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W&F 1985/1

„Du solt niemandt tödten“ – Darstellungen des Krieges in der frühen Neuzeit

Ein Beitrag der Kunstgeschichte zur Friedenserziehung

von Norbert Schneider

Schon für das Mittelalter, besonders aber für die frühe Neuzeit, als die ersten großen Heere eingerichtet und Innovationen in der Waffentechnik, vor allem im Geschützwesen, entwickelt wurden, lassen sich Friedensbewegungen nachweisen, zu denen sich auch nicht wenige Künstler bekannten. Wenn heute Franz Alt mit seiner Berufung auf die Bergpredigt einer primär vom christlichen Glauben geprägten Fraktion der Friedensbewegung eine ethische Argumentation anbietet, so kann man zeigen, daß derlei moralische Ideale schon von religiösen Gemeinschaften des Mittelalters wie den Bogumilen, den Waldensern und den Brüdern vom gemeinsamen Leben in radikaler Form gegen eine kriegslüsterne Obrigkeit gepredigt wurden. Neben diesen religiösen pazifistischen Bewegungen fanden auch säkulare, weltliche Friedensideen wachsende Verbreitung, wie sie, gestützt auf das Toleranzprinzip mit seiner Forderung nach friedlicher Koexistenz, im Zeitalter der Renaissance die Humanisten und später, im 18. Jahrhundert, die Aufklärer propagierten.

Bei Immanuel Kant finden wir sogar schon politisch-ökonomische Argumente: Er macht auf die ständig wachsenden Schuldenlasten des Staates aufmerksam, „deren Tilgung unabsehlich wird“, und weist auf Auswirkungen einer jeden Staatserschütterung auf alle anderen Staaten hin, mit denen „unser Weltteil“ „durch seine Gewerbe“ verkettet sei. „Man muß gestehen“, sagt Kant, „daß die größten Übel, welche gesittete Völker drücken, uns vom Kriege, und zwar nicht so sehr von dem, der wirklich oder gewesen ist, als von der nie nachlassenden und sogar unaufhörlich vermehrten Zurüstung zum künftigen, zugezogen werden. Hierzu werden alle Kräfte des Staates, alle Früchte seiner Kultur, die zu einer noch größeren Kultur gebraucht werden könnten, verwandt; der Freiheit wird an so vielen Orten Abbruch getan, und die mütterliche Vorsorge des Staates für einzelne Glieder in eine unerbittliche Härte der Forderungen verwandelt, indes diese doch auch durch die Besorgnis äußerer Gefahr gerechtfertigt wird.“

Kant macht also schon auf den Zusammenhang von Aufrüstung und Abbau von Sozialleistungen, Restriktionen auf dem Kultursektor und Zerstörung von vom Volk Beschaffenem Kulturgut aufmerksam, Aspekte, die auch heute noch vorrangig genannt werden müssen. Er erkennt hellsichtig und prangert es eindringlich an, daß der Staat mit seinen Aufrüstungsmaßnahmen die Kultur tendenziell vernichtet, die er doch eigentlich zu fördern hätte.

Mit Kant habe ich einen Friedenstheoretiker zitiert, dessen Argumentationen uns schon sehr modern vorkommen. Er steht, wie bereits angedeutet, in der Tradition der friedensethischen Theorien, die sich im 15. und 16. Jahrhundert ankündigten. Es war dies die Epoche, in der sich die modernen Nationalstaaten herausbildeten und damit auch nationale ökonomische Systeme, die von den absolutistischen Herrschern protegiert wurden. Eine Folge der aufkommenden divergierenden nationalen ökonomischen Interessen im Zeichen des expansiven Handelskapitals ist der Kampf um die politische Hegemonie, der immer wieder, die Ebene der Diplomatie verlassend, in kriegerische Konflikte riesigen Ausmaßes mündet. Das Studium der Entstehung der modernen Staaten lehrt eindringlich, daß die Profitinteressen immer wieder Anlaß und Ursache für das Anfachen von Kriegen gewesen sind, ein Prozeß, der bis heute anhält. Im 16. Jahrhundert wuchsen in gigantischem Maße die Kosten für die Planung und Führung von Kriegen. Im vorrevolutionären Frankreich machten die Staatsausgaben für militärische Einrichtungen zwei Drittel des Gesamtetats aus. Perry Anderson hat in seinem Buch „Die Entstehung des absolutistischen Staates“ (Frankfurt 1979, edition suhrkamp 950, S. 40) festgestellt: „Die permanente Virtualität eines internationalen Konflikts kennzeichnet das ganze Klima des Absolutismus. Der Friede war sozusagen meteorologische Ausnahme in den Jahrhunderten seiner Herrschaft in Europa. Man hat errechnet, daß es im ganzen 16. Jahrhundert nur 25 Jahre ohne militärische Operationen in Europa gab, während im 17. Jahrhundert nur sieben Jahre ohne entscheidende Kriege zwischen den Staaten vergingen. Das Kapital blieb davon unangefochten; im Gegenteil: ihm waren die Zustände … von Nutzen.“ (Thomas Hobbes schreibt in „De cive“ (2,2): „Suche den Frieden, wo du ihn haben kannst wo du ihn – in einer deinen Interessen angemessenen Weise – nicht haben kannst, rüste zum Krieg.“)

Eine affirmative Darstellung der militärischen Innovationen, einen Reflex des neuen Heerwesens bringt Altdorfers berühmte „Alexanderschlacht“ von 1529, gemalt für Herzog Wilhelm IV. von Bayern und seine Gemahlin Jacobaea von Baden. Bestimmt war dies Bild für die Residenz des Fürsten, neben einer Reihe an derer Kriegsbilder von Jörg Breu, Melchior Feselen, Ludwig Refinger u. a. Auffallend ist die Fülle von Figuren: Reiterscharen und Fußvolk in strategischer Anordnung, von einem hohen Blickpunkt aus gesehen, so daß man genau feststellen kann, wie die taktischen Operationen verlaufen. Auf der vom oberen Bildrand herabhängenden Tafel ist exakt verzeichnet, wieviel Perser Alexanders Heere töteten: 100.000 Mann zu Fuß und 10.000 Reiter. König Darius habe sich, so steht dort weiter zu lesen, mit mehr als 1.000 Reitern durch die Flucht retten können; seine Mutter, seine Gattin und seine Kinder hingegen seien gefangengenommen worden. Das Interesse an der Registrierung der Zahlen ist bemerkenswert groß. Mit just eben solchen Problemen befaßten sich die Fürsten des 16. Jahrhunderts, die Berufsheere von stattlicher Stärke einführten (Philipp II. von Spanien verfügte über 60.000 Mann, ein Jahrhundert später hat Ludwig XIV. von Frankreich 300.000 Krieger unter Sold.). Und so ist Altdorfers Bild, das zu vielen metaphysischen Kommentaren eingeladen hat, etwa hinsichtlich der Parallelität des kosmischen Geschehens am Himmel, der Wolkenformation, und dem Wogen der Schlacht unten, zuvörderst als ein historisches Dokument fr die Revolutionierung des Militärwesens in der frühen Neuzeit zu werten. Es enthält auch durchaus einen aktuellen Zeitbezug von der Intention des Auftraggebers und des Malers her, denn die Schlacht bei Issus (333 v. Chr.) ist typologisch bezogen auf den Kampf des christlichen Abendlandes gegen die heidnischen Türken (die hier mit den Persern gleichgesetzt werden ).

Solchen eher apologetischen, jedenfalls nicht kritischen Darstellungen stehen bildliche Äußerungen von dem Humanismus nahestehenden Künstlern wie Hans Baldung Grien (1476-1545) gegenüber, die die Brutalität der von den Fürsten angeworbenen Soldateska moralisch verurteilen. In einem Holzschnitt zeigt Baldung Grien zwei mit Schwertern sich bekämpfende Landsknechte. Über der Bildrahmung steht mahnend die Inschrift: „Das fünfft gebott ist: Du solt niemandt tödten.“ Unzweifelhaft eine Forderung, die Distanz zu einer wie auch immer gearteten Parteinahme in den militärischen Konflikten der Zeit sucht. Der „Dienst an der Waffe“, um die neudeutsche Sprachregelung unserer Regierung zu zitieren, wird unter Hinweis auf die Bibel als Verbrechen und Sünde wider Gott gesehen. Diese Position steht in Einklang mit der philosophischen Haltung des Humanismus etwa eines Erasmus von Rotterdam (1466-1536), der angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts immer wieder dazu aufrief, Toleranz zu üben und auf den Einsatz von Waffen zu verzichten. So wie auch heute die Friedensforschung ein sozialpsychologisches Programm zur Aufdeckung der sozialen Determinanten individuellen Aggressionsverhaltens entwickelt, so haben sich auch Erasmus und andere Humanisten nicht von ungefähr mit seelischen Dispositionen und mit der Skala der Affekte beschäftigt, um so zur Grundlegung eines gesellschaftlich verbindlichen moralischen Systems zu gelangen, das Friedfertigkeit und Brüderlichkeit ermöglicht. Im Gegensatz zu Luther, der mit seiner rigiden Erbsündentheorie den Menschen schlechthin zum Sünder erklärte, den nur die Gnade Gottes erlösen kann, hielt Erasmus zeitlebens an der Lehre vom freien Willen fest. Führte Luthers Lehre unweigerlich zu einer Anerkennung bestehender Gewalten und Gewaltsysteme, zu einer fatalistischen Haltung gegenüber dem Status Quo, so vertrat Erasmus die Auffassung, daß man sich. aus diesen Verhältnissen heraushalten und moralischen Widerpart leisten solle.

Anders Luther, der eine Schrift verfaßt hat, ob Kriegsleute auch seligen Standes sein können. Darin findet sich das Diktum: „Denn weil das Schwert ist von Gott eingesetzt, die Bösen zu strafen, die Frommen zu schützen und Friede zu handhaben, so ist's auch gewaltiglich genug bewiesen, daß Kriege und Würgen von Gott eingesetzt sind und was Kriegslauf und Kriegsrecht mitbringet. Was ist Krieg anders, denn Unrecht und Böses strafen? Warum kriegt man, denn daß man Friede und Gehorsam haben will?“ Dieser auch noch bei den heutigen Regierungen beliebten Argumentation, daß Aufrüsten und letztlich Kriegführen nur dem Frieden dient, steht Erasmus Mahnung an den Fürsten gegenüber: Ein guter Fürst sollte von sich aus überhaupt keinen Krieg beginnen und alles zu vermeiden suchen, was dazu führen könnte. Erasmus erinnert den Fürsten an die moralischen Grundlagen seines politischen Handelns, die im christlichen Glauben verankert sein müßten. Gegenüber kirchlicher Pervertierung christlicher Lehre mit ihrer Rechtfertigung des Krieges (z. B. bei Thomas von Aquin) insistiert Erasmus, der sich auf Argumente des Stoizismus stützt, darauf, daß sich der Fürst am Ideal des friedliebenden, vernunftgeleiteten Menschen orientieren und von dem Negativbild des kriegslüsternen Despoten, den er mit einer „wilden Bestie“ vergleicht, abheben müsse. Auch ökonomische Argumente läßt Erasmus – wie später Kant – einfließen: er macht eindrucksvoll klar, welche Kosten und Folgekosten Aufrüstung und – Krieg verursachen. Schließlich malt er die Schrecken und Leiden aus, die die Bevölkerung zu erleiden habe.

Mit den Bildern aus der Zeit der Reformation beginnt eine Tradition von Darstellungen, die die Leiden der Bevölkerung unter der Soldateska vor Augen führt. Die Künstler werden zu Anwälten der einfachen Menschen, die den Machenschaften der Großen, ihren politischen Interessen und Entscheidungen wehrlos ausgeliefert

Brueghels Bild „Der betlehemische Kindermord“ (1566/67, Wien, Kunsthistorisches Museum, 111x160 cm) erscheint nicht zufällig auf den ersten Blick als Idylle. Auf den zweiten entdeckt man, daß in die friedliche Winterlandschaft der Terror eingedrungen ist; die Schergen des Herodes überfallen das Dorf, metzeln die ihren Müttern entrissenen Kinder nieder, dringen plündernd in die Häuser ein. Im Mittelpunkt eine Phalanx Berittener, die die Straße nach hinten abriegelt, um ein Entkommen zu verhindern. Eindeutig handelt es sich bei diesem Bild um eine Anspielung auf die Militärdiktatur des Eisernen Herzogs Alba, der von Philipp II. mit einem Eliteheer von 10.000 spanischen Söldnern, die in Italien in Garnison lagen, zur Niederschlagung des Aufstands der Volksmassen gegen die Fremdherrschaft in die Niederlande entsandt worden war. Ziel der blutigen Aktion, bei der über 8.000 Menschen hingerichtet wurden (darunter nicht nur Adlige wie Graf Egmont und Admiral Hoorn, sondern auch Vertreter des armen Volkes), war es, durch Konfiskation so viel als nur irgend möglich aus den wirtschaftlichen Erträgen des prosperierenden Landes abzuschöpfen. Mit verschärften steuerlichen Belastungen wollte man das immer mehr dem Bankrott zuneigende ökonomische System des feudalabsolutistischen Spanien sanieren. Wie nahezu alle Kriege, hatte auch dieser ökonomische Ursachen. Wie heute, sollten auch damals wirtschaftliche Krisen mit brutalen militärischen Mitteln gelöst werden. Die Kosten hatte wie zu allen Zeiten das Volk zu tragen. Wahrscheinlich im selben Zeitraum, während der spanischen Okkupation, entstand Brueghels Bild „Der Triumph des Todes“ (Madrid, Prado, 117x162 cm): ein gespenstisches Inferno, ins Metaphysisch-Allegorische übersetzter Reflex der modernen Kriegsmaschinerie mit ihren strategisch formierten Heeren, die alles unbarmherzig niederwalzen und vernichten. Es gibt kein Entrinnen für die Lebenden. Skelette, Symbole des Todes, locken sie in eine riesige Falle. Andere werden wegen ihrer Zugehörigkeit zur Partei der Gegenseite hingerichtet. Alle gesellschaftlichen Schichten und Stände ereilt der Tod. Da hilft kein individuelles Sich-zur-Wehr-Setzen wie bei dem jungen donquichottehaft handelnden Edelmann vorn, der, vom Kartentisch aufspringend, zum Schwert greift. Brueghels Bild knüpft an die Tradition des spätmittelalterlichen Totentanzes an, wonach der Tod als die Instanz erscheint, vor der alle Menschen gleich sind und alle sozialen Privilegien hinfällig werden. So lassen sich zweifellos die Figuren im Vordergrund deuten: der Kaiser, der Kardinal, der Edelmann am Spieltisch u. a. Aber das Bild hat noch eine andere semantische Komponente, es schließt den von Erasmus her bekannten eindringlichen Appell an den Fürsten ein, Kriege unter allen Umständen zu vermeiden, weil sie das Volk und nicht zuletzt sie selber in tiefes Elend stürzen. Der Kaiser vorn links – kompositorisches Gegenstück zu dem tändelnden Liebespaar rechts, das sich um das Kriegswüten gar nicht zu scheren, es nicht einmal wahrzunehmen scheint – hat Brueghel, wie mir scheint, noch eine besondere Bedeutung über die semantische Dimension der Totentanzikonographie hinaus. Nach Dantes politischem Traktat „De monarchia“ (1310) repräsentiert er eigentlich die internationale Friedensordnung, die durch den Krieg, der hier freilich als völlig anonymes, kausal nicht erklärbares Geschehen erscheint, außer Kraft gesetzt wird. Der Kaiser fungiert bei Dante als Identifikationsfigur des internationalen Staatswesens. Seine Aufgabe ist es, den Frieden zu gewährleisten und den einzelnen Freiheit zu ermöglichen. Er wird also nicht als tyrannischer Herrscher aufgefaßt, der sein Volk unterdrückt, sondern, im Gegenteil, in seiner Person konzentriert sich sinnbildlich das Postulat, das Ideal der überstaatlichen Friedensordnung. Im Grunde genommen schimmert in Dantes utopischem Entwurf schon der Gedanke eines republikanisch-egalitär organisierten Staatswesens hindurch. Dies muß man m. E. bei der Deutung von Brueghels Kaiser mit in Betracht ziehen. Die Heere des Todes – hier eindeutige Anspielung auf die Invasion in den Niederlanden -, das blutige Kriegstreiben ist für den Künstler ein Verstoß gegen die Christi ich begründete natürliche Ordnung des Weltfriedens. Der gestürzte Kaiser, übrigens in unmittelbarer motivischer Nachbarschaft zum Rad des schaurigen Karrens mit den Totenköpfen, das an die Rota Fortunae, an das Rad der Fortuna (vgl. die Darstellung des Petrarca-Meisters) erinnert, indiziert, daß die Welt aus den Fugen ist, daß sie eine verkehrte Welt, eine widersinnige Ordnung geworden ist. Ich möchte noch kurz die Aufmerksamkeit auf das Motiv des Liebespaares lenken. Unverkennbar hat es neben dem tragischen Aspekt der Illusion, vom Kriegsgeschehen nicht berührt zu werden, komische Züge. Der sehnsuchtsvoll schmachtende, in die Saiten seiner Laute greifende Troubadour wird vom Künstler gnadenlos karikiert. Ihn äfft der siedelnde Tod höhnisch nach, ihm sein bevorstehendes Ende ankündigend. Brueghel hat für das Liebespaar kein Verständnis. Es verhält sich angesichts der drohenden Gefahr närrisch; und daß es sich hier um eine Narrensatire handelt, wird deutlich an der Figur des Narren mit dem rotweißen Schachbrettmuster, der sich ängstlich unter dem Tisch verkriecht. Freilich: so negativ der Künstler auch das Liebespaar aus der Perspektive der Narren Satire intendiert haben mag, in derer Kontext ja auch das Thema der verkehrten Welt gehört (siehe den Kaiser links): es hat doch noch einen sich aus seiner objektiven tragischen Situation ergebenden positiven Gehalt. Denn es repräsentiert selbst noch in der Karikatur das individuelle Glücksverlangen, das Bedürfnis nach Harmonie – Ansprüche, die von einer Objektivistischen Warte aus gesehen in Anbetracht des Faktischen, angesichts der Brutalität des Krieges als absurd und verrückt erscheinen. Nicht von ungefähr das Musikthema: in der emblematischen Bildsprache des 16. und 17. Jh. bezeichnet es über den trivialen Attributcharakter für das Liebespaar hinaus allgemein die harmonia mundi oder, politisch dimensioniert, die Eintracht der Völker und innerstaatliche Eintracht der Stände und sozialen Gruppen, also den Gedanken des Friedens auf allen Ebenen, der des Gemeinwesens und der der Individuen.

Warum, so wird man sich fragen, ist es sinnvoll, sich mit derlei historisch doch weit zurückliegenden Motiven zu beschäftigen? Ich denke, daß gerade auch im Rahmen einer allgemeinen Friedenserziehung die Didaktik einer sozialhistorisch verstandenen Kunstgeschichte eine wichtige Funktion hat, weil sie einen Beitrag zur Rekonstruktion der Vorgeschichte moderner Erscheinungsformen der Aufrüstung und Kriegsführung leisten kann. Im Kunstunterricht könnte an Bildern, die wegen ihrer Erlebniskomponente geschichtliche Vorgänge besonders gefühlseindringlich wahrnehmen lassen, gezeigt werden, daß schon in der Vergangenheit Kriege und alle Vorbereitungen dazu nicht fatalistisch hingenommen wurden, sondern in der Visualisierung des Schreckens oft utopische Gegenmodelle entwickelt wurden, in denen eine emphatische Friedenssehnsucht zum Ausdruck kommt.

Angesichts der reaktionären, mindestens zynisch gewaltverherrlichenden Bilderflut der Massenmedien – und das ist im wesentlichen der visuelle Rezeptionshorizont der Schüler -, angesichts aber auch im Zeichen der „Wende“ zunehmend irrationaler werdenden Tendenzen der Kunsterziehung, welche die Werke der Kunst entpolitisieren wollen, kann die historisch-kritische Aneignung solcher Bilder ein wichtiges pädagogisches Korrektiv sein und den Aufbau oder die Festigung einer politischen Moral unterstützen, auf die die Friedensbewegung, will sie nicht an Kraft verlieren, schwerlich verzichten kann.

Dr. Norbert Schneider lehrt Kunstgeschichte an der Universität Münster.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1985/1 1985-1, Seite