W&F 1992/3

Editorial

von Caroline Thomas

Werfen wir den Antimilitarismus über Bord, dann sind wir das Ohnmachtsgefühl, das uns jeden Abend im Fernsehsessel oder bei unserer Frühstückslektüre umtreibt, los.

Von den Kohls, Kinkels, Lamers u.a. sind wir das gewohnt. Auch den (politischen) Totenschein, den sich Engholm mit der Petersberger Erklärung ausgestellt hat - auf dem Bremer Parteitag 1991 prophezeite er dem SPD-Politiker, der einen Bundeswehr-Kampfeinsatz fordere, den politischen Tod -wundert den Fachmann und die Fachfrau nur wenig.

Nachdenklich macht die Diskussion unter linken Intellektuellen, Friedensforschern und Friedensbewegten: Der linke Flügel der SPD stellt einen Antrag zur Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Bundestag. Es handele sich hier um " ein Gebot der Handlungsfähigkeit und der Glaubwürdigkeit der deutschen Außenpolitik. " Die Fraktion Bündnis 90/Grüne im Bundestag stellt zeitgleich einen Antrag, der der Bundeswehr die Legitimation zurückgibt, die sie ansatzweise verloren hatte. Die drei »großen« Friedensforschungsinstitute empfehlen der Bundesregierung in ihrem neuesten Gutachten: "Die Bundeswehr sollte sich darauf vorbereiten (...) Verbände zu entwickeln, ergänzt durch mobile Eingreifkräfte die (...) für Verteidigungsaufgaben im Rahmen bestehender Bündnisverpflichtungen bereitstehen (...)."

Diese Diskussion fremdet in Deutschland vor dem Hintergrund eines grausamen Krieges in Jugoslawien und einer Politik der Bundesregierung, die deutsche Soldaten endlich wieder als Machtfaktor in der internationalen Politik einsetzen will, statt.

Kurzer Rückblick: Der Kalte Krieg ist vorbei - wozu brauchen wir noch die NATO und Bundeswehr? Diese Frage stellte man/frau sich, als 1989 die Mauer fiel, das Ende des traditionellen Ost-West-Konfliktes abzusehen war. Unter sog. linken Intellektuellen, Friedensforschern und Friedensbewegten hatte man - damals zumindest- auch eine Antwort: NATO und Bundeswehr haben - wenn sie denn vorher eine hatten - ihre Aufgabe verloren. Wir reduzieren sie bzw. lösen sie auf.

Diese Antwort basierte allerdings nicht auf der Überzeugung, ab jetzt würde das eine Mitglied der Weltgesellschaft ganz friedlich mit dem anderen umgehen. Die Chance sollte am Schopfe gepackt werden, um darauf hinzuweisen, daß die Legitimation von NATO und Bundeswehr, wie sie uns immer von konservativer Seite vorgehalten wurde der Ost-West-Konflikt - entfallen ist und jetzt die Chance besteht, einen Schritt in Richtung Entmilitarisierung der Gesellschaft zu gehen.

Der Hinweis ist richtig, daß wir aufgrund der Veränderungen alle unsere Positionen in Frage stellen müssen. Aber    können die Antworten auf die Fragen im Einzelfall nicht auch heute noch Gültigkeit besitzen? Auch heute gilt: ein Staat, der keine Waffen hat, kann keinen Krieg führen. Auch heute gilt: Soziale Probleme sind nicht mit militärischen Mitteln zu lösen. Auch heute gilt: Internationale Politik ist Machtpolitik und nicht humanitäre Politik. (In den USA werden jährlich ca. 25.000 Menschen ermordet, in Kuwait waren es weit weniger) Auch heute gilt: Krieg ist kein Mittel von Politik, sondern ein Zeichen ihres Scheiterns.

Wenn man sich über die neue Rolle der Bundesrepublik Gedanken macht, warum müssen wir uns auf die traditionelle militärische Logik einlassen? Unsere Aufgabe ist es zivile Konfliktlösungsmechanismen zu entwickeln, Wege aus der militärischen Logik heraus zu weisen. Ein internationales Kriegsdienstverweigerungsrecht wäre z.B. eine sinnvolle Forderung. Längst ist bekannt, daß unsere Gesellschaft nicht mehr ohne sog. Ersatzdienste funktionieren würde. In allen westeuropäischen Gesellschaften gibt es mehr oder weniger ausgeprägt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Warum überträgt man dieses Prinzip nicht auf die sog. Weltinnenpolitik. Die Friedensdienste könnten z. B. eine Erhöhung der Entwicklungshilfe (nach Umstrukturierung), Transfer von umweltverträglicher Technologie, Ausbildung und Zurverfügungstellung von nicht-militärischem Konfliktlösungspersonal, Verpflichtung zur Unterstützung der Friedensforschung, um nicht-militärische Konfliktlösungen zu erarbeiten usw. beinhalten; der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Deutschland als erster anerkannter internationaler Kriegsdienstverweigerer. Denn: ". . . ob ein deutsches Europa auch ein europäisches Deutschland bedeuten wird? Ich zweifle. Auf Macht wird es wieder hinauslaufen, und mir graut vor deutscher Macht. " (Thomas Mann)

Hinweis: Rostock u.a. beschäftigt auch die Redaktion. Dieses konnte in diesem Heft keinen Eingang mehr finden. Ich möchte Sie aber darauf hinweisen, daß die nächste Ausgabe des Informationsdienstes Wissenschaft und Frieden zum Schwerpunkt " Ursachen von Gewalt" erscheinen wird. Ein Dossier zum Thema " Jugend und Gewalt" ist bereits in Arbeit. 

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1992/3 Zerbrochenes Europa, Seite