W&F 1996/2

Editorial

von Jürgen Nieth

seit 1969 stellt die FDP ununterbrochen den Außenminister der BR Deutschland. Keine andere (west)deutsche Partei kann in einem Ministeramt auf eine derartige Kontinuität verweisen; und das in einer ausgesprochen bewegten Zeit. Mit Walter Scheel wurde die neue Ostpolitik eingeleitet; mitten in die 18jährige Amtszeit Genschers fielen die »Nachrüstungsdebatte« und der »Partnerwechsel«; kurz vor dem Ende seiner Amtszeit die Implosion des Staatssozialismus in Osteuropa und der Anschluß der DDR an die BRD. Man muß kein Befürworter der liberalen Außenpolitik sein, um ihr für diese Jahre eine erkennbare Linie und Berechenbarkeit zu konzedieren, was sich ja auch darin zeigte, daß die Entspannungspolitik den Regierungswechsel überdauerte.

Vielleicht ist es nur ein Zufall, das Genschers Abgang zusammenfiel mit der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens, dem Zeitpunkt, zu dem das wieder »größere Deutschland« erstmals außenpolitisch – auch gegen die anderen Partner in der EG – Macht demonstrierte und sich durchsetzte (mit fatalen Folgen, wie Horst Grabert auf S. 12ff. feststellt).

Machtpolitisches Denken, im ökonomischen Bereich seit eh und je Handlungsmaxime, droht seitdem auch in der Aussen- und Militärpolitik wieder zur Richtschnur des Handelns zu werden. Von der Mitfinanzierung von Kriegen (Golf 91) über die Entsendung von Sanitätssoldaten (Kampuchea) und »Baubrigaden« (Somalia) bis hin zum militärischen Eingreifen auf dem Balkan (dem „ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr“, der an Parlament und Verfassung vorbeilief, so Reinhard Mutz auf S. 15) erleben wir eine gefährliche Entwicklung.

Dem Trend der Zeit folgend, will die FDP ihr Bekenntnis zur »Machtpolitik« jetzt auch programmatisch festschreiben. „Liberale Außenpolitik ist interessengeleitet und werteorientiert“, heißt es im neuen Programmentwurf. Wie dieses »interessengeleitet« politisch (und militärisch) interpretiert werden muß, verrät eine andere Passage: „Das Gewaltmonopol der Völkergemeinschaft ist das Friedensprinzip der Zukunft. (…) Wer es ablehnt, Frieden und Freiheit zu sichern – notfalls auch mit militärischen Mitteln –, läßt die Menschen im Stich.“ Klartext: »Das Gewaltmonopol« nicht nur als »ein« sondern als »das« Friedensprinzip schlechthin.

Und dabei bleibt offen, welche Rolle man selbst bei der (militärischen) Durchsetzung des »Gewaltmonopols« zu spielen gedenkt.

Die Debatte um die Osterweiterung der NATO macht schließlich sichtbar, wie sehr ein schlüssiges außenpolitisches Konzept fehlt. Nicht nur, das oftmals Zweifel aufkommen, wer denn für die Außenpolitik verantwortlich ist, Kinkel oder Rühe oder der Kanzler unisono. Laut Programm möchten die Liberalen eine „zügige Aufnahme von mittel- und osteuropäischen Staaten in die EU und NATO“. Wie man aber gleichzeitig das dagegen opponierende Rußland in eine „europäische Sicherheitsarchitektur“ einbinden kann, das bleibt im Nebel (s. a. Berthold Meyer, S. 8).

Was dieses »interessengeleitet« ökonomisch bedeutet, hat Außenminister Kinkel mit den Worten von der Außenpolitik als „Türöffner für die Wirtschaft“ angedeutet. Zwar registriert der FDP Programmentwurf, daß „Hunger, Armut und Überbevölkerung (…) der Boden für Gewalt, Machtmißbrauch, totalitäre Ideologien (und) Fundamentalismus“ sind. Wenn aber gleichzeitig FDP-Politiker vom notwendigen „weltweiten Freihandel“ sprechen, wenn es in der Praxis nur um neue Märkte geht und nicht auch um eine globale ökonomische Verantwortung, dann wird einer Politik Vorschub geleistet, die in der 2/3-Welt die Verelendung forciert (s. a. Gottfried Wellmer, S. 24).

Nach 1968 antwortete die sozial-liberale Koalition auf die außenpolitischen Herausforderungen mit der »neuen Ostpolitik«, mit einer Anerkennung der Nachkriegsrealitäten und einem Verständnis von Sicherheit als »gemeinsamer Sicherheit«. Nach den viel einschneidenderen politischen Veränderungen am Ende der achtziger Jahre ist von einer vergleichsweise »visionären« Politik nichts zu spüren. Dabei ist die Situation nach der Implosion des Ostblocks eigentlich zwingend. Es gilt, den Realitäten Rechnung zu tragen: die Blockkonfrontation existiert nicht mehr, eine militärische Bedrohung – so sie denn je real gewesen sein sollte – auch nicht. Eine einmalige Chance um die Möglichkeiten auszuloten für einen Weg heraus aus den überkommenen Militärstrukturen, weg von der Machtpolitik und vom konfrontativen Denken hin zu einer Zivilisierung der Außenpolitik (Helmut Hugler, S. 28).

Die Demokratisierung der Außenpolitik durch Mitwirkung auch der politischen Kräfte, die nicht an den traditionellen Schalthebeln der Macht sitzen, müßte eigentlich auch zu den Maximen liberaler Politik gehören.

Die ablehnende Position der Bundesregierung gegenüber der von kirchlichen und Friedensgruppen getragenen Initiative für einen zivilen Friedensdienst in Bosnien und das, was uns heute von liberaler Seite »programmatisch« angeboten wird, stimmt nicht gerade optimistisch.

Ihr Jürgen Nieth

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1996/2 Größer – Stärker – Lauter, Seite