W&F 2011/1

Dokumentation: Gezielte Tötungen

von Philip Alston, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen

Als »Sonderberichterstatter über außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen« hat Philip Alston dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eine »Studie über gezielte Tötungen« vorgelegt. In seiner Zusammenfassung hält Alston fest, dass sich in den letzten Jahren einige Staaten eine Politik zu eigen gemacht haben, die gezielte Tötungen auch im Hoheitsgebiet anderen Staaten zulässt. Diese Politik werde als notwendige und legitime Antwort auf »Terrorismus« und »asymmetrische Kriegsführung « gerechtfertigt, habe sich jedoch insofern als problematisch erwiesen, als sie die Grenzen des jeweils anzuwendenden Rechts verschwimmen lasse und ausdehne. Sein Bericht befasst sich mit den verschiedenen Formen dieser Politik gezielter Tötungen und mit den dadurch aufgeworfenen Rechtsfragen. Wir dokumentieren vor allem die Passagen des Berichts, die die Politik gezielter Tötung dokumentieren und die die neue Technik – den Einsatz von Drohnen – betreffen.

In […] den letzten Jahren haben einige Staaten den Einsatz gezielter Tötungen, auch im Hoheitsgebiet anderer Staaten, entweder offen oder implizit zur Politik gemacht. […]

All dies führte zu dem höchst problematischen Ergebnis, dass die Grenzen des jeweils anzuwendenden Rechts – des Rechts der Menschenrechte, des Kriegsvölkerrechts und der für die Anwendung von Gewalt zwischen Staaten geltenden Regeln – verwischt und ausgeweitet wurden. Selbst wenn eindeutig das Kriegsvölkerrecht anwendbar ist, besteht die Tendenz, den Kreis der Personen, die zulässige Ziele sind, und die zu erfüllenden Kriterien zu erweitern. Darüber hinaus haben die betreffenden Staaten es oft unterlassen, eine rechtliche Begründung für ihre Politik zu geben, die bestehenden Sicherungsvorkehrungen offenzulegen, die gewährleisten sollen, dass gezielte Tötungen tatsächlich rechtmäßig und zielgenau sind, oder Rechenschaftsmechanismen für Verstöße vorzusehen. Am beunruhigendsten ist jedoch die Tatsache, dass sie sich geweigert haben offenzulegen, wer getötet wurde, aus welchem Grund dies geschah und zu welchen Nebenfolgen es gekommen ist. Als Ergebnis dieser Entwicklungen wurden klare Rechtsnormen durch eine vage umschriebene »Lizenz zum Töten« ersetzt und ein enormes Rechenschaftsvakuum geschaffen.

Was das maßgebende Recht betrifft, so verstoßen viele dieser Praktiken gegen klare anwendbare Vorschriften. Wird zur Rechtfertigung einer bestimmten Auslegung einer völkerrechtlichen Norm das Gewohnheitsrecht geltend gemacht, sind die Politik und die Praxis der großen Mehrzahl der Staaten zugrunde zu legen, nicht die der Handvoll von Staaten, die geflissentlich bemüht waren, sich ihren eigenen, individuellen normativen Rahmen zu schaffen. Im Übrigen würde der eine oder andere dieser Staaten viele der Rechtfertigungsgründe für gezielte Tötungen, die er heute in bestimmten Zusammenhängen selbst ins Treffen führt, wohl kaum gelten lassen, wenn sie in Zukunft von einem anderen Staat angeführt würden. […]

Der Begriff der »gezielten Tötung«

Obwohl der Begriff der »gezielten Tötung« so häufig gebraucht wird, ist er im Völkerrecht nicht festgeschrieben und lässt sich auch nicht ohne weiteres einem bestimmten normativen Rahmen zuordnen. In den allgemeinen Sprachgebrauch hat der Begriff im Jahr 2000 Eingang gefunden, als Israel seine Politik »gezielter Tötungen« von mutmaßlichen Terroristen in den besetzten palästinensischen Gebieten öffentlich bekannt gab. Seither wurde er auch auf andere Situationen angewandt, beispielsweise

die Tötung des »Rebellenführers« Omar Ibn al Khattab in Tschetschenien im April 2002, angeblich durch russische Soldaten,

die Tötung des mutmaßlichen Al-Qaida-Führers Ali Qaed Senyan al-Harithi und fünf weiterer Männer im November 2002 in Jemen, Berichten zufolge durch einen »Hellfire«-Flugkörper einer vom CIA […] eingesetzten »Predator«-Drohne.

die zwischen 2005 und 2008 von sri-lankischen Regierungstruppen und von der Oppositionsgruppe LTTE durchgeführten Tötungen von Personen, die von der jeweils anderen Seite als Kollaborateure benannt worden waren, und

die mutmaßlich von 18 Angehörigen des israelischen Nachrichtendienstes »Mossad« durchgeführte Tötung von Mahmoud al-Mahbouh, einem Führer der Hamas, im Januar 2010 in einem Hotel in Dubai. […]

Gezielte Tötungen finden somit in unterschiedlichsten Zusammenhängen statt und können von Staaten und Bediensteten des Staates in Friedenszeiten wie auch in Zeiten bewaffneten Konflikts oder von organisierten bewaffneten Gruppen in bewaffneten Konflikten begangen werden. Die Mittel und Methoden, die zur Anwendung kommen, sind vielfältig: Heckenschützen, Schüsse aus nächster Nähe, das Abfeuern von Flugkörpern von Hubschraubern, Kampfhubschraubern oder Drohnen, Autobomben, Vergiftung.

Das gemeinsame Element in all diesen Fällen ist, dass tödliche Gewalt absichtlich und bewusst, mit einem bestimmten Grad des Vorsatzes, gegen eine oder mehrere von dem Täter im Voraus genau bestimmte Personen angewendet wird. […]

Eine neue Politik gezielter Tötungen

Das Phänomen gezielter Tötung durchzieht die gesamte Geschichte. In der neueren Zeit fanden gezielte Tötungen durch Staaten nur sehr eingeschränkt statt beziehungsweise, wenn es eine entsprechende De-Facto-Politik gab, war diese inoffiziell und wurde gewöhnlich dementiert […]

Seit einiger Zeit jedoch verfolgen einige Staaten entweder offen eine Politik, die gezielte Tötungen zulässt, oder sie verfolgen eine solche Politik der Form nach, während sie gleichzeitig ihre Existenz in Abrede stellen.

Israel

In den 1990er Jahren weigerte sich Israel kategorisch, gezielte Tötungen zuzugeben, und erklärte angesichts derartiger Anschuldigungen, dass die Israelischen Verteidigungskräfte diese uneingeschränkt zurückwiesen. Weder gebe es eine Politik der vorsätzlichen Tötung von Verdächtigen, noch werde es eine solche Politik oder eine solche Realität jemals geben. Der Grundsatz der Unverletzlichkeit des Lebens sei ein Grundprinzip der Israelischen Verteidigungskräfte. Im November 2000 jedoch bestätigte die israelische Regierung das Bestehen einer Politik, wonach sie gezielte Tötungen zur Selbstverteidigung und nach dem humanitären Völkerrecht als gerechtfertigt erachtete, da die Palästinensische Behörde Terrorismus und insbesondere gegen Israel gerichtete Selbstmordanschläge weder verhindern, noch untersuchen und strafrechtlich verfolgen würde. Bestärkt wurde dies durch ein 2002 ergangenes, nur in Teilen veröffentlichtes Rechtsgutachten des Leiters der Rechtsabteilung der Israelischen Verteidigungskräfte über die Voraussetzungen, unter denen Israel gezielte Tötungen für rechtmäßig erachtet.

Die von Israel durchgeführten gezielten Tötungen fanden Berichten zufolge zumeist in der »Zone A« statt, einem unter der Kontrolle der Palästinensischen Behörde stehenden Teil des Westjordanlands. Sie waren gegen Mitglieder verschiedener Gruppen gerichtet, darunter Fatah, Hamas und der Islamische Dschihad, die nach Angaben israelischer Behörden an der Planung und Durchführung von Anschlägen auf israelische Zivilpersonen beteiligt waren. Bei den gezielten Tötungen kamen unter anderem Drohnen, Heckenschützen, aus Hubschraubern abgefeuerte Flugkörper, Tötungen aus nächster Nähe sowie Artillerie zum Einsatz. Eine von einer Menschenrechtsgruppe durchgeführte Studie ergab, dass zwischen 2002 und Mai 2008 mindestens 387 Palästinenser infolge gezielter Tötungseinsätze ums Leben kamen. 234 von ihnen waren Ziele dieser Operationen; die restlichen waren Kollateralopfer.

Die rechtlichen Grundlagen dieser Politik waren später Gegenstand eines Urteils des israelischen Obersten Gerichtshofs vom Dezember 2006. Der Gerichtshof sprach weder ein allgemeines Verbot gezielter Tötungen durch israelische Soldaten aus, noch erklärte er sie für generell zulässig, sondern befand stattdessen, dass über die Rechtmäßigkeit jeder Tötung im Einzelfall zu entscheiden sei. Ohne ins Einzelne zu gehen, stellte er fest, dass das anwendbare Recht das Gewohnheitsrecht der internationalen bewaffneten Konflikte sei, und zog weder die Anwendbarkeit der Menschenrechtsnormen noch des humanitären Rechts der nicht internationalen bewaffneten Konflikte in Erwägung. Er verwarf das Vorbringen der Regierung, Terroristen seien »unrechtmäßige Kombattanten«, die jederzeit angegriffen werden könnten. Stattdessen befand er, dass das anwendbare Recht die gezielte Tötung von Zivilpersonen zulasse, solange diese „unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen“, sofern vier kumulative Voraussetzungen erfüllt seien:

Die mit der Tötungsoperation beauftragten Kräfte tragen die Verantwortung dafür, die Identität der Zielpersonen und das Bestehen einer Tatsachengrundlage zu verifizieren, die das Kriterium der „unmittelbaren Teilnahme“ erfüllt;

selbst wenn die Regierung eine Person aufgrund der rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen als rechtmäßiges Ziel benennt, ist die Tötung dieser Person durch staatliche Kräfte nur dann zulässig, wenn keine nichttödlichen Mittel verfügbar sind;

nach jeder gezielten Tötung hat eine nachträgliche, unabhängige Untersuchung der „Identifizierung der Zielperson und der Umstände des Angriffs“ stattzufinden; und

für Kollateralschäden an Zivilpersonen gilt das Gebot der Verhältnismäßigkeit nach dem humanitären Völkerrecht.

Es hat danach Berichte gegeben, wonach israelische Kräfte gezielte Tötungen durchführten, die gegen die vom Obersten Gerichtshof festgelegten Anforderungen verstießen. Diese von amtlichen israelischen Stellen zurückgewiesenen Berichte beruhten angeblich auf Verschlusssachen, die eine Soldatin der Israelischen Verteidigungskräfte während ihres Militärdienstes entwendet hatte; die Soldatin wurde der Spionage angeklagt.

Israel hat weder die Grundlagen für seine rechtlichen Schlussfolgerungen offenbart noch Einzelheiten über die seinen Entscheidungen über gezielte Tötungen zugrunde liegenden Richtlinien, die erforderlichen Beweise oder sonstigen nachrichtendienstlichen Erkenntnisse, die eine Tötung rechtfertigen würden, oder die Ergebnisse von Einsatzauswertungen in Bezug auf die Gesetzmäßigkeit dieser Aktionen offen gelegt.

Vereinigte Staaten von Amerika

Die USA setzen weiter Drohnen und Luftangriffe für gezielte Tötungen in den bewaffneten Konflikten in Afghanistan und Irak ein, wo diese Einsätze, soweit öffentlich bekannt, von den Streitkräften durchgeführt werden. Sie sollen darüber hinaus bald nach den Anschlägen vom 11. September 2001 mit der Verfolgung einer geheimen Politik gezielter Tötungen begonnen haben, in deren Rahmen die Regierung glaubwürdigen Behauptungen zufolge gezielte Tötungen im Hoheitsgebiet anderer Staaten durchgeführt hat. Dieses geheime Programm wird Berichten zufolge vom Auslandsnachrichtendienst CIA mittels »Predator«- oder »Reaper«-Drohnen durchgeführt, doch waren angeblich auch Spezialeinsatzkräfte an der Durchführung des Programms beteiligt und zivile Auftragnehmer dabei behilflich.

Der erste Einsatz einer CIA-Drohne für eine Tötung fand nach glaubwürdigen Berichten am 3. November 2002 statt, als der mutmaßlich für den Bombenanschlag auf den Zerstörer USS Cole verantwortliche Al-Qaida-Führer Qaed Senyan al-Harithi in Jemen durch einen von einer »Predator«-Drohne abgefeuerten Flugkörper in seinem Auto getötet wurde. Seither ereigneten sich Berichten zufolge mehr als 120 Drohnenangriffe, doch ist diese Zahl unmöglich zu verifizieren. Die Treffgenauigkeit von Drohnenangriffen ist stark umstritten und für Außenstehende ebenfalls nicht zu verifizieren. Meldungen über die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung in Pakistan reichen von etwa 20 (nach in den Medien zitierten Angaben anonymer Vertreter der US-Regierung) bis zu vielen Hunderten.

Der CIA lenkt seine Drohnenflotte angeblich von seiner Zentrale in Langley (Virginia) aus, in Koordinierung mit Drohnensteuerern, die die Starts und Landungen aus der Nähe verborgener Flugplätze in Afghanistan und Pakistan durchführen. Die CIA-Flotte wird Berichten zufolge von Zivilisten gesteuert, zu denen sowohl Beamte des Nachrichtendiensts als auch private Auftragnehmer (oft Militärpersonal im Ruhestand) gehören. Laut Medienberichten wird die endgültige Genehmigung für einen Angriff in der Regel vom Leiter der geheimen Operationen des CIA oder seinem Stellvertreter erteilt. Angeblich besteht eine von hochrangigen Regierungsmitarbeitern gebilligte Liste von Zielpersonen, wobei die Kriterien für die Aufnahme in die Liste sowie alle weiteren Aspekte des Programms jedoch unbekannt sind. Der CIA ist nicht verpflichtet, Zielpersonen namentlich zu identifizieren; die Entscheidung darüber, ob eine Person zum Ziel wird, kann vielmehr auf Überwachungsergebnissen und Bewertungen von »Lebensmustern« beruhen.

Das Militär führt ebenfalls eine Liste von Zielpersonen in Afghanistan. Aus einem am 10. August 2009 veröffentlichten Bericht des Außenpolitischen Ausschusses des US-Senats geht hervor, dass auf der Liste des Militärs Drogenbarone verzeichnet sind, die im Verdacht stehen, die Taliban finanziell zu unterstützen. In dem Bericht heißt es, dass das Militär der Anwendung von Gewalt gegen diese ausgewählten Zielpersonen keine Einschränkungen auferlege; dies bedeute, dass sie auf dem Gefechtsfeld getötet oder gefangen genommen werden könnten. Voraussetzung für die Aufnahme in die Liste seien zwei verifizierbare menschliche Quellen sowie zusätzliche hinreichende Beweise.

Der Rechtsberater des Außenministeriums umriss kürzlich die von der Regierung angeführte juristische Rechtfertigung für gezielte Tötungen. Sie beruhe auf ihrem erklärten Selbstverteidigungsrecht sowie auf dem humanitären Völkerrecht, da sich die USA „in einem bewaffneten Konflikt mit der Al-Qaida, den Taliban und verbündeten Kräften“ befänden. Diese Erklärung ist ein wichtiger Ausgangspunkt, geht indessen nicht auf einige der entscheidensten rechtlichen Fragen ein, wie die Reichweite des bewaffneten Konflikts, in dem sich die Vereinigten Staaten erklärtermaßen befinden, die Kriterien dafür, welche Personen zum Ziel gemacht und getötet werden dürfen, das Bestehen materieller oder verfahrensrechtlicher Schutzvorschriften zur Gewährleistung der Rechtmäßigkeit und der Treffgenauigkeit der Tötungen sowie das Bestehen von Rechenschaftsmechanismen.

Russland

Russland hat seine 1999 aufgenommenen Militäreinsätze in Tschetschenien als eine Operation zur Terrorismusbekämpfung beschrieben. Im Laufe des Konflikts soll Russland Kommandotrupps der Armee eingesetzt haben, um Gruppen von Aufständischen aufzuspüren und zu vernichten, und auf entsprechende Meldungen hin rechtfertigte Russland gezielte Tötungen in Tschetschenien damit, dass sie durch den Kampf gegen den Terrorismus notwendig seien. Diese Rechtfertigung ist insbesondere deswegen problematisch, weil große Teile der Bevölkerung als Terroristen bezeichnet wurden. Obwohl es glaubwürdige Berichte über gezielte Tötungen außerhalb Tschetscheniens gibt, hat sich Russland geweigert, die Verantwortung dafür zu übernehmen oder anderweitig eine Rechtfertigung für die Tötung anzugeben, und hat darüber hinaus bei jeder Untersuchung oder Strafverfolgung die Kooperation verweigert.

Im Sommer 2006 erließ das russische Parlament ein Gesetz, das es den russischen Sicherheitsdiensten gestattet, mutmaßliche Terroristen im Ausland zu töten, wenn der Präsident eine diesbezügliche Ermächtigung erteilt. Das Gesetz bedient sich einer äußerst weiten Definition des Terrorismus und terroristischer Aktivitäten; darunter fallen „Praktiken der Beeinflussung der Entscheidungen von Regierungen, Kommunalverwaltungen oder internationalen Organisationen durch die Terrorisierung der Bevölkerung oder durch andere Formen illegaler Gewaltaktionen“, sowie jede „Ideologie der Gewalt“.

Das Gesetz scheint keine Beschränkung des Einsatzes militärischer Gewalt „zur Unterdrückung internationaler terroristischer Aktivitäten außerhalb der Russischen Föderation“ vorzusehen. Der Präsident muss sich der Unterstützung des Föderationsrats versichern, um reguläre Soldaten außerhalb Russlands einsetzen zu können, während er Sicherheitskräfte des Föderalen Sicherheitsdiensts (FSB) nach seinem Ermessen einsetzen kann. Als das Gesetz erlassen wurde, betonten russische Parlamentarier laut Pressemeldungen, dass sich das Gesetz gegen Terroristen richte, die sich in gescheiterten Staaten verbergen, und dass die Sicherheitsdienste in anderen Situationen bei der Verfolgung ihrer Ziele mit ausländischen Nachrichtendiensten zusammenarbeiten würden. Die Parlamentarier unterstrichen außerdem, dass sie beim Erlass eines Gesetzes, das den Einsatz von Militär- und Spezialkräften außerhalb der Landesgrenzen zur Abwehr von Bedrohungen von außen gestattet, dem Beispiel Israels und der Vereinigten Staaten folgten.

Es gibt keine öffentlich verfügbaren Informationen über Verfahrensvorkehrungen, die gewährleisten sollen, dass die von Russland durchgeführten gezielten Tötungen rechtmäßig sind, über die Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit eine Person zum Ziel gemacht werden kann, oder über Rechenschaftsmechanismen für die Überprüfung derartiger gezielter Einsätze.

Eine neue Technologie

Drohnen wurden ursprünglich entwickelt, um nachrichtendienstliche Informationen zu sammeln und um Überwachungs- und Aufklärungsflüge durchzuführen. Heute verfügen mehr als 40 Länder über diese Technologie. Einige von ihnen, darunter Israel, Russland, die Türkei, China, Indien, Iran, das Vereinigte Königreich und Frankreich, besitzen oder streben nach dem Besitz von Drohnen mit der zusätzlichen Fähigkeit, lasergelenkte Flugkörper mit einem Gewicht zwischen 15 und mehr als 45 Kilogramm abzufeuern. Die Vorteile bewaffneter Drohnen sind verlockend: Sie erlauben vor allem im feindlichen Gelände gezielte Tötungen ohne oder mit geringem Risiko für das Personal des durchführenden Staates und sie können vom Heimatstaat aus ferngesteuert werden. Es ist auch denkbar, dass nichtstaatliche bewaffnete Gruppen diese Technologie erlangen könnten.

(Anmerkung der W&F-Redaktion: In einem umfassenden Mittelblock untersucht Alston rechtliche Fragen. Für ihn ist nicht jede gezielte Tötung rechtswidrig. Ob eine gezielte Tötung rechtmäßig ist, hängt bei Alston von dem Kontext ab, in dem sie durchgeführt wird – in einem bewaffneten Konflikt, außerhalb eines bewaffneten Konflikts oder im Zusammenhang mit zwischenstaatlicher Gewaltanwendung. Er plädiert für die Einhaltung der Regelung im humanitären Völkerrecht, nach der gezielte Tötungen nur dann rechtmäßig sind, „wenn die zu tötenden Personen »Kombattanten« oder »Kämpfer« sind oder, wenn es sich um Zivilpersonen handelt, nur solange, wie sie »unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen«. Darüber hinaus muss die Tötung militärisch notwendig sein, die Anwendung von Gewalt muss verhältnismäßig sein, so dass jeder erwartete militärische Vorteil im Lichte der zu erwartenden Schäden für sich in der Nähe befindende Zivilpersonen betrachtet wird, und es ist alles praktisch Mögliche zu tun, um Fehler zu vermeiden und den Schaden für die Zivilbevölkerung auf ein Mindestmaß zu beschränken.“)

Der Einsatz von Drohnen für gezielte Tötungen

Der Einsatz von Drohnen für gezielte Tötungen hat beträchtliche Kontroversen ausgelöst. Nach Ansicht einiger sind Drohnen als solche nach dem humanitären Völkerrecht verbotene Waffen, da sie Zivilpersonen zwangsläufig unterschiedslos töten oder ihre unterschiedslose Tötung zur Folge haben, wenn sie sich beispielsweise in der Nähe einer Zielperson befinden. Es ist richtig, dass das humanitäre Völkerrecht Einschränkungen der Waffen vorsieht, die die Staaten einsetzen können, und Waffen, die beispielsweise ihrer Natur nach unterschiedslos wirken (wie biologische Waffen), verbietet. Dennoch unterscheidet sich ein Flugkörper, der von einer Drohne aus abgefeuert wird, durch nichts von jeder anderen gebräuchlichen Waffe, wie von einer Schusswaffe, die ein Soldat betätigt, oder von einem Flugkörper abfeuernden Hubschrauber oder Kampfhubschrauber. Die entscheidende Rechtsfrage ist bei jeder Waffe dieselbe: Ist ihr konkreter Einsatz mit dem humanitären Völkerrecht vereinbar oder nicht?

Bedenklicher ist der Einsatz von Drohnen deshalb, weil sie es den Kräften des Staates leichter machen, ohne Risiko zu töten, und politische Entscheidungsträger und militärische Befehlshaber daher versucht sein werden, die rechtlichen Beschränkungen in Bezug darauf, wer unter welchen Umständen getötet werden kann, zu weit auszulegen. Die Staaten müssen gewährleisten, dass die von ihnen angelegten Kriterien bei der Entscheidung darüber, wer zum Ziel gemacht und getötet werden darf – das heißt wer ein rechtmäßiger Kombattant ist oder was eine »unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten« darstellt, die Zivilpersonen einem direkten Angriff aussetzt –, sich nicht danach unterscheiden, welche Waffe sie wählen.

Die Befürworter von Drohnen argumentieren, dass Drohnen im Vergleich zu anderen Waffen über bessere Überwachungsfähigkeiten verfügen, höhere Präzision ermöglichen und daher besser geeignet seien, Kollateralschäden in Form von Opfern und Verletzungen unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden. Bis zu einem bestimmten Maß mag das zutreffen, doch ist das Bild unvollständig. Die Präzision, Genauigkeit und Rechtmäßigkeit eines Drohnenangriffs hängen von Erkenntnissen aus der Nachrichtengewinnung durch Personen ab, die zur Grundlage der Entscheidung über das Angriffsziel gemacht werden.

Drohnen können eine Überwachung aus der Luft und die Gewinnung von Informationen über »Lebensmuster« ermöglichen, die es dem Bedienungspersonal gestatten, zwischen friedlichen Zivilpersonen und den an unmittelbaren Feindseligkeiten teilnehmenden Personen zu unterscheiden. Dank dieser fortgeschrittenen Überwachungsfähigkeiten sind die Kräfte eines Staates tatsächlich besser in der Lage, während eines Angriffs Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Diese optimalen Bedingungen sind jedoch möglicherweise nicht in jedem Fall gegeben. Vor allem aber kann das Bedienungspersonal einer Drohne, das Tausende von Kilometern von der Umgebung eines potenziellen Ziels entfernt ist, hinsichtlich der Nachrichtengewinnung durchaus noch stärker benachteiligt sein als Bodentruppen, die selbst häufig nicht in der Lage sind, verlässliche Erkenntnisse zu gewinnen.

Während meiner Mission nach Afghanistan zeigte sich deutlich, wie schwer es selbst für die Truppen vor Ort ist, genaue Informationen zu erlangen. Aus Aussagen von Zeugen und Familienangehörigen ging hervor, dass die internationalen Kräfte oft zu schlecht über lokale Praktiken informiert waren oder Informationen zu leichtgläubig interpretierten, um sich ein verlässliches Bild der Lage verschaffen zu können. Allzu oft gingen die von den internationalen Kräften durchgeführten bemannten Luftangriffe, bei denen Menschen ums Leben kamen, auf fehlerhafte nachrichtendienstliche Erkenntnisse zurück. Zahlreiche weitere Beispiele lassen erkennen, dass die Rechtmäßigkeit einer gezielten Tötungsoperation stark davon abhängt, wie zuverlässig die ihr zugrunde liegenden Erkenntnisse sind. Die Staaten müssen daher für das Vorhandensein der notwendigen Verfahrensvorkehrungen sorgen, um zu gewährleisten, dass die Erkenntnisse, auf denen die Entscheidungen über die Angriffsziele beruhen, genau und nachprüfbar sind.

Aufgrund der Tatsache, dass das Bedienungspersonal Tausende von Kilometern vom Gefechtsfeld entfernt ist und die Operationen ausschließlich über Computerbildschirme und Audioleitungen ausführt, entsteht noch das zusätzliche Risiko, dass sich eine »Playstation«-Mentalität des Tötens herausbildet. […]

Außerhalb eines bewaffneten Konflikts ist der Einsatz von Drohnen für gezielte Tötungen wahrscheinlich nie rechtmäßig. Eine mit Drohnen durchgeführte gezielte Tötung im Hoheitsgebiet eines Staates, über das dieser die Kontrolle ausübt, würde mit großer Wahrscheinlichkeit nicht die Anforderungen erfüllen, die die Menschenrechtsnormen für die Anwendung tödlicher Gewalt vorsehen.

Außerhalb seines Hoheitsgebiets (oder in einem Gebiet, über das er keine Kontrolle ausübt) und dort, wo die Lage am Boden nicht die Intensität eines bewaffneten Konflikts erreicht hat, in dem das humanitäre Völkerrecht gelten würde, könnte ein Staat theoretisch versuchen, den Einsatz von Drohnen zu rechtfertigen, indem er sich auf das Recht zur antizipatorischen Selbstverteidigung gegen einen nichtstaatlichen Akteur beruft. Er könnte theoretisch auch behaupten, dass die menschenrechtliche Anforderung, zuerst nichtletale Mittel einzusetzen, nicht erfüllt werden könne, wenn der Staat keine Mittel habe, die Zielperson gefangen zu nehmen oder den anderen Staat dazu zu veranlassen, dies zu tun. Praktisch gesehen gibt es sehr wenige Situationen außerhalb aktiver Feindseligkeiten, in denen das Kriterium für antizipatorische Selbstverteidigung – eine Notwendigkeit, die „gegenwärtig und überwältigend ist und keine Wahl der Mittel und keinen Augenblick zur Überlegung lässt“ – erfüllt wäre. Diese Hypothese birgt dieselbe Gefahr wie das Szenario der »tickenden Zeitbombe« im Zusammenhang mit der Anwendung von Folter und Zwang bei Verhören: Ein gedankliches Experiment, das eine seltene notfallbedingte Ausnahme von einem absoluten Verbot postuliert, kann diese Ausnahme effektiv institutionalisieren. Die Anwendung eines solchen Szenarios auf gezielte Tötungen droht das menschenrechtliche Verbot der willkürlichen Tötung eines Menschen bedeutungslos zu machen. Darüber hinaus würde die mit Hilfe einer Drohne durchgeführte Tötung anderer Personen als der Zielperson (etwa von Familienangehörigen oder anderen, die sich in der Nähe aufhalten) nach den Menschenrechtsnormen eine willkürliche Tötung darstellen, was Staatenverantwortlichkeit und individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit auslösen könnte.

Die Erfordernisse der Transparenz und der Rechenschaft

Es ist höchst besorgniserregend, dass die Staaten ihren nach den Menschenrechtsnormen und dem humanitären Völkerrecht bestehenden Verpflichtungen zu Transparenz und Rechenschaft in Bezug auf gezielte Tötungen nicht nachkommen. Bislang hat kein Staat die Rechtsgrundlage für gezielte Tötungen, einschließlich seiner Interpretation der hier erörterten Rechtsfragen, umfassend öffentlich dargelegt. Ebenso hat kein Staat offen gelegt, welche Verfahrensvorkehrungen und sonstigen Sicherungsmaßnahmen von ihm eingerichtet wurden, um zu gewährleisten, dass die Tötungen rechtmäßig und berechtigt sind, und mit welchen Rechenschaftsmechanismen sichergestellt wird, dass rechtswidrige Tötungen untersucht, strafrechtlich verfolgt und bestraft werden. Mit ihrer Weigerung, ihre Politik transparent zu gestalten, verstoßen die Staaten, die gezielte Tötungen durchführen, gegen die völkerrechtlichen Regelungen, die der rechtswidrigen Anwendung von tödlicher Gewalt gegen Personen Schranken setzen.

Die Verpflichtung zur Transparenz besteht sowohl nach dem humanitären Völkerrecht als auch nach dem Recht der Menschenrechte. Die Nichtoffenlegung gibt den Staaten praktisch eine unzulässige »Lizenz zum Töten«. […]

Die vom Deutsche Übersetzungsdienst (www.un.org/depts/german/) der Vereinten Nationen angefertigte Übersetzung des gesamten, mit zahlreichen ausführlichen Fußnoten versehenenen Berichts über gezielte Tötungen, der auf den 28. Mai 2010 datiert ist, finden Sie unter www.un.org/depts/german/menschenrechte/ a-hrc14-24add6-deu.pdf.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2011/1 Moderne Kriegsführung, Seite 17–21