Digitalisierung für friedliche Entwicklung nutzen
Potsdamer Frühjahrsgespräche 2021, sef :, online, 10.-12. Mai 2021
von Ingo Nordmann
Die Digitalisierung in Afrika läuft auf Hochtouren. Online-Tools können Menschen zusammenbringen und dazu beitragen, Gewalt zu verhindern. Die Teilnahme an demokratischen Prozessen wird einfacher und inklusiver. Soziale Bewegungen vernetzen sich zunehmend online und bewirken Veränderungen in ländlichen und städtischen Regionen. Gleichzeitig verbreiten sich Hassparolen im Internet in noch nie dagewesener Geschwindigkeit, autoritäre Regierungen nutzen neue Technologien, um ihre Bürger*innen zu kontrollieren, und extremistische Gruppen rekrutieren Mitglieder online. Diese vielfältigen Auswirkungen der Digitalisierung auf friedliche Entwicklung in Afrika standen im Mittelpunkt der Potsdamer Frühjahrsgespräche 2021. Die Konferenz wurde von der Stiftung Entwicklung und Frieden (sef :) in Kooperation mit der GIZ durchgeführt.
Von Online-Hass zu Gewalt auf der Straße
Nanjala Nyabola, Forscherin und Autorin aus Nairobi, erläuterte am Beispiel des aktuellen Konflikts in Äthiopien, wie Hass im Internet häufig in reale Gewalt auf der Straße umschlägt. Auch Online-Medien können zur Ausbreitung von Gewalt beitragen, wenn Nachrichten über Tötungen geteilt werden und daraufhin gezielte Vergeltungsmorde stattfinden. Die Reichweite und Geschwindigkeit dieser sich gegenseitig anheizenden Kommunikationsprozesse sei laut Nyabola weit höher als vor der Existenz des Internets und sozialer Medien.
Organisationen der afrikanischen Zivilgesellschaften haben innovative Methoden entwickelt, um mit diesen Herausforderungen umzugehen. So bietet beispielsweise die #defyhatenow-Kampagne im Südsudan und anderen Ländern datengestützte Lösungen zur Bekämpfung von Hassparolen und Fehlinformationen im Internet. Wie Programmdirektor Nelson J. Kwaje erklärte, hat die Kampagne auch dazu beigetragen, gefährliche Mythen im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie zu entlarven. Das Unternehmen Tuwindi aus Mali bietet Nutzer*innen Apps an, mit denen sie online verbreitete Informationen auf ihre Richtigkeit überprüfen können, um so die Gefahr von Falschmeldungen zu reduzieren. CEO Tidiani Togola stellte außerdem eine App vor, die vor Wahlen verlässliche politische Informationen online zur Verfügung stellt, damit die Nutzer*innen fundierte Entscheidungen treffen können. Ein weiteres Beispiel ist das Humanitarian OpenStreetMap Team (HOT), das Online-Kartenmaterial nutzt, um schnell und präzise auf Naturkatastrophen oder Gewaltausbrüche in verschiedenen Ländern reagieren zu können.
Macht und Verantwortung von Technologieunternehmen
Dr. Nicole Stremlau (Universitäten Oxford und Johannesburg) ergänzte, dass Technologieunternehmen der Gewalt im Internet in Afrika viel weniger Aufmerksamkeit schenken, als in anderen Teilen der Welt. So würde viel Hassrede in lokalen Sprachen geschrieben, die Unternehmen nicht ausreichend beachten. Ihnen fehlten Sprachkompetenzen für ein effektives Community-Management und die automatisierten Blockier-Algorithmen funktionierten in diesen Sprachen nicht. Folglich könnten Hassparolen in Afrika oft nicht einmal effizient gemeldet, geschweige denn sanktioniert oder verhindert werden. Dies ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass viele dieser Sprachen, wie Amharisch, Hausa und Somali, von mehreren zehn Millionen Menschen gesprochen werden.
Ebenso kritisch äußerte sich Stremlau über die wachsende Macht europäischer Unternehmen wie Vodafone und Orange in Afrika. Im Gegensatz zu größeren europäischen Ländern, die vielleicht über politische Strukturen verfügen, um den Einfluss von Big Tech-Unternehmen auf ihren heimischen Märkten einzuschränken, könnten viele kleine afrikanische Länder dies nicht leisten. Hier sei eine verstärkte internationale Zusammenarbeit erforderlich, um die weitreichende Macht dieser ausländischen Unternehmen in Schach zu halten.
Stremlau forderte darüber hinaus ein stärkeres Engagement der Afrikanischen Union (AU). Eine vielversprechende Gelegenheit für Zusammenarbeit zwischen der AU und der Europäischen Union könnte es sein, die bereits entwickelten Strategien zum Umgang mit Hass und Gewalt im Internet auszutauschen. Als Vertreter der Europäischen Kommission bestätigte Marc Fiedrich, dass die beiden Kontinente vor ähnlichen Herausforderungen im Kampf gegen Gewalt im Internet stünden und verwies auf regelmäßige Dialoge zwischen EU und AU zur wirkungsvollen Regulierung sozialer Medien. Er fügte hinzu, dass Afrika jedoch nicht einfach Europa kopieren sollte, da auch Europa immer noch nach Antworten in diesem schnelllebigen Bereich suche.
Regulieren, ohne Meinungsfreiheit einzuschränken
Wenn Regierungen zur Intervention bei digitalen Konflikten aufgefordert werden, kann ein Dilemma entstehen : Wie kann die Kommunikation im Internet reguliert werden, ohne demokratische Errungenschaften wie die Meinungsfreiheit zu gefährden ? Nanjala Nyabola warnte davor, dass Regierungen die Macht, die man ihnen zur Regulierung der Online-Kommunikation gäbe, in erster Linie gegen Kritiker*innen des Staates einsetzen könnten, um unliebsame Aktivist*innen zum Schweigen zu bringen. Dr. Julia Leininger vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) bestätigte, dass digitale Werkzeuge es „Autokraten erlauben könnten, noch autokratischer zu werden“, durch verbesserte Datensammlungen und Überwachungstechnologien. Als besorgniserregendes Beispiel nannte sie den Fall, in dem die chinesische Regierung Gesichtserkennungssoftware an die autoritäre Regierung von Simbabwe verkaufte, die diese zur Überwachung der Menschen in der Hauptstadt Harare einsetzte. Im Gegenzug stellte die Regierung die so erfassten Daten dem chinesischen Softwareunternehmen zur Verfügung, das sie zur Verbesserung seiner Algorithmen und Softwarefunktionen nutzte.
Julia Leininger warnte ferner, dass bei einer zunehmenden Digitalisierung von Wahlen, Manipulationen und Wahlfälschungen einfacher werden könnten. Technologieunternehmen, die digitale Wahlmanagement-Tools bereitstellen, könnten leicht von Politiker*innen beeinflusst werden, vor allem wenn Regierungen große Anteile der Unternehmen besitzen. Dies würde Politiker*innen besonders anfällig für Korruption machen. Seitens der Zivilgesellschaft gibt es Versuche, solch negatives Verhalten zu unterbinden, beispielsweise durch das Monitoring des Handelns von Politiker*innen. So beobachtet etwa die Organisation Odekro die Aktivitäten ghanaischer Parlamentsabgeordneter und macht die Daten online zugänglich. Auf diese Weise können digitale Werkzeuge auch zu mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht in der Regierungsführung beitragen.
Afrikas Jugend Perspektiven bieten
Wenn Afrika florieren soll, muss seine junge Bevölkerung Aussicht auf ein ausreichendes und stabiles Einkommen haben. Mit einer De-facto-Arbeitslosenquote von rund 20 % und einer extrem hohen Erwerbsarmutsquote von 40 % im Schnitt des gesamten Kontinents, ist dieses Ziel noch in weiter Ferne. Das macht junge Menschen anfälliger für den Einfluss gewalttätiger Gruppen. Wie Nelson Kwaje feststellte, „suchen sich kriminelle Organisationen genau die Menschen als Zielgruppe aus, die historische Ungerechtigkeiten, Ausgrenzung, Identitätskrisen und wirtschaftliche Probleme erlebt haben“. Junge Menschen, die sich extremistischen Gruppen anschließen, seien daher oft Täter*innen und Opfer zugleich.
Abdihakim Ainte, Mitbegründer des iRise Hub in Mogadischu, kennt diese Schwierigkeiten aus eigener Erfahrung. Seine Organisation versucht, jungen Unternehmer*innen in Somalia Geschäftsmöglichkeiten zu bieten. Er bestätigte, dass gewalttätige Gruppen junge Menschen, die meist aus stark benachteiligten Familien in ländlichen Regionen stammen, „sowohl benutzen als auch für ihre Ziele missbrauchen“. Dem versuche iRise durch gezieltes Empowerment und die Schaffung wirtschaftlicher Möglichkeiten entgegenzuwirken.
Im Verlauf der dreitägigen Konferenz wurde deutlich, dass es eines Bewusstseinswandels bedarf, die digitale Welt langfristig zu gestalten. Wie Nanjala Nyabola in ihren abschließenden Bemerkungen feststellte, müssten Herausforderungen des digitalen Raums mit Entschlossenheit und Ausdauer angegangen werden, um sie auf die gleiche Weise zu gestalten, wie Offline-Medien über einen langen Zeitraum gestaltet worden seien. Weder eine „Nichteinmischungs-Mentalität“, die viele Regierungen in der Vergangenheit an den Tag gelegt haben, noch ein naives „Technologie-utopisches Vertrauen“ (Stremlau), bei dem darauf gesetzt wird, dass digitale Innovationen auf magische Weise Probleme lösen werden, sind geeignet, die gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen zu bewältigen. Die Digitalisierung ist weder Afrikas Untergang (oder der Untergang der Menschheit), noch seine Rettung. Sie ist das, was aus ihr gemacht wird – und das liegt in der politischen Verantwortung.
Mehr Informationen zur Konferenzreihe sind verfügbar unter : sef-bonn.org
Ingo Nordmann