Editorial
von Paul Schäfer
die Hoffnung auf den Abschied von der Kriegsgeschichte scheint zu trügen: 1991 droht der größte Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg. Es mag sein, daß eine europazentrierte Friedensbewegung »out« ist – doch nicht eine, die sich auch um Waffen und Soldaten kümmert. Und die neuen Themen sind so neu nicht: Rohstoffe, Energieressourcen, Weltwirtschaft & Entwicklung, konsequente Zivilisierung und Demokratisierung des internationalen Lebens. Die »Altlasten des Kalten Krieges« (D. Senghaas) aufzuarbeiten, wird noch reichlich Zeit brauchen; die »Konversion der Rüstungsdynamik« (U. Albrecht) steht erst am Anfang. Die Friedensbewegung wird weiterhin gebraucht. Gerade die jüngst vollzogene Krönung des Kanzlers aller Deutschen und die eklatante Schwächung der Opposition machen eigenständige außerparlamentarische Aktivitäten nötiger denn je. Und eine kritische Publizistik.
Die LeserInnen des „Informationsdienstes“ haben auf diese Ausgabe – die zudem eine Doppelnummer ist – länger warten müssen. Dies hatte vornehmlich finanzielle Gründe. In der letzten Zeit haben wir uns an die Devise gehalten: Über Geld spricht man nicht, man hat es. Doch freilich: der Informationsdienst konnte nur erscheinen, weil er durch den Verleger, den Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, engagiert und großzügig subventioniert wurde. So gelang es uns, den Info-Dienst als eines der wenigen Projekte der Friedensbewegung zu halten. Die AbonnentInnenzahl (über 1000) blieb trotz wahrlich widriger Marktlage stabil, an der Qualität wurden keine Abstriche gemacht. Doch wenn der Informationsdienst Wissenschaft & Frieden weiter publiziert werden soll, müssen unabweisbar Kosten eingespart und Einnahmen wesentlich erhöht werden.
Wir rufen deshalb dringend unsere Leserinnen und Leser auf, Abonnements für den „Infodienst“ zu werben. Kostenlose Werbeexemplare senden wir gerne zu. Ohne einen großen Zuwachs an Abonnements wird es nicht gehen.
Auch haben wir in den letzten Wochen viele Gespräche geführt mit Initiativen aus der Friedensbewegung, mit den engagierten Wissenschaftlervereinigungen, mit Kolleginnen und Kollegen aus der Friedensforschung und -publizistik. Daraus entstand der Vorschlag, durch eine veränderte (gemeinsame) Herausgeberschaft die Zeitschrift zu einem Ort enger Zusammenarbeit der im Wissenschaftsbereich angesiedelten Initiativen zu machen – zumal so überflüssige Doppelarbeit vermieden und Kostenersparnisse erreicht werden können.
Insbesondere haben wir geprüft, ob es nicht sinnvoll ist, den Informationsdienst Wissenschaft & Frieden und den Rundbrief der Naturwissenschaftler-Initiative »Verantwortung für den Frieden« zusammenzuführen. Hier ergeben sich inhaltlich die stärksten Berührungspunkte. Die Gründung des Informationsdienstes Wissenschaft & Frieden stand in enger Verbindung zum ersten Naturwissenschaftler-Kongreß gegen das Wettrüsten im Sommer 1983 in Mainz. Im Herausgeberkreis sind mehrere Mitglieder der Naturwissenschaftler-Initiative vertreten. Ein erheblicher Teil der Autoren kommt aus diesem Bereich. Der Informationsdienst behandelt schwerpunktmäßig die Themen, die auch von ihnen bearbeitet wurden: Militär & Wissenschaft, Weltraumrüstung, Technikentwicklung, Verantwortung der Wissenschaftler & Wissenschaftlerinnen. Die Initiative würde den »neuen« Info-Dienst ihren Mitgliedern als Dienstleistung zur Verfügung stellen. Dadurch ergäbe sich eine nicht unbeträchtliche Ausweitung des Bezieherkreises. Zugleich könnten beide Redaktionen voneinander profitieren. Eine weitere inhaltliche Verbesserung wäre von dieser Kooperation zu erwarten. Die Naturwissenschaftler-Initiative hat auf ihrer letzten Mitgliederversammlung im Oktober ausführlich über diese Frage diskutiert und einhellig für diese Lösung optiert. Sie will die gesamte Mitgliedschaft von der intendierten Fusion in Kenntnis setzen; eine endgültige Entscheidung soll auf der Mitgliederversammlung im Februar fallen.
Auch eine Kooperation haben wir vereinbart: mit der Arbeits- und Forschungsstelle Militär • Ökologie • Planung (MÖP) e.V. Die MÖP wird künftig an Stelle ihres Rundbriefs regelmäßig ihre Beiträge im Informationsdienst publizieren. Mit dieser Ausgabe haben wir auf den Seiten 71-77 einen Anfang gemacht. Die ökologischen Fragen bekommen im Rahmen internationaler Sicherheitspolitik und der nationalen bzw. regionalen Abrüstung zunehmendes Gewicht. Dem hoffen wir Rechnung tragen zu können durch die Zusammenarbeit mit der MÖP.
Die aktuelle Zuspitzung am Golf zeigt, daß kriegerische Konflikte immer noch an der Tagesordnung sind. Soll die »neue Weltordnung« mit dem alten Gewaltparadigma und dem Triumph militärischer Stärke ins Werk gesetzt werden? Noch zu wenig im Bewußtsein sind die neuen Konfliktpotentiale und ihre riesigen Dimensionen: Die Fragen der Ressourcenverteilung, der ökologischen Krisenbewältigung, der Entwicklung der 2/3-Welt werden ausgangs des 20. Jahrhunderts die weltpolitische Szene mehr und mehr bestimmen. Die neuen Konflikte werden zugleich als Legitimation benutzt, um den eingeleiteten Prozess der Abrüstung in den Hauptmächten des »Nordens« zu drosseln und durch neue qualitative Rüstung zu konterkarieren. Friedenswissenschaftliche Publizistik ist nötig, um die neuen internationalen Konflikte zu analysieren, um Möglichkeiten globaler Lösungen zu diskutieren und um Konzepte der Konversion und Zivilisierung in die Öffentlichkeit zu tragen.
Der Informationsdienst Wissenschaft & Frieden wird im Grundsätzlichen sein bisheriges interdisziplinäres Profil beibehalten. Natürlich muß er sich den oben skizzierten »neuen« Entwicklungen stellen. In einer Reihe von Fragen wollen wir ihn verbessern:
Der Info-Dienst wird künftig kontinuierlich die Behandlung der friedensrelevanten Fragen im bundesdeutschen Parlament, in den Ausschüssen, in internationalen Einrichtungen verfolgen. Die wichtigsten Informationen über die Aktivitäten des BMVg sollen zusammengetragen und kritisch durchleuchtet werden.
Der Info-Dienst berichtet ausführlich von den verschiedenen Verhandlungen über Rüstungskontrolle, Abrüstung und Vertrauensbildung. Ob es wirklich zu tiefen Einschnitten in die Waffenarsenale kommt, wird sich in den nächsten Jahren entscheiden.
Noch immer werden wir auch über die Entwicklung neuer Vernichtungsinstrumente und über Waffengeschäfte schreiben müssen. Und über das Beharrungsvermögen militaristischen Denkens.
Im Info-Dienst werden Fragen friedensfördernder Strategien erörtert und Vorstellungen für alternative Politiken dargelegt. Dabei geht es um die grundlegenden Fragen globaler Friedenssicherung: Neue Sicherheitsstrukturen, Rüstungskonversion, Weltwirtschaft & Entwicklung, Menschenrechte, Ökologie.
Wachsendes Gewicht werden Fragen des Nord-Süd-Konflikts und Probleme der 2/3 Welt erhalten. Künftige Themen werden dabei sein: Regionale Konflikte, weltwirtschaftliche Probleme, Kritik der westlichen Zivilisation und der antizivilisatorischen Fundamentalismen.
Darüberhinaus veröffentlicht der Info-Dienst interessante Beiträge aus Naturwissenschaft, Technik, Kultur, in denen die Paradigmen einer neuen Friedenskultur entwickelt werden.
Der Info-Dienst wird zukünftig stärker als bisher statistische Unterlagen aufbereiten.
Endlich werden weiterhin regelmäßig Literaturhinweise und -tips, Kontaktadressen für Projekte und Veranstaltungen vermittelt.
Die Dossiers zu Schwerpunktthemen – als Bestandteile des Heftes – werden fortgesetzt.
Der Informationsdienst Wissenschaft & Frieden erscheint weiterhin vierteljährlich im bisherigen Umfang von ca. 64 S. Da wir uns stärker auf die Vermittlung von Informationen und Position konzentrieren wollen, werden wir zukünftig – leider! – auf die (sehr teure) Auflockerung mit Photos verzichten müssen.
Wir sind also entschlossen, den Informationsdienst weiterzuführen. Wir vertrauen auf die angestrebte Neuregelung. Wir bauen auf Ihre Unterstützung. Ihre Vorschläge für die Verbesserung der Zeitschrift und ihre Kritik werden gebraucht. Auf Ihre positive Rückmeldung hoffend wünschen wir Ihnen ein friedliches, erfolgreiches 1991!
Ihr Paul Schäfer