Drohneneinsätze der USA im Jemen
OVG NRW zur Nutzung von Ramstein für Drohneneinsätze
von Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
„In einem teilweise stattgebenden Urteil vom 19. März 2019 hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen die Bundesrepublik Deutschland dazu verurteilt, sich durch geeignete Maßnahmen zu vergewissern, ob eine Nutzung der Air Base Ramstein durch die Vereinigten Staaten von Amerika für Einsätze von bewaffneten Drohnen im Jemen im Einklang mit dem Völkerrecht stattfindet. Erforderlichenfalls müsse die Bundesrepublik gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika auf Einhaltung des Völkerrechts hinwirken. Soweit die Kläger verlangt haben, die Nutzung der Air Base Ramstein für bewaffnete Drohneneinsätze zu unterbinden, hat das Gericht die Klage abgewiesen.“
So erläuterte die Pressestelle des OVG NRW ein Urteil, das nach der Einschätzung von Bettina Gaus „die Nato sprengen könnte“ (taz 23.3.2019). Aufgrund seiner grundsätzlichen Bedeutung für die Nutzung der US-Airbase Ramstein für den Drohnenkrieg dokumentiert W&F den Wortlaut der mündlichen Urteilsbegründung (Aktenzeichen 4 A 1361/15; ovg.nrw.de).
Die Kläger machen geltend, bei einem Drohnenangriff im Jahr 2012 in der Provinz Hadramaut nahe Angehörige verloren zu haben. Sie bezweifeln die Rechtmäßigkeit dieses Angriffs, der nach ihrem Kenntnisstand bisher nicht von unabhängigen Stellen untersucht worden ist. Eine gegen die Vereinigten Staaten von Amerika gerichtete Klage wurde im Februar 2016 von einem Gericht in Columbia abgewiesen. Von dem US-Gericht wurde keine Prüfung der Rechtmäßigkeit des Angriffs vorgenommen, weil dies als politische Frage betrachtet worden war. Wegen der wesentlichen Bedeutung der in Deutschland gelegenen Air Base Ramstein für fortdauernde amerikanische Drohneneinsätze auch im Jemen haben die Kläger, die um ihre eigene Sicherheit besorgt sind, die Bundesrepublik Deutschland darauf verklagt, eine Nutzung der Air Base für derartige Einsätze durch geeignete Maßnahmen zu unterbinden. Anders als Anwohner der Air Base, die in der Vergangenheit vergeblich gegen ihre Nutzung für Drohneneinsätze geklagt haben, bewohnen die Kläger ein Gebiet, in dem seit Jahren Menschen durch bewaffnete US-Drohnen gezielt getötet werden. Dabei ist es regelmäßig auch zu zivilen Opfern gekommen, deren Zahlen zwischen offiziellen Stellungnahmen und der Medienberichterstattung erheblich variieren.
Die Beklagte führt im Jemen selbst keine militärischen Drohnenangriffe durch, die auch die dortige Zivilbevölkerung gefährden. Sie nimmt an amerikanischen Drohnenangriffen auch nicht aktiv teil und hat sie insbesondere nicht gestattet. Sie verletzt schon deshalb nicht durch eigenes Handeln das auch den Klägern als Ausländern zustehende Recht auf Leben.
Jenseits grundrechtlicher Abwehransprüche ist vom Bundesverfassungsrecht anerkannt, dass das Grundrecht auf Leben eine umfassende staatliche Schutzpflicht auslöst, sich schützend und fördernd vor das Leben zu stellen, das heißt vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren. Das gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch im Hinblick auf Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter durch andere Staaten. Die Schutzverpflichtung des Staates muss umso ernster genommen werden, je höher der Rang des in Frage stehenden Rechtsgutes innerhalb der Wertordnung des Grundgesetzes anzusetzen ist. Das menschliche Leben stellt innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar; es ist die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte.
Das Bundesverfassungsgericht hat für Auslandssachverhalte bereits entschieden, dass es in der vom Grundgesetz verfassten staatlichen Ordnung geboten sein kann, Völkerrechtsverstöße als subjektive Rechtsverletzungen geltend machen zu können, unabhängig davon, ob Ansprüche von Einzelpersonen schon kraft Völkerrechts bestehen. Das gilt jedenfalls dann, wenn völkerrechtliche Regelungen ? wie hier ? einen engen Bezug zu individuellen hochrangigen Rechtsgütern aufweisen. Aufgrund ihrer [sich] aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes ergebenden Pflicht, das Völkerrecht zu respektieren, können deutsche Staatsorgane verpflichtet sein, das Völkerrecht im eigenen Verantwortungsbereich durchzusetzen, wenn andere Staaten es verletzen. Deutsche Behörden und Gerichte sind verpflichtet, alles zu unterlassen, was einer unter Verstoß gegen allgemeinen Regeln des Völkerrechts vorgenommenen Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger im Geltungsbereich des Grundgesetzes Wirksamkeit verschafft. Diese nach außen gerichtete Pflicht kann allerdings in ein Spannungsverhältnis zu der gleichfalls verfassungsrechtlich gewollten internationalen Zusammenarbeit zwischen den Staaten und anderen Völkerrechtssubjekten geraten, insbesondere wenn eine Rechtsverletzung nur auf dem Kooperationswege beendet werden kann. Dann kann sich diese Ausprägung der Respektierungspflicht nur im Zusammenspiel und Ausgleich mit den weiteren internationalen Verpflichtungen Deutschlands konkretisieren.
Ausgehend von diesen Maßstäben hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass eine Schutzpflicht der beklagten Bundesrepublik Deutschland bezogen auf Leib und Leben der Kläger besteht, der ein bisher nicht ausreichend erfüllter Anspruch der Kläger gegenübersteht. Dieser Anspruch hat allerdings nicht den Inhalt, dass Deutschland darauf hinwirken muss, die Nutzung der Air Base Ramstein für Drohneneinsätze zu unterbinden. Insoweit hat der Senat die Klage abgewiesen.
Die Kläger können von der Beklagten lediglich verlangen, dass sie sich auf der Grundlage der rechtlichen Prüfung durch den Senat vergewissert, ob die generelle Praxis der amerikanischen Drohneneinsätze in der Heimatregion der Kläger im Jemen, soweit dabei Einrichtungen in Deutschland genutzt werden, mit dem geltenden Völkerrecht in Einklang steht. Erforderlichenfalls hat die Beklagte durch ihr geeignet erscheinende Maßnahmen auf die Einhaltung des Völkerrechts hinzuwirken.
Im Einzelnen:
Die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 GG besteht bei Gefahren für das Grundrecht auf Leben auch bei Auslandssachverhalten, sofern ein hinreichend enger Bezug zum deutschen Staat besteht. Hier besteht ein solcher Bezug, der eine aus dem Grundrecht auf Leben folgende Schutzpflicht der Beklagten gegenüber den Klägern auslöst, weil sie berechtigterweise Leib- und Lebensgefahren durch völkerrechtswidrige US-Drohneneinsätze unter Nutzung von Einrichtungen auf der Air Base Ramstein befürchten. Das Recht auf Leben ist umfassend und schützt auch vor relevanten hinreichend konkreten rechtswidrigen Gefährdungen für Leib und Leben.
Es bestehen gewichtige, der Beklagten bekannte oder jedenfalls offenkundige tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die USA unter Verwendung technischer Einrichtungen auf der Air Base Ramstein und dort stationierten eigenen Personals bewaffnete Drohneneinsätze in der Heimatregion der Kläger im Jemen durchführen, die zumindest teilweise gegen Völkerrecht verstoßen, wodurch die Kläger rechtswidrig in ihrem Recht auf Leben gefährdet werden.
Nach offiziellen Verlautbarungen der US-Regierung, des US-Kongresses sowie des US-Militärs führen die USA seit Jahren bis in die jüngste Vergangenheit im Jemen Militäroperationen zur Terrorismusbekämpfung durch. Dabei handle es sich insbesondere um Luftangriffe (»airstrikes«). Die Angriffe richten sich gegen Operationen, Einrichtungen und Führungsmitglieder (»senior leaders«) von mit al-Qaida verbundenen Organisationen. Im Jemen sind das al-Qaida auf der arabischen Halbinsel »AQAP« und der dortige regionale Ableger des IS.
Von regelmäßigen amerikanischen Luft- und Drohnenangriffen im Jemen berichten auch die UN-Sonderberichterstatter und UN-Expertenkommissionen für den Jemen.
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die USA Drohneneinsätze (auch) im Jemen unter Verwendung technischer Einrichtungen auf der Air Base Ramstein und dort stationierten eigenen Personals durchführen. Insbesondere spricht derzeit alles dafür, dass der Datenstrom zur Fernsteuerung der Drohnen in Echtzeit aus den USA über eine Satelliten-Relaisstation in Ramstein geleitet wird, die als notwendiges Bindeglied zwischen den Piloten in den USA und den Drohnen im Einsatzgebiet für die Einsätze von zentraler Bedeutung ist. Dies entspricht den Feststellungen der Mehrheit des 1. Untersuchungsausschusses der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages. Dieser hat nach umfassender Beweiserhebung in seinem Abschlussbericht auf BT-Drs. 18/12850, Seite 1354, festgestellt:
Im Ergebnis kann nach der Beweisaufnahme durch den Ausschuss als gesichert gelten, dass die US-Luftwaffenbasis Ramstein mit der dortigen Relaisstation, die der Weiterleitung von Daten und Steuerungssignalen für US-Drohnen aber auch von durch US-Drohnen gewonnene Daten dient, eine wesentliche Rolle für den Einsatz von US-Drohnen spielt – unabhängig davon, ob diese bewaffnet oder unbewaffnet, etwa zu Aufklärungszwecken, operieren und ebenfalls unabhängig davon, ob es bei bewaffneten Drohnen tatsächlich im Einzelfall auch zum Waffeneinsatz kommt.
Diese Feststellungen werden untermauert durch dem Gericht vorliegende offizielle amerikanische Dokumente aus den Jahren 2010 und 2011, in denen die herausragende Bedeutung der seinerzeit noch geplanten Relaisstation auf der Air Base in Ramstein für den US-Einsatz bewaffneter Drohnen in Übersee jeweils besonders hervorgehoben worden ist. Über den seinerzeit noch geplanten Bau einer Satelliten-Relaisstation in Ramstein zur Steuerung auch bewaffneter Drohnen im Ausland wurde die Beklagte von der US-Seite bereits im April 2010 und sodann noch einmal im November 2011 informiert.
Im Jahr 2016 haben amerikanische Regierungsstellen der Beklagten mitgeteilt, die globalen Kommunikationswege der USA zur Unterstützung unbemannter Luftfahrzeuge schlössen Fernmeldepräsenzpunkte auch in Deutschland ein, von denen aus die Signale weitergeleitet würden. Einsätze unbemannter Luftfahrzeuge würden von verschiedenen Standorten aus geflogen, unter Nutzung diverser Fernmelderelaisschaltungen, von denen einige auch in Ramstein laufen würden. Außerdem teilten US-Vertreter mit, dass im Jahr 2015 in Ramstein eine Vorrichtung zur Verbesserung der bereits zuvor vorhandenen Fernmeldeausstattung fertiggestellt worden sei. Schließlich hat die US-Seite die Bundesregierung darüber informiert, dass Ramstein eine Reihe weiterer Aufgaben unterstütze, darunter die Planung, Überwachung und Auswertung von zugewiesenen Luftoperationen.
In Reaktion auf diese neuen Informationen hat das Auswärtige Amt im September 2016 hochrangige Gespräche in Washington geführt. Hierüber hat die Bundesregierung den Deutschen Bundestag unterrichtet und erklärt, sie werde dazu auch weiterhin mit der amerikanischen Seite in Kontakt bleiben (BT-Plenarprotokoll 18/205, S. 20452 f.). Auf mehrere parlamentarische Anfragen hat die Bundesregierung erklärt, aufgrund langjähriger und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den USA gebe es für die Bundesregierung keinen Anlass zu Zweifeln an der Zusicherung der USA, dass Aktivitäten in US-Militärliegenschaften in Deutschland im Einklang mit dem geltenden Recht erfolgten. Die USA haben sich hierzu in den Stationierungsverträgen selbst gegenüber Deutschland verpflichtet.
Alle beteiligten Staaten, die USA, Deutschland und der Jemen gehen selbstverständlich davon aus, dass militärische Waffengewalt nur im Rahmen des geltenden Völkerrechts zulässig ist. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat in zahlreichen Resolutionen im Zusammenhang mit der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, auch im Jemen, immer wieder hervorgehoben und mehrfach mit Nachdruck an alle Konfliktparteien bewaffneter Konflikt appelliert, dass sie ihren Verpflichtungen nach dem Völkerrecht, einschließlich des anwendbaren humanitären Völkerrechts und der anwendbaren internationalen Menschenrechtsnormen, nachkommen müssen (jüngst für den Jemen z.B. Resolution Nr. 2402 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 26.2.2018).
Völkerrecht ist nach dem deutschen Grundgesetz auch in Deutschland geltendes Recht und bindet Behörden sowie Gerichte nach Art. 20 Abs. 3 GG. Es muss auch von Stationierungsstreitkräften bei der Nutzung deutscher Liegenschaften eingehalten werden. Darüber besteht kein Streit. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht der Bundesregierung in Bezug auf die rein völkerrechtliche Bewertung mit Rücksicht auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich kein politischer Beurteilungsspielraum zu, der gerichtlicher Kontrolle nicht zugänglich ist.
Die Frage, ob und ggf. in welchen Grenzen Völkerrecht bewaffnete Drohneneinsätze im Jemen zulässt, ist deshalb keine politische Frage, sondern eine Rechtsfrage. Sie ist in diesem Verfahren streitgegenständlich, weil amerikanische bewaffnete Drohnen unter Verwendung technisch ganz zentraler Einrichtungen, die sich auf deutschem Boden befinden, eingesetzt werden. Ob sich Deutschland im Zusammenhang mit amerikanischen Drohneneinsätzen schützend und fördernd vor das Leben der Zivilbevölkerung in den Einsatzgebieten im Jemen stellen muss, hängt rechtlich davon ab, ob das Völkerrecht bei diesen Einsätzen gewahrt wird. Der Prüfung des völkerrechtlichen Rahmens für Einsätze, die die USA unter maßgeblicher Nutzung deutscher Liegenschaften in Deutschland durchführt, bedarf es also rechtlich notwendig, um die deutsche (Mit-) Verantwortlichkeit in diesem Zusammenhang beurteilen zu können.
Mithin ist der Senat nach deutschem Verfassungsrecht verpflichtet, die Vereinbarkeit amerikanischer Drohneneinsätze in der Heimatregion der Kläger im Jemen mit geltendem Völkerrecht zu prüfen. Mit dieser ihm innerstaatlich durch das Grundgesetz aufgegebenen rein rechtlichen Prüfung trägt er im Rahmen seiner Zuständigkeit auch im internationalen Zusammenhang das Seine zur Einhaltung des Völkerrechts bei der Terrorismusbekämpfung bei, soweit Deutschland daran maßgeblich mitwirkt.
Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, auch im Jemen, geschieht mit ausdrücklicher Billigung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, der festgestellt hat, dass die Situation im Jemen eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt, auch deshalb, weil bestimmte Gebiete im Jemen mit verheerenden humanitären Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung unter Kontrolle von Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel stehen (Resolution 2402 vom 26.2.2018).
Grundsätzlich hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Rahmen ihrer von zahlreichen Staaten, zu denen Deutschland und die USA gehören, eingebrachten Resolution 60/158 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Bekämpfung des Terrorismus vom 16.12.2005, die nach Abschnitt IV. Nr. 1 der weltweiten Strategie der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 8.9.2006 (Resolution 60/288 der Generalversammlung) den grundlegender Rahmen für den Menschenrechtsschutz bei der Terrorismusbekämpfung vorgibt, unter anderem folgendes bekräftigt:
Erstens, dass jede Form des Terrorismus als kriminell und nicht zu rechtfertigen unmissverständlich zu verurteilen ist und die Staatengemeinschaft entschlossen ist, die internationale Zusammenarbeit zur Bekämpfung des Terrorismus zu stärken, und
zweitens, dass die UN-Mitgliedstaaten sicherstellen müssen, dass jede Maßnahme, die sie zur Bekämpfung des Terrorismus ergreifen, mit ihren Verpflichtungen nach dem Völkerrecht, insbesondere den internationalen Menschenrechtsnormen, dem Flüchtlingsvölkerrecht und dem humanitären Völkerrecht, im Einklang steht.
Zugleich hat die Generalversammlung in dieser Resolution zutiefst missbilligt, dass es im Kontext des Kampfes gegen den Terrorismus zu Verletzungen der Menschenrechte sowie zu Verstößen gegen das Flüchtlingsvölkerrecht und das humanitäre Völkerrecht kommt.
Da die Vereinbarkeit amerikanischer Drohneneinsätze im Rahmen der Terrorismusbekämpfung mit dem auch völkerrechtlich gewährleisteten Recht auf Leben umstritten ist, versetzt eine Prüfung der sich hierbei stellenden rechtlichen Zweifelsfragen durch ein unabhängiges Gericht in einem rechtsstaatlichen Verfahren die zuständigen deutschen Stellen in die Lage, im Rahmen der guten internationalen Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten aufgekommene völkerrechtliche Zweifel auszuräumen.
Die sehr aufwändige Prüfung hat ergeben, dass die bisherige Annahme der Bundesregierung, es bestünden keine Anhaltspunkte für Verstöße der USA bei ihren Aktivitäten in Deutschland gegen deutsches Recht oder Völkerrecht, auf einer unzureichenden Tatsachenermittlung beruht und rechtlich letztlich nicht tragfähig ist.
Es bestehen gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass jedenfalls ein Teil der bewaffneten Drohneneinsätze der USA in der Heimatregion der Kläger im Jemen mit Völkerrecht nicht in Einklang steht und die Kläger durch diese rechtswidrig in ihrem Recht auf Leben gefährdet werden. Angesichts dieses Risikos ist die Beklagte zu Unrecht davon ausgegangen, zu weiteren Bemühungen über die bestehenden Kontakte mit der US-Regierung hinaus, über deren Inhalt die Bundesregierung Stillschweigen wahrt, gegenüber den Klägern nicht verpflichtet zu sein. In seiner Entscheidung berücksichtigt und wahrt der Senat den weiten Spielraum, der der Bundesregierung im Zusammenhang mit staatlichen Schutzpflichten zukommt, zumal im außenpolitischen Bereich. Bei der Erfüllung der Schutzpflicht obliegt es der Bundesregierung, im internationalen Verkehr mit dem Bündnispartner, den Vereinigten Staaten von Amerika, der ebenfalls dem Völkerrecht und den internationalen Menschenrechten sowie dem humanitären Völkerrecht verpflichtet ist, in einer Weise vorzugehen, die die Bündnisfähigkeit Deutschlands nicht gefährdet.
Im Rahmen seiner völkerrechtlichen Prüfung stützt sich der Senat auf die UN-Charta sowie internationale Verträge zum humanitären Völkerrecht und zum internationalen Menschenrechtsschutz in der Auslegung durch internationale Gerichte. Des Weiteren konnte er bezogen auf sich stellende Zweifelsfragen im Zusammenhang mit der Auslegung internationaler Verträge unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Völkergewohnheitsrechts auf umfangreiche Vorarbeiten von internationalen Organisationen, namentlich unter dem Dach der Vereinten Nationen sowie des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, zurückgreifen, in die internationaler Sachverstand eingeflossen ist, sowie auf tatsächliche Feststellungen von Sonderberichterstattern der Vereinten Nationen sowie internationalen Expertenkommissionen. An der sich hieraus ergebenden Rechtsprüfung hat der Senat die Völkerrechtskonformität der Einsätze bewaffneter Drohnen in der Heimatregion der Kläger im Jemen anhand offizieller Äußerungen der US-Administration sowie verlässlichen weiteren Erkenntnissen, insbesondere solchen, die von den Vereinten Nationen veranlasste Untersuchungen ergeben haben, überprüft. Er hatte dabei auch völkerrechtliche Abgrenzungsfragen zu beurteilen, die notwendig beurteilt werden müssen, bei denen aber Streit über die zutreffenden Abgrenzungskriterien besteht.
Diese Überprüfung hat Folgendes ergeben:
Der Einsatz bewaffneter amerikanischer Drohnen im Jemen ist derzeit nicht generell unzulässig. Bewaffnete Drohnen sind keine völkerrechtlich verbotenen Waffen. Der Waffeneinsatz der US-Streitkräfte gegen al-Qaida auf der arabischen Halbinsel im Jemen verstößt, ungeachtet dessen, ob sich die Kläger hierauf berufen können, auch nicht gegen das staatengerichtete Gewaltverbot in internationalen Beziehungen, weil er mit Zustimmung der rechtmäßigen jemenitischen Regierung erfolgt.
Selbst wenn bewaffnete Drohneneinsätze grundsätzlich zulässig sind, dürfen sie nicht gegen die Vorgaben des humanitären Völkerrechts und des internationalen Menschenrechtsschutzes verstoßen.
Das humanitäre Völkerrecht gilt nur in bewaffneten Konflikten und gestattet in diesem Zusammenhang die in Friedenszeiten prinzipiell unzulässige gezielte Ausübung auch tödlicher Gewalt, setzt dieser aber zugleich auch Grenzen. Insoweit dient es der Mäßigung der Gewaltausübung und dem Schutz von Leib und Leben von Zivilisten im bewaffneten Konflikt, also dem Schutz hochrangiger individueller Schutzgüter geschützter Personen. Damit ist das humanitäre Völkerrecht im Rahmen der hier zu beurteilenden staatlichen Schutzpflicht relevant.
Nicht als bewaffnete Konflikte gelten bloße innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen. Nach einer weithin anerkannten Definition des UN-Tribunals für das ehemalige Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia – ICTY) liegt ein bewaffneter Konflikt auch bei „lang anhaltender bewaffneter Gewalt zwischen Regierungsstellen und bewaffneten Organisationen“ innerhalb eines Staates vor. Nach den unter dem Dach der Vereinten Nationen gewonnenen Feststellungen spricht alles dafür, dass al-Qaida auf der arabischen Halbinsel einen hinreichenden Organisationsgrad aufweist, um Partei eines nicht internationalen bewaffneten Konflikts zu sein, zumal die Gruppe in den vergangenen Jahren mehrfach Teile des Landes unter ihre Kontrolle gebracht hat. Auch waren die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen al-Qaida auf der arabischen Halbinsel auf der einen Seite und der jemenitischen Regierung, die insoweit um internationale Unterstützung gebeten hat und unter anderem von den USA unterstützt wird, auf der anderen Seite jedenfalls bis in die jüngste Vergangenheit so intensiv, dass ein nicht internationaler bewaffneter Konflikt – auch nach Auffassung des Sicherheitsrats – gegeben ist, der zumindest derzeit noch nicht beendet ist. Allerdings ist al-Qaida auf der arabischen Halbinsel nach dem jüngsten Bericht internationaler Sachverständiger im vergangenen Jahr so erheblich geschwächt worden, dass sich in absehbarer Zeit die Frage stellen könnte, ob die Gruppe nicht mehr Partei eines mit militärischen Mitteln ausgetragenen bewaffneten Konflikts sein kann. Ähnliches gilt für den jemenitischen Ableger des IS.
Nach einer elementaren Regel des humanitären Völkerrechts dürfen weder die Zivilbevölkerung als solche, zivile Objekte noch einzelne Zivilpersonen, sofern und solange sie nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen, angegriffen werden. In Bezug auf geschützte Zivilpersonen sind auch im nicht internationalen bewaffneten Konflikt nach Art. 3 des IV. Genfer Abkommens vom 12.8.1949 (BGBl. 1954 II S. 917) Angriffe auf das Leben und die Person, namentlich die Tötung jeder Art, jederzeit und überall verboten. Aus dem Unterscheidungsgebot und dem Verbot des Angriffs auf nicht unmittelbar an Feindseligkeiten beteiligte Zivilpersonen folgt, dass stets eine in der konkreten Situation mögliche sorgfältige Prüfung stattfinden muss, ob es sich um eine geschützte Zivilperson handelt. Zum Schutz der Zivilbevölkerung sind nach Völkergewohnheitsrecht auch im nicht internationalen Konflikt Angriffe verboten, bei denen damit zu rechnen ist, dass sie auch Verluste an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung verursachen, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.
Angriffe dürfen sich grundsätzlich nur gegen Kämpfer der am Konflikt beteiligten bewaffneten Gruppe richten sowie gegen andere Personen, die unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen. Da die Kämpfer einer nichtstaatlichen Konfliktpartei anders als Soldaten staatlicher Streitkräfte äußerlich nicht zwingend durch Uniformen oder Hoheitszeichen erkennbar sind und typischerweise nicht durch formalen Akt, sondern aufgrund tatsächlichen Anschlusses zu Mitgliedern der Konfliktpartei werden, muss eine Unterscheidung zwischen ihnen und Zivilisten anhand tatsächlich-funktionaler Gesichtspunkte erfolgen. Dementsprechend ist eine Person als Angehörige einer solchen Gruppe anzusehen, wenn ihre fortgesetzte bzw. dauerhafte Funktion in der unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten besteht (»continuous combat function«).
Dieses vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz entwickelte Verständnis ist bereits in der funktionalen, auf eine Zweckbestimmung zur Austragung bewaffneter Feindseligkeiten bezogenen Bezeichnung nicht-staatlicher Konfliktparteien als »Streitkräfte« (gemeinsamer Art. 3 Nr. 1 der Genfer Abkommen, englische Fassung: »armed forces«) und »organisierte bewaffnete Gruppen« (Art. 1 Abs. 1 ZP II, englische Fassung: »organized armed groups«) angelegt. Die durch das funktionale Kriterium der fortgesetzten Kampffunktion bewirkte restriktive Bestimmung des Personenkreises, dessen Angehörige jeweils nicht den Schutzstatus einer Zivilperson genießen, entspricht zudem der auf einen wirksamen Schutz der Zivilbevölkerung zielenden Ausrichtung des humanitären Völkerrechts. Bei der Frage, ob eine Tätigkeit oder Funktion in der unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten besteht, bedarf es letztlich einer fallbezogenen Bewertung, die einerseits dem Schutz der Zivilbevölkerung, andererseits militärischen Notwendigkeiten Rechnung tragen muss. Angehörige organisierter bewaffneter Gruppen dürfen auch dann gezielt bekämpft werden, wenn sie aktuell gerade nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen.
Nach Auswertung aller für den Senat verfügbaren öffentlichen Erklärungen der US-Administration deuten diese klar darauf hin, dass die USA ihren Kampf gegen al-Qaida, die Taliban oder assoziierte Kräfte, zu denen al-Qaida auf der arabischen Halbinsel und der jemenitische Ableger des IS gezählt werden, als einheitlichen, potenziell weltweiten bewaffneten Konflikt verstehen. Sie differenzieren dabei nicht erkennbar zwischen verschiedenen räumlich begrenzten bewaffneten Konflikten unter Beteiligung organisatorisch unabhängiger regionaler Terrorgruppen. Ein so weit verstandener Begriff des bewaffneten Konflikts steht nicht im Einklang mit dem Begriffsverständnis des humanitären Völkerrechts, weil er nicht zur Begrenzung militärischer Gewalt beiträgt, sondern praktisch grenzenlos und potenziell global ist. Dieses weite Verständnis haben die Vereinigten Staaten von Amerika bis zuletzt nicht offiziell aufgegeben, auch wenn sie tatsächlich ihre militärischen Einsätze auf regionale bewaffnete Konflikte konzentrieren.
Ferner haben die USA in der Vergangenheit bei der Terrorismusbekämpfung mehrfach ein Recht auf präventive Selbstverteidigung auch in Situationen für sich beansprucht, in denen noch keine unmittelbare Gefahr besteht, sondern „über Zeit und Ort des feindlichen Angriffs Ungewissheit herrscht“. Diese Auffassung ist bis heute regelmäßig auf Widerspruch gestoßen und ist deshalb völkergewohnheitsrechtlich nicht anerkannt.
Das sehr weite Verständnis der USA von der Reichweite bewaffneter Konflikte sowie die offiziell vertretene Annahme, Angriffe seien selbst außerhalb bewaffneter Konflikte präventiv schon zulässig, wenn ein potentieller Gegner noch keinen konkreten Angriff plant, wecken Zweifel, ob die generelle Einsatzpraxis für Angriffe auch im Jemen dem Unterscheidungsgebot des humanitären Völkerrechts genügt. Indem die mit al-Qaida »assoziierten« Kräfte umfassend als Beteiligte an einem weltweiten bewaffneten Konflikt angesehen werden, selbst wenn Zeit und Ort eines möglichen Angriffs noch ungewiss sind, bleibt unklar, ob sich direkte bewaffnete Angriffe im Jemen auf solche Personen beschränken, die innerhalb der örtlichen Gruppierung al-Qaida auf der arabischen Halbinsel eine fortgesetzte Kampffunktion einnehmen, also insbesondere als Mitglieder seines militärischen Zweigs, sowie auf sonstige Personen, die unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen. Der Senat hat keine Anzeichen dafür feststellen können, dass diese völkerrechtlich zum Schutz der Zivilbevölkerung zwingend notwendige Differenzierung in ausreichendem Maße erfolgt. Verlässliche Informationen über Drohnenangriffe im Jemen, einschließlich solcher von offiziellen amerikanischen Stellen, deuten vielmehr darauf hin, dass die völkerrechtlich erforderliche Unterscheidung nicht nur im Einzelfall nicht genügend vorgenommen wird. Insbesondere sind am bewaffneten Kampf nicht unmittelbar beteiligte zivile Unterstützer der Gruppe und frühere Kämpfer, die sich von ihr endgültig abgewandt haben, keine legitimen militärischen Ziele, selbst wenn sie dem Sanktionsregime des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen unterworfen sind und strafrechtlich auch für ihre nicht militärischen Unterstützungsleistungen verantwortlich zu machen sind.
Darüber hinaus ist auch im bewaffneten Konflikt jede willkürliche Tötung nach Art. 6 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte unzulässig. Dabei ist eine Tötung nach der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs dann nicht willkürlich, wenn sie sich im Rahmen eines bewaffneten Konflikts gegen ein legitimes militärisches Ziel richtet und der Angriff unverhältnismäßig hohe zivile Opfer vermeidet. Ob dies jeweils der Fall war, blieb in der Vergangenheit vielfach ungeklärt, selbst wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass Zivilisten gezielt angegriffen worden sein könnten. Das Verbot willkürlicher Tötung verlangt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts, dass wirksame amtliche Ermittlungen durchgeführt werden, wenn Personen durch Gewaltanwendung insbesondere durch Vertreter des Staates getötet werden. Der UN-Sonderberichterstatter für den Menschenrechtsschutz bei der Terrorismusbekämpfung ist in seinem Abschlussbericht im Jahr 2014 zwar zu dem Ergebnis gekommen, dass von der Mehrheit der bei US-Drohnenangriffen im Jemen getöteten Personen angenommen wird, es habe sich um legitime militärische Ziele im innerstaatlichen bewaffneten Konflikt gehandelt. Gleichwohl hat er eine Reihe von bewaffneten Angriffen mit erwiesener oder möglicher Beteiligung der USA im Jemen aufgeführt, bei denen ein nicht ausgeräumter begründeter Verdacht der Rechtswidrigkeit besteht. Entsprechende Vorwürfe hat der jemenitische Minister für Menschenrechte in einer britischen Zeitung noch im vergangenen Jahr anlässlich mehrerer jüngerer Angriffe erhoben, bei denen jemenitische Regierungsstellen keinen Anhalt dafür finden konnten, dass auch nur eines der Opfer mit al-Qaida in Verbindung stand. Schon 2010 hatte ein UN-Sonderberichterstatter beanstandet, dass die Staaten ihren nach den Menschenrechtsnormen und dem humanitären Völkerrecht bestehenden Verpflichtungen zur Rechenschaft in Bezug auf gezielte Tötungen nicht nachkommen. Der Bundesregierung ist nach Angaben ihrer Vertreter in der mündlichen Verhandlung nicht verlässlich bekannt, dass in Fällen dieser Art ? über rein interne Lageauswertungen hinaus ? unabhängige Untersuchungen durch US-Behörden durchgeführt oder zugelassen werden. Hierüber ist im laufenden Verfahren auch sonst nichts bekannt geworden. Der Umstand, dass den Klägern eine gerichtliche Überprüfung der Tötung ihrer Angehörigen vor amerikanischen Gerichten versagt wurde, spricht eher dagegen.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat der Senat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.