W&F 1998/3

Editorial

von Paul Schäfer

Die Gesellschaft kann auf Dauer nicht mit den Mitteln zu ihrer Vernichtung leben.“

Vor fünfzehn Jahren, in der ersten Ausgabe des »Informationsdienstes Wissenschaft und Frieden«, prägte Professor Werner Dosch diesen Satz. Dies war im Raketenherbst 1983 vor allem auf die Atomwaffen gemünzt. Doch es ging um mehr. „Rüstung tötet – täglich“, lesen wir im selben Heft. Mit der Friedensbewegung begann die Einsicht in die Funktion der Rüstung als gesellschaftlicher Destruktivkraft. Gerade haben Forscher errechnet, daß die USA für das nukleare Wettrüsten zwischen 1940 bis 1996 5,8 Billionen Dollar ausgegeben haben – mehr als für Gesundheit, Straßenbau, Bildung und Wissenschaft zusammengenommen. Es gilt weiterhin: Was für Tötungsmaschinen aufgebracht wird, fehlt bei der Bekämpfung von Not und Elend.

Die Friedensbewegung hat zugleich damit angefangen, die jahrhundertelang gewachsene »Kultur des Krieges« aufzuarbeiten, die im 20. Jahrhundert in zwei Weltkriegen eskalierte und die die Menschheit in Gestalt des atomaren Over-kills an den Rand des Abgrundes geführt hatte. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich damals in großer Zahl für Frieden und Abrüstung engagierten, verstanden sich als Teil einer Gegenkultur. „Das Umdenken in der Wissenschaft ist Bestandteil einer neuen Kultur, die an den Zielen Frieden, Humanität, Gerechtigkeit orientiert ist.“ So zu lesen in der Ausgabe 3/4-1986.

Die Visionen eines positiven Friedens wurden durch die Umbrüche in der Sowjetunion und das »Neue Denken« Gorbatschows kräftig genährt. Die Agenda der späten 80er Jahre lautete: Überwindung der Konfrontationsära; internationale Kooperation zur Bewältigung der globalen Überlebenskrise. Endlich schien es möglich, die gesellschaftlichen Ressourcen auf die eigentlichen Fragen – soziale und demokratische Entwicklung, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen – zu konzentrieren. Im Editorial 2/89 findet sich der prophetische Satz: „Eine Neue Europäische Friedensordnung kann nur entstehen und langfristig bestehen, wenn allseits eine konsequente Entmilitarisierung und Zivilisierung betrieben wird.“

Doch der »wind of change«, der den Umbruch 1989/90 begleitete, hat sich wieder gedreht.

Der politische und öffentliche Diskurs ist durch die Kriege am Golf und auf dem Balkan grundlegend verändert. Der Antibellizist Kant erscheint nunmehr moralisch fragwürdig und realitätsuntauglich, der Theoretiker des Krieges Clausewitz erlebt seine zweite Renaissance.

Es mag zutreffen, daß die Konflikte, die in den 90er Jahren zusehends virulent wurden, andere Antworten als die einfach-pazifistischen erfordern. Die differenzierte Debatte darüber muß weitergehen. Aber die Doktrinen der wiederbelebten Militärkultur führen nicht weiter. Die Spirale der Gewalt dreht sich weiter. Im Kongo wie im Kosovo. Neue Antworten werden gebraucht.

Eine »Weltordnungspolitik«, die auf Abschreckung und Militärdominanz gegründet ist, ist auf Dauer zum Scheitern verurteilt. Das aktuelle Scheitern der atomaren Nichtweiterverbreitungspolitik ist Indiz dafür.

Der »Interventionismus«, der gegenwärtig wieder die Militärapparate wachsen läßt, hat seinen Preis. Während allenthalben der Aufbau sogenannter Krisen-Eingreiftruppen forciert wird, geraten die eigentlichen Programme zur Bekämpfung der Konfliktursachen ins Hintertreffen.

Die »innergesellschaftliche Re-Legitimierung des Militärischen«, die hierzulande schon wieder den Kotau vor dem Soldatentum zur Staatsräson verklärt (siehe den Streit um die öffentlichen Gelöbnisse), beschädigt auch die zivilgesellschaftliche Demokratie. Und: Wo der Weg zur Mystifikation von Macht und Gewalt nicht weit ist, wird die Fähigkeit zur friedlichen Konfliktaustragung beeinträchtigt.

Eine globale politische Ökonomie, die für den Krieg keinen Raum läßt, erfordert … eine neue Kultur der menschlichen Beziehungen“ (John Keegan, Die Kultur des Krieges). Für eine solche Kultur ohne Krieg steht »Wissenschaft und Frieden«. Und dies seit genau 15 Jahren. Für uns ist das Anlaß, dieses Heft dem Thema »Friedenskonzepte« zu widmen. Entmilitarisierung und Zivilisierung sind heute in die Frage nach der Zukunftsfähigkeit von Gesellschaften eingebettet. »Wissenschaft und Frieden« hat dem in den neunziger Jahren zusehends Rechnung getragen und wird sich auch künftig daran orientieren. Es hat ein erhebliches Durchstehvermögen gekostet, dieses Projekt über all die Jahre zu betreiben. Dies war sinnvoll. Die Zeitschrift wird weiter gebraucht.

Ihr Paul Schäfer

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1998/3 Friedenskonzepte, Seite