W&F 1993/2

Die UN zur Welt-Friedensmacht entwickeln

von Fritz Vilmar

Infolge der Zunahme ethnisch-sozialer Konflikte entwickelt sich weltweit, krebsartig ein mit rüstungswirtschaftlichen und rivalisierenden politischen Herrschaftsinteressen sich verbindender, hochtechnisierter Militarismus. Nur eine durch einschneidende Embargo-Strategien ökonomisch und durch hocheffektive Streitkräfte militärisch abschreckend wirkende UN-Friedensmacht der Vereinten Nationen kann ihn eindämmen und vielleicht sogar schließlich beenden.

Dieser Militarismus zeigt sich nicht nur in (Süd-)Osteuropa, sondern in ähnlicher Weise auch in Afrika, in Nahost oder in Indochina. Die als brutale Polizeitruppe im Dienste der Mächtigen wirkenden Militärmaschinen in Südamerika, China etc. stellen ein besonderes Problem dar, das hier nicht erörtert werden kann.

Die Aussage, daß nur eine zentrale Embargo- und Militärmacht der UN den weltweiten – und speziell den osteuropäischen – Militarismus beseitigen kann, mag aus dem Munde eines Friedensbewegten und Friedensforschers provozierend klingen.

Aber erstens ist dies – keineswegs ausreichende, aber unabdingbare – Befriedigungskonzept sozialgeschichtlich gut belegt: Keine (sicher noch sehr relative) Zivilisierung bzw. Befriedung irgendwelcher Regionen wurde je vollbracht ohne die Entwaffnung bzw. Entmilitarisierung vieler »Stämme« und »Stammeshäuptlinge« durch eine mächtigere Zentralmacht. Und zweitens besitzt allein die UN den qualitativ höheren friedensstiftenden Rang gegenüber allen bisherigen »Zentralmächten«, weil sie nicht ihrerseits wieder infolge der Machtkonkurrenz mit anderen »Zentralmächten« neu-unfriedenstiftenden, »imperialen« Militarismus hervorbringen muß.

Aus diesem – und allein aus diesem – Grund sind alle regionalen militärischen »Sicherheits-Organisationen« als vorgebliche Garanten einer »Friedenserzwingung« prinzipiell abzulehnen. Das gilt ganz besonders für die NATO, welche genau diese Selbstrechtfertigungs-Ideologie des »peace enforcement« out of the area, d.h. weit über den eigenen Verteidigungsbereich hinaus, geltend zu machen versucht. Weshalb »ganz besonders« für die NATO? Weil sie das Militärbündnis genau jener westlicher Industriestaaten ist, die sich seit über 200 Jahren den übrigen Teil der Menschheit direkt oder indirekt (durch die von ihnen diktierten Austauschbedingungen) untertan gemacht haben. Sie genießt weltweit keinerlei Glaubwürdigkeit. Und im Golfkrieg haben die NATO-Staaten sogar der Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen schweren Schaden zugefügt, da es den USA gelang, sie vor ihren Karren zu spannen.

Daher können die Vereinten Nationen zur obersten Welt-Autorität auch nur werden, wenn sie sich von der westlichen und vor allem von der US-amerikanischen Vorherrschaft befreit haben, d.h. durch Demokratisierung: Wenn alle Staaten gemäß ihrem Bevölkerungsanteil an der Menschheit Stimmrecht in der Vollversammlung haben, gleichzeitig ein Minderheitenschutz fest verankert ist, und wenn ein – ebenfalls demokratisierter – Sicherheitsrat einer sehr qualifizierten Mehrheit (z.B. einer Vierfünftel-Mehrheit) bedarf, um einschneidende Embargo- oder gar Militärentscheidungen fällen zu können.

Ich verweise hier, was die erforderliche Demokratisierung der UNO betrifft, auf die detaillierten, vorbildlichen Vorschläge, die eine SPD-Arbeitsgruppe im Frühjahr 1991 dem Bremer Parteitag der SPD als Vorbedingungen für die Bejahung eines deutschen Blauhelmeinsatzes vorgelegt hat1. Die SPD zeigte jedoch ein weiteres Mal ihre mangelnde Entschiedenheit in schicksalhaften politischen Grundsatzfragen, indem sie mehrheitlich lediglich einen wesentlich schwächeren Text verabschiedete. Für die Friedensbewegung aber wird es umso mehr zu einer zentralen Zielsetzung, sich für eine Demokratisierung und einen wesentlichen Machtzuwachs der UN auf Kosten nationaler oder regionaler (NATO-)Militärsysteme einzusetzen. Die Frage ist freilich, ob dieses Ziel überhaupt erreichbar ist oder ob es eine Illusion bleibt. Als solche bezeichnete es der langjährige Vorsitzende des »Arbeitskreises Atomwaffenfreies Europa«, der Philosoph Ernst Tugendhat.

Tugendhats möglicher Trugschluß

Ernst Tugendhat leugnete 1987, noch ganz im Banne der Supermacht-Konkurrenz zwischen der USA und der UdSSR, die realistische Denkmöglichkeit eines friedensstiftenden »Weltstaats«, obwohl er langfristig vielleicht der einzige Schutz gegen eine Selbstzerstörung der Menschheit sei: Da die meisten Menschen, nicht zuletzt die Machteliten, jedoch „nicht in der Lage (sind), die langfristigen kollektiven Interessen zu berücksichtigen, wenn ihnen kurzfristige Interessen widersprechen“, und da die Staaten zur Verwirklichung eines »Weltstaats«, sprich einer UN-Friedensmacht, kurzfristig Machtpositionen abgeben müßten, bleibe dieser »unwahrscheinlich« es sei denn, eine Weltmacht setze ihn mit einem vernichtenden Krieg durch: „Der einzige denkbare Versuch, einen Weltstaat zu realisieren, bewirkt also gerade das, was der Weltstaat verhindern sollte“2.

Die negative Dialektik scheint plausibel. Zum Glück aber leidet sie aufgrund der all zu starken soziologischen Vereinfachung, die allen solchen klar scheinenden logischen Gedankenschritten eigen ist, an einem möglichen Trugschluß: Staaten sind nicht gleich Staaten, und »langfristiges« Interesse kann durchaus zum »kurzfristigen« werden. Viele kleinere und mittlere Staaten sind, wie die Geschichte zeigt, sehr wohl bereit, (Militär-)Macht, ja erhebliche Elemente ihres Gewaltmonopols an eine (Bündnis-)Zentrale abzugeben, wenn die von Großstaaten oder von der allgemeinen Anarchie des Krieges aller gegen alle ausgehende Existenzbedrohung greifbar naherückt. Und wenn die Staatengemeinschaft und ihre Militärpotentiale nicht mehr (wie noch zur Zeit des Vortrags von Ernst Tugendhat) als zwei Gravitationsfelder, wie Eisenspäne um die beiden Enden eines Magneten, auf zwei um die Weltmacht konkurrierende Supermächte fixiert sind, sondern wenn nur eine Supermacht existiert, deren Führungsrolle in jeder Hinsicht fragwürdiger wird, so könnte auch das kurzfristige Interesse der Staatengemeinschaft schnell wachsen, angesichts zunehmend selbstzerstörerisch sich entwickelnder Weltverhältnisse anstelle der jetzigen ohnmächtigen Vereinten Nationen eine handlungsfähige föderale Welt-Autorität zu schaffen. Und die zur Zeit noch im Sicherheitsrat privilegierten Staaten: Frankreich, England, Rußland (!), China und vor allem die USA würden ihre Vorrechte kaum aufrechterhalten können, wenn die große Mehrheit der Staaten eine demokratisierte und auf hochgradiger Konsensbildung basierende Entscheidungsstruktur der UN, also deren grundlegende Reform, einfordern würde. So könnte, der Not gehorchend, sehr wohl ein Weltstaat entweder als friedenssichernder Staatenbund oder aber als Bundesstaat objektiv real möglich werden. Die Einwände Tugendhats gegen den Realitätsgehalt der Utopie eines friedensstiftenden Welt-Staatenbundes würden dann obsolet. So schnell ändert Geschichte oft, kaum vorhersehbar, die wie ehern erscheinenden Grund-Annahmen der Politischen Philosophie3.

Weitere Einwände gegen eine UN-Friedensmacht: Zum Beispiel Wolf-Dieter Narr

Auch heute freilich erheben friedensbewegte Sozialtheoretiker noch und wieder ihre Stimme gegen die Delegation eines Gewaltrechts (wenn schon nicht: -monopols) an die Vereinten Nationen. Leider erschöpfen sie sich, statt präzise Argumente vorzutragen, meist in einer allgemein bleibenden Argumentation, exemplarisch bei Wolf-Dieter Narr, der gegen ein selbstgemaltes Schreckensbild eines „Leviathans der Leviathane“ ankämpft4.

Im Rahmen dieses Artikels kann auf die in der Narrschen Polemik versammelten Argumente der Vor-Verurteilung einer föderativen Friedensmacht der UN nicht en detail eingegangen werden. Auf die gravierendsten Fehlschlüsse sei wenigstens verwiesen:

1. Die von Narr und anderen unentwegt den UN-Friedensmacht-Befürwortern unterstellte Leviathan-Idee eines Welt-Superstaats wird von keinem ernstzunehmenden Theoretiker oder Politiker angestrebt und ist im übrigen völlig unrealistisch: Es geht darum, der zur Zeit fast machtlosen Föderation »Vereinte Nationen« soviel überparteiliche Eingriffsmacht zu verschaffen, daß sie ethnischen Massakern und (Bürger-)Kriegen ökonomisch und/oder militärisch möglichst wirksam entgegentreten kann. Ihr eine „despotisch-terroristische“ Tendenz zu unterstellen (S. 75), entbehrt angesichts der gegebenen UN-Struktur jeder realen Basis und spiegelt nur die alte fundamentalistische Staatsphobie der inzwischen alternden Neuen Linken wider.

2. Wer, wie Habermas, eine pazifizierende Weltinstanz angesichts „einer durch extreme Ungleichheit der Lebenschancen bestimmten Weltgesellschaft“ fordert, dem wird von Narr entgegengehalten, doch besser friedenspolitisch gegen diese im wesentlichen von den „westlichen Weltmächten“ geschaffenen Kriegsursachen zu Felde zu ziehen (S. 71f.), statt nach einem Weltstaat zu rufen: Als wenn solche ebenso richtige wie wohlfeile Langfrist-Strategie hier und jetzt die von materieller Not mitverursachten Massaker aus der Welt schaffen könnte; sie ähnelt dem Rat an die Menschheit, besser den FCKW-Ausstoß zu vermindern statt Schutzcremes gegen die vom Ozonloch ausgehende Hautkrebsgefahr zu benutzen. Die zweifellos notwendige „Kritik an der kapitalistischen Wachstumsökonomie und ihrer … machtversessenen Dynamik“ (S. 77) – ein Jahrhundertwerk! – kann uns doch nicht der Aufgabe entheben, gegenwärtig alle Kräfte gegen die militaristische Austragung der (nicht nur, aber auch) von ihr ausgelösten Konflikte zu unternehmen.

3. In den „diversen Weltstaatideen“ kommt nach Narr die „alte Suche nach … der Erlösung von Politik zum Ausdruck“; die Verantwortung soll „auf die…Instanz eines Weltstaats übertragen“ werden (S. 73). Umgekehrt wird ein Schuh draus: Viele Politiker wie (Friedens-)Wissenschaftler haben erkannt, daß die – notwendigerweise parteiischen – nationalen wie regionalen politischen Akteure (allen voran die NATO) weder die Kraft noch die moralische Autorität und Akzeptanz besitzen, die ethnischen Konflikte und Kriege auf dieser Welt zu beenden, und daß heute einzig noch die Vereinten Nationen, sofern sie reformiert werden, diese machtvolle Autorität gewinnen können.

4. Laut Narr machen sich die Befürworter einer UN-Friedensmacht keine Gedanken „über Struktur, Prozedur und Legitimation des herbeigewünschten … Weltstaats (und seiner die UNO verändernden Vorformen)“ (S. 74). Abgesehen davon, daß ich zumindest in der friedenspolitischen Debatte niemanden kenne, der nicht genau diese notwendigen Strukturveränderungen ausdrücklich einforderte: Wenn es in der Tat naive UNO-Gläubige unter den politischen wie den theoretischen Akteuren gibt, dann wäre es die verdammte Pflicht und Schuldigkeit kritischer Friedensforscher, eben diese Naivität durch konsequente UN-Reformkonzepte zu destruieren, nicht aber mit der Naivität die ganze UNO-Idee zu denunzieren! Statt es sich leicht zu machen und im Blick auf eine notwendige Weltfriedensmacht zu erklären, ihr „Mangel an Kontrollmöglichkeit (solle) nicht thematisiert werden“ (S. 76), wäre genau dies das Geschäft des ansonsten so demonstrativ-engagierten Demokratietheoretikers, wenn er sich auf der Höhe der Zeit und ihrer global gewordenen Notstände bewegen will.

Zunahme der Chaoskräfte

Es könnte sich in wenigen Jahren und Jahrzehnten erweisen, daß die Chaoskräfte die politischen Systeme der heutigen Nationalstaten in einem solchen Ausmaß erschüttern, daß die heute vielen noch utopisch erscheinende Forderung nach sehr machtvollen Eingriffsmöglichkeiten von UN-Autoritäten unmittelbar zur »Tagesfrage«, zur akuten Überlebensfrage wird. Denn es geht nicht nur um die Schwel- und Flächenbrände der ethnisch-sozialen (Bürger-)Kriege und ihre Folgen, die jegliche sozio-ökonomische Stabilität bedrohenden Flüchtlings-Völkerwanderungen, sondern auch um

  • die strukturelle Kriminalität des nationalstaatlich nicht einzudämmenden internationalen Waffenhandels, der diese Kriegsschrecken erst ermöglicht; weiterhin aber auch um
  • die ökologische Selbstzerstörung der Menschheit: ihr Krieg gegen die Natur, sowie um
  • die durch Kapitalismus und endogene Politikunfähigkeit (vor allem: mangelnde Bevölkerungspolitik) erzeugte Massenarmut. Und nicht zuletzt droht
  • die generelle Kriminalisierung und Dehumanisierung der internationalen sozio-ökonomischen Beziehungen (organisiertes Verbrechen; insbesondere Drogenhandel).

All diese schon existenten oder sich entwickelnden Menschheitskatastrophen kann keine nationale Regierung aufhalten – schon gar nicht ein »peace enforcement« der NATO. Nicht idealistische Utopien, sondern die katastrophalen, selbstmörderischen Entwicklungen der Menschheit sind es, die nach einer UN als Weltfriedensmacht schreien.

UN-Wirtschaftsmacht wichtiger als Militärmacht

Nun hat es der Ausgang des Kuwait-Konflikts, des Golfkriegs, gezeigt und es zeigt sich von Tag zu Tag mehr angesichts der zunehmenden Selbstzerstörung Jugoslawiens, daß militärisches Eingreifen der UN (oder von wem auch immer) nur in seltenen Fällen und als »ultima ratio« friedensstiftend sein kann. Daher sollte Friedenspolitik und die Friedensbewegung mit Nachdruck gegen die Überbetonung der notwendigen militärischen Stärkung der UN Stellung beziehen. Bedeutend wirksamer, weniger zerstörerisch und daher politisch wichtiger ist die Stärkung und Effektivierung der UN-Autorität im Interesse ökonomischer Straf- und Embargo-Maßnahmen: die – allerdings militärisch zu sichernde – Verhinderung von Aus- und Einfuhren (speziell: von Öl und Waffen!), die Sperrung von Auslandskonten und Krediten sowie des Kapitaltransfers – also eine stufenweise zu radikalisierende Blockadepolitik. Diese trifft unvermeidlicherweise zwar auch die Bevölkerung, aber sie trifft mittelfristig weitaus wirksamer als alle anderen denkbaren Maßnahmen gerade die ökonomischen, politischen und militärischen Machteliten, die von den eben genannten unmenschlichen Politikformen profitieren bzw. ihre Machterhaltung erhoffen. Erinnert sei nur an Südafrika: Niemand hätte noch vor wenigen Jahren die Aufgabe der Apartheit-Politik seitens einer Mehrheit der herrschenden weißen Bevölkerung zu prognostizieren gewagt, und es steht fest, daß der zunehmende ökonomische Niedergang Südafrikas infolge der – ja keineswegs radikalen – ökonomischen Boykottpolitik wichtiger Länder und der mangelnden Investitionsbereitschaft vieler Konzerne dabei eine entscheidende Rolle gespielt hat. Keine politisch-ökonomisch-militärische Machtelite eines Landes kann sich in unseren ökonomisch verflochtenen, von Rohstoffen und Handel abhängigen Gesellschaften lange an der Macht halten, wenn ihr die wirtschaftlichen Verbindungswege nach außen verläßlich gesperrt werden. Was aber militärische Einsätze betrifft, so kann ich im Rahmen dieses Beitrags nur drei Essentials formulieren:

Erstens sollten militärische UN-Kräfte, die den Namen des peace enforcement verdienen, primär dazu dienen, mit glaubwürdiger Interventionsmacht beschlossene politische und Wirtschaftssanktionen – insbesondere Ein- und Ausfuhrverbote – auch tatsächlich durchzusetzen, also die Handelswege wirksam kontrollieren. (Gegenwärtig lesen wir doch täglich von Geschäftsleuten, die die Wirtschaftsblockade gegen Serbien erfolgreich zu durchbrechen verstehen!)

Zweitens können direkte militärische UN-Aktionen wahrscheinlich nur entweder durch Blitzaktionen gegen diktatorische Machtübernahmen (Putsche) demokratische und rechtsstaatliche Strukturen retten (ein wegen der notwendigerweise langatmigen UN-Entscheidungsprozesse eher unwahrscheilicher Fall) – oder gegen holocaust-artige bzw. anarchische, von »Milizen« ausgeübte, der politischen Führung entglittene Kriegsverbrechen, wie wir sie derzeit in Jugoslawien erleben, durch lediglich »chirurgische« Eingriffe intervenieren (also durch Zerstörung von Waffenfabriken, Depots, Flugplätzen, schweren Waffen etc.), nicht aber durch u.U. endlose, die Kriegshandlungen eher vervielfältigende Einmischung in die – oft guerillaartigen – Kampfhandlungen vor Ort. Lebenswichtig dagegen kann ihr Einsatz zur kurzfristigen Versorgung der Zivilbevölkerung mit dem zum Überleben Notwendigsten sein – durch bloßen Blauhelmeinsatz ist dies offensichtlich nicht zu garantieren.

Drittens muß es bei dem Grundsatz bleiben, über den in der Bundesrepublik zwar – noch – Konsens besteht, der aber durch Aktionen in der Grauzone – Beteiligung deutscher Piloten an Aufklärungsflügen über Jugoslawien und Entsendung deutscher Soldaten für »humanitäre« Aufgaben nach Somalia – und durch scharfmacherische Äußerungen im CDU-Lager infragegestellt zu werden beginnt: daß aufgrund der schweren Hypothek militaristischer Verbrechen, die Deutschland im 1. und 2. Weltkrieg auf sich geladen hat, deutsche Beiträge im Rahmen friedenserhaltener Aktionen der UN auf absehbare Zeit keine militärischen sein dürfen. Stattdessen würde es deutschen Politikern, aber auch der Friedensbewegung wohl anstehen, den alten Gedanken der »Peace Corps«5, – neuerdings von Pax christi, der Evangelischen Kirche Brandenburgs, von OHNE RÜSTUNG LEBEN u.v.a. wiederentdeckt – zu aktualisieren: Die Aufstellung und Entsendung von freiwilligen »Friedensbrigaden« in Katastrophen- und Notstandsgebiete der Welt – weitaus breiter angelegt und besser ausgestattet als der Tropfen auf dem heißen Stein, genannt »Deutscher Entwicklungsdienst«.

Anmerkungen

1) Vgl. Frankfurter Rundschau vom 19.5.1991; vgl. hierzu auch den am 4.12.1991 von der SPD-Fraktion vorgelegten Antrag zur Reform und Demokratisierung der UNO (Drucksache 12/1719). Zurück

2) Ernst Tugendhat, Überlegungen zum Dritten Weltkrieg, in: DIE ZEIT vom 27.11.1987, S. 76. Zurück

3) Ernst Tugendhat rückte inzwischen in seinem Antwortbrief auf meine Kritik vom 22.11.1992 von seinem damaligen Standpunkt ab: „In der Tat vertrete ich nicht mehr die Auffassung von 1987. Ich habe mich da zuletzt in einem Vortrag …geäußert, er ist im Kursbuch 105…abgedruckt, aber ich stand damals noch zu sehr unter dem Eindruck des Golfkriegs und würde jetzt, nach Jugoslawien usw., die Akzente anders setzen.“ Zurück

4) „Bringt der Weltstaat Frieden?“, in: P. Krasemann (Hg.), Der Krieg – ein Kulturphänomen?, Berlin 1992, S. 58ff. Zurück

5) <>J. F. Kennedy, lange vor ihm Eugen Rosenstock-Huessy mit seinem Konzept eines »Weltfriedensdienstes«; vgl. die Zusammenfassung der Rosenstockschen Konzeption: Fritz Vilmar, Ein Weltfriedensdienst, in: Frankfurter Hefte 12/1958 (!), 841ff.<> Zurück

Fritz Vilmar ist Vorsitzender des Arbeitskreises atomwaffenfreies Europa und Professor an der FU-Berlin (Otto-Suhr-Institut).

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1993/2 Das UN-System, Seite