Editorial
von Jürgen Nieth
Wir leben im Zeitalter der Medien. Das Grauen des Krieges erreicht uns per Satellit – aber wieviel davon nehmen wir wirklich wahr, wie reagieren wir, wann werden wir selbst aktiv? Fast 200 Kriege seit 1945, weit mehr bewaffnete Konflikte. In den letzten dreißig Jahren sank die Zahl der weltweit registrierten Kriege nicht unter fünfundzwanzig, bis vor kurzem mit jährlich ansteigender Tendenz. Doch die große Mehrheit dieser Kriege ließ die ganz große Mehrheit der Bevölkerung in unserem Land seltsam unberührt.
Liegt es daran, daß neunzig Prozent der Kriege in den letzten 50 Jahren »weit weg« in der sogenannten Dritten Welt stattfanden? Aber die USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion waren in zahlreiche Konflikte involviert, so mancher Konflikt wurde zum »Stellvertreterkrieg« hochgerüstet? Auch bei den Konfliktursachen zahlreicher innerstaatlicher Kriege waren die Industrienationen nicht unbeteiligt. Willkürliche Grenzziehungen bei der Bildung der Staaten gehen auf die alten Kolonialmächte zurück. Das ökonomische Gefälle zwischen ethnischen Gruppen, Schichten und Regionen ist vielfach bedingt durch die ökonomischen Interessen der Industriestaaten oder großer Konzerne. Länder, die zum eigenen Einflußbereich gezählt werden, werden hochgerüstet. Daß in vielen Ländern die historischen Erfahrungen sowie Regeln und institutionelle Formen für einen Machtwechsel fehlen, auch daran sind die Nationen des »reichen Nordens« nicht unbeteiligt. Wo Regierungen heute nur die blanke Not verwalten, hat die Demokratie kaum eine Chance.
Sicher, es gab Engagement in unserem Land. Zum Beispiel die Solidaritätsbewegung, die die Antikolonialkriege und die Kriege, die mit dem Ziel der Veränderung einer Gesellschaftsordnung geführt wurden (z. T. gegen von außen gestützte und ausgehaltene Diktatoren) begleitete. Nach anderen Kriegen wuchs in unserer Bevölkerung manchmal kurzfristig die Spendenbereitschaft zur Minderung der größten Not. Massenbewegungen waren das nicht.
Dann, wenn in unserem Land wirklich Massen aktiv wurden, dann hatte es immer etwas mit der »eigenen Situation« zu tun. Das war so in der Friedensbewegung der achtziger Jahre, als die maßlose Steigerung des Rüstungswahnsinns, die Angst vor einem Weltbrand, der auch unser Land vernichtet hätte, Millionen mobilisierte.
Das war auch bei den beiden wirklich großen Antikriegsbewegungen der Fall: Vietnam und Golfkrieg II.
Vietnam, das war nicht nur der Kampf David gegen Goliath. Bis Vietnam waren die USA für Millionen Menschen in unserem Land das Vorbild schlechthin. Am Mekong aber zerbombten die B 52 den Traum von westlicher Freiheit und Demokratie. Vor allem für die Jugend trat an die Stelle des »Leitbilds« USA, das »Leidbild« Vietnams.
Golfkrieg II, hier zerstoben die »89er Hoffnungen« auf einen umfassenden Frieden und eine »neue Politik«. Krieg erschien wieder als Ultima ratio bei der Durchsetzung ökonomischer Interessen. Und die nach dem Ost-West-Konflikt übriggebliebene Supermacht konnte offensichtlich jetzt sogar schneller und rücksichtsloser ihre Interessen durchsetzen als vorher.
Das Hemd ist näher als der Rock. Das mag ein Stück weit erklären, warum auf dem Hintergrund des Ost-West-Konfliktes die vielen Kriege so wenig Beachtung fanden, warum auch bei einer friedenspolitisch engagierten Öffentlichkeit in den achtziger Jahren der Blick im Großen und Ganzen »eurofixiert« blieb. Heute ist weit und breit kein Feind in Sicht. Vielleicht liegt darin eine Chance den Blick frei zu bekommen für das was anderswo passiert und dafür, daß mancher Krieg viel mehr mit uns zu tun hat, als wir wahrhaben wollen.
Das Ringen um Macht- und Einflußsphären, um Rohstoff- und Absatzmärkte wurde mit dem Ost-West-Konflikt nicht beendet – es hat sich höchstens verlagert, wie man an der Auseinandersetzung zwischen Frankreich und den USA um das Zentrum Afrikas sieht. Daß die Bundesregierung in diesem Machtpoker nicht abseits steht, wurde spätestens deutlich, als sie gegen die Mehrheit der westeuropäischen Staaten die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens durchsetzte, mit den bekannten fatalen Folgen für Bosnien. Das wird auch in diesen Tagen sichtbar, wenn unter der Führung von Daimler Aerospace (DASA) und Thyssen ein internationales Industriekonsortium versucht, Südafrika einen Vier-Milliarden-Waffenauftrag aufzudrücken und wenn die Bundesregierung dazu Schützenhilfe gibt.
Das die friedenspolitisch Engagierten sich heute besonders um zivile Konfliktbearbeitung bemühen ist angesichts der Folgen des ersten Krieges auf europäischem Boden seit Jahrzehnten – in Exjugoslawien – verständlich und notwendig. Genauso wichtig aber ist, daß die Konfliktursachen nicht aus dem Blick verloren gehen, für die auch unser Land eine Verantwortung trägt: Ich möchte zwei hervorheben: die Waffenexporte und die ungerechte, die große Teile der Welt weiter verarmende Weltwirtschaftsordnung.
Ihr Jürgen Nieth