Editorial
von Paul Schäfer
Die Kampagne für eine neue Nachrüstung hat begonnen.
Hier soll keineswegs altes Gerät durch neuere Systeme gleicher Machart ersetzt werden. Vielmehr geht es um eine langfristig geplante Aufrüstung im Kurzstreckenbereich. Die neuen Waffen sind „deepstrike-Waffen.“ Die Marschflugkörper, Abstandswaffen und „Stealth-Flugzeuge“ sollen die gegnerische Abwehr wirkungslos machen.
Zeitgerecht liefern die „intelligence agencies“ Erkenntnisse über die passende sowjetische Bedrohung. Erkenntnisse über die „Modernisierung“, die neue Nachrüstung, sind in diesem Heft des Informationsdienstes zusammengetragen.
Diese Waffen mit möglichst großer Reichweite (d.h. gerade noch innerhalb des nach dem INF-Vertrag zulässigen Bereichs) sind die Instrumente zur Realisierung der neueren NATO-Konzepte: Follow-on-Forces-Attack, Air-Land-Battle etc. Der dort geschworene „Geist der Offensive“ wird mehr und mehr zur Grundlage der NATO-Politik.
Die neuen Waffen entsprechen der noch unter Caspar Weinberger entwickelten Rüstungsbeschaffungspolitik: Ausnützen der rüstungstechnologischen Vorsprünge, um überlegenes Militärpotential aufzubauen und den Gegner ökonomisch in die Enge zu treiben.
Die neuen Waffen sind in der Regel doppelt verwendungsfähig – nuklear wie konventionell – das macht sie weit gefährlicher, als ihre technischen Leistungsdaten vermuten lassen. Sie unterlaufen Rüstungskontrollverhandlungen, die auf die atomare Bedrohung abstellen. Daher hängt (neben SDI) das Abkommen über die Halbierung der strategischen Arsenale an den see- und luftgestützten Cruise Missiles. Und der kühne Vorschlag Nitzes, sie gänzlich zu verbieten, wurde von der gegenwärtigen US-Administraion schnell zurückgepfiffen. Die breite Einführung von hunderten oder gar tausenden neuer Waffensysteme dieser Art wäre zukünftig ein gravierendes Hindernis. Die Abwehr neuer Raketen, neuer Flugzeuge, der „Modernisierung“ steht auf der Tagesordnung.
Illusionen, daß nach dem INF-Vertrag die Durchsetzung neuer Aufrüstungsmaßnahmen „nicht machbar“ sei, beginnen sich zu verbreiten. Sie unterschätzen die Konkretheit, mit der jene ans Werk gehen, die den INF-Vertrag nur zähneknirschend hingenommen haben. Die Berufung eines Ideologen statt eines militärischen Fachmanns in die Leitung des BMVg geschah in strategischer Absicht. Der Mann soll eine Doppelrolle erfüllen: politischer Gegenspieler von Genscher im Kabinett sein und den PR-Mann zur Bearbeitung der Öffentlichkeit spielen. Die ersten Aussagen von Minister Scholz sind daher auch Offenbarungen der unerfreulichen Art. Er sorgt sich offenbar um die Erosion bundesdeutscher Feindbilder und nicht um die kaum geminderte nukleare Gefahr, wie seine doch ziemlich dreiste Verzerrung der sowjetischen Vorschläge zur atomaren Abrüstung zeigt.
Nun ja. Der Mann hat ein schweres Amt. Ihm ist Mißerfolg zu wünschen. Erfolg wünschen wir unserem Mitherausgeber Robert Jungk in seiner Auseinandersetzung mit der Justiz. Der erste Anlauf, ihm in Hanau den Prozeß zu machen, ist vorläufig gescheitert.
Ihr Paul Schäfer