W&F 1988/5

Editorial

von Paul Schäfer

Demobilisierungen aktiver Truppenteile werden höchst selten vorgenommen. Nach Kriegen beispielsweise. Die Volksrepublik China hat vor Jahren eine Million Soldaten ausgemustert. Das berührte aber nicht den Kern des weltpolitisch dominanten Ost-West-Konflikts.

Nun aber beginnt die Sowjetunion mit der einseitigen Abrüstung.

Wie kläglich-zögerlich, wie starrsinnig und blind doch die Reaktion der NATO!

  • Die Frage der »Modernisierung« der taktischen Nuklearwaffen des westlichen Bündnisses sei durch die sowjetischen Maßnahmen nicht berührt, sagte NATO-Generalsekretär Manfred Wörner.
  • Kanzler Kohl sattelte noch drauf, nächsten Abrüstungsinitiativen vorbeugend: Die Modernisierungsentscheidung müsse »unabhängig« davon getroffen werden, ob die sowjetische Führung der Aufforderung nachkomme, ihr eigenes nukleares Kurzstreckenpotential zu reduzieren oder nicht! Diese sog. Modernisierung, d.h. vor allem die neuerliche Aufrüstung mit see- und luftgestützten Marschflugkörpern, bildet nach wie vor den Kern des in Arbeit befindlichen »Gesamtkonzepts« der NATO.
  • Rupert Scholz hat eine neue Begründung für die Aufrechterhaltung einer starken Bundeswehr (inklusive der Verlängerung des Wehrdienstes!) gefunden: Selbst wenn die äußere Bedrohung schwände, brauche jede Nation zur Wahrung ihrer Souveränität eine starke Streitmacht.

Hier wird die Ratio der Nato-Reaktion sichtbar: der aufscheinenden Machbarkeit einer Auflösung der Militärbündnisse gilt es entgegenzuwirken. Mit der Initiative Gorbatschows hat die konventionelle Abrüstung real begonnen. Neue Schritte des Westens im nuklearen Rüstungswettlauf, durch die Rede von der sowjetischen konventionellen Überlegenheit seit Jahrzehnten legitimiert, sind erheblich schwerer geworden. Dennoch: Ende Mai will die NATO ihren Gipfel abhalten und ein Konzept über Umfang und Zusammensetzung ihres Nuklearpotentials verabschieden. Von ernstzunehmenden Umorientierungen ist bis dato nicht die Rede. Es bleibt nicht allzuviel Zeit, auf diesen Willensbildungsprozeß einzuwirken.

Der »Informationsdienst Wissenschaft und Frieden« wird in 1989, dem sechsten Jahr seines Erscheinens, umgestellt. Die Zeitschrift wird künftig vierteljährlich erscheinen, dafür werden wir den Umfang der jeweiligen Hefte um durchschnittlich acht Seiten steigern. Erscheinungsdaten können verbindlicher als bisher eingehalten werden, die Ausdehnung des redaktionellen Vorlaufs wird zugleich die solidere Durchgestaltung des Heftes möglich machen. Sie sollen davon ausgehen können, daß »Wissenschaft & Frieden« nicht nur gute inhaltliche Beiträge enthält, sondern auch nützliche (statistische) Dokumentationen, einen guten Überblick über die Arbeit der WissenschaftlerInnen-Initiativen und eine brauchbare Literaturübersicht. Wir hoffen, nichts an Aktualitätsbezug einzubüßen – der Satz wird seit zwei Heften »inhouse« gemacht – aber an Tiefe und Übersichtlichkeit zu gewinnen. Der Hauptgrund der Umstellung aber ist: bei der Erstellung des Hefts können wir uns längst nicht mehr darauf verlassen, aus zahlreichen Vorträgen der »FriedenswissenschaftlerInnen« schöpfen zu können. Es wird gründlicher, längerfristiger gearbeitet, Projekte müssen auch von uns initiiert werden. Dieser veränderten Lage tragen wir Rechnung.

Der »Infodienst Wissenschaft & Frieden« hat auch im letzten Jahr die Anzahl seiner LeserInnen steigern können. Dies ist in Zeiten sich ausbreitender Entspannungszuversicht nicht wenig. Unsere LeserInnen wissen, daß zur Herstellung wahrlich friedfertiger Zustände noch sehr viel getan werden muß. Wissenschaft & Frieden will dabei unterstützend wirken. Wir bitten Sie daher, sich an der Weiterverbreitung der Zeitschrift zu beteiligen.

Für das Jahr 1989 wünschen wir Ihnen Gesundheit und Glück und uns allen Fortschritte bei der Abrüstung.

Ihr Paul Schäfer

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1988/5 1988-5, Seite