W&F 1988/4

Editorial

von Paul Schäfer

Stimmt der Satz, daß die Friedensbewegung, obwohl sie sich nicht spektakulär auf den Straßen bewegt, dennoch eine„Bewegung“ bleibt?

Tatsächlich erscheint die friedenspolitische Lage nicht nur hierzulande eigenartig unentschieden:

  • gewartet wird auf den 8.11, ob Bush oder Dukakis gewählt werden – das macht einen Unterschied, auch wenn sehr fraglich ist, wie sehr er ins Gewicht fällt.
  • 1988 wird es keinen Durchbruch bei den Verhandlungen über die strategischen Arsenale und die chemischen Waffen mehr geben.
  • Um das Mandat für die Verhandlungen über die konventionellen Rüstungen wird noch gefeilscht.
  • Das vielbeschworene sicherheitspolitische„Gesamtkonzept“ der NATO läßt auf sich warten. Ob es überhaupt auf den Tisch kommt?
  • Die Pläne für nächste Aufrüstungsrunden verdichten sich – aber stehen uns die neuen Waffen nicht erst im nächsten Jahrzehnt ins Haus?

Konkreter ist, was mit Land und Leuten passiert. Die Verwüstung ganzer Landstriche durch exzessive Herbstmanöver; die Stationierung von 100 zusätzlichen Hubschraubern bei der US-Army in Wiesbaden, der Ausbau von Truppenübungsplätzen und Munitionsdepots – und der zunehmende Unwille der Leute, die Belastungen des militärischen Apparats zu ertragen. Die„Frankfurter Allgemeine“ begreift die Welt nicht mehr: die Belastung durch Tiefflüge habe sich in den letzten Jahren halbiert; der Widerstand dagegen jedoch beträchtlich zugenommen. Und tatsächlich bewegen sich mehr und mehr Kommunalparlamente und lokale Bürgerinitiativen gegen die Zumutungen des„Militarismus“. Der Unmut ist alltäglicher geworden, der Widerwille nimmt zu .. Sicher ist, daß diese Konflikte zukünftig eine größere Rolle spielen werden. Die„Friedensbewegung“ ist dabei gefordert: Was haben die neuen Hubschrauber mit AirLandBattle zu tun? Welche Interessen sind bei der Aufrechterhaltung der Rüstungslasten im Spiel? Was kann praktisch getan werden?

In diesen Auseinandersetzungen verknüpfen sich zusehends militärische und umweltpolitische Fragen. Überhaupt schiebt sich dieser Problemzusammenhang auf der weltpolitischen Tagesordnung mehr und mehr nach vorn. Die Verhinderung des ökologischen Zusammenbruch gebietet eine einschneidende Neuverteilung der Ressourcen, d.h. auch und gerade Abrüstung.

Hinzu kommt ein weiteres: Die Bundesregierung kann sich gegenwärtig einen Rekord-Rüstungsetat (s. dieses Heft)„leisten“. Als ob die Sonne der Konjunktur ewig scheinen würde, werden neue, gigantische Rüstungsprojekte geplant. Selbst bei optimistisch angesetzten Wachstumsraten bleibt offen, wie hypertrophe Projekte wie der Jäger `90 bezahlt werden sollen.

Die Friedensbewegung steht vor der Frage, wie zukünftig die Abwehr neuer Aufrüstungen (s. in diesem Heft die Beispiele England, Frankreich) mit konstruktiven Abrüstungsorientierungen und Konzepten zur Bewältigung der Überlebensfragen eng verknüpft werden kann.

An der Beantwortung wird gearbeitet. Auffallend in diesem Herbst/Winter ist – neben den regionalen Aktionen – die rege Konferenztätigkeit friedensbewegter Einrichtungen. Es geht um die Schärfung der Instrumente geistigen Eingreifens – präzisere Analysen, weiterreichende Konzepte, konkretere Handlungsorientierung, Motivationsanalyse und„-beschaffung“. Die Informationsstelle Wissenschaft und Frieden will anläßlich ihrer definitiven Gründung ihren Beitrag dazu leisten. Sie veranstaltet am 5. November in Bonn das Symposium„Weltpolitik im Umbruch – Friedensforschung und Friedensbewegung im Gespräch“. Alle LeserInnen sind herzlich eingeladen.

Ihr Paul Schäfer

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1988/4 Die neue nukleare Aufrüstung: Großbritannien und Frankreich, Seite