W&F 2008/1

Die Uhr tickt...

von Regina Hagen

Die Doomsday Clock der renommierten Fachzeitschrift »Bulletin of the Atomic Scientists« wurde im Juni 1947 erfunden, um eingängig zu illustrieren, wie nahe sich die Menschheit mit der Entwicklung von Kernwaffen bereits an die katastrophale Zerstörung ihrer Lebenswelt heranmanövriert hatte. Die Zeiger der Uhr standen knapp zwei Jahre nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki bei 7 vor 12. Für den Herausgeberkreis - Wissenschaftler aus dem Manhattan-Projekt, das zur Entwicklung der US-Kernwaffen führte -, war die Weltuntergangsuhr ein Symbol für die „anhaltende Gefahr, in der die Menschheit im nuklearen Zeitalter lebt und solange leben wird, bis die Gesellschaft ihre grundlegenden Einstellungen und Institutionen korrigiert“. Zu der Zeit verfügten die Vereinigten Staaten, damals einzige Nuklearmacht der Erde, kaum über dreißig der neuen Bomben; der erste Nukleartest der Sowjetunion sollte erst zwei Jahre später folgen.

Achtzehn mal wurde der Doomsday-Zeiger seither vor- und zurückgestellt und spiegelte dabei wie ein träger, aber untrüglicher Seismograph die globale, vor allem nukleare, politische Lage. Aufrüstung und Abrüstung, festgefahrene Rüstungskontrollverhandlungen und die Schaffung atomwaffenfreier Zonen, das Ende des Kalten Krieges und die Kündigung von wichtigen Verträgen, die Eindämmung von Proliferation wie die Gefahr durch nuklearen Terrorismus berücksichtigten die HüterInnen der »Bulletin«-Uhr bei ihrem Vor und Zurück.

„Wir stehen am Rande eines zweiten nuklearen Zeitalters“, warnte das Gremium vor einem Jahr unter Verweis auf 27.000 nukleare Sprengköpfe in den Arsenalen von mittlerweile acht Staaten - und stellte die Uhr vor: auf 5 vor 12. Dabei wollten es die ExpertInnen diesmal aber nicht belassen. Sie sehen zwar Kernwaffen immer noch als gefährlichstes Mittel zur Auslöschung der Menschheit, erweitern das Spektrum diesmal aber um „Klima verändernde Technologien und neue Entwicklungen in den Life Sciences und der Nanotechnologie, die unwiderruflichen Schaden verursachen könnten“. Kernwaffen und ihre Proliferation, der Stillstand bei Abrüstung und Rüstungskontrolle, der (Irr-)Glaube, den Klimawandel durch den Ausbau von Kernenergie stoppen zu können - mit all den damit verbunden Risiken weiterer Proliferation -, Raketenabwehr und die daraus resultierende neue Rüstungsspirale, Gentechnik, Biotechnologie, die praktische Nutzung von Nanostrukturen „... beschleunigen unsere Fähigkeit zur Selbstzerstörung“.

Und nun, was sollen wir mit diesem schonungslosen und Furcht einflößenden Befund anfangen? Eines nicht, appellierte das »Bulletin« vor einem Jahr: „Wir bitten die Wissenschaftler, in den Worten von Eugene Rabinowitch, sich nicht ‚resigniert und verzweifelt in ihre Labore zurückzuziehen', sondern diese Themen öffentlich aufzugreifen und ihre Stimmen zu Gehör zu bringen. Und die Regierungen flehen wir an, die wissenschaftliche Community aktiv einzubinden und um soliden, unparteiischen technischen Rat zu bitten.“

Vom Vorstellen der Doomsday Clock konnte die Redaktion von Wissenschaft & Frieden vergangenes Jahr noch nichts ahnen, als wir, wie immer gleich zu Beginn des neuen Jahres, in zweitägiger Klausur die Schwerpunkte der nächsten vier Hefte planten. Die zivile und militärische Renuklearisierung der Welt und technische Hintergründe der neuen Rüstungsdynamik, da gingen wir d'accord, dürften bei den Themen auf keinen Fall fehlen. Welch Glück, dass wir kritische WissenschaftlerInnen kennen, die sich im Sinne von Rabinowitch nicht resigniert und verzweifelt in ihre Labore zurückziehen, sondern W&F ihre Feder und Stimme leihen, um der Regierung, den Tätigen in Forschung und Industrie und, ja, uns allen die dringlichen Themen zu beschreiben und Pfade weg vom Abgrund aufzuzeigen.

Die Stimme erheben reicht aber nicht aus; das tun die AutorInnen der Schwerpunktartikel dieser Ausgabe seit Jahren. Es müssen schon auch Ohren da sein zum Hören, da aber hält es die deutsche Regierung eher mit den drei Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Abrüstung wird vor allem von anderen gefordert. So ist eine deutsche Initiative zum Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland und anderen Ländern der Europäischen Union leider nicht in Sicht - wie will Herr Steinmeier da ein überzeugender Makler im Streit um die Nuklearambitionen des Irans sein? Oder die »präventive Rüstungskontrolle« - dieses Stichwort suchen Sie zum Beispiel im letzten Jahresabrüstungsbericht der Bundesregierung vergeblich.

Das können wir uns aber nicht länger leisten! Um zum Schluss noch einmal das »Bulletin of the Atomic Scientists« zu zitieren: „Weil wir am Rande eines zweiten nuklearen Zeitalters stehen und auch am Beginn eines beispiellosen Klimawandels, müssen wir unser Denken über die Nutzung und Kontrolle von Technologien ändern, um unsägliche Zerstörung und zukünftiges menschliches Leiden zu verhindern.

Die Uhr tickt.“

Regina Hagen

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2008/1 Rüstungsdynamik und Renuklearisierung, Seite