Editorial
von Paul Schäfer
Daß die „lahme Ente“ Reagan mit einem 1000 Personengefolge zum NATO-Gipfel im Februar nach Europa einflog, ändert nichts an dem eigentümlich unspektakulären Ablauf der NATO-Frühjahrstagung. Die brisanten Fragen der Gestaltung des Verhältnisses USA-Westeuropa, der „Modernisierung“, der Veränderung der Ostpolitik mußten ausgeklammert werden. Statt Problemlösung gab es den Rückzug der Regierungschefs auf den festen Routinebestand der NATO-Rhetorik und lächerliche Kabbeleien um semantische Tricks. Die Umbruchkrise des Bündnisses kann so nicht mehr verdeckt werden: es geht um die Neuverteilung der Macht, die Neubestimmung politisch-strategischer Optionen, um die Durchsetzung eines neuen, weitreichenden Konsenses zwischen auseinanderdriftenden Mächten also.
Das Zeit seit der Mitte der 70er Jahre waren bestimmt durch den Versuch der USA, die alte hegemoniale Stärke durch materielle und ideologische Aufrüstung wiederherzustellen. Reagan hatte 1980 die „Hegemonie auf Pump“ seiner Vorgänger verspottet Er versprach reales Wiedererstarken. Jetzt, am Ende der zweiten Amtszeit Reagans, kann bilanziert werden: der relative Niedergang der Weltmacht USA hat sich in den 70er Jahren fortgesetzt. Wirtschaftlich hat das rüstungsstimulierte Wachstum keine Wettbewerbsgewinne gebracht Die Politik der Stärke hat das westliche Bündnis zwar oberflächlich zusammengebracht; die Divergenzen wurden im Grunde jedoch beträchtlich verschärft, tiefe Irritationen traten auf. Die ideologisch überhöhten Politikziele sind obsolet geworden, die Bilanz der Außenpolitik bleibt weit hinter den proklamierten Zielen zurück. Zudem entwickelte sich Mitte der achtziger Jahre eine neue Dynamik des Sozialismus, mit der man nicht mehrgerechnet hatte. Spätestens durch Gorbatschow ist die Krise des frühen Politikansatzes des Reaganismus vollends offenbar geworden. Die erzwungene Neuorientierung der USA – und damit auch der NATO-Politik steckt noch in den ersten Anfängen, die Dinge sind im Fluß. Aber soviel ist schon deutlich: das Einschwenken auf einen zurückgenommenen, moderaten Kurs hat begonnen. Das bedeutet noch lange nicht die Abkehr von dem Kurs der Hochrüstung, sondern, ganz im Unterschied zu den früheren Hochrüstungsphasen zu Zeiten des Korea- und Indochinakrieges (als die Rüstungsausgaben dramatisch abgesenkt wurden), die Stabilisierung der Rüstungsausgaben auf hohem Niveau. Das bedeutet auch nicht die Aufgabe eines auf Überlegenheit zielenden, forcierten qualitativen Rüstungswettlaufs. Die Implikationen dieser „pragmatischen Wende“ sind:
- kooperativer Umgang mit der UdSSR
- die neue Ausbalancierung des Machtverhältnisses im westlichen Bündnis
- Relativierung der Rolle des militärischen Faktors bei der Gestaltung der internationalen Beziehungen.
Diese Fragen jedoch blieben bei dem NATO-Gipfel außen vor. Für den Fortgang des Abrüstungsprozesses in Europa brachte der Gipfel nichts.
Die Militärplaner konzentrieren sich vor allem auf zwei Punkte:
1. die Doktrin der nuklearen Abschreckung sollte in der Öffentlichkeit festgezurrt werden. Ohne Atomwaffen komme die NATO auf lange Sicht nicht aus – hieß es.
2. Es gelte, v.a. die sowjetische Angriffsfähigkeit im konventionellen Bereich abbauen. Damit war der Schwarze Peter zukünftiger Abrüstungsschritte Moskau zugeschoben. Daß die UdSSR erst mal einseitig abrüsten müsse, kann nicht als ernsthaftes Angebot angesehen werden.
Die Pläne über die Umsetzung der Montebello-Beschlüsse blieben in der Schublade. Von der Stationierung 1300 zusätzlicher Marschflugkörper ist die Rede. Aber noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Gerade die bundesdeutsche Friedensbewegung war in Brüssel als Faktor präsent Die FAZ schreibt, daß man fürchtete, die Modernisierungspläne würden einen Sturm entfachen.
Arbeiten wir daran.
Ihr Paul Schäfer