Die Schönheit der Bombe
Zur Ästhetik im nuklearen Diskurs
von Aicha Kheinette
Kann eine Massenvernichtungswaffe ästhetisch sein? Kann ein Atompilz sexy wirken? Können nukleare Sprengköpfe romantische Gefühle auslösen? Die Atombombe steht für Tod und Zerstörung und wurde doch zu einem Faszinosum der Moderne. Ihre Ästhetik umfasst apokalyptische Bilder, ikonische Symbole sowie sexuelle Metaphern und ist geprägt von ambivalenten Gefühlen – bis heute, denn die Atombombe ist kein Relikt des Kalten Kriegs, sondern brandaktuell.
Die Atombombe wurde in der Kunst schon gedacht, bevor Otto Hahn und Lise Meitner im Jahr 1938 die Kernspaltung entdeckten. Den Begriff prägte H.G. Wells 1914 in »The World Set Free« (dt. »Befreite Welt«); dieser Science-Fiction-Roman knüpft an eine lange Geschichte menschlicher Faszination für die Ästhetik apokalyptischer Szenarien an. In der Kunst und Unterhaltungsbranche finden sich unzählige Beispiele dafür. 1945 wurde die Atombombe zur Realität. Mit dem »Trinity«-Test in New Mexico im Juli und den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki im August begann endgültig das Atomzeitalter.
Seitdem sorgt »die Bombe« für große Emotionen. Während sich die meisten Menschen vor einem Atomkrieg und der Zerstörung von ganzen Regionen oder gar der ganzen Welt fürchten, wird die Atombombe auch als Symbol für Macht und die Moderne gefeiert. Zwischen Schrecken und Faszination ergeben sich dabei ganz unterschiedliche Bilder – auch ästhetische, auch schöne. Erste Beobachter*innen beschrieben poetisch, ihre Explosion strahle wie tausend Sonnen, und der Atompilz wurde in den Werken großer Künstler*innen zu einem Motiv. Unter den frühen Beispielen finden sich »Die drei Sphinxe von Bikini« (Salvador Dali, 1947), »Atom Burst« (Roy Lichtenstein, 1965) und »Atomic Bomb« (Andy Warhol, 1965). Die Ästhetik der Atombombe ist jedoch umstritten. Darf denn ihre Explosion schön sein? Vielleicht „furchtbar schön“ (Dax 2005)?
Es ist kaum vorstellbar, dass Bilder der nuklearen Explosionen von ihrer Zerstörungskraft, dem Tod und Schrecken, den sie über Hiroshima und Nagasaki brachten, getrennt werden können. Auch die unzähligen Detonationen zu Testzwecken weltweit bringen irreparable Schäden für Mensch und Umwelt mit sich; die Atomprogramme verschlingen immense Ressourcen. Nichtsdestotrotz finden sich positiv konnotierte Darstellungen der Bombe. Woher rührt diese Ambivalenz?
Im Krieg herrscht keine ästhetische Abstinenz. Die Ästhetik des Kriegerischen ist sogar ein integraler Bestandteil militärischer Institutionen und zeigt sich in Waffen, Uniformen oder Militärparaden. Waffen dienen dabei als Symbol für Macht oder Tapferkeit – dies gilt letztlich auch für Atomwaffen. Ihre symbolische Wirkung ist ein integraler Bestandteil ihrer Existenz.
Nuke Pop – Die Antwort der Populärkultur
Seit Beginn des Atomzeitalters werden Atombomben nicht immer auf die gleiche Weise perzipiert. Ihre Ästhetik ist abhängig von Zeit und Raum, und so fließen ganz unterschiedliche Bilder in ihre Symbolik ein. In den 1950er und 1960er Jahren, zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Kubakrise, entwickelte sich in den USA ein regelrechter Hype um die Atomwaffe, die als Symbol der Moderne und des technischen Fortschritts gefeiert und als »Geschenk des Himmels« verehrt wurde. Sie wurde sogar zur Vermarktung eingesetzt: Spielzeug, Partys, Getränke, Miss-Wahlen – alles ließ sich mit Atompilzen und Atombomben bewerben (vgl. Paul 2016, S. 251). Im Überschneidungsbereich von Militär- und Populärkultur entstand der »nuke pop«.
Die Atombombe scheint in der US-Populärkultur der 1950er Jahre eine ähnliche Anziehungskraft zu haben wie beispielsweise Raumschiffe für die Neue Deutsche Welle der 1980er. In zahlreichen Musikhits, Comics oder Filmen wurde sie zu einem zentralen Motiv ihrer Epoche. Atomenergie – die zivile Nutzung der Kernkraft – wurde dabei weitestgehend außer Acht gelassen. Ihr fehlte die nötige Dramatik, welche sich im Kontext der Atomwaffen in der Sinnlichkeit ihrer Explosion und in apokalyptischen Bildern der Zerstörung manifestiert.
Besonders populär wurden Bilder von Atompilzen, die sich, auf ganz unterschiedliche Weise dargestellt, zum Symbol für das Atomzeitalter und zur Ikone des Kalten Kriegs entwickelten. »Mushroom clouds«, die bei den Atombombentests in der Wüste Nevadas in den Himmel schossen, wurden wie ein Naturspektakel aus vermeintlich sicherer Entfernung verfolgt. Über radioaktive Strahlung machte man sich bei den regelmäßig veranstalteten Familien-Picknicks und Paraden keine Sorgen – man staunte.
Ästhetisierung in Populär- und Militärkultur
Doch der ästhetischen Wahrnehmung der Bombe wurde auch nachgeholfen. Objekte, die per se nicht als ästhetisches Objekt gesehen werden, können durch Kontextualisierung zu einem solchen werden. Die Ästhetisierung von Atombomben und »mushroom clouds« in der US-amerikanischen Populärkultur (und ihren Einzugsgebieten) fand auf ganz unterschiedliche Weise statt – immer wieder auch mit Hilfe des weiblichen Körpers und sexualisierender Metaphern und Bilder.
In Las Vegas wurden in den 1950er Jahren atomare Schönheitsköniginnen mit dem Titel »Miss Big Bang« oder »Miss A-Bomb« gekürt und in Atompilz-Bikinis abgelichtet. Auch in der Popmusik wurde die Explosivität der Bombe zu einem Sinnbild für Sexappeal. In ihrem Hit »Fujiyama Mama« sang Wanda Jackson Ende der 1950er Jahre: „I’ve been to Nagasaki, Hiroshima too / The things I did to them baby, I can do to you.“ 1 Auch in Songs von Bill Haley, Doris Day oder Fay Simmons werden Atomwaffen metaphorisch mit Sexualität verknüpft (Stöver 2017, S. 483).
Die Akzentuierung der Anziehungskraft von Waffen durch weiblichen Sexappeal zeigt sich besonders deutlich in den Pin-up-Bildern, die unter anderem auf Militärflugzeugen oder Bomben zu finden waren. Die ursprünglich im Militär verbreiteten Zeichnungen und Fotografien wurden zu einem Teil der Populärkultur und machten die Kombination von Waffen und teilweise pornographisch inszenierten Frauenkörpern salonfähig. In zahlreichen Formen und Farben, auf Stickern, Plakaten oder Tätowierungen finden sich Pin-up-Girls, die auf herabfliegenden Atombomben reiten. Als »Bomb Babes«, »Bomb Girls« oder »Atom Bomb Baby« sitzen die Figuren auf Bomben, deren ohnehin phallische Form teilweise durch zeichnerische Ergänzungen noch hervorgehoben wird.
Auch in der Sprache werden diese Bilder aufgegriffen. Carol Cohn zeigte in den 1980er Jahren eindrucksvoll, dass der nukleare Diskurs unter US-Verteidigungsstrategen von radikaler sprachlicher Ästhetisierung geprägt war. Besonders auffällig sind jedoch auch hier die zahlreichen sexuellen Anspielungen und Metaphern. Die Rede ist von Streicheln, Penetration, orgastischen Stößen oder „Mehr Bums fürs Geld“. Die vielfältigen und meist männlichen Namen der Bomben und immer wiederkehrende Geburtsmetaphern suggerieren eine emotionale Bindung zu den Atomwaffen. Durch liebevolle und häusliche Umschreibungen werden sie domestiziert und zu ungefährlichen Alltagsobjekten. Die Sprache der Verteidigungsstrategen ist leichtfüßig und soll Spaß machen. Durch ein technokratisches Vokabular, starke Abstraktion und Euphemisierung wird erreicht, dass Bilder des Schreckens fast völlig ausgeblendet werden können. So wird es möglich „das Undenkbare zu denken“ (Cohn 1987, S. 715).
Kontranarrative
Während der Atompilz in den USA bereits sehr früh zu einer Ikone wurde, war die öffentliche Darstellung von Atombombendetonationen in der Sowjetunion lange tabu (Renner 2016, S. 215). Die sowjetische Propaganda beschränkte sich auf das Narrativ eines atomaren Friedensprojektes2 – ein bewusstes Kontranarrativ, das sich auch in einer eigenen Ästhetik widerspiegelte. Bis zum Ende der 1970er Jahre spielte der Atompilz als Symbol keine Rolle und wurde nicht einmal zu Zwecken der Stigmatisierung der Atombombeneinsätze durch die USA verwendet (Renner 2016, S. 216). Die US-amerikanische Begeisterung über seine Schönheit wurde von sowjetischer Seite als „Perversion kapitalistischer Kriegstreiber“ angeprangert (Renner 2016, S. 235).
In Europa überwog indessen die Angst. Der Atompilz stand von Beginn an für die atomare Bedrohung und fand so als Symbol Einsatz in der Kunst, Publizistik und auf politischen Plakaten. Die Positivkonnotation der Atompilze in den USA wird vor allem mit der Entfernung zur Realität erklärt: Anders als in Europa, wo Atompilze als Symbol einer realen und an der Nahtstelle der Machtblöcke des Kalten Krieges örtlich nahen Bedrohung galten und mit den jüngsten Erfahrungen der Bombenkriege assoziiert wurden, bildeten sie in der US-amerikanischen Populärkultur eine fiktive Bedrohung ab (Paul 2006, S. 254-258).
Natürlich war man sich auch in den USA der Gefahr bewusst. Robert J. Oppenheimer, der als Vater der Atombombe in die Geschichte einging und selbst „zwischen Forschungswillen und moralischen Skrupeln zerrissen wurde“ (Stöver 2017, S. 464), zitierte beim Anblick der ersten Atombombendetonation eine Stelle aus der hinduistischen Schrift Bhagavad Gita: „Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welt.“ (vgl. Rosenthal 1991, S. 73) Dies ist eine dramatische Erkenntnis, die doch von weit verbreiteter Faszination begleitet wurde.
Woher rührt die Begeisterung? Eine Erklärung findet sich im US-amerikanischen Narrativ, die Atombombe habe den Zweiten Weltkrieg beendet und Tausenden US-Soldaten das Leben gerettet (Rosenthal 1991, S. 76). Auch die eigene, nationale Vormachtstellung wird als Erklärung für den US-amerikanischen Enthusiasmus herangezogen (Rosenthal 1991, S. 82). Für eine Weile besaßen nur die USA die neue Wunderwaffe und damit eine hegemoniale Machtstellung im internationalen System. Alle anderen Großmächte eiferten ihnen nach. Zudem wurden die Bilder aus Hiroshima und Nagasaki (die Realität) zunächst vor der Öffentlichkeit zurückgehalten, sodass sich sprachlich ein positiv konnotiertes Bild entwickeln konnte (Paul 2006, S. 249). Das Bild der Bombe, symbolisiert durch spektakuläre Atompilze, blieb zunächst losgelöst von ihrem eigentlichen Schrecken.
Im Jahr 1963, kurz nach der Kubakrise, in der die Welt für ein paar Tage am Rande eines Atomkriegs stand, verschwand der Atompilz-Tourismus in Las Vegas. Mit einem internationalen Vertrag wurde das Ende der oberirdischen Atomwaffentests beschlossen, und die Bilder der Atompilze wurden Geschichte – nicht aber ihre Bedeutung und die Bomben selbst. Weltweit entstanden Kampagnen für nukleare Abrüstung. Das heute als Peacezeichen bekannte Symbol wurde bereits 1958 im Rahmen der britischen Campaign for Nuclear Disarmament gestaltet und steht bis heute für die internationale Friedens- und Abrüstungsbewegung. Auch in den USA entwickelten sich breite gesellschaftliche Protestbewegungen, die auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges in beeindruckender Größe auftraten – bis zu eine Million Menschen versammelten sich. Der Atompilz symbolisierte nicht mehr allein Macht und Moderne, sondern die nahende Bedrohung durch einen Atomkrieg.
Zunehmend wurde die Anti-Atomkraft-Bewegung durch ein ökologisches Bewusstsein geprägt, und mit der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986 rückt die Atomenergie vollends in den Fokus der Proteste. Nach dem Ende des Kalten Krieges verliert das Symbol Atompilz auch in Europa an unmittelbarer Bedrohung und wird bildnerisch umgewandelt. Auf politischen Plakaten erwuchsen aus dem Atompilz Bäume oder Blätter – an die Stelle von Zerstörungskraft wurde Lebenskraft gesetzt (Abb. 1). Dem Atompilz als Zeichen für das Böse stellte man hoffnungsvoll das Gute entgegen (Paul 2006, S. 7).
Nukleare Ästhetik und der politische Diskurs
Abb. 1: Nuclear Tree (Grafik: Abolition 2000)
Was die Betrachtung nuklearer Ästhetik freilegt, ist eine enorme Fülle verschiedenartiger Bilder, die in die Wahrnehmung der Atombombe einfließen. Es finden sich sowohl positive Konnotationen als auch starke Kontranarrative. Die Macht der Bilder ist dabei nicht zu unterschätzen. Ob visuell oder sprachlich, sie beeinflussen unser Denken, unsere Emotionen und Ideen. Nukleare Ästhetik geht deshalb über die Kunst und Populärkultur hinaus. Sie betrifft auch das Politische.
Im rund 45 Jahre andauernden Kalten Krieg schwankte man zwischen „Normalitätsgefühl und Krisenbewusstsein“ (Stöver 2017, S. 483), und der sinnliche Atompilz wurde zur ambivalenten Ikone des Atomzeitalters. Dem ikonischen Symbol wird auch eine abschreckende Wirkung zugesprochen: Es stellt die sinnlich wahrnehmbare Zerstörungskraft der Atombombe ins Zentrum – eine Sinnlichkeit und Symbolkraft, die anderen Waffen (vielleicht auch in Zukunft) fehlt. „Der Atompilz ist ein komplexes Symbol, aber kein subtiles.“ (Rosenthal 1991, S. 89)
Im nuklearen Diskurs bilden Ästhetisierung und Verharmlosung zentrale Mechanismen. Dabei sind Sprache und Bildsprache oft geprägt von heterosexueller militärischer Männlichkeit, die in den militärischen Institutionen betont und gefördert wird. Neben phallischer Symbolik wird dazu auch der weibliche Körper eingesetzt. Die gesichtslose Maschinerie wird animiert, der Umgang mit Waffen romantisiert oder durch andere Bilder ersetzt. Was hinter technokratischer oder metaphorischer Sprache und sexualisierten Bildern verborgen bleiben soll, ist die Grausamkeit der Atombombe: Bilder und Berichte aus Hiroshima und Nagasaki, die Schäden für Menschen und ihre Umwelt.
Die Dominanz militärischer Männlichkeit hat zudem Auswirkungen auf den Diskurs. Gedanken über humanitäre oder ökologische Auswirkungen wurden insbesondere im Militär und auf politischer Ebene als »unmännlich« und dadurch als unvernünftig und unrealistisch dargestellt. Damit wurde der Diskurs beschnitten, und Macht, Stärke und Dominanz schienen die letztlich gültigen Kategorien darzustellen (Cohn 1993).
Bis heute stehen den breiten Protestbewegungen und den Nichtatomwaffenstaaten Regierungen entgegen, die ihre atomare Macht verteidigen. Die Anzahl der Atommächte wächst stetig (wenn auch langsam), und das internationale Abrüstungsregime gerät immer wieder in Krisen. Nach wie vor wird die Atombombe als Sicherheitsgarant und friedensschaffende Kraft inszeniert, und Abrüstungsforderungen werden als politischer Eskapismus abgetan. Die »Liebe zur Bombe« ist keine historische Erzählung; ein umfassender Diskurs ist nötig.
Anmerkungen
1) Tatsächlich landet sie damit zunächst nur außerhalb der USA einen Erfolg. Die Thematisierung von Sexualität ist in der US-amerikanischen Öffentlichkeit der 1950er Jahre den Männern vorbehalten.
2) Atomkraft als Friedensprojekt (»Atoms for Peace«) wurde bereits 1953 von US-Seite in einer Rede Eisenhowers vor den Vereinten Nation propagiert (Stöver 2017, S. 485).
Literatur
Cohn, C. (1987): Sex and Death in the Rational World of Defense Intellectuals. Signs – Journal of Women in Culture and Society, Vol. 12, No. 4, S. 687-718.
Cohn, C. (1993): Wars, Wimps, and Women – Talking Gender and Thinking War. In: Cooke M.; Woollacott, A. (eds.): Gendering War Talk. Princeton: Princeton University Press, S. 228-246.
Dax, M. (2005): „Furchtbare Schönheit der Bombe“. Welt am Sonntag, 24.7.2015.
Paul, G. (2006): Visual History – Ein Studienbuch. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht.
Renner, A. (2016): Globale Ikone des Kalten Kriegs? Der Atompilz und die sowjetische Nuklearkultur. OSTEUROPA, Vol. 66, Nr. 6-7, S. 215–236.
Rosenthal, P. (1991): The Nuclear Mushroom Cloud as Cultural Image. American Literary History, Vol. 3, Nr. 1, S. 63-92.
Stöver, B. (2017): Geschichte der USA – von der ersten Kolonie bis zur Gegenwart. München: C.H. Beck.
Aicha Kheinette studierte Internationale Beziehungen in Dresden und lebt in Berlin. In ihrer Masterarbeit befasste sie sich mit feministischen Perspektiven auf die Atombombe.