Disziplinen im Dialog
55. Kolloquium der AFK, TU Darmstadt, 13.-15.3.2024
Das Thema des diesjährigen AFK-Kolloquiums widmete sich dem Dialog zwischen verschiedenen Disziplinen der Friedensforschung: denen der sozial- und geisteswissenschaftlichen mit denen der naturwissenschaftlich-technischen Friedensforschung. Dieser Dialog spiegelte sich bereits in der institutionellen Kooperation für die Organisation des Kolloquiums wider: Das Kolloquium wurde in diesem Jahr von der AFK-Geschäftsstelle gemeinsam mit dem PRIF (Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung, ehem. HSFK) und der Technischen Universität Darmstadt beziehungsweise der dort angesiedelten Forschungseinrichtung »PEASEC« und dem Institut für Politikwissenschaft ausgerichtet.
Rund 120 Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen aus unterschiedlichen Bereichen der Friedens- und Konfliktforschung gingen also »Synergien, Gemeinsamkeiten und Unterschiede[n] mit der naturwissenschaftlich-technischen Friedensforschung« (wie es im Titel hieß) nach und diskutierten Fragen der Überwindung der Disziplinarität und der Stärkung der Interdisziplinarität in ganz verschiedenen Formaten, wie Fishbowls, Panels und einer Podiumsdiskussion. Dabei ging es unter anderem um die epistemischen, theoretischen aber auch begrifflichen Unterschiede zwischen den Disziplinen sowie um notwendige gemeinsame Forschungsschwerpunkte, um auf die steigende Militarisierung und die Klimakrise reagieren zu können. Im Mittelpunkt der Tagung standen dabei Fragen der Forschungsethik sowie die Kritik von Machtstrukturen in der Friedens- und Konfliktforschung, die Folgen der Klimakrise und die Notwendigkeit für planetar gedachten »Umweltschutz«, Fragen nach kooperativer Sicherheit und Rüstungskontrolle in Zeiten weltweiter Aufrüstung und vor allem die Rolle von neuen Technologien für Krieg und Sicherheit. Das Kolloquium verdeutlichte – auch in den Diskussionen und manchen methodischen und theoretischen Annäherungsschwierigkeiten – die Notwendigkeit, diesen umfassenden interdisziplinären Dialog weiterzuführen, um die Friedens- und Konfliktforschung aber auch das globale politische Handeln für den Frieden weiter voranzubringen.
Die Keynote-Speaker*innen Dr. Anna Antonakis (swisspeace) und Dr. Andreas Hirblinger (Geneva Graduate Institute) eröffneten das Kolloquium mit zwei Impulsvorträgen zum Themenfeld »Digitales Peacebuildung« – angereichert mit Perspektiven aus der Forschung und der Friedenspraxis. Dabei ging es sowohl um die schon heute sichtbaren negativen Auswirkungen und Gefahren von Technologien auf Gerechtigkeit und Frieden, aber auch um die Möglichkeiten und Wichtigkeit von technologischen Entwicklungen. Andreas Hirblinger betonte dabei die Wechselwirkung zwischen der Produktion von Technologie durch die Gesellschaft und der Produktion der Gesellschaft durch die Technologie. Digitale Lösungen allein seien beispielsweise nicht ausreichend, um langjährige Muster von Unterdrückung zu bekämpfen, waren sich beide Vortragenden einig. Ein prominentes Beispiel, das Hirblinger anführte, sei der Kampf gegen Hassrede im Internet. Während Technologien zur Erkennung und Löschung von Hassrede genutzt würden, wies er darauf hin, dass solche Ansätze oft die tieferliegenden sozialen und ökonomischen Ursachen von Hassrede nicht adressierten. Dr. Anna Antonakis bot einen Einblick in die geschlechtsspezifischen Dimensionen des digitalen Peacebuildings. Sie betonte die Bedeutsamkeit von kritischem Bewusstsein für diese Dimension auf konzeptioneller und operativer Ebene des Peacebuildings, weil Geschlecht, Konfliktprävention und das digitale Ökosystem sehr eng verschränkt seien und dieses Verhältnis doch schnell aus dem Blick verschwände. Abschließend wurde von beiden Vortragenden betont, dass die menschliche Intention hinter der Nutzung von Technologie zentral sei, und dass Forschung hierbei verantwortlich sei, dass Technologien im Einklang mit den ethischen Zielen der Friedensforschung gestaltet und genutzt würden.
Die zentrale Plattform für den Austausch zwischen den unterschiedlichen Disziplinen des Forschungsfeldes Friedensforschung stellte die diesjährige Podiumsdiskussion dar, moderiert von Madita Standke-Erdmann. Christian Reuter (TU Darmstadt), Christopher Daase (PRIF), Claudia Brunner (Universität Klagenfurt), Linda Ostermann (RWTH Aachen) und Malte Göttsche (RWTH Aachen) diskutierten über ihre je spezifischen Brillen, mit denen sie auf die historische Entwicklungen, aktuelle Herausforderungen und zukünftige Perspektiven der Friedens- und Konfliktforschung blickten. Die Rolle der Friedensbewegung in der thematischen Ausrichtung der Friedensforschung, der aktuelle Streit um die Bedeutung und Legitimität von Zivilklauseln an Universitäten – hier natürlich prominent der Darmstädter Zivilklausel – sowie die Finanzierung der naturwissenschaftlich-technischen Forschung stellten wichtige Diskussionsthemen dar. Trotz unterschiedlicher Perspektiven auf diese Kernthemen waren sich alle einig, dass interdisziplinäres Lernen und das Bemühen um transdisziplinäre Forschung zur gegenseitigen Bereicherung führen, auch wenn dies mit Blick auf die disziplinäre Vertiefungsanforderung biographisch auch widersprüchlich empfunden werde.
In den Panels beschäftigten sich die Wissenschaftler*innen mit einer breiten Auswahl kritischer Fragen aller beteiligten Disziplinen – und in einigen Fällen gelang der transdisziplinäre Austausch auch schon gut oder wurde zumindest neu angestoßen. Zu den Themen der Panels gehörten unter anderem:
- Macht- und Gewaltdynamiken von Nachhaltigkeit in sozial-ökologischen Transformationsprozessen;
- Dynamiken von Bürgerkriegen;
- Feministische Perspektiven auf Friedens- und Konfliktforschung sowie Rüstungskontrolle;
- Die Rolle digitaler Technologien und künstlicher Intelligenz in der Friedensbildung;
- Ethische und sicherheitspolitische Implikationen von Technologien zur Verbesserung menschlicher Leistung;
- Spannungsfelder und Dilemmata in der Friedenspädagogik;
- Perspektiven junger Menschen auf Technologie;
- Die Folgen der Klimakrise und Umweltschutz vor dem Hintergrund des Anthropozäns.
Darüber hinaus tagten die Arbeitskreise der AFK zu je themenspezifischen Diskussionen: Zu feministischer Friedensforschung, Herrschaftskritik, Methoden, Friedenspädagogik sowie der Lehrgestaltung von Curriculum und Didaktik. In Anbetracht des Krieges in Gaza diskutierten die Wissenschaftler*innen im Rahmen einer Fishbowl ihre Eindrücke vom Umgang mit dem Krieg in Gesellschaft und Hochschule sowie ihre Überlegungen zu den spezifischen Möglichkeiten und Grenzen der diskursiven Einflussnahme durch die Friedens- und Konfliktforschung auf diese Entwicklungen.
Gewaltmissbrauch in der Wissenschaft: Die Frauenbeauftragten der AFK, Madita Standke-Erdmann und Stefanie Wesch, hatten auf dem diesjährigen Kolloquium einen sogenannten »Bystander-Workshop« für die Prävention von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch in der Wissenschaft organisiert. Von sexualisierter Gewalt in deutschen Hochschulkontexten sind Beschäftigte sowie Studierende aller Geschlechteridentitäten betroffen. Kürzlich zurückliegende Diskussionen zu einzelnen Fällen (bspw. #metoohistory) haben die öffentliche Aufmerksamkeit für die Problematik zeitweise erhöht. Dennoch bleibt der Nährboden für Gewalt und Machtmissbrauch im alltäglichen Wissenschaftsbetrieb weiterhin bestehen. Die psychischen Auswirkungen sind dabei für Überlebende immens und können langwierige traumatische Folgen mit sich bringen. Diese erschweren bzw. verunmöglichen es, in von ohnehin prekären Arbeitsverhältnissen, Konkurrenz sowie patriarchalen und rassistischen Hierarchien geprägten Wissenschaftsstrukturen, den eigenen Tätigkeiten nachgehen und vielfältigen Anforderungen gerecht werden zu können. Gleichzeitig müssen Täter*innen selten mit Konsequenzen für ihr Verhalten rechnen. Der Workshop wurde von der Organisation fem*ergenz durchgeführt und wurde von allen Teilnehmenden als sehr wichtig bewertet. Die Frauenbeauftragen der AFK haben damit einen wichtigen Beitrag zur Gewaltprävention innerhalb der AFK und in der Wissenschaft geleistet, welcher zukünftig einer Fortführung bedarf.
Victoria Scheyer