahr beginnt im Juni auf den Sommerweiden, wo die Kälber gefüttert werden und Geweih und Fell kräftiger werden, um dem nächsten Winter standzuhalten. Dort werden die Ohren der Kälber markiert: Jede*r Rentierbesitzer*ini hat ein einzigartiges Ohrzeichen, das den Besitzer des Tieres identifiziert. Danach geht es auf die Herbstweiden, wo die für die Schlachtung ausgewählten Rentiere ausgesondert werden und die anderen Tiere sich paaren. Weiter geht es zu den Winterweidegründen, wo die Tiere unter dem Schnee nach Pflanzen und Nährstoffen graben, und schließlich zu den Kalbungsgebieten im Frühjahr, wo die Kälber geboren werden (oft im Mai) und ein neuer Zyklus beginnt (Mazzullo 2012).

Rentiere versorgen die Sámi traditionell mit Nahrung, Kleidung und Materialien für das Kunsthandwerk. Heute wird die Rentierzucht jedoch meist parallel zu anderen landwirtschaftlichen Tätigkeiten und im Einklang mit den örtlichen Vorschriften betrieben. In Finnland zum Beispiel, wo die Rentierzucht nicht auf die Sámi beschränkt ist, gibt es ein klar definiertes Rentierzuchtgebiet, das etwa 35 % des Landes umfasst. Dort dürfen die Rentiere frei weiden, unabhängig vom Landeigentum. Das Rentierzuchtgebiet ist in mehr als 50 kleinere Gebiete unterschiedlicher Größe unterteilt (von denen einige eindeutig als samische Bezirke gekennzeichnet sind), von denen jedes von einer Genossenschaft verwaltet wird. Jede*r Rentierbesitzer*in gehört einer Genossenschaft an, die ihre eigene Führung wählt und in einem Hirt*innenverband vertreten ist, der jedes Jahr im Juni, zu Beginn des Zuchtjahres, in einem »Rentierparlament« zusammenkommt. Nach Angaben des finnischen Rentierzüchter*innenverbandes gibt es in Finnland etwa 4.400 Rentierbesitzer*innen, von denen etwa 1.000 Sámi sind (Reindeer Herders’ Association 2022).

Sámi-Selbstverwaltung in Finnland

Die Kultur und die Traditionen der Sámi sind seit langem den Regulierungen der finnischen Regierung unterworfen und sind offiziell durch das Gesetz geschützt. In Abschnitt 17 der finnischen Verfassung heißt es, dass „die Sámi als indigenes Volk das Recht haben, ihre eigene Sprache und Kultur zu bewahren und weiterzuentwickeln“, und in Abschnitt 121 heißt es, dass „die Sámi in ihrem angestammten Land eine sprachliche und kulturelle Selbstverwaltung haben“. In diesem Zusammenhang ist einer der akutesten Konfliktanlässe zwischen der finnischen Regierung und der Führung der Sámi einer der Selbstverwaltung – konkret das »Sámi-Parlament«. Das Parlament ist das Selbstverwaltungsorgan der Sámi in Finnland, das 1996 auf der Grundlage seines Vorgängers, der »Sámi-Delegation«, die von 1973 bis 1995 tätig war, eingerichtet wurde. Das Sámi-Parlament ist ein unabhängiges Organ, das nicht Teil der öffentlichen Verwaltung ist. Es wird aus öffentlichen Mitteln finanziert und arbeitet unter einem Verwaltungsmandat des Justizministeriums.

Nach dem finnischen Gesetz über die Selbstverwaltung der Sámi „wählen die Sámi aus ihrer Mitte ein Sámi-Parlament für die Zwecke der kulturellen Autonomie“. Die entscheidende Frage ist jedoch, wer sich in die Wähler*innenliste für die Wahlen eintragen darf. Wer zählt als Sámi? Das Gesetz besagt, dass ein*e Same eine Person ist, die „sich selbst als Sámi betrachtet“, vorausgesetzt, dass die Person „oder mindestens einer ihrer Eltern oder Großeltern Sámi als Muttersprache erlernt hat(Gesetz 974/1995; Änderungen bis einschließlich 1026/2003, laki saamelaiskäräjistä, Abschnitt 3.1), oder dass „mindestens einer ihrer Elternteile als Wähler für eine Wahl zur Sámi-Delegation oder zum Sámi-Parlament registriert war oder hätte registriert werden können“. (Gesetz 974/1995, Abschnitt 3.3)

Diese Bestimmungen scheinen erst einmal mit dem übereinzustimmen, was in vielen indigenen Selbstbestimmungsgesetzen in anderen Teilen der Welt enthalten ist. Die finnische Gesetzgebung enthält jedoch eine zusätzliche Klausel, die eine*n Same als jemanden definiert, der*die „von einer Person abstammt, die in einem Grund-, Steuer- oder Bevölkerungsregister als Berg-, Wald- oder Fischerlappe eingetragen ist“ (Gesetz 974/1995, Abschnitt 3.2). Diese Klausel bezieht sich auf die seit langem bestehenden finnischen Steuerregister (seit dem 18. Jahrhundert), in denen die Zahlungen von Personen erfasst sind, die den so genannten Lebensstil der Lappen leben (Jagd, Rentierzucht usw.), zu denen sowohl Angehörige der finnischen Mehrheitsbevölkerung als auch der Sámi gehören. Die Lappensteuerklausel öffnet das Sámi-Parlament daher für Mitglieder, die sich selbst als Sámi bezeichnen, die aber von anderen Mitgliedern, die Sámi als Muttersprache gelernt haben, möglicherweise nicht als solche anerkannt werden.

Diese Frage ist im Menschenrechtssystem der Vereinten Nationen schon seit einiger Zeit umstritten. Bereits 2009 stellte der UN-Ausschuss für die Beseitigung rassistischer Diskriminierung (»UN Committee on the Elimination of Racial Discrimination «, CERD) fest, dass die Rechtsauslegung des finnischen Obersten Verwaltungsgerichts der Selbstidentifizierung von Personen mehr Gewicht verleihen sollte (CERD/C/FIN/CO/19). Einige Jahre später, im Jahr 2012, kam derselbe Ausschuss zu dem Schluss, dass die finnische Gesetzesauslegung den Rechten der Sámi nicht genügend Gewicht beimaß (CERD/C/FIN/CO/20-22).

Die Kontroverse spitzte sich bei den samischen Wahlen 2015 zu, als Hunderte von Personen eine Registrierung als neue Wähler*innen beantragten, von denen 182 vom zuständigen Gremium des samischen Parlaments, dem Wahlausschuss, abgelehnt wurden. Gegen diese Ablehnungen wurde beim Exekutivrat des Sámi-Parlaments und anschließend beim Obersten Verwaltungsgericht Finnlands Berufung eingelegt. In zwei Entscheidungen in den Jahren 2015 und 2016 entschied das Oberste Verwaltungsgericht Finnlands gegen die Entscheidungen des Wahlausschusses und ordnete die Aufnahme von 93 dieser Personen in das Wählerverzeichnis an, so dass sie wählen durften. Umstritten war, dass das finnische Gericht sich nicht zu sehr darum kümmerte, ob der*die potenzielle Wähler*in auch nur eines der im Gesetz festgelegten objektiven Kriterien (nicht einmal das Steuerkriterium der Lappen) erfüllte, sondern auf die Gesamtbetrachtung der eigenen Meinung der Person über sich selbst als Sámi zurückgriff; für das Gericht wäre ein Ausschluss aus dem Wähler*innenverzeichnis, wie ihn der Wahlausschuss des Sámi-Parlaments beabsichtigte, in der Tat eine Diskriminierung der Kläger*innen.

Vorhersehbarerweise wurde die Entscheidung des Gerichts von der Führung der Sámi energisch zurückgewiesen, die daraufhin eine Reihe von Individualbeschwerden bei den Menschenrechtsgremien der Vereinten Nationen einreichte, mit dem Argument, dass eine solche Entscheidung „die Stimme des sámischen Volkes im Sámi-Parlament und die Wirksamkeit des Parlaments bei der Vertretung des sámischen Volkes bei wichtigen Entscheidungen (Finnlands), die ihr Land, ihre Kultur und ihre Interessen betreffen können, schwächt“. (CCPR/C/124/D/2668/2015).

Zwei UN-Gremien stellten sich auf die Seite der Sámi. Im Jahr 2019 stellte der Menschenrechtsausschuss zweimal fest (in CCPR/C/124/D/2668/2015 und CCPR/C/124/D/2950/2017), dass Finnland tatsächlich das Recht der Sámi verletzt hat, direkt oder durch frei gewählte Vertreter*innen an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten teilzunehmen (Artikel 25 ICCPR), in Verbindung mit ihrem Recht, als Minderheit ihre eigene Kultur zu genießen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben und ihre eigene Sprache zu verwenden (Artikel 27 ICCPR). Das CERD wiederum stellte noch 2022 fest, dass das finnische System das Recht der Sámi verletzt, ihre eigene Identität oder Zugehörigkeit in Übereinstimmung mit ihren Bräuchen und Traditionen zu bestimmen, und die Strukturen und die Mitglieder ihrer Institutionen in Übereinstimmung mit ihren eigenen Verfahren auszuwählen (gemäß Artikel 33 der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker) (CERD/C/106/D/59/2016).

Infolge dieser breiten Verurteilung haben verschiedene finnische Regierungen versucht, das Gesetz über das Sámi-Parlament zu ändern, jedoch bislang ohne Erfolg. Die Erneuerung des Sámi-Parlamentsgesetzes hat den Verfassungsausschuss des finnischen Parlaments dreimal erreicht und ist jedes Mal gescheitert. Letztlich scheint die Frage des Sámi-Parlaments ein politisches Minenfeld zu sein. Die Politiker*innen in der Hauptstadt Helsinki scheinen wenig politischen Nutzen aus diesem wichtigen Thema ziehen zu können, das auch nur wenige Wähler*innenstimmen bringt. Insbesondere in einem Kontext, in dem das russische Expansionsstreben die meisten finnischen Kommentarspalten zu füllen scheint. Erst kürzlich, im Herbst 2023, versprach die neu gebildete Regierung von Ministerpräsident Orpo, einen weiteren Gesetzentwurf zur Änderung des geltenden Gesetzes vorzulegen (YLE News 2023). Es wurden jedoch keine Ergebnisse erzielt, was darauf hindeutet, dass die Debatte über das Sámi-Parlament und damit auch ein Großteil der Debatte über die Selbstbestimmungsrechte der Sámi im politischen Gefrierfach des Mainstreams bleiben wird – zumindest vorerst.

Internationale Governance: Erhöhte geopolitische Spannungen und arktische Zusammenarbeit

In Anlehnung an die nationalen Selbstverwaltungsstrukturen haben die Sámi eine stabile Organisationsstruktur für die internationale Zusammenarbeit und Vertretung geschaffen. Der 1956 gegründete »Sámi-Rat« ist eine internationale Nichtregierungsorganisation, die sich aus samischen Organisationen aus Finnland, Russland, Norwegen und Schweden zusammensetzt. Der Rat ist besonders aktiv bei den Vereinten Nationen und hat den Status eines »Ständigen Teilnehmers« im Arktischen Rat, einem wichtigen zwischenstaatlichen Forum für die Verwaltung der Arktis. Darüber hinaus hat der Rat 2019 eine Sondereinheit eingerichtet, die Einfluss auf die EU-Politik nehmen soll, unter anderem auf den Abbau von Grenzbarrieren in Sápmi.

Der Status eines »Ständigen Teilnehmers« im Arktischen Rat ist in internationalen Organisationen außergewöhnlich, da er über den »Beobachterstatus« für NGOs hinausgeht, den es anderswo gibt (Urueña 2008). Er gibt indigenen Organisationen die Möglichkeit, neben den Mitgliedsstaaten an allen Sitzungen teilzunehmen und die Agenda mitzugestalten. Infolgedessen war der Sámi-Rat in der Lage, echten Einfluss auf den Entscheidungsfindungsprozess im Arktischen Rat auszuüben, da es oft der Fall ist, dass die Mitgliedsstaaten eine bestimmte Policy nicht vorantreiben, die von diesen Teilnehmern abgelehnt wird, wie z.B. in Fragen des Umweltschutzes (Koivurova und Heinämäki 2006).

Dieser Einflussbereich ging jedoch im März 2022 verloren, als der Arktische Rat seine Aktivitäten als Reaktion auf Russlands Einmarsch in der Ukraine einstellte. Dies stellt für die Sámi eine Herausforderung an vielen Fronten dar (Zellen 2023). Einerseits offenbart es einen Bruch innerhalb der indigenen Organisationen mit ständigem Teilnehmerstatus im Rat. Bezeichnenderweise unterstützte eine der teilnehmenden Organisationen, die »Russische Assoziation der indigenen Völker des Nordens« (RAIPON), die zunehmend unter dem Einfluss Moskaus steht, wenige Wochen vor der Aussetzung der Aktivitäten im Arktischen Rat Putins „Wunsch und Entscheidung, die Rechte und Interessen der Bewohner*innen der Volksrepubliken Donezk und Luhansk sowie die Sicherheit eines multiethnischen Russlands zu schützen“ (RAIPON 2022). Und obwohl eine andere Organisation (das »Internationale Komitee der indigenen Völker Russlands« (ICIPR)) rasch eine eigene Erklärung herausgab, in der sie die Invasion verurteilte, genießt RAIPON immer noch den Status eines offiziellen Teilnehmers (während ICIPR diesen Status nicht hat), wodurch sich die indigene Vertretung im Arktischen Rat entlang geopolitischer Linien zersplittert (Hosa 2023).

Darüber hinaus, und das ist vielleicht das Wichtigste, wurden die indigenen Teilnehmer des Arktischen Rates von den Mitgliedsstaaten nicht konsultiert, als die Entscheidung zur Aussetzung der Aktivitäten getroffen wurde – ein wichtiger Rückschritt in Bezug auf die Möglichkeiten der Sámi, internationale Politik zu beeinflussen, die sie betrifft. Obwohl Norwegen im Mai 2023 den Vorsitz des Rates übernommen und sein ausdrückliches Ziel erklärt hat, die arktische Zusammenarbeit nicht ins Stocken geraten zu lassen (Norwegian Ministry of Foreign Affairs 2023), muss der Realität ins Auge geblickt werden, dass einerseits ein Präzedenzfall in dem Sinne geschaffen wurde, dass folgenschwere geopolitische Entscheidungen in der Arktis getroffen werden, ohne die indigenen Gruppen zu konsultieren, und dass andererseits eine stabile multilaterale Zusammenarbeit in der Arktis ohne Russland unwahrscheinlich erscheint – was das Risiko birgt, dass der Sámi-Rat (und andere arktische indigene Organisationen) eines wichtigen Einflussbereichs in der internationalen Governance beraubt wird.

In ähnlicher Weise hat die Invasion auch die Strukturen der inner-samischen Zusammenarbeit beeinträchtigt, insbesondere zwischen den samischen Gruppen in Russland einerseits und denen in Finnland, Norwegen und Schweden andererseits (Zmyvalova 2022). Im April 2022 beschloss der Sámi-Rat, die Zusammenarbeit mit den Mitgliedsorganisationen der russischen Seite »auf Eis zu legen«. In der Praxis bedeutet dies, dass die Zusammenarbeit mit den russischen Sámi, die im Sámi-Rat durch die Kola-Saami-Assoziation und den Saami-Verband der Region Murmansk vertreten sind, ebenfalls auf Eis gelegt wurde. Bei der Bekanntgabe der Entscheidung formulierte der Sámi-Rat die Herausforderung in geopolitischen Begriffen und erklärte, dass „wir vor 1992 zu lange durch die Handlungen der Staaten und die durch Sápmi gezogenen Grenzen getrennt waren. Wiederum beeinträchtigt und bedroht das Handeln eines Staates die Zusammenarbeit und Einheit des samischen Volkes“ (Sámi Council 2022).

Die Zusammenarbeit mit Russland im »Barents Euro-Arctic Council« wurde im März 2022 ebenfalls ausgesetzt, und Russland zog sich ein Jahr später ganz aus der Organisation zurück. Der »Barents-Rat« verfügt über eine ständige Arbeitsgruppe für indigene Völker (WGIP), die 1995 gegründet wurde, sich aus samischen Vertreter*innenn zusammensetzt und eine beratende Funktion im Rat hat (Barents Euro-Arctic Council 2023). Sie hat sich als wichtiges Forum für die Zusammenarbeit der Sámi und für politische Interventionen erwiesen, insbesondere zu Fragen im Zusammenhang mit dem Klimawandel in der Arktis, der Nordpolitik der Europäischen Union und dem traditionellen Wissen und Kulturerbe. Selbst wenn die Arbeitsgruppe weiterhin mit Vertreter*innen aus den anderen Mitgliedstaaten arbeitet (was sie tut), sind die Auswirkungen auf die Sámi drastisch. „Der Mangel an Interaktion mit den Sámi auf russischer Seite beunruhigt uns“, sagte Eirik Larsen, Mitglied der WGIP und Vertreter im Sámi-Parlament in Norwegen, gegenüber High North News, „wir Sámi sind ein Volk, und es ist schlimm, dass ein Teil unseres Volkes isoliert ist. Vor allem ist es kritisch für die Sámi und andere indigene Völker in Russland, die ohne eigenes Verschulden in diese Situation geraten sind(Edvardsen 2023).

Die Sámi und die Finnische Arktisstrategie

Im Jahr 2021 verabschiedete Finnland eine neue »Arktische Strategie«, die die Evolution des strategischen Denkens des Landes über die Region widerspiegelt (Borg und Brander 2021). Im Gegensatz zur Version von 2013 ist die neue Strategie stärker auf Sicherheitsfragen ausgerichtet und weniger optimistisch, was die Zusammenarbeit mit Russland außerhalb der Umweltkooperation (insbesondere bei der nuklearen Sicherheit und der Emissionsreduzierung) angeht. Besonders bemerkenswert ist, dass die Strategie von 2021 die Rechte der Sámi als eine der wichtigsten Prioritäten der finnischen Politik in der Arktis aufnahm. Im Hinblick auf die Selbstverwaltung der Sámi und die Beteiligung an internationalen Governance-Strukturen umfassten die strategischen Ziele für 2021-2030 die „Verbesserung der Möglichkeiten für indigene Völker, sich an der arktischen Zusammenarbeit, einschließlich der Zusammenarbeit in der Barents-Region, zu beteiligen“ und einen „Wahrheits- und Versöhnungsprozess zur Aufarbeitung historischer Ereignisse zu ermöglichen, der auch zum Aufbau von Versöhnung und Vertrauen zwischen dem indigenen Volk der Sámi und der finnischen Regierung beiträgt“ (Artikel 46, Absatz 4.3).

Und doch scheint Russlands Einmarsch in der Ukraine diese Ziele deutlich zurückgeworfen zu haben. Wie eine Expert*innengruppe feststellte, die vom finnischen Premierminister beauftragt worden war, die Auswirkungen von Russlands Krieg auf die arktische Zusammenarbeit zu bewerten (Koivurova et al. 2022), ist es für die indigenen Völker der Arktis umso schwieriger, ihren Platz in der Zusammenarbeit zu finden, je stärker die Spannungen in der arktischen Region sind. Reformversuche der nationalen Selbstverwaltung scheinen ins Stocken geraten zu sein, und wertvolle Räume für internationale Zusammenarbeit und Beteiligung scheinen sich Stück für Stück zu schließen. In einem Kontext geopolitischer Unruhe erscheinen die Möglichkeiten der Sámi, sich selbst zu regieren, zunehmend eingeschränkter zu sein. Doch trotz dieser Einschränkungen scheinen multilaterale Partizipationsräume weiterhin der beste Weg zu sein, um die internationale Position der Sámi zu stärken und damit die Verhandlungsposition dieser Gruppe im eigenen Land zu verbessern. Die Abkopplung der Geopolitik von den innenpolitischen Debatten könnte sich als kontraproduktiv erweisen, auch wenn dies in einem Kontext, in dem die Sámi auf beiden Seiten der finnisch-russischen Grenze gespalten erscheinen, verlockend zu sein scheint. Wie auch die Natur selbst ihre Zeit braucht, um sich zu verändern und zu entwickeln, werden sich nur dann innenpolitische Partizipationsmöglichkeiten entwickeln, wenn deutlich wird, dass indigene Rechte klar wichtiger sind, als konjunkturelle geopolitische Erwägungen.

Anmerkung

1) Anmerkung des Übersetzers: Auf Deutsch gibt es auch die Schreibweise »die Samen«. Da die Eigenbeschreibung der Gruppe jedoch »Sámi« ist und der Autor durchgehend die Schreibweise »Sámi« verwendet hat, bleibt auch die Übersetzung bei dieser Verwendung.

Literatur

Barents Euro-Arctic Council (2023): Working group of indigenous peoples. Barents Euro-Arctic Council, Homepage.

Borg, E.; Brander, N. (Hrsg.) (2021): Finland’s strategy for Arctic policy. Helsinki: Finnische Regierung.

Edvardsen, A. (2023): Russia out of the Barents Euro-Arctic Council. ‘Cooperation with the Sámi on the Russian side is severely affected by Russia’s war.’ High North News, 29.9.2023.

Hosa, J. (2023): Feeling the chill. Navigating Arctic governance amid Russia’s war on Ukraine. European Council on Foreign Relations, Policy Brief, Mai 2023.

Koivurova, T. et al. (2022): Arctic cooperation in a new situation. Analysis on the impacts of the Russian war of aggression. Government Reports 2022-3. Helsinki: Finnische Regierung.

Koivurova, T.; Heinämäki, L. (2006): The participation of indigenous peoples in international norm-making in the Arctic. Polar Record 42(2), S. 101-109.

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Norwegian Ministry of Foreign Affairs (2023): Norway’s chairship of the Arctic Council 2023–2025. BrosjyreVeiledning. Document E1016-E. URL: regjeringen.no, 28.3.2023.

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Svonni, M. (2008): Sámi languages in the nordic countries and Russia. In: Extra, G.; Gorter, D. (Eds.): Multilingual Europe. Facts and policies. Contributions to the sociology of language 96. Berlin, New York: De Gruyter Mouton, S. 233-252.

Urueña, R. (2008): Derecho de las Organizaciones Internacionales. Bogotá: Temis/Uniandes.

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Zellen, B. S. (2023): As war in Ukraine upends a quarter century of enduring Arctic cooperation, the world needs the whole Arctic Council now more than ever. Northern Review 54, S. 137-160.

Zmyvalova, E. (2022): The impact of the war in Ukraine on the indigenous small-numbered peoples’ rights in Russia. Arctic Review on Law and Politics 13 (August), S. 407-414.

Rene Urueña ist Professor für Rechtswissenschaften an der Universität von Lappland (Finnland) und der Universidad de Los Andes (Kolumbien) (derzeit beurlaubt).

Aus dem Englischen von David Scheuing.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2024/1 Konflikte im »ewigen« Eis, Seite 21–24