W&F 1994/1

Editorial

von Albert Fuchs

Es ist also soweit. Nach dem Tod des Feldwebels A. Arndt in Kambodscha im Oktober des vergangenen Jahres ist nun mit den Todesschüssen von Belet Uen der Bann wohl endgültig gebrochen: Nicht mehr nur »Deutsche Waffen und deutsches Geld morden mit in aller Welt«, sondern auch unsere staatlich geschulten, approbierten und besoldeten Gewalt- und Tötungsspezialisten sind wieder richtig dabei – beim Stechen und Schießen wie die anderen, beim Exekutieren dieser absurden und perversen Staaten-Normalität.

Zwar fehlt noch die höchste Weihe – eine entsprechende Verfassungsänderung –, doch was schert das die regierenden Verfassungsbeuger! Schritt für Schritt hat man seit dem Anschluß der DDR und der Wiedererlangung der vollen staatlichen Souveränität die Verfassungspraxis geändert; Schritt für Schritt hat die Bundesregierung seither die Grenzen hinausgeschoben, die sie noch von der »normalen« Verfügung über die Bundeswehr trennen, d.h. von ihrer Verwendung als Instrument nationalstaatlicher Macht- und Interessenpolitik. Kaum verschleiert ist dieser Zielhorizont in den diversen konzeptionellen Entwürfen der Hardthöhe artikuliert. „Der Krieg ist als Mittel der Politik nach Europa zurückgekehrt“, verkündete dementsprechend V. Rühe am 15. Januar 1993 im Bundestag und meinte das offensichtlich nicht nur beschreibend.

Und welchen Part – um zu unserem Leitthema zu kommen – spielt in diesem Spiel die organisierte Religion, das vermeintliche Gewissen der Gesellschaft? Nun, was kann man schon erwarten? Etwa daß die beiden christlichen Großkirchen ihre Komplementaritätsformeln, mit denen sie zur Hoch-Zeit des »Nachrüstungs«-Konflikts Abschreckungsgläubige wie Pazifisten unter ihrer Anhängerschaft bei der Stange zu halten versuchten, nicht neuauflegen, ihre »Weder-Fisch-noch-Fleisch«-Gerichte (R. Bahro) nicht wiederaufwärmen und sich stattdessen auf den radikal gewaltkritischen Inspirator aus Nazareth einlassen? Niemand sollte Illusionen kultivieren! In der Tat zeichnet sich die Neuauflage, das Wiederaufwärmen, deutlich ab. So legte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland Anfang Februar d.J. ein Positionspapier zur angeblich neuen friedensethischen Standortbestimmung vor. Sieht man sich dieses Papier etwas genauer an, findet man die besagte Weder-heiß-noch-kalt-Formel so wohlklingend reformuliert, daß man diese Passage am liebsten wörtlich wiedergeben möchte. Nicht einmal die berühmt-berüchtigte Heidelberger These VIII von 1959, wonach die Kirche den „Versuch, durch das Dasein von Atomwaffen einen Frieden in Freiheit zu sichern, als eine heute noch mögliche christliche Handlungsweise anerkennen“ muß, wird revidiert – obwohl sie seinerzeit ausdrücklich unter dem Vorbehalt einer gegnerischen Drohung mit Massenvernichtungswaffen stand, diese Drohung aber erklärtermaßen nicht mehr besteht. Gewiß wird die Lehre vom »gerechten Krieg« problematisiert –, aber nur, um wiederholt auf Komponenten dieser Konzeption als Bedingungen des „Einsatz(es) militärischer Gewalt zur Wahrung des Friedens und zur Durchsetzung des Rechts“ zu rekurrieren. Kurz und gut: Alter Wein – bzw. alter Fusel – in einem runderneuerten Schlauch!

Keineswegs besser sieht es bei den »Hütern der ewigen Wahrheit« (R. Havemann) mit dem anderen Gebetbuch aus. Jahre nach dem Beginn des »neuen (außen- und sicherheitspolitischen) Denkens« (und Handelns) der Sowjetführung unter Gorbatschow und nach dem zwischenzeitlichen Untergang des »Reiches des Bösen« (R. Reagan) und damit nach dem erklärten Ende der „fundamentalen Bedrohung von Freiheit und Menschenwürde“, die seinerzeit auch den katholischen Deutschen Bischöfen als Rechtfertigungsgrund für die ethische Tolerierung des Abschreckungssystems diente, haben auch diese immer noch keine Revision dieser Position zustandegebracht, sich immer noch nicht von „Geist, Logik und Praxis der Abschreckung“ verabschiedet. Man schweigt sich dazu aus, daß diese Ideologie und Praxis immer offener gegen Völker und Staaten auf der südlichen Halbkugel gerichtet wird, dazu noch im Rahmen der eingangs angesprochenen Relegitimierung von Militär und Krieg als Mittel der Politik. Wer aber schweigt …Nein, mit staatstragenden Kirchen ist und bleibt friedenspolitisch kein Staat zu machen! Daran hat sich seit der »Konstantinischen Wende« nicht viel geändert, und daran wird sich nicht viel ändern. Die Beförderung zur »Staatskirche« hat eben ihren Preis: Tolerierung, wenn nicht Mystifizierung des staatsbildenden Prinzips Gewalt. Friedenspolitisch fruchtbar kann nur Religion »von unten« sein, d.h. aufgrund der Erfahrung Gottes als »Vater« und »Mutter« aller Menschen. In dem Maße, in dem der Glaubende sich und jeden potentiellen Gegner von seinem Gott unbedingt bejaht erlebt, sieht er sich zu ihm im Gegensatz, sobald er bereit wird und lernen will, seinen Gegner zu vernichten. Damit zerstört er zwangsläufig seine religiöse Identität. Andererseits kann er sich nicht mit dem wechselseitigen Vernichtungswillen unter Menschen abfinden; Gewaltbereitschaft und Krieg stellen die Verbindung zwischen den Menschen in Gott und damit wiederum das identitätsstiftende Daseinsverständnis des Glaubenden prinzipiell in Frage.

Wann und wo immer in der Geschichte sich Frauen und Männer vor diesem oder einem ähnlichen Orientierungshintergrund frei assoziiert haben, konnten sie friedenspolitisch produktiv werden. Vielleicht bietet das »Projekt Weltethos« (H. Küng) des Parlamentes der Religionen eine entsprechende Hoffnung für unsere Zeit.

Ihr Albert Fuchs

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1994/1 Religion, Seite