W&F 1991/3

Editorial

von Paul Schäfer

in dieser Ausgabe befassen wir uns vor allem mit dem Stand von Rüstung & Abrüstung. Die Lage scheint auf den ersten Blick verwirrend. Daß Streitkräfte verringert, die Rüstungsausgaben nicht mehr auf gleichem Niveau gehalten werden können, ist offenkundig. Auch die Aussichten auf neue Abrüstungsabkommen stehen nicht schlecht. Aber von einer Abrüstungsdynamik sind wir noch weit entfernt. Stattdessen wird nahezu überall die Modernisierung der Waffen vorangetrieben. Die Notwendigkeit militärischer Interventionsinstrumente wird propagiert.

Die Widersprüchlichkeit steckt in der Sache selbst. Weder ist das Zeitalter der »Ent-Rüstung« angebrochen, noch feiert der alte »Militarismus« wieder Hochkonjunktur. Wir scheinen uns vielmehr in einer typischen Übergangssituation zu befinden – mit widerstreitenden Tendenzen, noch offenen Entwicklungsmöglichkeiten.

Wir werden darauf gestoßen, wie stark die Kräfte der Beharrung im alten status quo sind und wie weit das Interessengeflecht zwischen Militär, Industrie, Wissenschaft und Politik reicht. Aber gleichzeitig werden die Grenzen militärischer Macht immer deutlicher. Unter dieser Überschrift schrieb G. Nonnenmacher in der FAZ: „…es ist auch offensichtlich, daß zur Bewältigung der großen Herausforderungen im ausgehenden 20. Jahrhundert militärische Instrumente nicht taugen.“ Zumindest drei Thesen lassen sich formulieren:

1. Die Legitimationskrise des Militärischen dauert trotz Golfkrieg und Balkankrise an. Die von NATO-Offiziellen jetzt bemühten diffusen Bedrohungen und Risiken ändern daran kaum etwas. Der aufgeblähte Militärapparat des Kalten Krieges bezog seine Berechtigung aus dem Zerstörungsarsenal der jeweils anderen Seite. Gegen die SS 20 »brauchte« man Pershings. Als zukünftige Konfliktpotentiale machen NATO-Politiker v.a. wirtschaftliche, soziale Probleme, ideologische Bewegungen und ethno-nationale Reibungen aus. Welchen Beitrag in diesem Zusammenhang das Militär zur Konfliktlösung leisten könnte, müsste spezifisch begründet werden. Schon Theo Sommer schrieb zu Recht, daß man Hunger nicht mit Napalm bekämpfen kann. Vielmehr gilt: die nach wie vor exorbitanten Rüstungsausgaben beschneiden die Möglichkeiten, den eigentlichen Problemen zu Leibe zu rücken, außerordentlich.

2. der materielle Problemdruck nimmt zu. Der dringend gebotene wirtschaftliche Ausgleich zwischen West und Ost, Nord und Süd, und die Erfordernisse der Ökologie haben ihren Preis. Ohne die Friedensdividende ist er nicht zu entrichten. Kooperation statt Konfrontation ist angesagt.

3. die Kräfteneuverteilung zwischen den verbleibenden Machtzentren USA, Westeuropa, Japan hat gerade erst begonnen. Es geht auch um unterschiedliche Akzente bei den Austragungsformen von Konflikten. Die Europäer setzen eher auf Wirtschaftsdiplomatie und kooperative Politik. Das Engagement von EG und KSZE in der Balkan-Krise ist dafür wichtiges Indiz. Natürlich geht es um das Exempel, wer künftig die Kompetenz zur Lösung weltpolitischer und regionaler Probleme hat. Aber hier sollen auch Formen »ziviler« Konfliktbeilegung etabliert und vorgeführt werden.

Mit diesen Thesen ist nicht gesagt, daß die Dinge schon in die richtige Richtung laufen. Der Rückfall in die alten Zeiten ist möglich (s. Golf). Es geht um »säkulare« Einflußfaktoren, die die praktische Durchsetzung vernünftiger Politik erleichtern. Dazu werden freilich immer noch Akteure gebraucht.

Ihr Paul Schäfer

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1991/3 Zukunft der Rüstung, Seite