Die unheilige Allianz mit dem irakischen Diktator
von Mohssen Massarrat
Es sind inzwischen sechs Wochen seit der Militäraktion der anglo-amerikanischen Allianz »Wüsten-Fuchs« vergangen. Die vermeintlichen Kriegsziele, „die irakischen Massenvernichtungsmittel zu zerstören und Saddam Hussein zu stürzen“ haben sich als das herausgestellt, was sie von vornherein waren, nämlich eine bewusste Irreführung der Weltöffentlichkeit zur Rechtfertigung einer Militäraktion, die eine völlig anders gelagerte, einerseits global-strategisch und andererseits geostrategisch eigene Logik besitzt. Wären irakische Massenvernichtungsmittel als Kriegsziel lokalisierbar gewesen, wären sie vorher durch UNSCOM entdeckt worden. Auch die offizielle Rhetorik zum Sturz von Saddam Hussein lenkt davon ab, dass das irakische Regime ein besonders nützliches Element der US-amerikanischen Geostrategie darstellt.
Der Irak-Konflikt ist wegen seiner doppelten globalen und geostrategischen Funktion komplizierter als der Bosnien- bzw. Kosovo-Konflikt. Die Analyse beider Dimensionen dieses Konflikts ist für eine substanzielle Neuorientierung deutscher bzw. europäischer Außen- und Friedenspolitik, sofern eine solche Neuorientierung überhaupt angestrebt wird, unverzichtbar.
Globalstrategische Dimension des Irak-Konflikts
Die Herstellung, Aufrechterhaltung und Vertiefung einer US-amerikanisch dominierten Weltordnung, die eine militärische Durchsetzung nationaler Interessen unter Hinnahme kalkulierbarer Risiken für die Weltgemeinschaft einschließt, ist kein Hirngespinst linker »Antiamerikaner«, sondern eine bittere Wahrheit. Diese aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangene Weltordnung wurde durch die ideologische und militärische Gegenmacht Sowjetunion massiv zurückgedrängt und durch das atomare Patt praktisch disfunktionalisiert. Die Überwindung der atomaren Pattsituation durch die NATO-Strategie der flexible response und die Stationierung von Mittelstreckenraketen in den 80er Jahren in Europa war die gefährlichste Reaktion der US-Global- und Militärstrategen, um die Supermacht aus der Sackgasse herauszuführen und deren globale Interventionsfähigkeit in allen Himmelsrichtungen wiederherzustellen. Der Zusammenbruch der Sowjetunion macht den risikoreichen und kostspieligen Umweg über „flexible response und die Führbarkeit von begrenzten Atomkriegen“ überflüssig. Der zweite Golfkrieg lieferte der US-Regierung den historischen Anlass, die neue amerikanisch dominierte Weltordnung mit einer störungsfreien eigenen Interventionsfähigkeit jenseits von Völkerrecht, UNO und Sicherheitsrat Stück für Stück durchzusetzen. Bereits nach dem zweiten Golfkrieg kündigte die US-Regierung an, in Zukunft notfalls auch auf eine Legitimation ihrer militärischen Handlung durch die UNO verzichten zu wollen (Paech 1999). Im Bosnien-Konflikt wurde alles getan, um die UN als friedenspolitisch handlungsunfähig zu desavouieren, und damit die NATO als einzige friedenssichernde Macht ins Spiel zu bringen. Der Kosovo-Konflikt diente und dient dazu, die NATO widerspruchslos auf eine neue Strategie zu verpflichten, die „die Option zum weltweiten militärischen Handeln der NATO auch ohne UNO-Mandat und zur Drohung mit dem Einsatz atomarer Waffen gegen sogenannte Schurkenstaaten“ ausdrücklich festschreibt (Zumach 1998). Militärische Angriffe durch cruise missiles auf den Sudan und Afghanistan und schließlich die Militäraktion »Wüsten-Fuchs« gegen den Irak ohne Zustimmung des Sicherheitsrats sind die letzten Vorstöße der USA, die Vereinten Nationen und das Völkerrecht zu unterhöhlen und nationale Interessen militärisch störungsfrei durchzusetzen.1 Die neue US- und NATO-Strategie steht hinsichtlich ihrer Risiken in der Tradition der immer noch gültigen atomaren Strategie der
flexible response. Neu ist ihre ideologische Rechtfertigung im Gewand einer „humanitären bzw. friedensstiftenden Intervention“ (Bosnien- und Kosovo-Konflikt) bzw. „Verteidigung des Völkerrechts und UN-Resolution“ (Irak-Konflikt). Wie kann man aber „ein Regime zur Einhaltung der UN-Resolutionen mit Maßnahmen zwingen, die ihrerseits den Sicherheitsrat aushebeln und dem Völkerrecht hohnsprechen? Wie kann man die Staaten dieser Welt auf ein Völkerrechtssystem verpflichten, dem man die Gefolgschaft selbst verweigert? Welche Reaktionen wird man in Zukunft von Russland und China erwarten können, deren Veto im UN-Sicherheitsrat derart offensichtlich ausmanövriert wurde?“ So fragt der Völkerrechtler Norman Paech in einem bemerkenswerten Beitrag (Paech 1999). Gerade vor dem Hintergrund dieser realen Gefahren und unkalkulierbaren Risiken der neuen US- und NATO-Strategie auch für Europa spricht es nicht für außenpolitische Autonomie und Weitsicht, wenn ausgerechnet aus dem rot-grünen Lager die anglo-amerikanischen Kriegshandlungen gegen den Iran legitimiert werden. USA und Großbritannien hätten sich gegen den Irak völkerrechtlich korrekt verhalten, behauptet der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Günter Verheugen (SPD), da „der Sicherheitsrat durch gegensätzliche Positionen blockiert (war und) in dieser Situation (sich diese) auf bereits verabschiedete Resolutionen berufen“ hätten (Frankfurter Rundschau vom 19.12.98). Die Schützenhilfe für die anglo-amerikanische Militäraktion gegen den Irak durch Bundeskanzler Schröder (“unserem Bündnispartner gilt die bedingungslose Solidarität“) oder Aussenminister Fischer (Saddam Hussein habe „die Folgen der Militäraktion allein zu verantworten“) ist für die Bereitschaft symptomatisch, sich zum Erfüllungsgehilfen von illegitimen nationalen Interessen der USA und ihrer gefährlichen Globalstrategie degradieren zu lassen.
Auf die schrittweise Ausgestaltung der neuen US- und NATO-Strategie der Aushebelung der UNO, haben scharfsinnige Kommentatoren in kritischen deutschen Medien immer wieder hingewiesen.2 Bei der Militäraktion gegen den Irak wurde allerdings nahezu durchgehend die ebenso bedeutsame geostrategische Dimension des Konflikts vernachlässigt, die im folgenden näher beleuchtet wird.
Die geostrategische Dimension des Irak-Konflikts
In keinem anderen Konflikt funktioniert die anglo-amerikanische Koalition so reibungslos wie bei Militäraktionen gegen den Irak, das war schon im zweiten Golfkrieg so und auch bei allen darauffolgenden diplomatischen und kriegerischen Auseinandersetzungen in diesem Kontext. Allein die Tatsache, dass britische Regierungen konservativ oder labourgeführt bereitwillig und bedingungslos im Irak-Konflikt mit den US-Regierungen an einem Strang ziehen, verweist auf eine besondere Interessenkonstellation beider Staaten in einer geostrategisch wegen der Ölvorkommen (66% der Weltölreserven lagern im Mittleren Osten) bedeutenden Region.
Das Regime von Saddam Hussein ist durch die Militäraktion »Wüsten-Fuchs« erwartungsgemäß nicht geschwächt, sondern gestärkt worden. Die irakischen Oppositionsgruppen wurden dagegen an den Rand gedrängt. Letztere hatten keine andere Wahl, als eine offensichtlich willkürliche Militäraktion anglo-amerikanischer Allianz abzulehnen und damit die Legitimation des Regimes von Saddam Hussein, das sich als Opfer einer christlich-abendländischen Aggression in Szene setzen konnte, zu stärken. Die übergroße Zahl der irakischen Bevölkerung und auch Bevölkerungen anderer arabischer Staaten empfinden die Demütigung durch westliche Militäraktionen gegen den Irak als eine größere Last als das irakische Unrechtsregime und die Bedrohungen, die von diesem Regime ausgehen. Spontane Demonstrationen in Syrien, Palästina, Ägypten, Jordanien und anderen arabischen Staaten gegen westliche Bomben auf Irak belegen dies. Das irakische Regime kontrolliert uneingeschränkt die Ölproduktion, den Außenhandel und vor allem die Nahrungsmittelversorgung. Das siebenjährige Sanktionsregime hat nach UN-Angaben einer Million Irakerinnen und Irakern, darunter eine halbe Million Kinder, das Leben gekostet,3 das irakische Regime jedoch keineswegs geschwächt. Ganz im Gegenteil wurde dadurch Saddam Hussein durch die Kontrolle der Nahrungsmittelversorgung die Rolle eines Garanten für die Versorgungssicherheit der Bevölkerung zugewiesen, den schon aus Überlebensinteressen niemand in Frage stellt. Die Wirtschaftssanktionen der UNO verschaffen dem Regime von Saddam Hussein eine wichtige Legitimationsgrundlage, und dieser wird nunmehr aus der Opferposition heraus offensiver als bisher die bedingungslose Aufhebung von Sanktionen fordern und seinerseits das militärische Katz-und-Maus-Spiel aufrechterhalten.
Saddam Hussein ist das Produkt der anglo-amerikanischen Politik
Saddam Hussein für die militärischen Bedrohungen und für den Konflikt mit den Vereinten Nationen allein verantwortlich zu machen, resultiert aus einer selektiv westlichen Wahrnehmung. Historisch gesehen ist das irakische Regime Produkt einer Politik, die Großbritannien und die USA im Nahen und Mittleren Osten in diesem Jahrhundert konsequent verfolgten. Zu dieser Politik gehört der Sturz von demokratischen Regierungen, z.B. die Regierung Mossadegh im Iran, und die Unterstützung von diktatorischen Regimen, wie dem amerikafreundlichen Schah-Regime, dem fundamentalistischen saudischen Regime und der Scheichtümer am Persischen Golf. In keinem einzigen Fall haben die USA und Großbritannien die Demokratisierung und den Schutz von Menschenrechten in der Region konkret unterstützt. Dagegen haben sie die positiven Werte westlicher Zivilisation, wie Menschenrechte und Demokratie, im Nahen und Mittleren Osten in diesem Jahrhundert durchgängig einem einzigen Ziel, nämlich dem Zugriff auf das billige Öl, geopfert. So sind die islamisch-arabischen Völker der Region hauptsächlich mit der häßlichen Seite westlicher Zivilisation, mit ihrem Drang, die Ölquellen unter die eigenen Fittiche zu bringen, mit ihren Panzern oder treffsicheren Raketen in Berührung gekommen. Durch einseitige Parteinahme für Israel und dessen völkerrechtswidrige Besatzungspolitik wurzelte bei ihnen ein tiefgreifendes Misstrauen gegenüber der Völkergemeinschaft und den universellen Rechten. Hierin sind die tieferen Ursachen antiwestlicher Ressentiments und islamistischer Bewegungen begründet, für die die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich und andere europäische Staaten die Hauptverantwortung tragen. Diese schürten zwischen den Staaten in der Region Misstrauen, Zwietracht und Krieg.
Durch umfangreiche Waffenexporte in den siebziger Jahren in den Iran, nach Saudi-Arabien und später auch in den Irak schufen sie die Grundlage für den iranisch-irakischen Krieg. Während dieses acht Jahre andauernden Krieges belieferten sie beide Seiten gezielt mit Waffen. Als Saddam Hussein eine militärische Niederlage drohte, griffen sie zu seinen Gunsten in das Kriegsgeschehen ein, um einen militärischen Sieg des Iran zu verhindern. Als Saudi-Arabien und Kuwait sich weigerten, irakische Schulden als Gegenleistung für den Krieg gegen den Iran zu begleichen, überfiel Saddam Hussein Kuwait und verfügte schlagartig über fast 19% der Weltölreserven. Durch die Schwächung der »OPEC-Tauben« um Saudi-Arabien und die Stärkung der »OPEC-Falken« um Iran/Irak geriet die Perspektive neuer Ölpreissteigerungen und eine Wiederbelebung der OPEC-Kartellmacht in den Bereich des Möglichen. So wurde der Irak, hauptsächlich um diese Entwicklung zu verhindern, aus Kuwait hinausgeworfen und die irakische Armee dezimiert, Saddams Regime jedoch belassen. Die Fortexistenz dieses Regimes sorgt für die Aufrechterhaltung des Misstrauens und des Wettrüstens in der Region, die alte außenpolitische Maxime Großbritanniens von Spalten und Regieren oder von Balance of Power im Jargon des militärstrategischen Diskurses kommt zur vollen Geltung, die Golfstaaten werden ökonomisch und militärisch vom Westen abhängiger als je zuvor. Statt zivile Strukturen aufzubauen, wird militärischen Strukturen und gesellschaftlichen Gewaltpotentialen neuer Auftrieb gegeben.4
Die erneute Zerstörung der militärischen Macht Saddam Husseins steht in dieser Logik der Balance of Power. Denn Saddam bekommt so Gelegenheit, seine militärische Macht wieder aufzubauen und der anglo-amerikanischen Allianz den Vorwand für den nächsten Militärschlag zu liefern.5 Andererseits werden dadurch der Angst, der Zwietracht und dem Wettrüsten in der Region neue Impulse gegeben. Solange Saddams Regime weiter besteht, erscheint auch die direkte militärische Präsenz von USA und Großbritannien in der Region als unabdingbar. Aus der Perspektive westlicher Geo- und Militärstrategen ist das Regime von Saddam Hussein ein Bestandteil dieser Strategie – wäre dieses nicht da, hätte es erfunden werden müssen. Ein Zerfall des Irak in drei Teile als Folge eines Sturzes des Regimes von Saddam Hussein würde für die anglo-amerikanischen Geostrategen zu einem Problem. Am meisten fürchten sie jedoch eine tragfähige Friedensordnung in der Region, die ihrer Politik der Balance of Power dauerhaft den Boden entzieht. Vor allem aus diesem Grund wurde und wird trotz anderslautender Rhetorik ein Sturz des irakischen Regimes nicht ernsthaft in Erwägung gezogen.
Machtpolitische Rationalität anglo-amerikanischer Allianz
Großbritannien und USA verfolgten in diesem Jahrhundert im Mittleren Osten, der ölreichsten Region der Welt, ein doppeltes Ziel: Erstens, ihre eigene Energieversorgung mit dem billigen Öl zu sichern und zweitens über das Instrument militärischer Verteidigung „vitaler Interessen des Westens“ ihrer Großmachtposition auch innerhalb der NATO zusätzliches Gewicht zu verleihen. Alles spricht dafür, dass sie diese Option auch im 21. Jahrhundert nicht aus der Hand geben wollen. Vielmehr sind sie dabei, durch die Integration der Kaspischen-Meer-Region in ihre Geostrategie, ihre noch immer innerhalb der westlichen Allianz herrschaftspolitisch sehr wirksame Option, im Mittleren Osten Interessen aller westlichen Staaten zu »verteidigen«, weiter auszubauen. Im Lichte dieser Geostrategie hat die obstruktive Haltung der USA bei den bisherigen Verhandlungen für eine Klimakonvention neben der innenpolitischen Dimension (Beibehaltung des gegenwärtigen Energiekonsums) auch eine außenpolitisch-geostrategische Komponente. Durch konsequente Verbrauchssenkung fossiler Energieträger würden die Ölreserven des Mittleren Ostens ihr gegenwärtiges Gewicht für die Energieversorgung, folglich auch ihre strategische Relevanz, einbüßen.
Während die USA Westeuropa und Japan auch im 21. Jahrhundert mit ihrer militärisch absolut dominanten Position in der NATO und mit dem energiepolitischen Hebel in die Zange nehmen wollen, verschafft sich Großbritannien über denselben geostrategischen Hebel als ökonomisch zweitklassiger Staat in der EU eine Position, die es mit den ökonomischen Riesen Frankreich und Deutschland auf eine Stufe hebt. So gesehen ist Großbritannien weder ein Trittbrettfahrer noch ein Satrap der Vereinigten Staaten, wie unterschätzend behauptet wird, sondern eine nach wie vor militärische Großmacht mit kolonialer Erfahrung und eigenen Ambitionen gegenüber ökonomisch stärkeren EU-Staaten.
Erfolgreiche Strategie des billigen Öls, aber zu wessen Lasten?
Die USA und Großbritannien sind auch mit ihrer Strategie des billigen Öls bisher sehr »erfolgreich«. Die Ölquellen des Mittleren Ostens sprudeln reichlich und die Ölpreise sinken, nach einem kurzen OPEC-Intermezzo, ununterbrochen seit 1985, das Öl mit ca. 9 US-Dollar je Barrel war inflationsbereinigt noch nie so billig wie heute. Die OECD-Verbraucher sparen dadurch, legt man einen Preisrückgang von ca. 10 US-Dollar je Barrel innerhalb der letzten 12 Monate zugrunde, in einem Jahr ca. 360 Milliarden US-Dollar an Energiekosten ein. Das geht freilich zu Lasten aller Erzeuger fossiler Energien, zu Lasten der Umwelt und des Klimas, es fördert einen höheren Energiekonsum.6 Diese von Großbritannien und den USA bisher und unabhängig von der politischen Ausrichtung der jeweiligen Regierung verfolgte Strategie ist sozial, friedenspolitisch und ökologisch eine Sackgasse und dazu noch ein Riesenskandal. Sie hat in den meisten Staaten im Nahen und Mittleren Osten soziale Deformation, Gewalt, Krieg, Zerstörung von Infrastruktur und Kultur sowie politischen Extremismus und politisch instabile Systeme hervorgerufen. Eine Reihe der Ölerzeugerstaaten stehen am ökonomischen und politischen Abgrund, die zaghaften Demokratisierungsschritte z.B. im Iran stehen auf der Kippe.
Alternative Lösungen
Und was ist die politische Alternative Europas zu dieser zukunftslosen anglo-amerikanischen Strategie für den Nahen und Mittleren Osten? Zuschauen oder die peinliche Zustimmung zu der gefährlichen Politik des Bündnispartners als Politikersatz verkaufen? Eine Mischung aus kurzfristigen und geostrategischen Eigeninteressen an »störungsfreier« Ölversorgung und am billigen Öl in Verbindung mit der Unfähigkeit, die Gefahren der US-Strategie zu erkennen und zu durchbrechen, bestimmt die Untätigkeit europäischer Regierungen.
Das Angebot von logistischer Hilfe an die anglo-amerikanische Allianz, bei dem Poker um geostrategische Optionen mitmischen zu wollen, wie es SPD-Politikern wie Hans Ulrich Klose vorschwebt, ist nichts als ein Indiz für die eigene Konzeptionslosigkeit. Noch weitreichendere Überlegungen deutscher Christdemokraten, wie Karl Lamers, durch eigene militärische Optionen und Interventionsfähigkeiten für Nordafrika und den Nahen Osten über den »Hilfstruppenstatus« hinauszukommen7 und der anglo-amerikanischen Zangenpolitik gegenüber den EU-Staaten entgegenzuwirken, sind gefährlich und eröffnen ebenfalls keine Perspektive für eine europäisch mitgetragene Friedensordnung im Nahen und Mittleren Osten.
Wer aber Europa sozial, ökologisch, ökonomisch und friedenspolitisch umgestalten will, muss gleichzeitig auch eine dazu passende und langfristig angelegte Friedensordnung für den Nahen und Mittleren Osten entwerfen. Zu einem solchen Entwurf gehören:
- Erstens die konsequente Reduzierung von Waffenexporten in die Region,
- zweitens die Unterstützung aller Bemühungen für einen regionalen Sicherheits- und Friedenspakt, der den Nahost- und Kurdistankonflikt und einen Abrüstungsprozess gerade im Bereich der Massenvernichtungsmittel mit einschließt,
- drittens die Förderung des Aufbaus von zivilen Strukturen und Demokratisierungsprozessen, wo sie auch immer in Gang kommen,
- viertens die Forcierung eines intensiven interkulturellen Dialogs zwischen Europa und der Region und nicht zuletzt
- fünftens eine gemeinsame Energieversorgungs- und Klimastrategie, die die klimapolitischen Anforderungen der Energie- und CO2-Reduktion mit langfristigen Interessen der Ölerzeugerstaaten in Einklang bringt.
Am Beispiel des Irak-Konflikts zeigt sich, dass regionale und globale Entwicklungs-, Umwelt-, Friedens- und Strukturpolitik für eine nachhaltige Entwicklung zusammengehören.
Die skizzierte Langzeitperspektive für den Nahen und Mittleren Osten stellt besondere Anforderungen an die Lösungsalternativen für den aktuellen Irak-Konflikt. Sie ermöglicht aber auch den Entwurf von realisierbaren Sofortmaßnahmen: Ein weiteres Katz-und-Maus-Spiel auf der Suche nach irakischen Massenvernichtungsmitteln ist sinnlos und verlängert nur noch den Konflikt, ganz im Sinne der oben skizzierten anglo-amerikanischen Strategie. Statt dessen müssen Sofortmaßnahmen eingeleitet werden, die das Regime von Saddam Hussein national, regional und international isolieren und den Handlungsspielraum für den Aufbau, für die Vernetzung und demokratische Konsensfindung irakischer Oppositionsgruppen nachhaltig stärken. Zu diesem Zweck verzichtet
- erstens der UN-Sicherheitsrat auf die Entsendung von UNSCOM und arbeitet
- zweitens einen neuen und stringent konditionierten Mehrstufenplan für die Aufhebung von Sanktionen aus, der die einzelnen Planstufen von Bedingungen, wie Verbot von Waffenproduktion und Waffenimporten, Verwendung der Öleinnahmen ausschließlich für zivile Versorgung und Aufbauprojekte, Schutzgarantie für die Einhaltung von Menschenrechten, Zulassung von Parteien und unabhängigen Medien etc. abhängig macht. Der UN-Sicherheitsrat beschließt
- drittens eine zivile Kommission (UNCCOM) zur Kontrolle und Durchführung der Aufhebung des UN-Sanktionsplans, insbesondere der Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung, die vor allen Dingen aus Vertretern arabisch-islamischer Staaten sowie den drei relevanten innerirakischen Bevölkerungs- (bzw. Oppositions-)spektren: schiitische Araber, sunnitische Araber und sunnitische Kurden zusammengesetzt ist.
Saddam Hussein, Bill Clinton und Toni Blair werden vermutlich als schärfste Gegner der oben skizzierten Alternative zum militärischen Katz-und-Maus-Spiel auftreten. Mit dieser gewaltlosen Perspektive wäre ein neuer Weg eröffnet, ihnen ihre bisherigen außenpolitischen Handwerkzeuge und Legitimationsmuster aus der Hand zu nehmen. Saddam Husseins Taktik, die irakische Bevölkerung gegen die UNO aufzuhetzen, bliebe wirkungslos, da nun anstelle von UNSCOM und Butler die UNCCOM treten würde, an der Araber, Moslems und Vertreter der irakischen Opposition mitwirkten. Die echte Chance, die eigene Situation an den Strukturen der Regime vorbei wirksam zu verbessern und allmählich den Wiederaufbau in die eigene Hand zu nehmen, verstärkt enorm die Voraussetzungen für eine demokratische Konsensbildung und den notwendigen politischen Klärungsprozess zur Absetzung von Saddam Hussein und zur Bildung einer demokratischen Regierung. Lehnt Saddam Hussein die Mitwirkung an einem derartigen UN-Plan ab, stünde er vor dem eigenen Volk im moralischen, rechtlichen und politischen Abseits. Erst unter diesen Bedingungen ist es realistisch anzunehmen, dass Machtgliederungen des Baath-Regimes abbröckeln, die ihrerseits zu Absatzbewegungen von Saddams Getreuen und schließlich zu seiner Absetzung führen.
Einen derart konzipierten Sanktionsplan in den UN-Sicherheitsrat einzubringen, wäre Aufgabe der EU, und hier vor allem Frankreichs, Deutschlands und Italiens. Die europäische Union hätte so endlich die Möglichkeit, in einem internationalen Konflikt selbst außenpolitisch initiativ zu werden und dabei neue, durchaus realisierbare Wege aufzuzeigen. Tragen die Europäer ihre alternative Strategie politisch geschickt und in der Sache kompromisslos vor, dann hätte die anglo-amerikanische Koalition in den Augen der Weltgemeinschaft schlechte Karten und am Ende arge Legitimationsprobleme, sich einer solchen europäischen Alternative zu verschließen.
Literatur
Paech, Norman (1999): Wer die UNO auf den Müllhaufen der Geschichte wirft, redet einem internationalen Neofeudalismus das Wort, in: Tageszeitung vom 07.01.1999.
Zumach, Andreas (1998): Frieden mit dem Weltpolizisten NATO, in: Tageszeitung vom 10.11.1998.
Schneider, Michael (1998): Washingtoner Obsessionen. Wer schützt den Rest der Welt vor amerikanischer Gewaltanmaßung?, in: Freitag 2 vom 08.01.1999.
Massarrat, Mohssen (1998): Das Dilemma der ökologischen Steuerreform. Plädoyer für eine nachhaltige Klimaschutzstrategie, Marburg.
Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (Hrsg.) (1999): »Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik«, Hamburger Informationen zur Friedensforschung und Sicherheitspolitik 26/1999.
Anmerkungen
1) Über die Völkerrechtswidrigkeit der angestrebten neuen NATO-Strategie gibt es kaum Zweifel. „Will die Bundesregierung diesen völkerrechtswidrigen Weg nicht mitgehen, muss sie ihre Haltung sofort verdeutlichen, ehe sie erneut in eine Zwangslage gerät, die sie nötigt, wider bessere Einsicht zu handeln“. Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik 1999: 19.
2) So z.B. Andreas Zumach in zahlreichen Beiträgen in der Tageszeitung; Norman Paech in einem Kommentar in der Tageszeitung vom 7.1.1999; Michael Schneider im Freitag vom 8.1.1999; Karl Grobe und Anton Andreas Guha in mehreren Leitartikeln der Frankfurter Rundschau.
3) „Für dieses faktum brutum gibt es – UN-Resolutionen hin oder her – nur eine angemessene Bezeichnung: es ist ein stiller Völkermord, dem das christliche Abendland seit nunmehr sieben Jahren stillschweigend zusieht“ (Schneider 1999).
4) Ausführliche Analyse der Folgen von historisch-geostrategischen Interessen anglo-amerikanischer Allianz im Mittleren Osten für die Ölmengen- und Preisentwicklung siehe Massarrat 1998 (bes. Teil II: Mit Geld und Gewalt zu Energieüberproduktion und Dumpingpreisen).
5) SPD-Außenpolitiker Günter Verheugen, der wider besseres Wissen den Krieg gegen den Irak auch nachträglich in einem Interview durch die angeblich „unmittelbare Bedrohung von Anrainerstaaten durch den Irak“ zu rechtfertigen versucht (Neue Osnabrücker Zeitung vom 16.01.1999), warnt die anglo-amerikanische Kriegskoalition vor einer sinnlosen Spirale der Vernichtung und des Wiederaufbaus. „Es kann und darf allerdings nicht immer so weitergehen: Luftangriffe, danach militärischer Neuaufbau, deshalb erneute Luftangriffe und so weiter“ (ebenda). Offensichtlich übersieht Verheugen, dass diese Spirale der Vernichtung und des Wiederaufbaus einen wirksamen Hebel jener Politik von Balance of Power darstellt, die er durch die Parteinahme für die anglo-amerikanische Allianz im Grundsatz verteidigt.
6) Näheres siehe Massarrat 1998.
7) Vgl. Interview mit dem CDU-Politiker Karl Lamers »Europäer müssen sich einmischen«, in Frankfurter Rundschau vom 21.12 1998.
Prof. Dr. Mohssen Massarrat lehrt am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück.