Drei Kriege in sechs Jahren
von Jürgen Nieth
Sonntag, 27. Juli 2014: Seit dem 8. Juli schießt die Hamas Raketen auf Israel, bombardiert Israel Gaza. 75.000 israelische Soldaten führen in Gaza Krieg – deutlich mehr als 2008/9 oder 2012. 200.000 Palästinenser sind innerhalb des Gazastreifens auf der Flucht. Mehr als 1.000 tote und 5.400 verletzte Palästinenser, die überwiegende Mehrheit Zivilisten, 40 getötete Soldaten und drei Zivilisten auf israelischer Seite, das ist Bilanz zum heutigen Tage (nach ARD).
Krieg als Rachefeldzug
„Es begann damit, dass drei israelische Teenager im Westjordanland entführt wurden“, schreibt Yuval Diskin, bis 2011 Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet. Und weiter: „Nach allem, was ich weiß, wurde die Hamas-Führung davon überrascht. Sie scheint die Tat weder geplant noch befohlen zu haben.“ (Der Spiegel, 21.7.14, S.77) Ganz anders äußerte sich Israels Regierung. „Dass Einzeltäter, die der Hamas sehr nahe stehen, dahinterstecken könnten […,] wurde von der israelischen Regierung kategorisch ausgeschlossen […] Es war nur zu hören: ‚Die Hamas hat unsere Kinder entführt, und wir werden sie zurückholen. Die Hamas wird dafür bezahlen!‘“ (Marlen Kästner in ND, 19.7.14, S.21)
Es folgte der grausame Mord eines jungen Palästinensers durch rechtsextreme Israelis. Dazu nochmal Yuval Diskin (s.o.): „ Es mag paradox klingen, aber es gibt auch beim Töten Unterschiede. Man kann jemand erschießen und seine Leiche unter Steinen verscharren, wie es die Mörder der drei jüdischen Teenager taten. Oder man füllt ihm Benzin in die Lungen und zündet ihn an, lebendig, wie bei Mohammed Abu Chidar […] Leute wie Naftali Bennet haben dieses Klima geschaffen, gemeinsam mit anderen extremistischen Politikern und den Rabbinern.“
Die Hamas nahm diesen Mord zum Anlass, Raketen auf Israel abzufeuern. Der dritte Krieg innerhalb von sechs Jahren nahm seinen Lauf, und die Schuldzuweisung war in den deutschsprachigen Medien zu Beginn eindeutig.
»Die Hamas hat begonnen«
So schreibt z.B. der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann: Es ist „Israels Pflicht und legitimes Recht seine eigene Bevölkerung zu schützen. Und dafür ist es unausweichlich, die Terror-Infrastruktur zu zerstören. Bedauerlicherweise kommen dabei auch unschuldige Menschen ums Leben. Jedes zivile Opfer ist eines zuviel. Doch die Verantwortung dafür trägt alleine die Hamas mit ihrer Dschihad-Ideologie.“ (SZ, 16.7.14, S.2)
Das, was auf den ersten Blick wie eine Wiederholung der vorigen Kriege aussieht, hat aber neue Charakteristika.
Arabische Regierungen an der Seite Israels
„In Israels Nachbarländern hat sich die Stimmung radikal verändert und die Frontenbildung hat sich verschoben“, schreibt Julia Gerlach in der FR (11.7.14, S.7). Als Grund sieht Rainer Hermann (FAZ, 22.7.14, S.8): „Die drei mächtigsten arabischen Staaten […] sehen in der Muslimbruderschaft den bedrohlichsten politischen Feind und wollen ihn auslöschen.“ Und Hannes Stein stellt in der WaS (20.7.14, S.9) fest: „Das Bündnis [Israels] mit dem ägyptischen Regime unter al-Sisi, mit Jordanien, Saudi- Arabien und den anderen Golfstaaten wird beinahe schon in aller Öffentlichkeit zelebriert […] Die Hamas steht vollkommen allein da. Niemand steckt ihr heimlich Waffen zu, niemand hilft ihr mit antiisraelischer Propaganda.“
Eine Position der Stärke Israels, die leider nicht für eine politische Lösung genutzt wird. Im Gegenteil, die innerisraelische Debatte wird offensichtlich immer aggressiver.
Machtzunahme der Rechtsnationalen
Aus Tel Aviv berichtet Susanne Knaul (taz, 24.7.14., S.2): „In Haifa forderten Tausende rechtsnationale Demonstranten »Tod den Arabern« und »Schickt die Linken in die Gaskammern«.“ Ein Friedensmarsch der Hadasch konnte nicht stattfinden, „weil die Pazifisten von der rechten Menge auseinandergetrieben und verjagt wurden“. Die BZ (22.7.14., S.6) zitiert den israelischen Schriftsteller Gideon Levy, nach dem „die Diffamierungen und Todesdrohungen […] [gegen die Kriegsgegner] alles übertreffen […], was er sich je habe vorstellen können“. Der Friedensaktivist Uri Avnery spricht davon, dass „rechte Gruppen, die einst marginal waren, […] [heute] von der Mitte der Gesellschaft akzeptiert“ werden (ND, 26.7.14, S.9). Der eingangs zitierte Yuval Diskin sieht skeptisch in die Zukunft, „denn die Zahl der Nationalreligiösen an den Schalthebeln der Macht und im Militär wächst unaufhörlich“ (Der Spiegel, 21.7.14, S.78).
Wie weiter
Für Peter Münch (SZ, 23.7.14, S.4) braucht es eine Paketlösung. „Darin müssen garantiert sein: Ruhe für Israels Bevölkerung, aber auch eine deutliche Verbesserung der Lebensbedingungen für die palästinensische Bevölkerung. Der Gazastreifen braucht neue Hoffnung.“ Micha Brumlik geht noch einen Schritt weiter (SZ, 25.7.14, S.2). Da „die politischen Mehrheiten Israels sowie eine entscheidende Minderheit unter den Palästinensern auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein werden, von sich aus Frieden zu schließen […], wäre es an der Zeit, dass die weltpolitisch (noch) zuständigen Mächte – die USA, Russland und die EU – Israel und den Palästinensern eine Zweistaatenlösung diktieren“. Die politischen Hebel sieht er u.a. im ökonomischen Bereich und den Waffenexporten in diese Region.
In der FAZ (22.7.14, S.10) beschreibt der israelische Schriftsteller Etgar Keret »Warum Israel nicht siegen kann«: „Bei jeder Militäroperation gibt es Politiker aus dem konservativen Lager und politische Kommentatoren, die uns erklären, dass die Zeit, freundlich zu sein, vorbei sei und die Sache nun endlich zu einem Ende gebracht werden müsse. Und wenn man sie dann auf dem Bildschirm anschaut, fragt man sich: Welches Ende meinen sie? Worauf zielen sie? Denn selbst, wenn jeder einzelne Hamas-Kämpfer getötet wird, glaubt doch niemand wirklich, dass der palästinensische Wunsch nach nationaler Anerkennung damit vernichtet wäre […] Die israelische Armee kann einen Kampf gewinnen, aber nur ein politischer Kompromiss wird den israelischen Bürgern Sicherheit und Ruhe bringen.“
Doch bis dahin werden wahrscheinlich noch viele, viele Menschen sterben.
Abkürzungen: BZ (Berliner Zeitung), FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung), FR (Frankfurter Rundschau), ND (Neues Deutschland), SZ (Süddeutsche Zeitung), taz (tageszeitung), WaS (Welt am Sonntag)
Jürgen Nieth